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BERICHT/239: Zur Revision der "Zürcher Bibel" (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 11/2007

Dem Ursprungssinn verpflichtet
Zur Revision der "Zürcher Bibel"

Von Ludger Schwienhorst-Schönberger


Nach zwanzigjähriger Arbeit ist die Neue Zürcher Bibelübersetzung im Sommer dieses Jahres zum Abschluss gekommen. Sie ist eine philologisch sorgfältige, dem heutigen Sprachgebrauch auf literarischem Niveau entsprechende und zugleich verständliche Übersetzung. Der Vergleich mit der "Bibel in gerechter Sprache" liegt nahe.


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Im Jahre 1983 fasste die Synode der Zürcher Landeskirche den Beschluss, eine Revision der Zürcher Bibel zu veranlassen. Die Zürcher Bibel (ZB) geht auf die Reformation Huldrych Zwinglis zurück; sie erschien erstmals im Jahre 1531 in Zürich - drei Jahre vor der Übersetzung Martin Luthers in Wittenberg - und ist somit die erste vollständige deutsche Bibelübersetzung der Reformationszeit. Die letzte Revision gelangte 1931 zum Abschluss; sie stellt gegenüber der Ausgabe von 1868 mehr oder weniger eine Neuübersetzung dar.

Die Zürcher Bibel gehört zu den strukturtreuen Übersetzungen und wird wegen ihrer philologischen Genauigkeit über ihre kirchenamtliche Verwendung in den deutschsprachigen reformierten Landeskirchen der Schweiz hinaus geschätzt. Sie wirkte allerdings nicht in dem Maße sprach- und kulturbildend wie die Luther-Übersetzung (LB - Lutherbibel). Das bringt auf der anderen Seite aber auch den Vorteil mit sich, dass eine Revision offener auf den zu übersetzenden Text schauen und mit ihrer Vorgängerin unbefangener umgehen kann. Eine Revision der Luther-Übersetzung steht immer in der doppelten Spannung von Treue zur sprachgewaltigen Übersetzung des Reformators auf der einen und angemessener Berücksichtigung von Urtext und gewandeltem Sprachgebrauch auf der anderen Seite.


Zwischen Revision und Neuübersetzung

Ist die Lutherübersetzung stärker zielsprachenorientiert, so ist die Zürcher Bibel ausgangssprachenorientiert. Diese Tradition wird auch in der Neuen Zürcher Bibelübersetzung (NZB), die nach zwanzigjähriger Arbeit in diesem Jahr zum Abschluss gekommen ist, beibehalten. Die NZB nimmt eine Mittelstellung ein zwischen Revision und Neuübersetzung. Beide Begriffe werden in den einschlägigen Beschlüssen verwendet. Es ist die Rede von Revision (des Alten Testaments) und Neuübersetzung (des Neuen Testaments).

Damit unterscheidet sich das Projekt deutlich von der zurzeit laufenden Revision der (katholischen) Einheitsübersetzung. Hier geht es eindeutig um eine Revision, nicht um eine Neuübersetzung. Das ist von der sprachlichen Gestalt der Übersetzung her gesehen insofern nachvollziehbar, als die bisher in Gebrauch befindliche Zürcher Bibel fast fünfzig Jahre älter ist als die 1979 eingeführte Einheitsübersetzung.

Interessant und für die ökumenische Zusammenarbeit nicht gering zu achten ist allerdings, dass die Kriterien, die der Revision beziehungsweise Übersetzung der Zürcher Bibel zugrunde liegen, sachlich weitgehend denen entsprechen, die von der Instruktion "Liturgiam authenticam" der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vom 24. März 2001 für die Übersetzung der Heiligen Schrift gefordert werden. Die Zürcher Bibel, so der Synodenbeschluss, "soll eine Bibelübersetzung von hohem sprachlichem und wissenschaftlichem Rang bleiben, die gleichzeitig als Kirchen-, Volks- und Studienbibel Verwendung finden kann".

Äußerer Anlass der Revision ist der Wandel der deutschen Sprache in den zurückliegenden Jahrzehnten. So werden in der NZB veraltete Wörter und Wendungen ersetzt: "Weib" durch "Frau", "ward" durch "wurde" und vieles mehr. Hieß es bisher: "Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist genaht; tut Buße und glaubet an das Evangelium" (Mk 1,15), so heißt es jetzt: "Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" Die Schwiegermutter des Petrus liegt nicht mehr "am Fieber darnieder", sondern "mit hohem Fieber im Bett" (Mk 1,30). Die Geliebte des Hohenliedes wird nicht mehr mit Rosinenkuchen gelabt, sondern gestärkt, nicht mehr mit Äpfeln erquickt, sondern erfrischt (Hld 2,5). Ebenso werden Wörter, bei denen ein signifikanter Bedeutungswandel eingetreten ist, ersetzt, beispielsweise "Gesicht" durch "Schauung".

Über manche Entscheidung wird man sicherlich streiten können. So ist das Gesetz nach Paulus (Gal 3,24) nicht mehr "ein Zuchtmeister (paidagogos)", sondern "zu unserem Aufpasser geworden" (NZB).

Die NZB bemüht sich um eine behutsame Anpassung an den zeitgenössischen Sprachgebrauch; "das heißt allerdings nicht, dass sie sich unmittelbar an der heutigen Alltagssprache orientiert", so die Einleitung. Die NZB erhebt einen literarischen Anspruch, und sie begründet dies zu Recht mit dem Charakter der (meisten) biblischen Bücher. Auch die "Sprache der biblischen Bücher war... zur Zeit ihrer Niederschrift alles andere als alltäglich, sondern hatte einen religiösen und literarischen Anspruch", heißt es in der Einleitung.

"Die Sprache der Übersetzung soll eine dem Urtext angemessene Sprachebene einhalten und weder antiquiert noch modernistisch sowie weder manieriert noch vulgär wirken", lautet einer der Grundsätze der Revision. Jeder, der mit Bibelübersetzungen zu tun hat, weiß, dass es hier einen bisweilen erheblichen Ermessensspielraum gibt.


Oberstes Prinzip ist philologische Exaktheit

Weiter heißt es in den Grundsätzen der Revision: "Die sachliche und historische Distanz des Bibeltextes zur heutigen Zeit soll auch in der Übersetzung erkennbar bleiben. Dementsprechend ist von unmittelbaren Aktualisierungen des Bibeltextes Abstand zu nehmen." In diesem Zusammenhang lässt die NZB das Bemühen erkennen, konfessionelle Einfärbungen der ZB rückgängig zu machen, um so die Offenheit der historischen Ursprungsbedeutung wieder in Erscheinung treten zu lassen. So "predigt" Jesus nicht mehr das Evangelium Gottes (so ZB, LB), sondern er "verkündigt" (EÜ: "verkündet") es (Mk 1,14).

Oberstes Prinzip der NZB ist philologische Exaktheit. Ihr geht es nicht um Political Correctness. Dies gilt sowohl hinsichtlich des jüdisch-christlichen Dialogs als auch hinsichtlich der Anliegen feministischer Theologie.

So hält es die Übersetzungskommission der NZB für unangebracht und dem jüdisch-christlichen Dialog letztlich nicht dienlich, harte Worte gegen Vertreter des Judentums, wie sie im Neuen Testament mehrfach vorkommen, abschwächend zu übersetzen. Im Hinblick auf die Pharisäer ist in Mk 3,5 weiterhin von der "Verstocktheit ihres Herzens" die Rede. Ebenso heißt es in Joh 12,40: "Er hat ihre Augen blind gemacht, und ihr Herz hat er verstockt."

Gleichwohl hat die NZB "Antijudaismen", die im Urtext nicht vorliegen, sich jedoch in die zu revidierende Übersetzung bisweilen indirekt eingeschlichen hatten, rückgängig gemacht. So wird in Mk 6,52 und 8,17 im Hinblick auf die Jünger Jesu zwar nicht das gleiche Wort, wohl jedoch das gleiche Wortfeld wie in Mk 3,5 gebraucht (3,5: porosis; 6,52 und 8,17: Partizip Perfekt Passiv von poroun). Im Hinblick auf die Jünger hatte die ZB jedoch (abschwächend) mit "verhärtet" ("ihr Herz war verhärtet") übersetzt (so auch LB). Die NZB macht die vom Textbefund her ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Pharisäern und Jüngern Jesu rückgängig und übersetzt konsequent konkordant (so auch EÜ). So ist nach Mk 3,5; 6,52; 8,17 im Hinblick auf Jesu Wunder nicht nur das Herz der Pharisäer, sondern auch das seiner Jünger "verstockt". Das Beispiel zeigt, dass das Wortfeld "Verstockung", berücksichtigt man seine Verwendung im gesamten Zusammenhang des Evangeliums, nicht in einem spezifisch antijüdischen Sinn zu verstehen ist.

In den Grundsätzen der Revision heißt es weiter: "Spezifische Begriffe der biblischen Sprache, die unserer Umgangssprache (angeblich) nicht mehr bekannt sind - und dementsprechend 'modernen' Übertragungen gemieden werden - sind in theologischer Verantwortung beizubehalten; es ist zu berücksichtigen, dass einer guten Bibelübersetzung immer auch eine sprachprägende Funktion zugekommen ist." Dem ist aus theologischen und exegetischen Gründen uneingeschränkt zuzustimmen. Die NZB wird diesem Anspruch durchgehend gerecht. Theologisch geprägte Begriffe der deutschen Sprache werden beibehalten: Bund, Erlösung, Erwählung, Gerechtigkeit, Geist, Glaube, Gericht, Gnade, Heil, Herrlichkeit, Opfer, Reich Gottes, Sünde, selig und andere.


Der enge Zusammenhang zwischen dem Gott des Alten Testaments und Jesus Christus

Den im Alten Testament mehr als 6800-mal anzutreffenden Gottesnamen JHWH (das so genannte Tetragramm) gibt die NZB mit dem Ersatzwort "der HERR" wieder. Das ist eine kluge, exegetisch und theologisch angemessene Entscheidung. Sie liegt auf einer alten jüdischen Traditionslinie, bei der die Konsonanten des Gottesnamens JHWH mit den Vokalen des Wortes Adonai ("mein Herr" bzw. "der Herr") versehen werden und somit den Hinweis geben, statt "Jahwe", wie der Gottesname ursprünglich wahrscheinlich auszusprechen war, "(mein/der) Herr" zu lesen. In der (jüdischen) Septuaginta wurde diese Interpretation mit der Wiedergabe durch kyrios ("Herr") rezipiert.

In der christlichen Bibel wird damit zudem der enge Zusammenhang zwischen dem Gott des Alten Testaments und Jesus Christus deutlich, der im Neuen Testament kyrios ("Herr") genannt wird. Die Vulgata übersetzt entsprechend mit Dominus. Um die Wiedergabe des Gottesnamens jedoch von der männlichen Anredeform "Herr (Müller)" unterscheidbar zu machen, wird das Wort - anders als es in der ZB und auch in der EÜ praktiziert wurde - durch Kapitälchen topographisch ausgezeichnet ("HERR"; so auch LB).

Gegenüber der feministischen Kritik, die Wiedergabe des Tetragramms mit "der Herr" sei Ausdruck eines männlichen und machtorientierten Gottesbildes, weist die Übersetzungskommission darauf hin, dass "die Bezeichnung Gottes als 'Herr' ... zweifellos eine, wenn nicht die grundlegende religiöse und theologische Überzeugung des AT zum Ausdruck" bringt. "Welche Bedeutung mit dieser Bezeichnung verbunden wird, geht aus den verschiedenen Textzusammenhängen hervor, in denen sie gebraucht wird. Hier zeigt sich, dass das (männliche) Geschlecht praktisch keine Rolle spielt, wenn von Gott als dem 'Herrn' die Rede ist. Vielmehr steht im Vordergrund, dass Gott den Menschen überlegen ist, dass er Verantwortung für sie übernimmt, ihnen hilft und für ihr Recht eintritt - und dafür im Gegenzug von ihnen Respekt, Loyalität und Verehrung erwartet."

Für das Alte Testament wird der so genannte Masoretische Text nach Ausgabe der Biblia Hebraica Stuttgartensia (5. Auflage) sowie die erste Teilausgabe der Biblia Hebraica Quinta (2004, 2006) zugrunde gelegt. Kanongeschichtlich nicht ganz konsequent, aber in der Tradition der Reformation begründet ist, dass in der Auswahl der alttestamentlichen Bücher die (jüdisch-)hebräische Tradition zugrunde gelegt wird, in der Anordnung derselben jedoch die der christlich rezipierten griechischen Septuaginta mit den Propheten am Ende, die (nach christlichem Verständnis) auf den Messias verweisen, von dem das sich daran anschließende Neue Testament sagt, er sei gekommen.

Die in der protestantischen Tradition so genannten apokryphen (in der katholischen Tradition "deuterokanonisch" genannten) Bücher des AT (1/2 Makk, Judit, Tobit, Jesus Sirach, Weisheit), die zum Septuaginta-Kanon und in dieser Tradition zum Kanon der Orthodoxen und Katholischen Kirche gehören und in der Zürcher Bibel von 1931 noch als Anhang zum Alten Testament veröffentlicht wurden (wie auch in der Lutherbibel letzter Hand, Wittenberg 1545), finden sich in der Neuen Zürcher Bibel (zumindest in der mir vorliegenden Ausgabe) nicht mehr.


Gegenüber den Anliegen feministischer Theologie zurückhaltend

Natürlich wird man bei jeder Bibelübersetzung unzählige Stellen diskutieren können. Wäre in Ex 34,12.15 nicht philologisch korrekt singularisch zu übersetzen gewesen ("Hüte dich davor, mit dem Bewohner des Landes ... einen Bund zu schließen"), nicht zuletzt um die Entsprechung zum singularischen "du sollst dich nicht niederwerfen vor einem anderen Gott" (Ex 34,14) deutlicher hervortreten zu lassen? Erfrischend eindeutig klingt die Mahnung des Apostels in 1 Kor 6,18: "Meidet den Weg zur Dirne!" (ZB: "Fliehet die Unzucht!"). Im griechischen Text steht allerdings nicht porne "Dirne" (wie in 6,15f.), sondern porneia wie in 5,1; 6,12 und 7,2 (u. a.), wo zu Recht mit "Unzucht" übersetzt wird.

Jesus nachzufolgen ist schwer. Aber seinen Besitz zu verkaufen und ihn (also den bereits verkauften Besitz) den Armen zu geben, scheint mir nicht möglich zu sein. Bei dieser Übersetzung ist die Bestürzung der Jünger verständlich und ihre Frage berechtigt: "Wer kann dann noch gerettet werden?" (Mt 19,25). Vom griechischen Text her wäre korrekt zu übersetzen: "Verkaufe deinen Besitz und gib den Armen!" (EÜ umschreibt sachlich richtig: "Verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen"). Warum wird "Christus" in 1 Kor 4,1 mit Artikel und folglich als Titel und nicht als Bestandteil des Eigennamens übersetzt ("Diener des Christus"; ZB; LB; EÜ: "Diener Christi")? In 1,13, wo im Griechischen "ho Christos" steht, ist das möglich, weil hier bereits die Metapher von "Gemeinde als Leib Christi" anklingt. - In Spr 8,7 muss es "meine Lippen" statt "einen Lippen" heißen.


Eine klassisch ausgangssprachenorientierte Übersetzung

Gegenüber den Anliegen feministischer Theologie zeigt sich die NZB zurückhaltend. Die Werkstattberichte der Übersetzungskommission lassen erkennen, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den Übersetzungsvorschlägen von feministischer Seite stattgefunden hat. Einiges wurde aufgenommen. So wird die Anrede "adelphoi" in den neutestamentlichen Briefen jetzt nicht mehr mit "ihr Brüder" (NB), sondern mit "liebe Brüder und Schwestern" (1 Thess 2,9.17; Röm 1,13; vgl. Gal 1,2; Röm 8,14; u. ö.) wiedergegeben.

Statt "Bruderliebe" (ZB; EÜ; LB: "brüderliche Liebe") heißt es jetzt "Liebe unter Brüdern und Schwestern" (1 Thess 4,9). Allerdings ist das kaum konsequent durchzuhalten. So lautet Gal 4,4-7: "Als sich aber die Zeit erfüllt hatte, sandte Gott seinen Sohn..., um die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir als Söhne und Töchter angenommen würden. Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater! So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe - durch Gott."

Eine gewisse Skepsis bleibt, ob mit diesem partiellen Splitting wirklich etwas gewonnen ist; gegenüber der alten Version werden die Missverständnisse eher größer. Angenommen sind Söhne und Töchter, aber Erbe ist nur der Sohn? Vom griechischen Text und der ZB wird klar, dass die Metapher "Sohn" im Hinblick auf die Adressaten geschlechtsneutral gemeint ist. In der NZB wird "Sohn" im Hinblick auf die Adressaten in unmittelbarer Abfolge einmal geschlechtsspezifisch, einmal geschlechtsneutral gebraucht. Das ist verwirrend. Die paulinischen Aussagen sind von keiner ernst zu nehmenden Theologie jemals in einem geschlechtsspezifisch einschränkenden Sinn interpretiert worden. Nach Meister Eckart beispielsweise muss jeder Mensch, also auch der Mann, Jungfrau und Weib werden (Predigt 2: Intravit Jesus in quoddam castellum), und jeder Mensch, also auch die Frau, muss Sohn werden (Predigt 16B: Quasi vas auri solidum). Es wäre Zeichen eines völligen Missverständnisses, würden hier aus feministischem Purifikationseifer die Jungfrau durch den Junggesellen und der Sohn durch die Tochter ergänzt.

Ein ähnliches Missverständnis scheint mir in Gal 3,28 vorzuliegen. Dort übersetzt NZB: "Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus". ZB übersetzt: "denn ihr alle seid einer in Christus Jesus". Tatsächlich steht in Gal 3,28 'heis' ("einer"), nicht 'hen' ("eins") wie etwa in Joh 10, 30 (vgl. 17,11.21-23), wo es richtig heißt: "Ich und der Vater sind eins (hen)", nicht: einer (heis).

Im Jahre 1996 erschien ein Vorabdruck der neuen Übersetzung, der die Evangelien und die Psalmen enthielt. Dieser hat von feministischer Seite starke Kritik erfahren. Auf Antrag der Evangelisch-reformierten Kirchensynode des Kantons Zürich gab der Kirchenrat der Arbeitsgruppe "Dekade Solidarität der Kirchen mit den Frauen" den Auftrag, eine dreiköpfige Frauenlesegruppe zu bilden, die das Bibelprojekt kritisch begleiten sollte.

Mit der Übersetzungskommission AT ergab sich keine Zusammenarbeit, wohl jedoch mit der Übersetzungskommission NT. Doch auch hier wurden die Vorschläge der Frauenlesegruppe nur ganz vereinzelt übernommen. So hat sich die Gruppe entschlossen, ihre aus achtjähriger Arbeit entstandenen Übersetzungsvorschläge der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Ursula Sigg-Suter/Esther Straub/Angela Wäffler-Boveland: ... und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein. Die neue Zürcher Bibel feministisch gelesen, Zürich, Theologischer Verlag 2007). Mit dieser Publikation liegt eine gut aufbereitete und wertvolle Arbeitshilfe vor, um sich mit den Anliegen feministisch inspirierter Bibelübersetzungen vertraut zu machen.

Eines ihrer Grundanliegen ist die feministische Sprachkritik mit ihrer Forderung einer explizit inklusiven Sprache, "die das feminine Geschlecht, wenn es gemeint ist, auch tatsächlich erwähnt" (19). Die Autorinnen müssen allerdings eingestehen, dass hierbei oft umständliche Formulierungen herauskommen. Als Beispiel führen sie Röm 1,16 an (20): "... zur Rettung für jeden und jede, der oder die glaubt, für den Juden oder die Jüdin zuerst und auch für den Griechen oder die Griechin." Um dieser holprigen Formulierung zu entgehen, wird vorgeschlagen, in den Plural zu wechseln ("die Juden"), da hier "der exklusiv maskuline Artikel (der)" wegfalle. "Konsequent implizit formuliert muss es jedoch heißen: die Jüdinnen und Juden", so die Autorinnen. Als weitere Umschreibungen werden vorgeschlagen: "das jüdische Volk", "die griechischen Leute". Dieses Anliegen wurde bekanntermaßen in "Bibel in gerechter Sprache" umgesetzt (vgl. HK, Januar 2007, 20ff). Die Kritik feministischer Sprachkritik weist zu Recht darauf hin, dass hier das grammatikalische (Genus) und das natürliche Geschlecht (Sexus) miteinander vermischt werden. Ferner wird verkannt, dass die semantische Unbestimmtheit zum Wesen einer jeden Sprache gehört. Würde man sie tilgen, verlöre die Sprache ihre Alltagstauglichkeit.

Die Autorinnen schreiben: "Die Übersetzungskommissionen waren der Ansicht, eine feministische Übersetzung der Bibel sei mit dem Übersetzungsgrundsatz der Texttreue weitgehend unvereinbar. Wir sind überzeugt, den Grundsatz der Texttreue konsequent befolgt zu haben" (13). Im Hintergrund der Auseinandersetzung stehen (unausgesprochen) unterschiedliche Übersetzungstheorien.

Die Neue Zürcher Bibelübersetzung ist eine klassisch ausgangssprachenorientierte Übersetzung. Die Übersetzungsvorschläge von feministischer Seite scheinen das Modell dynamisch-äquivalenter Übersetzung vor Augen zu haben, wie es F. A. Nida in den siebziger Jahren vor allem im Zusammenhang mit Bibelübersetzungen entwickelt hat, oder aber sogar das Modell der funktionalen Übersetzungstheorie, das Übersetzung als eine Form von interkultureller Kommunikation versteht, wie es von K. Reiß und H. J. Vermeer in den achtziger Jahren entwickelt wurde.

In Bezug auf die Bibel wird die Sache noch dadurch ein wenig komplizierter, als hier zwei Ebenen zu unterscheiden sind, die allerdings miteinander verbunden sind. Die genannten Autorinnen schreiben nicht ganz zu Unrecht: "Die Bibel ist Wort Gottes, wie es von Menschen erfahren und niedergeschrieben worden ist." Genau genommen ist die Bibel also nicht Wort Gottes, sondern sie legt Zeugnis ab vom Wort (Logos) Gottes. Die NZB hält sich wie jede ausgangssprachlich orientierte Bibelübersetzung an das abgelegte Zeugnis. Bei den feministisch motivierten Einwänden ist zwischen den Zeilen das Bemühen zu erkennen, sich stärker auf das zu beziehen, was die Bibel bezeugt, also auf den "Sinn", auf das Signifikat - in der Terminologie des schweizerischen Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure gesprochen.

Das Anliegen feministischer Bibelübersetzungen geht weit über das der explizit inklusiven Sprache hinaus. Im Grunde soll das gesamte semantische Feld der Bibel aus der Sicht von (einigen) Frauen neu justiert werden. Um einen Eindruck zu vermitteln, seien die Überschriften der einzelnen Kapitel samt einiger Stichworte genannt: 1. Inklusive Sprache (Jüngerinnen und Jünger, Eltern statt Väter, alle statt jeder); 2. Frauenwelten sichtbar machen (Prophetinnen, junge Frau statt Jungfrau); 3. Männerwelten nicht überbewerten (Höchster statt Herr, Macht haben statt Herr sein, Glanz statt Herrlichkeit), 4. Hierarchische Beziehungen (Königtum statt Herrschaft, helfen statt dienen, Diener statt Knecht; Dienerin statt Magd); 5. Sprache der Gewalt eingrenzen (streiten statt kriegführen, unterordnen statt unterwerfen); 6. Sexualmoral (in die Irre führen statt verführen, Ärgernis statt Verführung); 7. Theologische Fachbegriffe (Zuwendung statt Gnade); 8. Zeitgemäße Begriffe (Becher statt Kelch, Nachkommenschaft statt Same, Völker statt Heiden, Beurteilung statt Heimsuchung, Schläge statt Züchtigung).

Hier geht es nicht nur um Sprache, sondern auch und vor allem um die mit ihr verbundene und in ihr zum Ausdruck kommende Kultur. Transformationen sprachlicher Systeme gehen immer einher mit der Transformation kultureller Systeme. Jede Kulturrevolution ist eine Sprachrevolution. Es würde der Komplexität der Sache nicht gerecht, alle der hier genannten Vorschläge in Bausch und Bogen zu verwerfen. Und doch hat die NZB eine kluge Entscheidung getroffen, gegenüber dem feministischen Anliegen große Zurückhaltung walten zu lassen. Unabhängig von der Frage seiner sachlichen Berechtigung, handelt es sich - objektiv gesehen - bei dem durch die feministische Sprachkritik kreierten Sprachsystem zu großen Teilen (noch) um eine Gruppensprache, einen Soziolekt. Dieser dringt zwar mit Macht in die Standardsprache ein, aber es bleibt abzuwarten, wie die weitere Entwicklung verlaufen wird.


Keine modischen Aktualisierungen

Der NZB ist ein umfangreiches Glossar von 154 Seiten beigegeben. Es erschließt in einzelnen Artikeln zentrale Begriffe der biblischen Überlieferung, von "A und O" (Alpha und Omega) über Adam und Eva, Amt, Apostel, Bild, Blut, Bund, Christus, Erwählung, HERR, JHWH, König, Rache, Verstocktheit, Weisheit bis hin zu Zion, Zorn und Zungenrede, um einige der Begriffe zu nennen. Das Glossar ist gleichsam die Konsequenz der ausgangssprachenorientierten Übersetzungstechnik, die deutlich zwischen Übersetzung und Interpretation unterscheidet, die aber zugleich dem Leser eine Hilfe zum Verständnis des in einer ihm weitgehend fremden Kultur entstandenen Textes bieten möchte.

Dem gleichen Zweck dienen die Einleitungen, die jeder alt- und neutestamentlichen Schrift vorangestellt sind. Zahlreiche Stellenverweise, Zwischenüberschriften, die topographische Unterscheidung von prosaischen und poetischen Texten, Tafeln zur biblischen Zeitgeschichte, zu Maßen und Gewichten und eine Reihe von Karten runden die gelungene Ausgabe ab.

Die Neue Zürcher Bibel ist eine philologisch sorgfältige, dem heutigen Sprachgebrauch auf literarischem Niveau entsprechende und zugleich verständliche Übersetzung. Sie weiß sich dem Ursprungssinn der biblischen Texte verpflichtet, lehnt modische Aktualisierungen ab, behält eine biblisch geprägte Übersetzungssprache weitgehend bei und nimmt hinsichtlich ihrer Vorgängerin von 1931 eine Mittelposition zwischen Revision und Neuübersetzung ein. Die Kriterien der Übersetzung sind in ökumenischer Hinsicht weitgehend konsensfähig.

Die NZB öffnet sich maßvoll dem Anliegen feministischer Theologie, lehnt aber das der "Bibel in gerechter Sprache" zugrundeliegende hermeneutische Modell mit guten Gründen ab. In dieser Hinsicht bleibt abzuwarten, wie sich die deutsche Sprache weiter entwickeln und vor allem welchen Verlauf die sprachwissenschaftlichen und exegetisch-theologischen Reflexionen nehmen werden. Verständlich geschriebene Einleitungen zu den einzelnen Schriften und ein umfangreiches Glossar, die den gegenwärtigen Stand der Bibelwissenschaft in ausgewogener Form widerspiegeln, bieten eine wertvolle Hilfe, in die Heilige Schrift hineinzufinden und sie in ihren buchübergreifenden Zusammenhängen tiefer zu verstehen.


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Ludger Schwienhorst-Schönberger (geb. 1957) ist Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien. Veröffentlichungen u. a.: Kohelet, Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg 2004; Studien zum Alten Testament und seiner Hermeneutik, Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 40, Stuttgart 2005; Ein Weg durch das Leid. Das Buch Ijob, Freiburg 2007.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 11, November 2007, S. 566-571
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2008