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BERICHT/262: Delegation trifft auf tiefe Wunden in Südossetien (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Pressemitteilung vom 12. September 2008

ÖRK-Delegation trifft auf tiefe Wunden in Südossetien, versöhnende Worte in Moskau


Die Zerstörung georgischer Siedlungen in Südossetien, tiefe Wunden in der Gesellschaft und Kriegsschäden in der Hauptstadt gehörten zu den Eindrücken einer Delegation des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die vom 3. bis 7. September Georgien und Russland besuchte. Diese Erfahrungen verliehen der Besorgnis, die Regierungs- und Kirchenvertretern während eines Zusammentreffens in Moskau ausgedrückt hatten, Dringlichkeit.

Dörfer, die Haus für Haus zerstört worden waren, waren das Erste, was die Delegation bei ihrer Ankunft in Südossetien auf der Straße aus dem russischen Nordossetien kommend sah. Ganze Viertel waren ausradiert, in den meisten Fällen durch Abbruch, Feuer oder beides. Die ökumenischen Besucher beobachteten Plünderungen und Brandstiftung, sowie mehrere vollbesetzte Fahrzeuge - vermutlich Bürgerwehren. Zum Zeitpunkt des Besuches war der Krieg bereits fast einen Monat lang zu Ende.

Vertreterinnen und Vertreter Südossetiens bekundeten vor den Delegierten, sie würden die von verschiedenen Ethnien bewohnte Enklave niemals zu ihrem Status vor dem Krieg zurückkehren lassen. "Wir haben versucht, mit Georgien Kontakt herzustellen", sagt Alan Pliev, der stellvertretende Außenminister, "aber sie haben uns Soldaten geschickt". Die offiziellen Vertreter verurteilten die georgischen Führungspersonen und ihre Politik gegenüber der Enklave aufs Schärfste. Die "Georgien den Georgiern"-Kampagne der frühen 90er Jahre wurde besonders kritisiert, und zwar in den meisten Treffen dort und in Russland.

Zuvor hatte der russische stellvertretende Außenminister Grigory Karasin betont, wie wichtig Frieden zwischen ethnischen Gruppen sei, "damit Südossetien und Abchasien nicht zu mono-ethnischen Staaten werden". Karasin sagte, die politischen Führer der beiden Regionen verstünden dieses Anliegen Russlands, der georgische Angriff Südossetiens sei aber ein Schlag für die Beziehungen zwischen den Ethnien der Regien gewesen.

Satellitenfotos zeigen die große Zerstörung der Dörfer in der Nähe von Zchinwali mit überwiegend georgischer Bevölkerung. Die Delegation brachte dies Karasin gegenüber zur Sprache. Er antwortete, seine Regierung habe Vertreterinnen und Vertreter in Den Haag, um die von der georgischen Regierung vorgebrachten Fakten zu überprüfen. Die russische Armee habe strenge Anweisungen, die Plünderungen zu beenden.

"Flüchtlinge haben das Recht, zurückzukehren. Sie sollten zurückkommen, wenn sie wollen", sagte Karasin und fügte hinzu, die Staatengemeinschaft müsse "die richtigen Bedingungen für sie schaffen". Das Verhalten der georgischen Seite habe die russische Militäraktion in Georgien verursacht.

Seitens eines Hilfswerkes der russischen Kirche erfuhr die ÖRK-Delegation in Moskau: "Ein gemeinsames Zeugnis der russisch-orthodoxen und der georgischen orthodoxen Kirche ist in dieser Krise unglaublich wichtig". Margarita Nelyubova, die selbst für christliche Hilfe lange im Kaukasus war, meinte: "Wir können aufgrund politischer Zwänge nicht in Georgien arbeiten, aber wir möchten wissen, wie wir helfen können". Nelyubova ist Mitglied des ÖRK-Zentralausschusses.

Die Delegation konnte, ebenso wie Hilfswerke, Südossetien nicht von Georgien aus bereisen. Deshalb drückten Mitglieder der Delegation Karasin gegenüber ihre Besorgnis über den fehlenden Zugang für humanitäre Hilfe aus, der von Russland im Waffenstillstandsabkommen zugesichert worden war.

Auf dem Programm der Delegation standen auch Treffen mit lokalen Führungspersonen und Besuche im Krieg zerstörter Stadtteile, darunter ein Hotel, in dem 184 Menschen untergekommen sind, weil ihre Häuser während des Kampfes um die Stadt im August zerstört wurden.

"Wir sind hier, um die Solidarität der weltweiten Kirche auszudrücken, und um unsere Kirchen über die Situation zu informieren", sagte Jean-Arnold de Clermont, Pfarrer der reformierten Kirche von Frankreich und Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen, den Gastgebern. Weitere Mitglieder der ÖRK-Delegation waren Metropolit Nifon von Targoviste (rumänische orthodoxe Kirche, nicht bei diesem Treffen dabei), Pfarrer László Lehel (Direktor eines ungarischen Hilfswerkes und Vertreter von ACT International - Kirchen helfen gemeinsam), Pfarrerin Elenora Giddings Ivory und Jonathan Frerichs (Mitarbeitende des ÖRK).

Die Gruppe erzählte, ein baptistischer Pfarrer in Tiflis habe den ÖRK gebeten, "für Reue auf allen Seiten zu beten - für die Fehler, die wir alle begangen haben. Betet für ein Schuldbekenntnis und für Versöhnung".

"Was sollten wir bereuen?", fragte Sonia Hubaeva, Beraterin des Präsidenten, und erklärte, ihre Familie hätte unter Missbrauch und Vertreibung aus Zentralgeorgien zu leiden gehabt. Der Bischof einer orthodoxen Diözese, der auch bei dem Treffen anwesend war, sagte, er habe 20 Jahre voller Gewalt gegenüber den Ossetiern erlebt, und drei Menschen aus seiner Familie seien getötet worden.

In den Vororten von Zchinwali unternahm die Delegation einen weiteren Versuch, in die Pufferzone um Südossetien zu gelangen, um einen Metropoliten der georgischen orthodoxen Kirche dort zu besuchen, der mit einigen Priestern und Nonnen in der Nähe dort ausharrt. Russische Friedenstruppen sagten, sie seien nicht in der Lage gewesen, der Bitte nachzukommen. Es handelte sich um den zweiten erfolglosen Versuch, die Grenze des Waffenstillstandsabkommens zu überschreiten. Tausende Bewohnerinnen und Bewohner leben vermutlich immer noch in dieser Zone unter unsicheren Bedingungen.

Weitere Informationen:
http://www.oikoumene.org/de/nachrichten/news-management/a/ger/article/1722/
oerk-delegation-besucht-ge.html

Mehr Informationen zum ersten Teil des Besuches (auf Englisch):
http://www.oikoumene.org/en/news/news-management/eng/a/article/1722/after-a-4000-km-detour.html

ACT - Kirchen helfen gemeinsam rufen zu humanitärer Hilfe auf (auf Englisch):
http://act-intl.org/appeals/appeals_2008/EUGE81Prelim-sum.html

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Pressemitteilungen vom 12. September 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2008