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BERICHT/263: Welcher Glaube tut mir gut? (welt der frau)


welt der frau 10/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Welcher Glaube tut mir gut?
Fragen an die Religionspädagogin Helga Kohler-Spiegel

Von Christine Haiden


Frauen haben großes Interesse an Spiritualität, aber immer weniger an den traditionellen Angeboten der römisch-katholischen Kirche. Warum ist das so?


WELT DER FRAU: Frauen füllen noch immer zum Großteil die Kirchen bei Gottesdiensten und sind überdurchschnittlich in den Pfarren engagiert. Aber ihr Altersdurchschnitt ist hoch. Passen heutige Pfarren nicht mehr zum Selbstverständnis jüngerer Frauen?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Die Struktur der heutigen Pfarren ist über weite Strecken auf Familien mit Kindern oder auf ältere Menschen ausgerichtet, die vor Ort leben und dort ihren Lebensmittelpunkt haben. Die Lebensgestaltung heutiger, v. a. jüngerer Frauen ist häufig nicht auf die eigene Ortschaft oder den eigenen Stadtteil festgelegt, sondern mobiler, flexibler ... Auch die Gestaltung der Wochenenden ist oft nicht mehr auf den Sonntagmorgen ausgerichtet, das Wochenende wird nach freier Zeit erlebt und gestaltet. Zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten in einer Pfarre entsprechen nicht den Wünschen hoch ausgebildeter Frauen oder der Frauen, die aufgrund von Beruf und Familie und eigenen Angehörigen mehrfach mit Aufgaben eingedeckt sind. Auch der Anspruch an Freundschaften, FreundInnen und Freizeitgestaltung hat sich verändert, für Freizeit wird mehr Zeit investiert. Dies alles verändert das kirchliche Leben in den Pfarreien.

WELT DER FRAU: Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten an wirtschaftlicher Selbstständigkeit gewonnen, sie sind immer besser gebildet und versuchen Familie und Beruf zu verbinden. Wie wirkt sich das auf die Religiosität aus?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Frauen sind nicht mehr einfach bereit, Tradition zum Maßstab ihrer religiösen Bindung zu machen, sondern die eigene Erfahrung ist bedeutsam. Wie habe ich Religion erlebt, wo hilft mir meine Religiosität, ist Religion für mich eine Lebenshilfe, wie erlebe ich Menschen, die für diese Religion stehen, sind sie glaubwürdig ...? Religion wird längst "im Plural" erlebt, es gibt nicht mehr nur eine "richtige" Religion, sondern in der Vielfalt von Religion und Religiosität muss sie glaubwürdig sein. Zudem hat religiöse Sprache an Bedeutung gewonnen, nicht tradierte religiöse Fachsprache steht im Vordergrund, sondern Worte sind dann hilfreich, wenn sie Erlebtes benennen, wenn sie uns treffen und berühren.

WELT DER FRAU: Der spirituelle Markt, von den Angeboten der großen Weltreligionen bis zu alten Kulten und spirituellem Patchwork, zieht vor allem Frauen an. Woran liegt das?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Wenn im Bereich von Religion die Erfahrung wichtig ist, dann bedeutet das auch, dass Religion aus der eigenen Perspektive, aus dem eigenen Erleben bewertet wird. Dann ist Religion immer auch auf die eigene Biografie bezogen. Etwas ist "richtig", weil ich es als gut und hilfreich erlebe, nicht weil andere sagen, dass das so überliefert ist und immer so war. Aus dieser erfahrungs- und biografiebezogenen Position heraus kann ich aus verschiedenen religiösen Überlieferungen mischen.

In diesen Entwicklungen zeigt sich ein großes Bedürfnis von Frauen: die Bereitschaft, selbst religiöse Erfahrungen zu machen und darin "beheimatet" zu sein.

WELT DER FRAU: Was suchen Frauen, wenn sie von Spiritualität reden?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Häufig nehme ich eine große Sehnsucht wahr, eine Sehnsucht, im eigenen, im erlebten Glauben beheimatet zu sein, den religiösen Boden unter den Füßen selbst erlebt zu haben, ihn (teilweise) auch zu verstehen.

WELT DER FRAU: Ein Großteil der Scheidungen wird heute von Frauen angestrebt. Im Bereich der Empfängnisregelung lassen sich Frauen von der Kirche kaum mehr etwas vorschreiben. Passen die Moralvorschriften der katholischen Kirche und die Lebensmodelle von Frauen heute überhaupt noch zusammen?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Das Problem zeigt sich wohl schon beim Stichwort "Moralvorschriften". In moralischen Fragen sind Frauen heute gewohnt, ihre Entscheidungen selbst zu bedenken und vor dem eigenen Gewissen zu verantworten. Dies führt tatsächlich oft zu anderen Positionen als den lehramtlich vertretenen.

Es ist gute Tradition der katholischen Kirche, dass Christinnen und Christen ihr Tun vor dem eigenen Gewissen verantworten. Es ist aber auch wichtig, das Gewissen zu schulen, sich mit den christlichen Grundhaltungen und den moralischen Orientierungen der Kirche auseinanderzusetzen.

In der katholischen Kirche sind immer auch die im Dialog entwickelten Positionen bedeutsam, die für Frauen, wohl aber für alle Menschen eine wichtige Orientierung sein können. Ich denke da an Dialogprozesse zur Bewahrung der Schöpfung, zu Gerechtigkeit - Themen, die gerade auch für die Arbeit der Katholischen Frauenbewegung große Bedeutung haben.

WELT DER FRAU: Welche Unterstützung in ihren Lebensentwürfen erwarten sich Frauen von der Kirche, durch den Glauben?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Ich erlebe in Seminaren und Fortbildungen ein großes Interesse von Frauen, die biblische Überlieferung sowie christliche Theologie zu verstehen. Dies ist aber ein Verstehen, das angebunden ist an ihr eigenes Leben, an eigene Erfahrungen und ihr Nachdenken. Deshalb ist auch eine verständliche Sprache wichtig. Religion bzw. Glaube sind nah beim Leben, sie sollen helfen, das eigene Leben zu verstehen, die Frage nach Gott und nach der Liebe und dem Scheitern von Liebe, dem Leid - und sie soll Hoffnung geben, ganz konkret, für mein Leben und auch für mein Sterben.

WELT DER FRAU: Häufig wird beklagt, dass Frauen in der Glaubensweitergabe an ihre Kinder versagen. Ein berechtigter Vorwurf?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Sind wir ehrlich: Dass Religion nach wie vor weitergegeben wird, liegt fast immer daran, dass Mütter und Großmütter nach wie vor den Glauben weitergeben, dass Mütter und Großmütter Advent feiern und Lieder singen und Geschichten erzählen, dass sie den Jahreskreis mit den Kindern gestalten und die Feste feiern ... Wenn wir "Glaubensweitergabe" an dem Weitergeben von Sätzen messen, die zu wissen sind, dann hat das sicher abgenommen. Doch die Geschichte der Katechese lehrt uns, dass Bischöfe seit Jahrhunderten darüber klagen, dass die Eltern die Kinder das Vaterunser und die Gebote zu wenig lehren.

"Glaubensweitergabe" aber meint: Mütter geben auch heute ihren Kindern das Wichtigste an Religion und Glauben mit: sich auf jemanden verlassen können, an jemanden denken können, auch wenn er/sie nicht sichtbar ist, Verständnis für Symbole entwickeln. Mütter geben ihren Kindern die grundlegenden Erfahrungen auch für den Glauben mit: Geschichten und Lieder, danken und bitten, trauern und sich versöhnen, lachen und weinen. Darauf kann religiöse Erziehung immer bauen.

WELT DER FRAU: Es gibt eine sehr große und noch immer sehr aktive Katholische Frauenbewegung in Österreich. Was empfehlen Sie einer solchen Organisation, um für Frauen attraktiv zu bleiben?

HELGA KOHLER-SPIEGEL: Frauen ermutigen, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen, selbst zu wissen, selbst zu verstehen, aber auch neue Formen zu entwickeln, ein "Experimentierraum" zu sein für Glauben. Und Frauen ermutigen, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen, mit Gerechtigkeit und den verborgenen Formen von Ungerechtigkeit, mit ihren Vorstellungen der Gegenwart und einer guten Zukunft. Also konkret: Wie leben wir als Frauen so vielfältig, wie wir sind, und zugleich respektvoll im Blick auf unsere Verschiedenheit? Wie kommen wir in Kontakt mit der Vielfalt der Kulturen in unserem Dorf? Ganz konkret zum Beispiel: Welche Sprachen werden bei uns im Ort gesprochen? Wer von uns hat selbst einen Großelternteil, der nicht aus diesem Bundesland stammt?

Die Frauenbewegung ist für mich beides: seit vielen Jahren profiliert in religiösen Fragen und profiliert in gesellschaftspolitischen Themen. Das ist ihre Stärke!


Helga Kohler-Spiegel lebt in Feldkirch, ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und (Lehr-)Supervisorin.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 10/2008, Seite 20-21
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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Die "welt der frau" erscheint monatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2008