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PRESSE/973: 50 Jahre Buddhismus in Hannover (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2013
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

50 Jahre Buddhismus in Hannover

Vergangenheit und Zukunftsaussichten des BBH

von Axel Rodeck



1. Kurze Geschichte des BBH

Eine Vortragsreihe über Buddhismus an der Volkshochschule Hannover fiel bei einigen Teilnehmern auf fruchtbaren Boden: Am 19. Oktober des Jahres 1963 gründeten sie einen "Buddhistischen Arbeitskreis". Initiator und Vorsitzender war der Sonderschullehrer Klaus Kasten. Einige Jahre später berichtete die ortsansässige Presse von nunmehr 24 hannoverschen Buddhisten, die neben ihrer weltlichen Tätigkeit auf der Suche waren nach "der weisen Abgeklärtheit ihrer kahlköpfigen Vorbilder, die ihren Geist trainieren wie Sportler ihren Körper".

In einer sich ändernden Zeit - die Nachkriegsära war vorbei und in der Gesellschaft deuteten sich, insbesondere bei den Studenten, neue Vorstellungen an - war das Treiben der Neubuddhisten sicherlich etwas suspekt. So fiel es Besuchern auf, dass sich die Ehefrau Klaus Kastens nicht nur im Lotossitz auf dem Bett niederließ, sondern auch noch ein Mao-Hemd trug. Und das Töchterchen der Eheleute war gar mit dem indischen Namen "Andschana" versehen worden.

Doch inzwischen hatte ein Mann die Bühne betreten, der den Verein und seine Aktivitäten maßgeblich prägen und ihm zunächst eine Heimstatt in seinem Gartenhäuschen geben sollte: Karl Stort, der "Holländer aus Java". Stort wurde in Indonesien geboren und kam als niederländischer Staatsbürger nach Hannover, wo er als sachverständiger Architekt bei einer Versicherungsgesellschaft arbeitete. Mit außerordentlichem Eifer widmete er sich der theravadischen Form des Buddhismus und sah diese an als Geistesschulung zur Überwindung von Gier, Hass und Verblendung. Im Hausblatt "Der Mittlere Weg", hauptsächlich von Stort gestaltet, schaute er aber auch über den buddhistischen Tellerrand hinaus und äußerte sich zu politischen Themen wie der Durchführung einer Volkszählung in der BRD oder der Gefahr durch "Jugendsekten" wie die Transzendentale Meditation. Auch über Atomwaffen, "Reichskristallnacht" und Holocaust wurde geschrieben.

Im August 1979 wurde die Umwandlung des bisherigen nicht eingetragenen Arbeitskreises in den "Buddhistischen Bund Hannover" (BBH) nebst Eintragung in das Vereinsregister beschlossen. Die Eintragung als gemeinnützig folgte im selben Monat.

Storts Aktivitäten schienen sich zu überschlagen. Neben der Leitung des BBH besorgte er die Herausgabe des "Mittleren Weges" mit einer Vielzahl selbstverfaßter Artikel, wirkte mit beim Aufbau der "Deutschen Buddhistischen Union", ging auf Reisen durch Deutschland und besuchte Konferenzen der "World Fellowship of Buddhists" in fernen Ländern: 1978 in Tokio, 1979 in Paris, 1980 in Bangkok und 1982 sowie 1984 in Sri Lanka. Doch dann der große Paukenschlag: Karl Stort starb am 18. Juli 1986 im Alter von 61 Jahren nach einem Herzinfarkt.

Der Tod Karl Storts riß im Verein eine empfindliche Lücke. Niemand stand bereit, die vielfältigen Vereinstätigkeiten zu übernehmen. Sollte man aufgeben und die inzwischen etablierte buddhistische Institution schließen? Doch zunächst ging es darum, das Gartenhäuschen, dessen Umbau Karl Stort noch bis zuletzt tatkräftig betrieben hatte, fertig zu stellen. Dies gelang mit viel Eigenarbeit und am 19. September 1986 fand die Einweihung statt. Der Betrieb konnte zunächst mit kleinerer Flamme weitergehen. Aber wie so oft im Leben gesellte sich zu einem Unglück noch ein weiteres hinzu: Das von Stort für den BBH eingerichtete Gartenhäuschen auf seinem Grundstück wurde - freilich unter Zubilligung angemessener Räumungsfrist - von den Erben zurückverlangt. Im Herbst 1987 sollte die Rückgabe erfolgen.

Doch diese erneute Hiobsbotschaft spornte zu nicht für möglich gehaltenen Aktionen an und es erschien ein Retter, der aus Bescheidenheit bislang kaum in Erscheinung getreten war. Er hatte sich nach Storts Tod schon um die Vereinsinterna gekümmert und seine anonym gehaltenen arbeitsintensiven Aufsätze im "Mittleren Weg" erkennt man leicht an ihrer behutsamen Diktion als seine Werke. Seine Klagen über gesundheitszehrende Überlastung neben dem Berufsstreß und Aufforderung zu Mithilfe bei der Vereinsarbeit finden sich dann bis in die Gegenwart. Es ist Rother Baumert, der den BBH in schwieriger Situation rettete und bis heute als "Seele" des Vereins angesehen werden kann.

Im Benehmen mit Dagmar Doko Waskönig, die schon mehrere Jahre eine Zen-Meditationsgruppe leitete und ebenfalls auf Raumsuche war, wurde die gemeinsame Anschaffung von Räumlichkeiten beschlossen. Im Frühjahr 1988 hatte die Suche Erfolg: Dank großherzigen Engagements Rother Baumerts konnte ein geeignetes Objekt gefunden und finanziert werden - das Zentrum in der Drostestr. 8, wo es sich noch heute befindet. Nach erheblichen Umbau- und Renovierungsarbeiten war es am 28. Januar 1989 endlich so weit: Feierlich wurden das Zentrum eröffnet und der Meditationsraum der Zen-Gruppe eingeweiht.

Dankbar stellen wir fest, dass die mit Begründung des neuen Zentrums bewirkten Aktivitäten und Verfahrensweisen sich für lange Zeit bewährt haben und ohne große Änderungen auch bis heute noch wirksam blieben. Das gilt u.a. für das Angebot von regelmäßigen Veranstaltungen, die Erfüllung satzungsgemäßer Aufgaben, die Organisation des Vorstands und die Gültigkeit der Satzung, die Raumgemeinschaft mit einer Zen-Gruppe und die Herausgabe einer Zeitschrift, die übrigens seit 1990 in professioneller Form von Uwe Kickstein liebevoll hergestellt wurde. Freilich sind auch geblieben die Klagen über mangelnde Mitwirkung, "gesundheitsfressende Überlastung" einiger Verantwortungsträger und ungenügende Pflege des Zentrums.

Doch immer wieder und besonders in letzter Zeit drängte sich die Frage auf, wie es denn mit dem Verein weitergehen solle. Die wenigen Akteure auf der Vereinsbühne erreichen inzwischen - nach 20- und gar 30-jährigem BBH-Einsatz - ein Seniorenalter von über 70 Lebensjahren und der Elan der frühen Jahre kann nicht mehr mobilisiert werden. Jugendlicher Nachwuchs fehlt und auch die älteren Mitglieder, die den Verein mit großzügigen Spenden alimentierten, fallen zunehmend weg.

Doch schauen wir uns folgend zunächst einmal das lebendige Wirken des BBH anhand der in den jeweiligen Jubiläumsjahren verfaßten Vereinszeitschriften "Der Mittlere Weg" an.


2. Blicke zurück

Themen im Mittleren Weg

Vor 30 Jahren (Hefte Nr. 1/2 bis 3 und 5 1983)

Einleitend nennt Karl Stort im Mittleren Weg Nr. 1/2 des Jahres 1983 zwei leidige Themen, welche auch heute wieder (immer noch?) aktuell sind: Der Bedarf an finanziellen Mitteln, um die selbstgestellten Aufgaben zu erfüllen, und die Einstellung des Bezuges unserer Zeitschrift, wenn das Interesse daran nicht durch gelegentliche Spende dokumentiert wird.

Ein anderes Problem hat sich dagegen erfreulicherweise erledigt: Die Nöte, die die buddhistischen Flüchtlinge aus Vietnam bei der Integration in unsere deutsche Gesellschaft hatten. Klima, Sprachschwierigkeiten und eine völlig fremde westliche Kultur erschwerten die soziale Eingliederung. Der BBH hielt Kontakt mit den Vietnamesen und half ihnen, wo immer es möglich war. Und wenn wir heute bei Besuchen in der Pagode die sprachgewandten, gut gekleideten und offensichtlich recht wohlhabenden Deutsch-Vietnamesen betrachten, so können wir erfreut feststellen, dass die Integration jetzt endgültig gelungen ist.

Zum Schluß des Heftes erzählt Stort, vielleicht durch das gerade vergangene Weihnachtsfest noch angeregt, die Geschichte von "Siddhatthas Geburt unter dem Baum" und zieht Parallelen zur Geburt Jesu.

In Heft 3/1983 breitet sich Stort zunächst über die Bundestagswahl 1983 aus. Er, der nicht wahlberechtigte "Holländer aus Java", sieht durchaus die Problematik, ob ein buddhistisches Blatt sich überhaupt mit einem solchen Politikthema befassen soll. Er meint aber, die Wahlbürger zur Achtsamkeit auffordern zu dürfen: Die ökonomische Entwicklung in den Industriestaaten habe zu Problemen wie Luftverschmutzung usw. geführt und müsse neu durchdacht werden. Der Entwicklungsprozeß, der uns so weit gebracht habe, müsse nun als Irrtum erkannt werden, der die Menschheit bedrohe. Fazit: Keine Personen wählen, die auf immer weiteres Wirtschaftswachstum setzen.

Schließlich sind die hannoverschen Vietnamesen wieder ein Thema. Der Mittlere Weg übernimmt einen von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Bericht über das Neujahrsfest in dem Lagerschuppen, der bis zur Errichtung der jetzigen Pagode religiöse Heimstatt für die buddhistischen Männer und Frauen war. Das Bundesministerium des Inneren hatte diese erste deutsche Pagode nebst Bibliothek und moderner Druckerei großzügig finanziert.

Heft Nr. 5/1983 beklagt den (somit schon seit Jahrzehnten bestehenden) Mißstand, dass die Mitgliederversammlung durch geringe Teilnahme auffällt. Man möge aber, so heißt es, nicht daraus schließen, dass der BBH in den letzten Zügen liege. In der Tat - bis heute hat er weitere 30 Jahre geschafft. Aber nun droht wirklich der Untergang. Karl Stort gibt keine Ruhe und veröffentlicht "ganz persönliche Überlegungen" zur Volkszählung 1983, wobei er jetzt Verstöße gegen den Datenschutz befürchtet und seine Sympathie für die "Initiativen für den Volkszählungsboykott" bekundet.

Und noch ein Heft Nr. 6/1983 wurde im Oktober von dem rührigen Redaktionsteam gestaltet. Es enthält die Sutra-Texte "Die Fahrt im Reisewagen" und "Rahulas Belehrung im Park der Mangosprößlinge". Die Untaten der Chinesen in Tibet sind Gegenstand von Ausführungen, in denen heftige Kritik an dem Pekinger Tibetologen Wang Yao geübt wird, der den Sachverhalt nicht zugestehen will.


Vor 20 Jahren (Hefte 1-3 1993)

Der "Mittlere Weg" hatte sich nun äußerlich verändert und war vom hektographierten Blatt zu einem schmucken Heft geworden - freilich noch nicht ganz so, wie die späteren Hefte.

Heft 1/1993 stellt zunächst "Naikan" vor als "Methode der meditativen Selbstfindung". Mit dem Artikel "Vegetarier sein als Buddhist" spricht dann U. Kickstein ein Problem an, das auch in der Zukunft noch oft diskutiert werden sollte. Er dokumentiert mit drastischen Fotos das Töten von Schlachttieren und beklagt, dass weltweit auch die Buddhisten fleischlicher Nahrung frönen - insbesondere, wenn sie von anderen hergestellt wurde. Passend zum Thema folgt ein Bericht über "Gewaltfreiheit", wie sie von Mahatma Gandhi interpretiert wurde. Das Heft schließt mit Erörterungen, wie sie ebenfalls später noch häufiger im "Mittleren Weg" gemacht wurden, nämlich ob die von uns wahrgenommene Welt nur eine Illusion ist.

Für Heft 2/1993 hatte die Redaktion fleißig in der Literatur nach brauchbaren Artikeln gefahndet. Sie wurde fündig bei Ayya Khema ("Hunger nach Dharma"), Harald Lebherz ("Kleine Einführung in Geschichte und Entwicklung des Buddhismus") und Ramana Maharshi ("Meditation und Konzentration"). Hervorzuheben ist eine Initiative unserer Freundin Eva Herrmann, die voller Elan ein Projekt betreffend "Alternatives Wohnen im Alter" starten wollte. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus und Eva verstarb ohne Erreichung ihres Zieles an einer tückischen Krankheit.

Heft 3/1993 eröffnet mit dem Protokoll der Mitgliederversammlung vom 15. Mai 1993, gewissenhaft geführt von Uwe Kickstein. Nur fünf Mitglieder waren erschienen und selbst zwei Beisitzer mußten in Abwesenheit gewählt werden. Hier zeigen sich schon die strukturellen Mängel, die heute zu für den Verein nicht mehr zu bewältigenden Problemen führen.

Neben der Fortsetzung des Textes von Harald Lebherz finden wir von Thich Nhat Hanh einen "Vergleich zwischen Buddhismus und Psychotherapie", Ausführungen über "Yoga als Weg zur inneren Weisheit" und schließlich von Kassapa "Der Dhamma als Schutz in der Welt".


Vor 10 Jahren (Hefte 1-3 2003)

Heft 1/2003 beginnt mit einer kritischen Erörterung, an der Karl Stort sicherlich seine Freude gehabt hätte. Unter Bezug auf im Vorjahr veröffentlichte Artikel geht es um die Frage, wie das Verhältnis der Weltreligionen zueinander ist und ob jedenfalls der Islam eine Gefahr für die Andersdenkenden (das Wort "Ungläubige" soll vermieden werden!) darstellt. Es führt, so heißt es, nicht weiter, wenn nur die die jeweilige Meinung stützenden Koranstellen herausgesucht werden, sondern es sind die Fakten vorurteilsfrei zu benennen. Diese zeigen aber, dass die meisten Konfliktherde der Welt dort sind, wo Moslems mit Andersgläubigen zusammenstoßen. Während wir Westler bis zu seinem Zusammenbruch mit dem Weltkommunismus und seinen Anhängern wenigstens streiten konnten, weil sie Produkte westlicher Kultur waren, bringt uns der Islam oft nicht nachvollziehbare (oder schon überwundene) Gedankenwelten. Es geht in dem Beitrag aber auch um die Frage, wieviel Kritik erlaubt ist, ohne deswegen als Störer interreligiöser Harmonie beschimpft oder gar bedroht zu werden.

Ein weiterer Artikel von einem jahrzehntelang in Islamfragen sehr bewanderten Autor erörtert, ob der Islam eine Weltgefahr darstellt. Er führt aus, dass die "Toleranz" des Islam sich auf wenige "Schriftbesitzer" bezieht und keineswegs unseren Vorstellungen entspricht. Von "Religionsfreiheit", wie sie von den Moslems in anderen Ländern gefordert wird, kann in keinem islamischen Land die Rede sein.

Freilich gibt die liberale Redaktion zu den strittigen Themen auch einer Muslima das Wort. In ihrem Beitrag stellt sie den kritischen Ausführungen im "Mittleren Weg" Zitate aus dem Koran gegenüber, die auf die Friedlichkeit des Islam schließen lassen sollen. Und auch aus den buddhistischen Reihen wird, wohl aus Sorge um das zarte Pflänzchen des interreligiösen Dialogs, Kritik an der freimütigen kritischen Betrachtung einer Weltreligion geübt.

Heft 2/2003 enthält dann allerlei Beiträge, die nicht als unfriedlich (miß-)verstanden werden könnten. Eröffnet wird die Reihe der Aufsätze von einem wissenschaftlich tiefgehenden und nicht leicht verständlichen Werk, wie man es oft ungelesen erst einmal für spätere Lektüre beiseite legt: "Zur Geheimgeschichte des philosophischen Ost-West-Dialogs im 20. Jahrhundert" von W. Hartig. Es berichtet von dem Brückenschlag zwischen dem abendländischen Philosophen Martin Heidegger und 15 bedeutenden Japanern, darunter z.B D.T. Suzuki.

Neben einigen kleineren Beiträgen lesen wir einen Aufsatz über die Entwicklung "Vom Kleinen zum Großen Fahrzeug", die Bezeichnungen Hinayana und Mahayana wurden damals wohl unbefangener als heute gebraucht. Jedenfalls werden die Grundzüge von Buddha Gautamas Lehre, die buddhistischen Schulen und schließlich die Unterschiede zwischen ihnen anschaulich zusammengefaßt.

Und noch eine Notiz soll erwähnt werden: Sie betrifft die vietnamesische Vien Giac in Hannover, die im Jahre 2003 ihr 25jähriges Bestehen feiern konnte.

Heft 3/2003 eröffnet mit einem Artikel zum 40jährigen Bestehen des BBH. Dieser Beitrag betreffend die Entwicklung des BBH hat deswegen besonderen Wert, da er - anders als in diesem Heft - von einer Zeitzeugin geschrieben wurde, die seit Mitte der 80er Jahre am Geschehen beteiligt war: Die spätere Zen-Meisterin Dagmar Doko Waskönig. Sie beschränkt sich nicht auf lebendige Schilderung des Umzugs in das neue Zentrum, sondern übt auch heftige Kritik am BBH-Vorstand, der organisatorisch schlampt und Reinlichkeitsvorstellungen hat, die jede Hausfrau erschrecken würden. Man frage bitte nicht, ob sich hier viel geändert hat. Erwähnt werden sollen noch die schönen "historischen" (Farb- und Schwarzweiß-)Fotos vom Gartenhaus und den ersten Veranstaltungen im Zentrum Drostestraße.

Außer einigen interessanten buddhistischen Aufsätzen lesen wir das Protokoll der Mitgliederversammlung vom 21.06. 2003. Wieder wird die Überalterung der Mitglieder und ein Rückgang der Spendenfreudigkeit beklagt.

Der Verfasser dieses Beitrags findet zudem eine Selbstkritik, in der er sich mit Fällen möglicher "Unkorrektheit" gegenüber Angehörigen anderer Religionen oder Schulrichtungen auseinandersetzte und sich angesichts des Jubiläums erneut die Frage "Quo vadis" stellte, wohin der BBH wohl gehen würde.


3. Die Marschrichtung : Quo vadis BBH, Quo vadis Buddhismus?

a) Schwerpunkt: Der Theravada-Buddhismus

Auf welches der buddhistischen "Fahrzeuge" (yana) haben sich aber nun die Mitglieder und Freunde des Buddhistischen Bundes Hannover begeben?

Die Anhänger des Buddhismus in der Nachkriegszeit kamen meist aus bildungsbürgerlichen und akademischen Kreisen der Mittelschicht. Ihre inhaltliche Ausrichtung orientierte sich überwiegend an den Schriften des Pali-Kanons und des Theravada-Buddhismus. Freilich verstanden sich etliche, so etwa die BG Hamburg, als traditionsoffen, und auch die Deutsche Buddhistische Union (DBU) wurde traditionsungebunden konzipiert. Es liegt daher auf der Hand, dass Karl Stort, der selber an der Gründung der DBU beteiligt war, die Satzung des BBH dahingehend gestaltete, dass buddhistisches Gedankengut "ohne Festlegung auf bestimmte Schulen oder Lehrrichtungen" bekannt gemacht werden sollte.

Allerdings lag das Schwergewicht des BBH bei Veranstaltungen wie auch bei den Themen der Vereinszeitung beim Theravada-Buddhismus. Wie Stort in einem Aufsatz im Jahre 1982 ausführte, können asiatische Formen des Buddhismus nicht einfach nach Europa verpflanzt werden. Sein Anliegen war daher die Schaffung eines europäischen Buddhismus. Hier folgte Stort einem damals sehr bekannten Buddhismus-Interpreten, der auch im "Mittleren Weg" seine Vorstellungen ausbreitete: Winfried Kruckenberg, der als Naturwissenschaftler um eine Synthese von Naturwissenschaft und Buddhismus bemüht war und an die indogermanische Kulturtradition anschließen wollte.

Bei seinem Bemühen, die Buddhalehre zu verstehen und zu interpretieren, wich Stort auch nicht der Auseinandersetzung mit buddhistischen Kapazitäten der eigenen Richtung aus. So führte er einen heftigen Disput mit Paul Debes über die Frage, ob es "Geistwesen" als unvergänglichen Teil der Menschen gebe - ein auch später immer wieder erörtertes Problem. Die Freiheit, auch als Laie ohne Pali-Kenntnisse oder Studium der Religionswissenschaft Texte zu analysieren und gegebenenfalls zu mißliebigen Erkenntnissen zu kommen, wurde bis heute sorgsam gehütet und ist wichtige Grundlage unserer Redaktionsarbeit.

Das buddhistische Fahrzeug des BBH war und ist also das "Hinayana", wobei wir diesen inzwischen verpönten Begriff nur der Systematik halber benutzen wollen. Dass sich mit lockerer Anbindung an den BBH auch eine tibetisch-buddhistische Gruppe (Bernd Weber) bildete, sei nur am Rande erwähnt. Zusammen mit den Wohnnachbarn des Zen Dojo Shobogendo also doch ein alle drei "Fahrzeuge" umfassendes traditionsübergreifendes Zentrum in der Drostestraße 8.


b) Buddhismus im Abendland

Erstmals in der Geschichte des Buddhismus treffen in unserer Zeit die verschiedenen Schulrichtungen hier im Westen alle aufeinander und begegnen gleichzeitig einer andersartigen, christlich geprägten Kultur. Der BBH hat immer über den Tellerrand hinausgeschaut und diese Entwicklung verfolgt und sich nicht gescheut, das Gesehene zu analysieren und zu kommentieren. Das hat ihm nicht immer Freunde verschafft. Kritische Betrachtung von Islam und interreligiöser Verbrüderung mögen ein Beispiel sein.

Was ist aber aus der Suche nach einem westlichen Buddhismus geworden? Schwärmerisch wurde schon von einer "Vierten Drehung des Rades der Lehre" geredet. In DMW Heft 3/1996 DMW wird über "Die Epochen des Buddhismus und den derzeitigen Paradigmenwechsel" geschrieben und dargelegt, dass nach dem Ende des Materialismus Raum sei für einen Buddhismus, der angepasst ist an die "Psychologie und Kultur der Gesellschaft, der er dienen soll" (Thich Nhat Hanh). Und der oben erwähnte Naturwissenschaftler W. Kruckenberg, heute leider weitgehend in Vergessenheit geraten, plädierte für einen modernen, auf Naturwissenschaft und vorchristlicher Kulturtradition basierenden zeitgemäßen Buddhismus.

Bemerkenswert der Brite Lingwood (Ordensname "Sangharakshita"), der die selbstlose und altruistische Einstellung der Bodhisattvas im modernen Sinn als sozial- und gesellschaftspolitisches Engagement interpretierte. Damit öffnete er die Tore für einen sich als "sozial engagiert" bezeichnenden Buddhismus, wie er zunehmend praktische Gestalt annimmt. Die Buddhisten verlassen ihre Meditationskissen und werden gesellschaftlich tätig.

All diese Entwicklungen fanden Eingang in die Gesprächskreise des BBH. Erstaunt nahmen wir zur Kenntnis, dass statt von "Drehung des Lehrrades" nunmehr von sozialem und integralem Buddhismus die Rede ist. Friedvolle Protestformen ("occupy samsara") sollen der Welt (buddhistisches) Heil bringen ungeachtet der Frage, ob derartige politische Anliegen nicht den Boden des "Dhamma" verlassen und erfahrungsgemäß früher oder später in Intoleranz und Gewalt umschlagen. Der im Westen lebende Vietnamese Nhat Hanh werkelt gar an Axiomen der buddhistischen Lehre, um zu einem "zeitgemäßen" Dhammaverständnis zu kommen.

Die Woge der Entwicklung - selbst im tibetischen Buddhismus drängt ein fortschrittlicher Dalai Lama auf massive Veränderungen - veranlaßt uns zur Besinnung auf die ursprüngliche Gedankenwelt der Palitexte. Dabei akzeptieren wir durchaus die modernen Aussagen eines Thomas Metzinger zur Existenz eines "Ich" aus neurowissenschaftlicher Sicht oder eines Stephen Batchelor zu einem "säkularen" Buddhismus. Doch die Antwort auf die Frage, wohin sich der Buddhismus denn nun entwickeln wird, scheint immer komplizierter zu werden. Warten wir ab.

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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
45. Jahrgang, September - Dezember 2013/2556, Nr. 3, Seite 6-13
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de
 
"Der Mittlere Weg - majjhima-patipada" erscheint
nach Bedarf und ist für Mitglieder kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2013