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AFRIKA/053: Afrika als strategisches Ziel koreanischer Missionstätigkeit (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 1/2011

Tiger auf geistlichem Kriegspfad
Afrika als strategisches Ziel koreanischer Missionstätigkeit

Von Andreas Heuser


Die missionarischen Aktivitäten südkoreanischer Kirchen in Afrika zeigen deutlich die Verschiebung der Gewichte im globalen Christentum. Insbesondere afrikanische Metropolen werden zu administrativen und infrastrukturellen Zentren koreanischer Kirchen. Interessant ist dabei die Nähe des koreanischen Christentums zu schamanistischen Vorstellungen.


Niemandem dürfte verborgen geblieben sein, dass sich die Gewichte im weltweiten Christentum in den vergangenen Jahrzehnten verlagert haben. Seit den sechziger Jahren, so kann man rekonstruieren, ist die Mehrheit der Christen im globalen Süden verortet. Manche Beobachter sprechen vom Eintritt des Christentums in eine "nach-westliche" Phase. Doch noch immer zehrt eine der großen Erzählungen der modernen Missionsgeschichte von der Vorstellung eines dominanten Einflusses des westlich geprägten Christentums auf die globale Ausbreitung der Christenheit. Nur langsam bricht sich das Bewusstsein darüber Bahn, dass die Rhythmen der Weltchristenheit zunehmend in den Hemisphären des globalen Südens gespielt werden. Ein Ergebnis dieser Verlagerung besteht darin, dass es heutzutage viele verschiedene und bisweilen unerwartete Zentren des Christentums gibt.

Eine willkürlich herausgenommene Episode, die im Osten Afrikas spielt, illustriert diese Verschiebung: In einem Dorf der Massai im Norden Tansanias, an der Hauptverbindungsstraße von Nairobi (Kenia) nach Arusha (Tansania) gelegen, fällt ein Komplex von kirchlichen Gebäuden auf, der offensichtlich erst vor Kurzem errichtet wurde. Die Gebäude liegen etwas außerhalb des Hauptdorfes, wobei der hoch aufragende Kirchturm ein weithin sichtbares Symbol christlicher Präsenz in dieser Region darstellt. Überhaupt erinnerte das räumliche Bild mit einer Kirche mit Pfarrhaus, einem Kindergarten und einer Schule stark an den europäischen Stil eines kirchlichen Campus, wie er sich vielerorts in Afrika findet.

Überraschend konnte ein ortsansässiger Massai keine verlässlichen Informationen über diese Kirche geben. Allein im Ausschlussverfahren gab er an, dass es sich nicht um eine lutherische Kirche handele, die in dieser Region die größte Denomination ausmacht. Weitere Nachforschungen ergaben schließlich, dass die erwartete "europäische" Kirche in Wirklichkeit eine koreanische Kirche war. Das Rätselraten ging weiter: Statt der vermuteten koreanischen Pfingstkirche führte die Spurensuche schließlich zu einer südkoreanischen methodistischen Kirche als Sponsorin dieses Komplexes im ländlich geprägten Massailand.


Weithin unbekanntes Profil koreanischen Christentums

Nichts bringt so sehr die Verschiebung der Gewichte im globalen Christentum zum Vorschein wie die missionarischen Aktivitäten südkoreanischer Kirchen. Südkorea ist das Phänomen der gegenwärtigen Missionsgeschichte. Dieses vergleichsweise kleine Land mit seiner noch jungen Kirchengeschichte drängt sich als eines der Hauptakteure des globalen Christentums in den Vordergrund. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte entwickelten südkoreanische Kirchen einen derart ausgeprägten Sinn für Evangelisation und Mission, dass ihre Präsenz auch im sub-saharischen Afrika nicht länger übersehen werden kann.

Wo immer also die Einschätzung vorherrschen mag, nach der die überseeischen missionarischen Kräfte in Afrika hauptsächlich in der nordatlantischen Welt, also in Europa und Nordamerika, verankert seien, sollte sie sich einer empirischen Revision unterziehen lassen. Auch wenn statistische Angaben nicht überall und nicht immer zuverlässig vorliegen, so lässt sich doch in vielen afrikanischen Regionen beobachten, dass die südkoreanischen Kontingente an Personen und Finanzmitteln im Zusammenhang mit missionarischer Praxis mit zu den höchsten eines einzelnen Landes zählen.

Dieser enorme "südkoreanische Faktor" in der globalen Missionsgeschichte ist nur in den selteneren Fällen gedeckt durch unser Wissen über dessen historische Entwicklung und konfessionelle Bandbreite. Auch das theologische Profil des koreanischen Christentums bleibt außerhalb der Reichweite der so genannten "Minjung"-Theologie, einer kontextuellen Variante der Befreiungstheologie, die ihren Höhepunkt in den Jahren der Diktatur in den siebziger und achtziger Jahren erlebte, wenig bekannt.

Das südkoreanische Christentum entwickelte sich seit dem späten neunzehnten Jahrhundert in einem gesellschaftspolitischen Umfeld, das niemals einer westlichen kolonialen Hegemonialmacht unterstand. Es entfaltete sich also gänzlich eigenständig und vor allem außerhalb der gewohnten Formel einer vermeintlichen Liaison von Mission und Kolonialismus. Insofern irritiert gerade der koreanische Faktor jene Argumentation, genauso oft wie stereotyp wiederholt, die die moderne Missionsgeschichte durch die Brille einer asymmetrischen Nord-Süd-Beziehung darstellt.

Zudem stellte sich das koreanische Christentum theologisch den Herausforderungen, die sich in einem buddhistisch und konfuzianisch geprägten Umfeld ergaben. Von besonderer Bedeutung für das Wachstum des Christentums in Korea erwies sich die kulturelle Prägung Koreas durch den Schamanismus. Der Bezug zu dieser koreanischen Volksreligion spielt eine Rolle in einem frühen Phänomen südkoreanischer Kirchengeschichte, der so genannten "Großen Erweckung" des Jahres 1907.

Die "Große Erweckung" stellt nach heutiger Einschätzung nicht nur eine der kontextuellen Wurzeln der weltweiten Pfingstbewegung dar, sondern etablierte darüber hinaus das Christentum selbst als volksreligiöse Bewegung. Zugleich zeichnete sich in den Folgejahren ab, dass koreanisches Christentum eine weitgehend charismatische Prägung annehmen würde - so etwas wie ein "liberales" Christentum gibt es in Südkorea nicht. Ein weiteres Spezifikum, das sich der koreanischen Erweckungsbewegung verdankt, ist die durch und durch missionarische Ausrichtung des Christentums.

Beide Merkmale prägten auch die zweite Wachstumsphase koreanischer Kirchen, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte. Zu dieser Zeit differenzierte sich die koreanische Landschaft der Kirchen stark aus, nunmehr unter stärkerer Einflussnahme US-amerikanischer Kirchen wie insbesondere methodistischer und presbyterianischer Kirchen.

Zu den wahrhaften Magneten koreanischer Kirchlichkeit, die sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts herausgebildet haben, zählt beispielsweise auch die von David Yonggi Cho gegründete "Yoido Full Gospel Church", die als die weltweit mitgliedsstärkste einzelne Megakirche charismatisch-pfingstlicher Prägung gilt. Sie feiert sonntägliche Gottesdienste in ihrem Hauptsitz in Seoul mit Zehntausenden von Gläubigen.

Aber auch die katholische Kirche gilt zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts als christlicher Wachstumspol. Einer der Gründe dafür ist die hohe Glaubwürdigkeit, die der katholischen Hierarchie in der Bevölkerung - nicht zuletzt in Bezug auf politische Prozesse - beigemessen wird. Das gemeinsame Merkmal koreanischen Christentums aber ist, dass sich alle diese unterschiedlichen Kirchen als "missionarisch" verstehen, und zwar in einem Sinn von "Mission", der den Schwerpunkt darauf setzt, Gemeinden zu gründen. Koreanische Kirchen verstehen sich als Teil der Kirchenwachstumsbewegung. Obgleich sie Dimensionen wie etwa soziale Dienste bis auf Ausnahmen weniger gewichten, verlangt auch dieses eingeschränkte Missionsverständnis bereits ein hohes Maß an finanziellem Engagement, strategischer Planung und ein massives Kontingent an Personal.

Der afrikanische Kontinent ist eines der strategischen Ziele koreanischer Missionstätigkeit. Insbesondere afrikanische Metropolen werden zu administrativen und infrastrukturellen Zentren koreanischer Kirchen. Beispielsweise ist Nairobi zu ihrem Zentrum in Ostafrika geworden. Nicht von ungefähr spielte die Eingangsepisode an einer internationalen Transitstrecke mit Ausgangs- oder Endpunkt in Nairobi. Von hier expandieren koreanische Kirchen in den ostafrikanischen Raum. In Kenia allein befinden sich derzeit mehrere Hundert koreanische Missionare jedweder Denomination. Viele, besonders in den historischen Kirchen, arbeiten in den Strukturen ihrer lokalen Schwesterkirchen; andere wiederum bauen eigene kirchliche Netzwerke auf. Einige koreanische Pfingstprediger reklamieren bereits mehrere tausend Gemeindegründungen auf afrikanischem Boden, andere streben an, innerhalb der kommenden Jahre Ableger in nahezu allen sub-saharischen Ländern zu gründen.

Neben der flächendeckenden Strategie, Gemeinden zu gründen, besteht eine weitere Option darin, theologische Bildungsprogramme aufzulegen. Das rechtskonservativ ausgerichtete "Bible College of East Africa" wird von Koreanern geführt, offiziell angebunden an die "Independent Presbyterian Church" und mit Verbindungen in die fundamentalistische Szene in den USA.

Die bedeutendste koreanische Kirche in Ostafrika ist die "Manmin Church von Jaerock Lee". Diese Kirche reklamiert derzeit in Kenia allein um die 600 Gemeinden, kontinentweit um die viertausend. Die Kirche unterhält in ihrem Hauptquartier in Nairobi einen Buspark, denn zu den Gottesdiensten werden Gemeindemitglieder morgens aus den ärmeren Stadtteilen abgeholt, mit einem Mittagessen nach dem ersten Gottesdienst versorgt, damit sie auch den zweiten Gottesdienst nachmittags erleben können. Die Kirche ist stark an dem Gründer, Jaerock Lee, ausgerichtet. Ihm wird außergewöhnliche charismatische Macht nachgesagt. So soll er Naturwunder bewerkstelligen können, sich mit Regenbögen umgeben und Wirbelstürme umlenken können. Seine Kraft zur Heilung ist sprichwörtlich. Leute sind überzeugt, dass er nur durch den flüchtigen Kontakt mit seinem Taschentuch heilen und Tote auferwecken kann.

Eine weitere koreanische Kirche mit hoher Präsenz in Ostafrika ist die "Good News Mission", geleitet von Ock Soo Park. Park führt große internationale "Kreuzzüge" durch, die ihn unter anderen durch west- und ostafrikanische Länder führen. Ein Markenzeichen dabei sind die großen koreanischen Orchester und Tanzgruppen, die diese Kreuzzüge begleiten. Die "Good News Mission" ist eine durch und durch missionarisch orientierte Kirche. Sie strebt an, ihr Kontingent von bereits über 1000 Missionaren in wenigen Jahren zu vervielfachen. In Afrika gehören um die 150 Missionare der "Good News Mission" an, die in annähernd vierzig Staaten missionieren.

Beide der genannten Kirchen werden von anderen koreanischen Kirchen als Kulte angesehen, teilweise gar der Häresie verdächtigt. Zu ihren theologischen Eigenarten zählt die Betonung von Heilung, Wohlstand und dem Schutz vor dämonischen Geistern. Dies sind zugleich Themen von höchster Relevanz in afrikanischen Kontexten. Interessant ist die transkulturelle Dimension, die bisher kaum beachtet wurde, dass nämlich diese koreanischen Kirchen, die den Kampf gegen den Teufel und böse Mächte hervorheben, eine große Nähe zu schamanistischen Vorstellungen haben. Einiges spricht dafür, dass gerade diese Art koreanischer Kirchlichkeit und Theologie als attraktiv in einem afrikanischen Umfeld angesehen wird, in dem der Kampf gegen den Teufel in einem dicht bevölkerten Universum von Geistern und Dämonen thematisiert wird.

In diesem Szenario, in dem fortwährend die Grenzen zwischen empirischer und spiritueller Welt durchbrochen werden, sabotiert der Teufel den Willen Gottes, wird das tägliche Leben zum Schauplatz eines unentwegten Kampfes zwischen Gut und Böse.

Was koreanische und afrikanische Christen in dieser Hinsicht verbindet, ist die gemeinsame Sprache der so genannten "Geistlichen Kriegsführung" (Spiritual Warfare). Es handelt sich dabei um ein Konzept, den Teufel zu kontrollieren. Entwickelt wurde es seit den siebziger Jahren im Rahmen der so genannten Kirchenwachstumsbewegung, dem "Church-Growth Movement" um Peter C. Wagner, der das berühmte "Department of Mission" am "Fuller Theological Seminary" im kalifornischen Pasadena zu einem Think Tank im Mischmilieu evangelikaler, charismatisch-pfingstlicher Theologie in den USA ausbaute. Seither hat die Idee der "Geistlichen Kriegsführung" eine steile Karriere hingelegt und beeinflusst weite Teile des globalen, außereuropäischen Christentums - und damit auch das Missionsverständnis vieler historischer Kirchen.


Mission als geistliche Kriegsführung

Der Grund dieser Attraktivität ist ein Strategieansatz, der Mission im Sinne einer "moralischen Geographie" entwirft. Das heißt Territorien sind eingebunden in eine religiöse Topographie. Die "Geistliche Kriegsführung" erstellt moralische Landkarten, die eine Welt der Erlösten und Welt der Verlorenen aufweisen. In nahezu militaristischer Sprache wird gezielt die Machtfrage gestellt. Es kommt darauf an, die Territorien neu zu ordnen, die Grenzen der moralischen Landkarte zu verschieben - böse, dämonische Landschaften in gute, christliche zu verwandeln. Häufig wird die "moralische Geographie" durch eine "moralische Zeit" ergänzt, das heißt, die Jetzt-Zeit wird zur "bösen" Zeit. Die Adepten der "Geistlichen Kriegsführung" lesen die Gegenwart mit Hilfe einer eschatologischen Tinktur - sie registrieren eine zunehmende Aktivität des Teufels in der Welt, untrügliche Zeichen der Endzeit. Und motivieren damit das Engagement gegen den Teufel.

Dabei kommen mehrere strategische Ansätze in den Blick: Zunächst entdecken koreanische Kirchen - wie auch andere Kirchen des vorwiegend pfingstlich-charismatischen Spektrums - in der afrikanischen Stadt eine Brückenkopffunktion. Daher werden Metropolen wie Nairobi zu Zielorten ihrer Missionsbemühungen. Die Rhetorik der "Geistlichen Kriegsführer" theologisiert geradezu die Stadt, einem Widerhall der biblischen Stadt auf dem Berg gleich. Der urbane Raum ist ihre Berufung und von dort aus wollen sie den Einflussbereich des Teufels zurückweisen - an die Peripherie, und zurück aufs Land. Denn dort lokalisiert die Landkarte der spirituellen Kriegsführung die Mächte des Bösen - dort, heißt es im Jargon der "Geistlichen Kriegsführung", in den Schreinen der afrikanischen Religion, dort ist die "Schule des Teufels".

Und wiederum von dort - durch Arbeitsmigration etwa - infiltrieren die teuflischen Mächte die Stadt. Eine solche Invasion des Teufels gilt es abzuwehren und den Teufel aus dem öffentlichen städtischen Raum herauszudrängen. So findet man in afrikanischen Städten verbreitet christliche Botschaften auf mobilen Werbetafeln oder majestätischen Stoffbahnen, die weithin sichtbar an Verkehrsadern angebracht sind. Die urbane Landschaft wird gleichsam überzogen mit Signalen einer visuellen Kommunikation, die besagen, dass die Stadt geborgen ist durch das Gute. "Geistliche Kriegsführung" präsentiert also eine urbane Geographie sakraler Macht, einen urbanen Raum der Intervention gegen das Vordringen des Bösen.

Neben dem Augenmerk auf dem zunehmend bedeutsamen Faktor der Urbanität in Afrika hat sich im Zuge der "Geistlichen Kriegsführung" eine weitere Variante der moralischen Geographie durchgesetzt, die sich mehr auf ländliche Regionen bezieht. In dieser Strategie wird das Terrain des Bösen anhand eines Rasters von bereits christlichen oder noch nicht christianisierten Völkern oder Bevölkerungsgruppen lokalisiert - im Jargon der "Geistlichen Kriegsführung" werden diese Zielgruppen und Zielregionen der Mission als "reached and unreached peoples" zusammengefasst.

Das spektakulärste Produkt dieses taxonomischen Verfahrens resultiert in einer Zone, die der "widerständige Gürtel" (the resistant Belt) genannt wird. Es ist das so genannte "10/40-Fenster", das grob gesehen die Region zwischen dem 10. und dem 40. Breitengrad abdeckt, sich aber auch von dort aus in angrenzende Regionen erweitern lässt. Ein Blick auf die Karte macht klar, dass wir es hier mit der arabischen Welt, dem indischen Subkontinent oder auch mit China zu tun haben. Es sind dies also mehrheitlich muslimisch und hinduistisch, aber eben auch buddhistisch und konfuzianisch geprägte Regionen, zu denen sich koreanische "Geistliche Kriegsführer" besonders berufen fühlen.

Afrika zählt zu den nach Süden erweiterten Regionen des "widerständigen Gürtels". Koreaner sehen darin ein Zielgebiet nicht unbedingt wegen des islamischen Anteils, sondern wegen der vorfindlichen afrikanischen Religionen, denen sie eine Nähe zu den eigenen schamanistischen Traditionen in Korea bescheinigen. Daher erlebt so manche Region Afrikas eine wahre Invasion von sogenannten "Mission Teams", also von Kurzzeitmissionaren. Dies bedeutet, dass einige Kirchen von ihren Mitgliedern eine gewisse Eigenerfahrung in weltweiter Mission voraussetzen oder innerhalb einer Mitgliedsphase von fünf Jahren verlangen. Sie werden also zu Kurzeinsätzen "ins Feld" geschickt, wobei nur in seltensten Fällen adäquate sprachliche und kulturelle Kenntnisse vermittelt werden.

Trotz aller Ambivalenz ist ein steigender Trend zu Kurzzeitmissionen feststellbar. Lange waren es vor allem amerikanische Teams, die die einmal fixierten Territorien, in denen der Teufel das Zepter schwingt zu Zielregionen ihrer weltweiten Missionsbemühungen machten. Mittlerweile jedoch bilden auch koreanische, wie auch brasilianische und nigerianische Teams eine Speerspitze im Kampf um die Eroberung "satanischer" Territorien in Afrika.

In einem Gebiet wird der Einsatz von Kurzzeitmissionaren unmissverständlich gefordert: Im letzten Jahr wurde eine Initiative gestartet, die in evangelikalen Zirkeln als das "Last Mile Calling" genannt wird. Es handelt sich um eine Internet-basierte Initiative, die Daten über die so genannten "nicht-erreichten" Volksgruppen sammelt. Dabei kommen mehrere soziale Netzwerke zum Zuge mit dem Ziel, größtmögliche statistische Kenntnisse über den Fortschritt der Kirchenwachstumsbewegung im globalen Christentum zu erhalten. Diese Initiative kommt erstmals gänzlich ohne westliche personelle, programmatische und finanzielle Unterstützung aus. Die Datenmenge erlaubt weitere Missionierungsstrategien. Eine davon ist der sogenannte "Adopt a People"-Ansatz. Werden in einer Volksgruppe im sub- saharischen Afrika weniger als zwei Prozent Christen ausgemacht, werden einzelne evangelikale Kirchen eingeladen, diese Gruppe "zu adoptieren", das heißt Gemeinden und Kirchen aufzubauen.

Verbleiben wir in Ostafrika, lassen sich in dieser Logik zwei große religiöse Blöcke unterscheiden, nämlich Gebiete mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung und Anhängern afrikanischer Religionen. In Ländern wie Kenia oder dem Sudan wird das evangelikale, pfingstlerische Christentum in der öffentlichen Wahrnehmung bereits mit der Evangelisierung dieser Bevölkerungsgruppen identifiziert, von denen angenommen wird, dass sie im Bann des Teufels stünden.

Aber auch die historischen Kirchen in Afrika sind stark von diesem Missionsbegriff der "Geistlichen Kriegsführung" geprägt. Ob es sich um die "Presbyterian Church" in Ghana oder die "Lutheran Church" in Tansania handelt, sie alle bekräftigen das Projekt der räumlichen Kartierung als Grundbaustein ihres Missionsbegriffs. Hier wie dort werden christianisierte Gebiete im Vergleich zu nicht-christianisierten Gebieten markiert. Diese sind privilegierte Zielregionen der Abteilungen für Mission und Evangelisation, die es auf allen kirchlichen Ebenen gibt. Kaum irgendwo jedoch gibt es Dialog-Abteilungen. Andersreligiöse Traditionen sind auch hier tendenziel teuflischen Treibens.

Die realpolitische Relevanz dieses Konzeptes einer moralischen Geographie ist offenkundig: die Rede von der "Achse des Bösen", die die US-amerikanische Außenpolitik in der George W. Bush-Administration begleitete, ist ohne die Kartierungshilfe im Sinne der "Geistlichen Kriegsführung" kaum verständlich. Vermutlich ist sogar Samuel Huntingtons umstrittener politikwissenschaftlicher Ansatz eines "Kampfes der Kulturen" in diesen Kategorien zu lesen. Für den südkoreanischen Tiger, der sich im Kriegszustand mit dem nördlichen Bruderstaat befindet, sind dies keine Fremdworte. Im Gegenteil, seine Kirchen exportieren diese Ideen in abgewandelter Form in die Welt hinaus - in Afrika sind sie zunehmend spürbar.


Der promovierte evangelische Theologe Andreas Heuser (geb. 1961) ist derzeit Dozent für Systematische Theologie und Missionswissenschaft an der Tumaini University Makumira, Tansania.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 1, Januar 2011, S.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2011