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BERICHT/264: Wie Paulus in neueren Romanen vorkommt (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 10/2008

Sakralthriller und Bekenntnisliteratur
Wie Paulus in neueren Romanen vorkommt

Von Elisabeth Hurth


Im "Paulusjahr" lohnt auch ein Blick über Theologie und Kirche hinaus auf den Apostel Paulus als Romanfigur. Oft erscheint er in einschlägigen Romanen als Verfälscher der ursprünglichen Botschaft Jesu, als "Erfinder" des Christentums als kirchliches Zwangssystem. An die Stelle apologetischer Bekenntnisliteratur sind unterhaltsam verpackte Paulusbilder getreten.


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"Im Apostel Paulus", so behauptete der "Spiegel" am 24. März 2008 in seiner Titelstory "Der göttliche Bote", "ballt sich ein Ursprungsrätsel des Christentums. Dieser Mann vor allem war es, der den Kreuzestod Jesu in ein religiöses System aus Sühne und Erlösung umdachte." Paulus, so der "Spiegel", gelang mit diesem "System" ein "tollkühner Plan", den er als Weltmissionar von Beginn an "im Herzen trug": Er wollte Jesus, den Mann aus Nazareth, "zum Gottessohn erhöhen" (143). Paulus als der eigentliche Schöpfer des Christentums, der Jesus in den Gottessohn "verwandelte" - das ist das ständig wiederkehrende Thema einer antipaulinischen Kritik, die Jesus gegen Paulus ausspielt.

Religionsgeschichtlich wird dieser Gegensatz bereits von Hermann Samuel Reimarus herausgearbeitet, für den "das ganze Christentum hauptsächlich Pauli System und Betrieb" ist. "Er baut nämlich alle Hoffnung der Seligkeit allein auf den Glauben, dass Christus zur Versöhnung der Menschen mit Gott gestorben sei, ohne auf die Werke zu sehen" (Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, Frankfurt 1972, Band 2, 332, 551). Die historisch-kritische Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts bestätigt die hier postulierte Kluft zwischen Jesus und Paulus.


Paulus - der "Erfinder" des Christentums?

Von diesem Ansatz der Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts ist der Weg nicht weit zu heutigen Sakralthrillern, die den Gegensatz zwischen Jesus und Paulus erfolgreich fortschreiben. Ein frühes, noch vor dem Dan-Brown-Boom liegendes Beispiel hierfür ist Gore Vidals Roman "Golgatha live oder Das fünfte Testament" (2. Aufl., München 1996), der von Kritikern als parodistisches, "postmodernes Spiel mit christlicher Tradition" gewürdigt worden ist (vgl. Georg Langenhorst, Paulus - Mann der bleibenden Widersprüche. Spurensuche in der modernen Literatur, in: Erbe und Auftrag 73 [1997], 133). Tatsächlich aber entspricht der Plot des Romans dem Standardrepertoire der Sakralthriller: Da ist das Motiv der Zeitreise, der Verweis auf ein "neues" Evangelium (natürlich mit kirchenkritischem Inhalt), ein ebenfalls kirchenkritisch daherkommender "Held", der dunkle Geheimnisse des Christentums enthüllt und dabei den "ursprünglichen Jesus" entdeckt (195).

Entsprechend sensationalistisch und aufmerksamkeitsheischend setzt der Roman ein: Alle verfügbaren und in einem Computerprogramm gespeicherten Zeugnisse vom Leben Jesu sind einem geheimnisvollen Hacker aus der Zukunft zum Opfer gefallen. "Die Größte Geschichte, die je erzählt wurde," muss daher neu aufgeschrieben werden (13). Diese Aufgabe fällt im Roman dem Paulus-Schüler Timotheus zu. Er wird von Paulus selbst und einem per Zeitmaschine zurückgebeamten Fernsehagenten beauftragt, seine Version des Neuen Testaments zu schreiben, das "Evangelium nach Timotheus" (252). Gegenwart und Antike fließen immer weiter ineinander, bis es dem TV-Sender NBC schließlich gelingt, ein Fernsehteam nach Golgatha zu schicken, das die Kreuzigung live als Medienevent auf die Bildschirme bannen soll - mit Timotheus als "Moderator" (243).

Es folgt eine Religionssatire, die die mediale Ausschlachtung der Jesusgestalt kritisch aufs Korn nimmt und zugleich schonungslos gegen die paulinische Theologie zu Felde zieht. Was man aus der Perspektive des Ich-Erzählers Timotheus über Paulus, den "Heiligen", erfährt, ist wenig schmeichelhaft (5). Paulus und mit ihm fast alle Vertreter des Urchristentums werden als gierig und sexbesessen beschrieben. Er schafft das "Fundament" für das, "was er als erster 'Christentum' nannte" (199).

Der "echte Jesus", "war und ist ein Eiferer. Fanatisch. Revolutionär" (213). An der Spitze einer Rebellengruppe besetzt Jesus den Jerusalemer Tempel, vertreibt die Ökonomen und Spekulanten und senkt den Leitzins. Damit besiegelt er sein Schicksal. Paulus predigt "selbstverständlich (...) nicht den wahren Grund für die Kreuzigung, sondern nur die offizielle Version" (132). Zugleich unterschlägt er, dass der "echte Jesus" "planmäßig gekommen (ist), um das Messianische Reich von Großisrael zu gründen" (237). Der "Heilige", so erkennt Timotheus, "überarbeitet" bewusst "die Hardliner-Botschaft des Heilands" und ersetzt sie durch eine "große Erfindung, (...) den gekreuzigten Christus" (216, 238).

Doch der "echte Jesus" kehrt in die Gegenwart zurück und verkündet, er sei "zweitausend Jahre lang von (...) einem gewissen Saulus aus Tarsus, einem von Selbsthass erfüllten Juden, falsch interpretiert worden" (238). Als Computerhacker will Jesus alles löschen, was Paulus als Lüge in die Welt gesetzt hat. Aber gegenüber übermächtigen TV-Mogulen, die nur an einer quotenträchtigen religiösen "Show" interessiert sind, hat Jesus keine Chance (243). Er sieht ein, dass sein "Ausflug in die Zukunft, um das Werk des Heiligen zu zerstören", gescheitert ist (247). Jesus wird "mediengerecht" gekreuzigt, seine Auferstehung entpuppt sich als Inszenierung. Am Ende "gewinnt" der Heilige, Jesus ist "der Verlierer", das "Christentum (...) gerettet" (250, 248). Es bleibt das Fazit des desillusionierten Timotheus, "dass die Welt ohne das vom heiligen Paulus erfundene Christentum um einiges besser dran wäre" (240).

Wer mehr über Paulus als vermeintlichen "Erfinder" des Christentums erfahren will, wird von aktuellen Sakralthrillern bestens bedient, die auf der Dan-Brown-Erfolgswelle mitschwimmen wollen. Dan Browns provokative Botschaft in "Sakrileg" (Bergisch Gladbach 2004) lautet: Ein frauenfreundliches Urchristentum wurde von der lebensfremden, machtorientierten Kirche Peters und Pauls verfolgt und unterdrückt. Die wichtigste apostolische Figur dieses Urchristentums war Maria Magdalena, die mit Jesus verheiratet war und mit ihm eine Tochter hatte. Zur Absicherung seiner Thesen beruft sich Brown auf gnostische Evangelien, vor allem auf das Philippus-Evangelium und das "Evangelium der Maria".

Ihnen entnimmt er, dass Jesus Maria Magdalena und nicht Petrus mit der Leitung der Kirche beauftragt habe. Das "Neue Testament", so Brown, verfälscht diese und andere "Wahrheiten". Es wurde "von Männern zusammengestellt und herausgegeben, die eine politische Absicht damit verbunden haben. Zur Untermauerung ihres eigenen Machtanspruchs musste aus dem Menschen Jesus Christus der Sohn Gottes gemacht werden" (323).


Versatzstücke aus dem esoterisch-okkulten Fundus

Dass dies ein Werk des Apostels Paulus ist, suggeriert Kathleen McGowans Thriller "Das Magdalena-Evangelium" (Bergisch Gladbach 2006), in dem Versatzstücke aus dem esoterisch-okkulten Fundus geschickt zusammengewürfelt werden. Das "Evangelium der Maria", auf das sich Brown in "Sakrileg" bezieht, wird hier von der amerikanischen Journalistin Maureen Paschal aufgespürt. Man erfährt, dass Maria Magdalena Witwe Johannes des Täufers war und später getreue Gefährtin Jesu, im Roman Isa genannt. Das Magdalena-Evangelium, das von Paschal ans Tageslicht gebracht wird, legt das stereotype Inventar antipaulinischer Kritik neu auf. Vorgestellt wird das verzerrte Bild des Frauengegners und Leibverächters Paulus. Paulus spricht sich, so Maria, "gegen die Rolle der Frau im Rechten Weg aus" - "Beweis genug dafür, dass dieser Mann weder die Wahrheit von Isas Leben noch das Wesen von Isa selbst erkannt hat" (200). Es folgt der bekannte Vorwurf, Paulus habe die Lehre Jesu nachträglich theologisiert.

Genau das ist das "Gefährliche" an Paulus, wie Maria ihn sieht: Mit Paulus setzt die Verfälschung des Christentums ein, die eine Verfälschung der ursprünglichen Botschaft des historischen Jesus ist (176). Paulus, so heißt es im Magdalena-Evangelium, "verehrt" "eher die Art von Isas Tod (...) als die Worte, die Isa gesprochen hat" (200). Paulus ignoriert das einfache, menschliche Leben Jesu und ist nur an dessen Kreuzigung und der Auferstehung interessiert. Diese Botschaft vom Kreuzestod und der Auferweckung Jesu ist für Maria Ausdruck des Machtwillens von Paulus, der die Lehre von der Erlösung in die Welt setzt, um "seine" Kirche zu gründen - gegen den Willen und die Verkündigungsabsichten Jesu selbst.

McGowans Thriller steht im Gefolge von Nietzsches polemischer Pauluskritik. Paulus ist es, der, so Nietzsche im "Antichrist", Jesus erst wirklich ans Kreuz schlug, indem er ihn als Gottessohn präsentierte, der als Sühneopfer für die Menschen starb. Der Gekreuzigte erscheint damit als symbolische Abwertung und Schuldigsprechung des irdischen Lebens. Für Nietzsche ist diese Deutung "Fluch" auf das Leben. Der "frohe Botschafter", so Nietzsche, "starb wie er lebte, (...) nicht um die Menschen zu erlösen, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat" (Werke in drei Bänden, Band 2, München 1956, 1997). Doch dieser "frohen Botschaft" folgte, "auf dem Fuß die allerschlimmste: die des Paulus" (1204). Er verfälscht mit dem "Logiker-Zynismus eines Rabbiners" die von Jesus verkündigte "Seligkeit" in einen Zustand nach dem Tod (1206). Mit Paulus wird die Theoriekonstitution des "Jenseits" zum Charakteristikum des Christentums. Paulus verlegt nach Nietzsche einfach das Schwergewicht des Lebens "hinter" dieses Leben - in die "Lüge vom 'wiederauferstandenen' Jesus" (1204).

Eine überraschende und provokative Neudeutung dieser vermeintlichen "Lüge" findet sich in Wolfgang Hohlbeins Thriller "Das Paulus-Evangelium" (Köln 2006). Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Kardinal di Milani, ehrgeiziger Papst-Kandidat, schaut in der Computerzentrale des Vatikans gebannt auf einen Bildschirm. Der Kardinal weiß zwar, dass er nur eine Computeranimation zu sehen bekommt, aber diese beruht auf Schriftrollen, die im Jahr 79 nach Christus gefunden wurden und das Evangelium des Paulus enthalten. Was dieses Evangelium enthüllt, würde, so ist der Kardinal überzeugt, die Kirche "in ihren Grundfesten erschüttern": Nicht Jesus, sondern Petrus starb am Kreuz. Damit wäre die Kirche "auf einer Lüge gegründet", einer Inszenierung des Paulus, der Jesus vor dem Kreuzestod bewahrt (628). Für Paulus - so verrät die Computeranimation - ist diese "Lüge" Teil eines perfekten Plans, nach dem Jesus sein Werk unter dem Namen von Petrus "fortführen" soll. Als Jesus ankündigt, allen zu verraten, dass seine Kreuzigung inszeniert wurde, hält ihn Paulus gewaltsam zurück. Er ist bereit, Jesu Tod in Kauf zu nehmen, damit "(dessen) Botschaft überlebt" (466,471).

Nachdem zwei PC-Spezialisten die Computeranimation heimlich heruntergeladen haben, führen sie diese einem Priester vor, der kritisch anmerkt: "Dieses Filmchen (...) ist in Wirklichkeit ein krauses Durcheinander von Bibelstellen, Halbwahrheiten und Spekulationen" (74). Dass man genau mit dieser Mischung, die im Übrigen gezielt Ressentiments gegenüber Kirche und Glaube bedient, bei einem Massenpublikum Erfolg haben kann, belegt die Sakralthrillerwelle eindeutig. Mit gängigen, unterhaltsam verpackten Klischees - Paulus als Frauenhasser, Leibverächter und Bösewicht - lässt es sich eben leichter auf Leserfang gehen als mit "trockenen" wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Die theologische Wissenschaft scheint (nicht nur) in Sachen Paulus unter sich zu bleiben, ihre Erkenntnisse erreichen nicht den durchschnittlichen Leser und schon gar nicht den Nichttheologen oder Nichtchristen. Dieses Vermittlungsproblem ist aber auch ein Verkündigungsproblem. Man muss heute davon ausgehen, dass theologisches Wissen selbst in christlichen Gemeinden nicht mehr "ankommt" und im Glaubensleben kaum eine Rolle spielt (vgl. HK, September 2008, 465ff.).

In Zeiten, in denen der Abbruch christlichen Glaubenswissens fortschreitet, sollte nicht zuletzt an dem "Übersetzungsproblem" theologischer Wissenschaft gearbeitet werden. Der rheinische Pfarrer und Paulus-Exeget Gerhard Jankowski leistet an dieser Stelle mit seinem Roman "Brandstifter. Auf den Spuren des Paulus in Rom" (Berlin 2004) einen wichtigen Beitrag. Er versucht, Erkenntnisse seiner Paulusforschungen einem breiten, theologisch nicht geschulten Publikum spannend und unterhaltsam nahe zu bringen. Aus der Ich-Erzähler-Perspektive eines römischen Verwaltungsbeamten zur Zeit Neros erfährt der Leser anschaulich, was es mit dem "Fall" eines gewissen Agrippa Saulus Paulus auf sich hat.

Der Fall ist brisant, denn Paulus erscheint in mehrfacher Hinsicht als ein "Brandstifter". Nach der Brandkatastrophe in Rom werden die "Christiani", die sich zu einem auferstandenen Messias bekennen, als Brandstifter beschuldigt. Dass sich der römische Bürger Paulus als "Sklave des Christos" bezeichnet, birgt aber, so erkennt der Verwaltungsbeamte, noch ganz anderen Zündstoff (8). Die Christiani und mit ihnen ihr "Agitator" Paulus sind aus Sicht des Beamten revolutionär und extrem gefährlich für die bestehende Ordnung. "Die Sekte der Christiani", so befürchtet der Beamte "strebt eine andere Ordnung als die unsere an", eine "neue Welt", "in der jeder Mensch frei sein wird und niemand mehr Sklave" (126, 85).

Als der Beamte an einer Mahlfeier der Christiani teilnimmt, erkennt er die Sprengkraft dieser Verheißungen. Der Beamte spürt, dass das Herrenmahl keine Veranstaltung ist, auf der man lediglich ein Stück Brot verzehrt, es ist vielmehr eine Feier des Auferstandenen, in der erfahrbar wird, wie die Schöpfung einmal sein wird. Es kommt zu einer grundlegenden Verwandlung, der Mensch erhält Anteil an der "erhofften neuen Welt", in der die Trennung zwischen Jude und Nichtjude, Sklave und Herr, Mann und Frau aufgehoben ist. "Wir sind während des Mahls wie ein einziger Leib", verkündet Paulus, "so verkörpern wir die geeinte Menschheit" (86).

Für den römischen Beamten ist dieser Befreiungs- und Einigungsakt eine gefährliche "Schwärmerei", die die bestehende "Ordnung von unten zersetzen" kann (88). Er kann sich Freiheit nur als gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verhältnisse vorstellen. Für Paulus dagegen ist Freiheit Ausdruck eines Befreiungsgeschehens, einer Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes. In ihr wird dem Menschen eine neue Identität geschenkt, die mehr bedeutet als die Freiheit des Einzelnen, sie überwindet zugleich alle ethnischen und sozialen Unterschiede.


Zwischen Jesus und Paulus

Dass man das paulinische Freiheitsverständnis auch Jugendlichen, die heute vielfach ganz ohne Glaubenswissen sind, anschaulich näherbringen kann, zeigt Josef Carl Grunds Kinder- und Jugendbuch "Das Licht von Damaskus" (Bindlach 1990). Grund erzählt, wie Paulus das Leben einfacher Leute beeinflusst, die ihn nach seiner Wende vom Christenverfolger zum Christusanhänger kennenlernen. Der geblendete Paulus findet Unterschlupf bei Juda, einem führenden Mitglied der Nazarenergemeinde von Damaskus. Judas Sohn Laban wird Zeuge, wie "wenige Monate nach dem Sturz vor Damaskus (...) das kaum Glaubliche (geschieht )": "Rabbi Saul, der gekommen war, um die Anhänger des Gekreuzigten zu bekehren oder zu bestrafen", tritt in der Synagoge als Diener Jesu Christi auf. Er spricht "für den gekreuzigten Nazarener, (...) für Christus, den Erlöser" (29). Laban bewundert den Mut des bekehrten Paulus und begleitet ihn nach Arabien. Doch Paulus geht es nicht um Beweise von Mut und Kampfeswillen, er predigt den Frieden und spricht von einer Freiheit, die alle Menschen, Juden und Heiden, an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus teilhaben lässt.

Laban ist von dieser Botschaft nicht überzeugt. Nach dem Mord an seinem Vater wird er römischer Legionär, der nur Rache im Sinn hat. Nach Jahren der Verfolgung begegnet Laban Paulus auf jenem Schiff, das den in Gefangenschaft geratenen Apostel nach Rom bringen soll. Paulus spricht vom "Reich des Messias, in dem Kriegswaffen nicht gebraucht würden. In diesem Reich, das ewig bestehe, gebe es nur Liebe und Verständnis: Liebe zu Gott und dem Nächsten, Verständnis und Vergebung allen, die begangenes Unrecht bereuten" (151).


Wider die Erbaulichkeit christlicher Literatur

Grunds Paulus erzählt nur wenig von der Historie Jesu. Paulus tritt nicht als Jünger des historischen Jesus auf, er sieht sich als ein Berufener, der vom Auferstandenen selbst den Auftrag erhalten hat, zu verkünden, dass die Zeit des Heils schon jetzt für alle begonnen hat. Dazu fügt sich ein bemerkenswerter exegetischer Sachverhalt, dem Grund in seinem Paulusbuch Rechnung trägt: Der historische Jesus scheint im paulinischen Schrifttum nicht bedeutsam zu sein.

Man erfährt bei Paulus wenig von dem "Was" und "Wie" des Lebens und der Lehre Jesu. An die Stelle der konkreten Geschichte der historischen Persönlichkeit Jesu tritt bei Paulus die durch Gott in Jesus Christus vollzogene Geschichte, die Christus als Heilsbringer und Erlöser ausweist. Angesichts dieses Befunds hat Albert Schweitzers Fazit Bestand: "Im Behaupten wie im Verschweigen (des historischen Jesus)" ist Paulus "gleich rätselhaft. (...) Das Problem 'Jesus und Paulus' ist noch nicht geklärt" (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 9. Aufl., Tübingen 1984, 542).

Die Paulusexegeten zu Schweitzers Zeit liefern hierzu Lösungsversuche, die entweder wie Kurt Delbrück (Paulus unser Vorbild, Leipzig 1908) die Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem von Paulus verkündeten Christus betonen, oder wie William Wrede die "ungeheure Kluft" zwischen der geschichtlich-menschlichen Persönlichkeit Jesu und dem "Gottessohn des Paulus" herausstellen (Paulus, Halle 1904, 84).

Wredes Ansatz kehrt bis heute in theologischen Paulusstudien wieder - siehe etwa Gerd Lüdemanns Studie "Paulus, der Gründer des Christentums" (Lüneburg 2001) - und hat auch deutliche literarische Spuren hinterlassen. So erscheint Paulus in Gerald Messadiés historischem Roman "Ein Mann namens Saulus" (3. Aufl., München 1994) als der eigentliche "Verderber" des Glaubens Jesu. Im Einklang mit Nietzsches antipaulinischer Polemik gilt der Apostel bei Messadié als der Schöpfer des Christentums, der in einem verhängnisvollen Pervertierungsprozess "im christlichen Glauben eine menschenverachtende Haltung verankerte", indem er die Frohbotschaft Jesu in eine Erlösungslehre verwandelte, die sich an die Idee des auferstandenen Christus klammert und "aus dem Kreuz, dem Todeswerkzeug, das Symbol der Erneuerung macht" (463).

Dass Paulus leugnet, "Jesus leibhaftig begegnet zu sein" und sich weigert, öffentlich einzugestehen, "dass Jesus noch lange nach der Kreuzigung lebte, und folglich, dass er nur ein Mensch war", darin sieht Messadié einen weiteren "menschenverachtenden" Zug in der Dogmatisierung des Lebens Jesu durch Paulus (471, 463). Dazu fügt sich in Messadiés Roman das Psychogramm der Damaskusvision, die ganz im Zusammenhang der "Auferstehungslegende" steht. Messadié demontiert den Offenbarungscharakter des Damaskuserlebnisses und beschreibt die vermeintliche Erscheinung des Auferstandenen als epileptischen Anfall.

Die hier zu Tage tretende Animosität gegen Paulus und das kirchlich-paulinische Christentum geht einher mit dem von Messadié gezeichneten Charakterbild des Apostels. Dem "gelassenen", "menschlichen" Jesus, der die "Krone Israels abgelehnt hat", steht der "ehrgeizige Fanatiker" Paulus gegenüber, der "das Christentum entbindet und die Nabelschnur durchtrennt, die es mit dem Judentum verbindet" (476, 477). Der von "inneren Qualen" vorangetriebene Apostel tritt bei Messadié als ein "Verteidiger von Recht und Ordnung" auf, der durch Arroganz, Ressentiment und nicht zuletzt durch einen ausgeprägten "Willen zur Macht" bestimmt ist (481,475, 480).

Vergleichbare Charakterbilder finden sich in vielen theologischen Paulusbüchern, die mit literarischen Mitteln das innere Profil des Apostels aufschlüsseln wollen. So präsentiert Bernhard Zürner in seiner charakterologischen Studie "Paulus ohne Gott" (Bonn 1996) den Apostel als "streitbaren Geist voller Einmischungslust, Eigensinnigkeit und Rechthaberei" (632). Sein Leben, so Zürner, "war für ihn ein Spannungsfeld, auf das er selber immer wieder neue Konfliktstoffe häufte. Sein Ichgefühl vergrößerte er, je weiter er den Rahmen seines polemischen Wirkens spannte. (...) So lag er im Streit mit der ganzen Welt" (632).

Ganz ähnlich ist das Charakterbild angelegt, das Gerd Lüdemann in seinem Paulusbuch anfertigt. Auch Lüdemann präsentiert einen "Zuchtmeister" Paulus, der seine christlichen Konvertiten zwar von zahlreichen rituellen Geboten befreit, diese jedoch durch Glaubenssätze ersetzt, die eine noch größere Unfreiheit mit sich bringen. Wie Messadié geht Lüdemann von der "Auferstehungslegende" aus und arbeitet in seinem Charakterbild des Apostels entsprechend heraus, dass die religiös begründeten Aussagen des Paulus über Gott und seinen Heilsplan in Jesus Christus "ins Museum gehören" (221).

Dass ein Mensch wie Paulus aus einer tiefen Beziehung zu Christus heraus handeln und die Begegnung mit Christus ein ganzes Leben tragen kann, ist in einer zunehmend entchristlichten Welt ein ferner Gedanke geworden. Für die devotionalen Paulusbilder der christlichen Bekenntnisliteratur, die in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte, scheint sich heute kein Lesepublikum mehr zu finden. Unterhaltsam verpackte Paulusbilder wider die Erbaulichkeit christlicher Literatur sind heute geradezu das Stilprinzip moderner Paulusromane.

Während der christliche Schriftsteller Curt Hohoff in seinem Roman "Paulus in Babylon" (Freiburg 1956) den Apostel im Spiegel von historischen Zeugnissen als überzeugten Verkünder der "Botschaft von der Gnade Gottes" beschreibt (43), wird Paulus in Dieter Hildebrandts Roman "Saulus - Paulus. Ein Doppelleben" (München 1989) zum zwielichtigen "Urheber (der) Judenfeindlichkeit", zu einem "Diktator" und Epigonen, der Jesu ursprüngliche Lehre zu einer Ideologie pervertiert (17, 28). Und während der polnische Schriftsteller Jan Dobraczynski in seinem Paulusroman "Das heilige Schwert" (Heidelberg 1956) den Apostel als "Diener Jesu Christi" vorstellt, der einer entgötterten und doch zugleich sehnsüchtig dem Göttlichen entgegenschauenden Welt den Messias am Kreuz verkündet (111), wird Paulus in Susanne Krahes biographischem Roman "Das riskierte Ich. Paulus aus Tarsus" (München 1991) zu einem "raffinierten Taktiker", der "geistliche Ideengebäude errichtete" (126, 172).


Im Bannkreis des Paulus

Krahe und Hildebrandt wollen mit ihren Paulusbildern bewusst den Raum einer rein binnenkirchlichen Paulusrezeption verlassen. So polemisiert Hildebrandt gegen "eine die Hände faltende Frömmigkeit", die Paulus "erbaulich" verharmlose (428). Krahe wiederum lässt ihre Paulusgestalt gegen "Berufstheologen" und "bibelfeste" "Gottesfürchtige" auftreten, die die Kreuzesbotschaft mit der Signatur "klerikaler Erhabenheit" versehen (153, 162, 257). Krahe will Paulus so gegen eine als "großkirchlich" titulierte Religiosität profilieren und ihn von Verwissenschaftlichung sowie theologischen Vereinnahmungen befreien (257).

Diesem kirchenkritischen Ansatz stehen apologetisch angelegte christliche Paulusromane gegenüber, die den Mann aus Tarsus vor seinem zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund als Vorbild und inspirierende Kraft für einen lebensdienlichen Glauben vorstellen. Nachdem Paulus in Hildegard Hories Roman "Paulus. Apostel nach Gottes Willen" (Stuttgart 1996) von Petrus alles über seine Jahre mit Jesus erfahren hat - "vom ersten Tag (der) Berufung bis zu dem Tag, als Petrus dem Auferstandenen begegnet" - liegt ihm "nichts mehr daran, über theologische Aussagen zu diskutieren". Paulus spürt: "Hier ging es um mehr. Hier war es das Leben selbst, das ihn berührte. Danach hungerte ihn. Nicht nach Theologie und menschlicher Weisheit, sondern nach (dem) Wort des Ewigen, das am Anfang war" (60, 61).

Wie Horie betont auch der von Hermann-Josef Venetz und Sabine Bieberstein vorgelegte, im Zeichen der narrativen Exegese stehende Roman "Im Bannkreis des Paulus" (Würzburg 1995) die Kontinuität zwischen der Theologie des Paulus und dem historischen Jesus. Die Heilsbotschaft des Paulus knüpft an die irdische Messiaspersönlichkeit und das menschliche Leben Jesu an. Paulus besitzt authentisches Wissen von dem irdischen Wirken und der Verkündigung Jesu. Aus der Perspektive von zwei fiktiven Figuren, Hannah und Rufus, die aus den Gemeinden des Paulus berichten, wird jedoch deutlich, dass es Paulus nicht einfach darum geht, diese geschichtliche Persönlichkeit Jesu in Wort und Tat zu erinnern; er verkündet vielmehr die Botschaft vom Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu.

Diese Botschaft hat eine lebensumstürzende Kraft. Sie bedeutet, dass nicht das Gesetz, sondern Jesus Christus zum einzig Bestimmenden eines Lebens wird, das von der Enderwartung geprägt ist. "Das bedeutet aber auch," so erfahren Hannah und Rufus aus den paulinischen Gemeinden, "dass Gott in Jesus "schon jetzt daran ist, seine Verheißungen einzulösen. Dass der Messias Jesus jetzt schon im Kommen ist (und) wir auf ihn hin leben können" (30).

Der Verkünder dieser Botschaft ist kein selbstgewisser Theologe, kein Heiliger, sondern eine widersprüchliche Gestalt: fürsorglich, väterlich im Umgang mit seinen Gemeinden, aber auch "aggressiv-missionarisch", versöhnlich, "mäßigend", aber auch zugleich fanatisch-spaltend, ja "ausfällig" gegen seine Gegner - ein Mann, der sich nicht mit "Halbwahrheiten oder Kompromissen" zufrieden gibt, in Konflikt gerät mit den Männern der Urgemeinde in Jerusalem und die Auseinandersetzung zwischen Juden- und Heidenchristen verschärft (24, 47, 49). Dazu fügt sich das Paulus-Portrait, das Alois Prinz in seiner romanhaften Biographie "Der erste Christ. Die Lebensgeschichte des Apostels Paulus" (Weinheim 2007) zeichnet. Danach erscheint Paulus als ein zwiespältiger Mensch, geduldig-nachsichtig, dann wieder ungeduldig-aufbrausend - und bei alledem ständig schwankend zwischen tiefstem Gottvertrauen und äußerstem Zweifel.

Ganz ähnlich präsentiert Walter Wangerin in seinem Roman "Der Apostel Paulus. Ein Leben" (2. Aufl., München 2003) einen Menschen, der einerseits "kühn" und "selbstbewusst" auftritt, andererseits aber von Gotteszweifeln und der Erfahrung der Gottesferne innerlich zerrissen ist (209). Aus der Perspektive von Zeitzeugen und Weggefährten des Paulus erlebt der Leser, wie Paulus eine Entwicklung durchmacht - vom "leidenschaftlichen", "übermütigen" Eiferer zum "demütigen", innerlich gelassenen Prediger und Missionar (184, 423, 388). Auch die Theologie des Apostels, seine Botschaft von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben, durchläuft Entwicklungsstufen - von einer radikal-negativen Sicht des Gesetzes als "Fluch" zu einer positiven Wertschätzung (224).

Literatur kann hier der wissenschaftlichen Perspektive des Theologen und des Historikers etwas zuführen, was für diese im Dunkeln liegt: das biographische Profil des Paulus, seine innere Entwicklung, die nicht zuletzt die Frage beinhaltet, was vor Damaskus in dem Menschen Paulus vorgegangen ist. Die literarische Annäherung an die Paulusgestalt befriedigt so zugleich das heutige Bedürfnis, mehr über die Person hinter einer Sache zu erfahren. Sie übersetzt Theologie in Erzählungen und erleichtert damit den Zugang zur Botschaft des Paulus, einer Botschaft, die aber letztlich alle Formen der Erzählung und Literarisierung sprengt.


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Elisabeth Hurth (geb. 1961) hat Amerikanistik, Germanistik und katholische Theologie in Mainz und Boston studiert. PH.D. 1988 in American Studies in Boston, Promotion 1992 in Mainz in Germanistik. Sie ist Dozentin, Lerntherapeutin und Publizistin in Wiesbaden. Neueste Veröffentlichung: Religion im Trend oder Inszenierung für die Quote?, Patmos Verlag, Düsseldorf 2008.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2008, S. 522-527
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2008