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BERICHT/231: Silja Walter - Dichterin und Nonne (welt der frau)


welt der frau 3/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Alles wird gut

Von Christine Haiden


Dichterin und Nonne: Silja Walter vermittelt in ihren Texten die Zuversicht, die aus einem lange erprobten Glauben kommt. Eine Begegnung mit der Benediktinerin im Schweizer Kloster Fahr.


Ich habe die Insel gefunden,
den Ort
wo das Wort,
das Himmel und Welt
im Leben erhält,
aus der Höhe fällt,
aus der Tiefe steigt.
Himmel und Welt
sind in mir jetzt verbunden.
Ich habe meine Insel
gefunden.

(Silja Walter)


Schwester Hedwig redet nicht gerne über sich. Das stünde, meint die 88-Jährige, einer Ordensfrau in strenger Klausur nicht gut an. In ihrer Schreibstube im Kloster Fahr surrt leise ein Computer. Die Welt, mit der Schwester Hedwig über Internet in Verbindung ist, kennt sie nicht. Aber die Welt kennt dieselbe Person als die Dichterin Silja Walter. In zehn Bänden erscheint gerade ihr schriftstellerisches Werk. Es ist ein geistliches Werk mit Gedichten, Prosa, Theater- und Mysterienspielen.

Das Kloster Fahr in der Nähe von Zürich, wo ich Schwester Hedwig gegenübersitze, wirkt wie eine Insel. Eine grüne Landzunge zwischen andrängenden Siedlungen, auf der das alte Kloster mit einer Landwirtschaft und einer Schule nur wenig Platz beansprucht. So wenig Raum wie das Reden, das im geschlossenen Kloster die Ausnahme sein soll. Was Schwester Hedwig im Alltag nicht redet, sprudelt in ihren Büchern wie aus einer inneren Quelle.


Inselleben

Vor Kurzem habe ich Silja Walters Tagebuch "Ich habe meine Insel gefunden" gelesen. Es hat mich beeindruckt, wie konzentriert und spielerisch zugleich sie ihr geistliches Leben beschreibt. Diese zierliche alte Frau, die nun vor mir sitzt, will nicht wenig. "Die Wahrheit, wie sie in sich ist. Die will ich", schreibt sie.

Die Insel, von der Silja Walter in ihrem geistlichen Tagebuch spricht, ist, wie sie sagt, die "Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit". Auf dieser Insel gibt es ein brennendes Bibelhaus, das keine Mauern hat und aus dem die Gottesgeschichten ausströmen. Eine ganze Schar Enten schnattert auf diesem Eiland aufgeregt und diskutiert mit Silja, was sie geistlich wahrnimmt. "Alle Räume bis an die Decke voller Jetzt", versucht sie das Bibelhaus zu beschreiben. Und der Mensch darin? "Kain ist in mir, der Aufstand des Turmbaus zu Babel, der Hass der Brüder gegen Josef, das Murren gegen Gott in der Wüste und so weiter und weiter, alles in mir und daher möglich. Das weiß ich. Schrecklich, dass man das wissen muss." Die Kirche, zitiert sie im Tagebuch einen Theologen, führe den Menschen nicht hinab in seinen dämonischen Urgrund und verhindere damit die Bewusstseinserweiterung der Gläubigen auf ihr über-natürliches Wesen hin. Die Nonne versucht in der strengen Ordnung und Stille der Klausur auf all das zu hören: "Ich horche, horche, so gut ich kann. Aber immer das Wasser am Strand, die Winde, das Entengeschnatter."


Alltag und Insel

"Geh in deine Zelle und mach Ordnung, das ist Wirklichkeit", sagt die Schwester zur Dichterin. Die eine lebt ihren Klosteralltag mit Zelle, Chorgebet und Essenszeiten, die andere schreibt sich auf eine Insel, die sie so real erlebt wie Zelle und Chorgebet. "Alle, die ins Meer wollen, müssen das durchstehen, diese Sucht, Sehn-Sucht, innerlich fortzugehen und dabei dableiben zu müssen", schreibt die Dichterin.

Eine Nonne, sagt Silja Walter, ist eine Grenzgängerin. Sie lebt in der Welt und in der Erfahrung Gottes. "Unser Auftrag ist die Stille", sagt Schwester Hedwig nun im Gespräch, "das Schweigen, die Demut. Im Grunde ist es Beziehung zu Jesus Christus. Wissen Sie, mir scheint alles gerade wie vor dem Anfang. Man kann nur ganz klein werden, wenn es einem so groß aufgeht, was letztlich auf einen wartet. Und was auf die Welt wartet. Ich bin so zuversichtlich, alles wird gut. Die ganze Schöpfung, alles wird gut. Wir müssen noch durch die Hölle hindurch, aber dann ist die Hölle nicht mehr, weil die Liebe am Schluss das letzte Wort hat."

Wie schwer das zu verstehen ist, aber auch wie anders als alles, was heute modisch schnell und unverbindlich mystisch genannt wird. "Meine Insel könnte in der Tat Gefahr laufen, Ort und Opfer eines Spiritualisierungsmarktes zu werden", vermerkt Silja Walter im Tagebuch.


Geheimnis der Berufung

Schwester Hedwig erzählt von der Suche der jugendlichen Silja nach Sinn, sie erzählt von Siljas schwerer Lungenerkrankung und dem eindrucksvollen Erlebnis der geistlichen Berufung. Mit 29 Jahren wurde aus Silja im Kloster Fahr die Novizin Hedwig.

Sie hat ihr Leben radikal auf Leben und Tod ausgerichtet. "Christus hat die Hölle mit seinem Leiden am Kreuz durchbrochen. Und das gibt ein ganz neues Lebensgefühl und Glaubensgefühl und Kirchengefühl. Man sagt einfach: Ah, dann ist das alles nicht so schief, dann hat es einen Sinn. So wie ich bin, ist ja kein anderer in der Schöpfung. Mein Platz in der Schöpfung ist absolut für mich reserviert, kein anderer kann da sein, wo ich hingehöre mit meinem Wesen. Gott schaut mich an und wenn er mich anschaut, schaut er nichts anderes an als mich. Das ist doch so etwas Wunderbares!" Ich bemerke den feinen Stoff des schwarzen Schleiers, den Schwester Hedwig auf dem Kopf trägt. Er wirkt etwas elegant mit den gut proportionierten Steppnähten. Ist sie die Prominente des Hauses? Schwester Hedwig und Silja Walter führen ein Doppelleben. Die eine musste für die andere im Kloster einiges aushalten. "Ich habe in 30 Jahren Kloster auch sehr gelitten. Das kann ich gar nicht erzählen."


Bilder entstehen von selbst

Die "Nacht" einer Ordensfrau, das sind nicht nur die anderen. Das ist auch die beständige Frage, ob das, was man geistlich erlebt, mehr ist als bloße Einbildung. Der in ihr unentwegt dagegenredet, ist der Verstand. Die Insel der Nonne sei eine Einbildung, entstanden aus einem schlechten Selbstwertgefühl, eine Flucht vor der Welt. Wieder und wieder versucht sie dem Verstand, der "so katholisch ist wie ich", zu erklären, dass die Insel das Bild für ihren inneren Weg, für den inneren Menschen sei. Aber der Einspruch bleibt. "Ich habe den Streit mit meinem Verstand satt", notiert sie etwas genervt im Tagebuch. Wie verhält man sich nun zueinander? In einem extremen Zerwürfnis mache der Verstand krank. Was hilft? "Tun und mich verhalten wie die anderen, nach der Regel und der Tradition der Gemeinschaft, um meinen kurzsichtigen Verstand nicht mehr herauszufordern." Manchmal hilft es auch, bloß mit der Mitschwester das Geschirr in die Spülmaschine zu verfrachten. Bis der Verstand sich wieder meldet: "Wer kümmert sich schon um deine geistlichen Einsichten?" "Hat denn das alles überhaupt einen Sinn? Die ganze Geschichte mit Kloster und Regel und monastischem Leben?"

Und doch kann sie nicht anders, als sich im meditativen Spiel die Insel ihrer Sehnsucht zu erschreiben. "Da gelang das heimliche, keinem Menschen verratene Spiel aus Freiheit, Weite, Einsamkeit, Ruhe und Fröhlichkeit, denn wie von selbst kamen damit die Bilder von Meer, von Himmel und Insel herauf aus der inneren Tiefe."


Verstehen und missverstehen

Das Ringen bleibt. "Mein Verstand fliegt nicht gleich auf mich hinein." In der Sprache des Alltags ist schwer zu sagen, was Schwester Hedwig erlebt: "Man ist noch im gewöhnlichen Leben und gleichzeitig in einer zeitlosen, entzeitlichten Existenzerfahrung." In der Sprache der Bilder und der Literatur sind diese Erfahrungen vielleicht besser, weniger missverständlich aufgehoben.

Silja Walter, die Dichterin, läuft, wie es die Theologin Ulrike Wolitz formuliert, "in den zwei Schuhen der Literatur und der Theologie. Beides zusammen macht ihren Schritt aus." Die sie verehren, sehen in Silja Walter eine prophetische Stimme. Denn mit ihrer ganzen Person und ihrer ganzen Existenz stehe sie in der Gewissheit eines Glaubens, der sich in der Bibel im Wort offenbart.

Das nächtliche Ringen des biblischen Jakob etwa erlebt Schwester Hedwig und lässt es Silja Walter in einer literarischen Vesper so formulieren: "Und schon war rund um mich her / eine Gewalt, / die nach mir griff, / mich packte / gesicht- und gestaltlos. / Einer. / Was war das? / Eine Mächtigkeit, sanft und / überstark, / nicht zu beschreiben."

Die Heilsgeschichten der Bibel sind nicht vergangen, stimmen Nonne und Dichterin überein, sondern ereignen sich immer wieder. "Jede alte Gottesgeschichte ist eine Kapsel. Sie will auslaufen, springt auf und läuft als Wort des neuen Lebens auf uns, auf jeden Menschen zu." Das Wort könne aber oft nicht auslaufen, weil die Leute nicht wissen, wie und wozu sie ihm in ihrer Taubheit zuhören sollten.


Was bleibt

Vielleicht muss, wer die Bibel verstehen will, vor allem sein Herz öffnen. Denn über das rationale Begreifen werden die Geschichten nicht fließend: "Mein Verstand sah es so gut wie ich, versteht aber nicht, was er sah. Glauben, was er nicht versteht, liegt ihm nicht", heißt es in Silja Walters Tagebuch. Mit dem Herzen sehen und mit dem Kopf verstehen, gerade diese Spannung braucht es, um nicht in religiöse Träumereien und falsche Gewissheiten abzudriften. "Die Wahrheit kann nicht einfach begreiflich sein, sonst hätte man sie längst in der Tasche."

Wie tröstlich, dass auch in der geistlichen Tradition oft die Sicherheit der Wahrheit, die man in die Tasche steckt, fehlt. Schwester Hedwig erinnert an eine Mystikerin: "Die Kleine Theresia wurde sechs Monate vor ihrem Tod totale Atheistin. Sie sagte: Ich weiß nichts mehr vom Himmel und von Gott, das gibt es nicht, fertig. Und dann ist sie in einer Ekstase von Liebe gestorben. Aber durchstehen muss man es halt. Man muss einfach tapfer sein. Mein Onkel, der Priester war, hat immer gesagt, die Tapferen hat Gott lieb. Er hat die Reinen lieb, aber die Tapferen hat er noch lieber. Stellen Sie sich das einmal vor!"

Im Vorjahr hat Schwester Hedwig einen Herzinfarkt erlitten. Sie wird müde. "Ich halte mein Herz nicht mehr aus", hatte sie in ihrem Insel-Tagebuch notiert. "Dableiben, nur dableiben ist nicht alles." Das gilt im wörtlichen Sinn nun auch für mich.

Schwester Hedwig begleitet mich noch bis zur Klosterpforte. Als sich die Tür hinter mir schließt, ist mir, als kehrte ich tatsächlich zurück von einer Insel.


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Zur Person:

Silja Walter wurde 1919 als Cäcilia Walter in der Schweiz geboren. Sie stammt aus einer katholischen Verlegerfamilie. Seit 1948 lebt sie als Benediktinerin im Kloster Fahr bei Zürich. Ihr Ordensname ist Sr. Hedwig, als Schriftstellerin behielt sie den Namen Silja Walter bei. Silja Walter hat ein äußerst umfangreiches Werk geschaffen, das eben in zehn Bänden als Gesamtausgabe herausgebracht wird. Ihre Literatur ist religiös und geistlich engagiert.

Buchtipp:
Silja Walter: "Das Gesamtwerk in 10 Bänden",
Paulusverlag

Silja Walter hat zahlreiche Hymnen, geistliche Lieder und Meditationen der Tradition neu bearbeitet und interpretiert. Sie reflektiert in ihrer Prosa das Leben und die Bestimmung des klösterlichen Lebens in unserer Zeit und ihre persönliche Glaubensgeschichte. Zahlreiche Mgsterienspiele stellen den Menschen in seinem Bezug zu Gott, die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit dar. Silja Walter wurde für ihr Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zum Kennenlernen der Gedankenwelt der Dichterin empfiehlt sich das Buch "Ich habe meine Insel gefunden" (Paulusverlag), das dem "Geheimnis im Alltag" in Tagebuchform nachspürt.


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Tauflied
Heil und Helle, Gnadenquelle
lass ich rinnen über dich.
Und dein Himmel will beginnen,
in dir innen, da bin ich.
Du bist mein,
bleibst mir geweiht,
alle Zeit und Ewigkeit.

(Silja Walter)


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe März/2007, Seite 4-7
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2007