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BERICHT/265: Christliche Spiritualität zwischen Wissen und Erfahrung (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 10/2008

Dialogoffenheit und Verwurzelung
Christliche Spiritualität zwischen Wissen und Erfahrung

Von Christian Rutishauser


Christliche Spiritualität lässt sich nur neu begründen, wenn sie solides Wissen um die eigene Tradition mit der gelebten Offenheit für andere Quellen verbindet. Es braucht das Miteinander von Mystik und Reflexion, von Verwurzelung im eigenen Glauben und interreligiösem Dialog.


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Bäume wachsen in den Himmel, weil sie tiefreichende Wurzeln haben. Die Krone breitet sich aus in den Raum, weil ein starker Stamm sie trägt. Ebenso braucht der Christ für den Dialog mit anderen Religionen und mit der Welt ein tragfähiges Fundament, damit er, gegründet in der eigenen Tradition, sich öffnen kann für die Begegnung.

Doch wie steht es um den Christenmenschen und seine Dialogfähigkeit in unserer von Säkularisierung und Pluralisierung geprägten Zeit? Auf dem Weg der Kirche in die Moderne nach dem Konzil ist viel selbstverständliche Volksfrömmigkeit verloren gegangen. Man ist nicht mehr unhinterfragt katholisch, evangelisch auch nicht. Die Säkularisierung, Hauptziel der aufgeklärten Weltordnung, zeitigt Wirkung. Mehr und mehr geht das Wissen um die kirchlichen Traditionen verloren.

Lehrer beklagen in den Schulen Unkenntnis und Desinteresse ihrer Schüler. Dass man Heiligen- und Marienfeste nicht zuordnen und mit Inhalt verbinden kann, mag noch nachvollziehbar sein, aber auch Ostern und Weihnachten bleiben nicht verschont von der Frage: Was machen wir da eigentlich? Auch in meiner Arbeit im Lassalle-Haus, dem Zentrum für Dialog, Spiritualität und Verantwortung der Schweizer Jesuiten, begegne ich großem Interesse für andere Religionen, gepaart mit einer frappierenden Unkenntnis der eigenen christlichen Überlieferung. Wenn schon religiös, dann interreligiös, scheint die Devise.

Die pluralistische Religionsphilosophie besagt, dass die Religionen durch die Kulturen geformte, unterschiedliche Wege, Sprachspiele und Zeichensysteme sind. Einerseits antworten diese Religionssysteme auf die menschliche Sehnsucht nach letztem Sinn, auf Fragen nach Glück und Leid, nach dem Woher und Wohin des Lebens. Anderseits proklamiert man den gemeinsamen Grund aller Religionen im Transzendenzbezug. Der Mensch als transzendenzoffenes Wesen sei unheilbar religiös, und in den Religionen erhalte er Zugang zu dieser letzten Wirklichkeit, da sie doch gleichwertige kulturelle Verobjektivierungen dieser einen Grunderfahrung seien.

Diese Vorstellung der Religionsvielfalt ist in der gesamten säkularisierten westlichen Gesellschaft sehr populär geworden. Sie passt gut zu einer globalisierten Welt, in der Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenleben müssen. Sie lässt jeder Religion ihren Platz und befreit sie von missionarischen Tendenzen, die stets zu Spannungen geführt haben. Schließlich ermöglicht sie dem einzelnen Gläubigen, welcher Religion auch immer, die individuelle Ausübung des eigenen Transzendenzbezugs. Dieses Modell der Religionen hat zwar einiges für sich, doch vielleicht fügt es sich allzu nahtlos ein in die postmoderne Buntheit. Macht es nicht Religion zu Folklore ohne Erkenntnisanspruch und prophetische Kraft? Lässt es nicht die politischen und wirtschaftlichen Mächte ungestört die Welt regieren? Wird Spiritualität nicht zum individuellen Wohlfühlerlebnis degradiert und vom Markt ökonomisch ausgenutzt?

Zwischen Ablehnung des Institutionellen und der vielbeschworenen Rückkehr des Religiösen ist zu fragen: Was braucht diese Welt wirklich? Was braucht die Kirche? Woraus wächst das Reich Gottes? Geschichtlich gesehen speiste sich Erneuerung vornehmlich aus zwei Quellen: der mystisch-spirituellen und der prophetischen. Die erste entspringt einer persönlichen Erschütterung, die zweite der sozialpolitischen Infragestellung der Verhältnisse. Die mystische Quelle gründet auf einer inneren Ergriffenheit, die prophetische hat eine äußere Botschaft. Mystik tritt stets als Katalysator der Revitalisierung und Umgestaltung einer zu komplex gewordenen und erstarrten Religion auf. Der Wunsch nach Innerlichkeit, sofern er eine ganze Bevölkerungsschicht erfasst, ist dabei immer auch ein gesellschaftliches Krisenphänomen. Es fehlt etwas Grundsätzliches, das in dieser Welt nicht zu finden ist. Darum stößt man zu den Grenzen der fassbaren Wirklichkeit vor und sucht sie zu übersteigen.

Zu hoffen bleibt, dass die Rückkehr des Religiösen in der Spiritualität nicht zur Regression in eine voraufgeklärte, magische Religionsform wird. Paul Ricceur sprach von einer zweiten Naivität, in die hinein ein kritischer Geist, der die kindliche erste Naivität gesprengt hat, schließlich führen soll. Dies gelingt aber nur, wenn Meditation und Kontemplation nicht mit dem Rückzug ins ozeanische Urgefühl verwechselt werden und die Mystik nicht als Gegenpart zu religiösen Dogmen, sondern in dialektischem Zusammenspiel mit ihnen gesehen wird.

Doch die Mystik ist nicht die einzige Quelle, aus der das Absolute in großer Unmittelbarkeit in die Wirklichkeit einbricht. Eine zweite, verwandte Transzendenzerfahrung ist in der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition konstituierend geworden: die Prophetie. Sie ist getragen vom Anruf Gottes, vom göttlichen Auftrag: Rede, Menschensohn! Der betroffene Mensch wird aus sich heraus getrieben. Von letzter Wahrheit getroffen, geht er auf die andern Menschen zu, um sich gleichsam mit ihnen zusammen in die Pflicht des Absoluten zu stellen. Dabei ist prophetische Rede sehr oft kritische Rede. Staat, Gesellschaft, Kirche - alle sind aufgefordert, nach den Geboten Gottes Gerechtigkeit zu üben.

Der Prophet fordert sie ein. Nur selten trifft er, wie der Prophet Jona in Ninive, auf offene Ohren. Meist hat er Verleumdung und Spott zu ertragen, so dass Anfeindung gerade zum Kennzeichen echter Gottesbeziehung wird. Darin muss sich die Freundschaft mit Gott bewähren - von beiden Seiten her. Wo Mystik sich mehr in innerer Hingabe ausdrückt, ringt der Prophet mit seiner Bezogenheit auf Gott. Doch vielfältig sind die Zugänge zum Absoluten und selten scharf voneinander zu trennen. Gleich ist beiden Bewegungen der Kristallisationspunkt der Gotteserfahrung: der Mensch.


Es braucht vor allem authentische Menschen

Damit ist ein entscheidender Punkt erreicht. Nicht nur die Kirche, auch die Welt braucht jenseits aller Theorien und Deutungsmuster vor allem eines: authentische Menschen, die glaubwürdig Zeugnis ablegen können. Menschen, die man anfassen kann - wie einen Baum. Er ist leibhaftig begreifbar. Es gibt Kraft, sich an seinen Stamm zu lehnen.

Wer in seine Äste klettert, hat einen weiten Ausblick. Und es erfüllt den Menschen mit stiller Freude, unter dem Baum liegend durch das tausendfach grüne Blattwerk in die Sonne zu schauen. So muss auch Religion, muss Christentum erfahrbar werden - in Menschen, die mit uns lachen und Geschichten erzählen, die weinen können und Trost spenden, die uns die Hand reichen nach dem Streit und Ideen haben, die uns beflügeln.

Dank solchen Zeugen der Gegenwart Gottes wächst die Kirche. Kirche, Ekklesia, meint vom Wortursprung her die Gemeinschaft der Herausgerufenen. Der Begriff kommt aus dem politischen Sprachgebrauch und bezeichnet eine Versammlung stimmberechtigter Bürger, die durch einen Boten zu einer Versammlung gerufen wurden.

Christen sind herausgerufen, um sich durch den Geist Jesu neu formen zu lassen. Als Herausgerufene und durch die Beziehung mit Gott Geformte, sind sie in die Welt gesandt. Nicht als Besserwisser, sondern zum Dienst an den Menschen und zur Verantwortung für die Welt sind sie bestellt. Jede Generation braucht neu Mutige, die das Evangelium in ihr eigenes Leben übersetzen. Daraus muss keine Massenbewegung werden. Diese Aufforderung verstehe ich durchaus als eine, die aus der Menge herausruft. Es genügen ein paar Senfkörner, die aufgehen in guter Erde, und es gibt Schatten und Nistplatz für Viele.

Was macht ihn aus, den gläubigen Menschen, der richtungweisend die Welt gestalten kann? Lebendige Spiritualität äußert sich in einem Verwobensein von innerer Erfahrung, Wissen um die christliche Tradition und situationsgerechtem Sprechen und Handeln. Sie kann einstehen für den eigenen Glauben und für die Tradition, die ihn trägt. Sie kann hinausgehen zu den Anderen, Sprache und Begegnung möglich machen.

Dies ist nicht einfach gottgegeben, keine exklusive Begnadung, sondern kann und muss erlernt werden. Es braucht den Mut zur Hingabe, den Eifer für das Wissen und die Freiheit für die Tat. Das mag ein Grund sein, warum wir unser Bildungshaus "Zentrum für Spiritualität, Dialog und Verantwortung" genannt haben. Auch in unseren Kursangeboten verflechten sich diese Aspekte und dürfen, ja können nicht ohne einander sein.

Wenn Karl Rahner recht hat mit seinem vielbemühten Zitat, der Christ des 21. Jahrhunderts werde Mystiker sein oder überhaupt nicht mehr sein, so beginnt alles mit der eigenen spirituellen Erfahrung. Das Lassalle-Haus blickt auf eine lange Tradition geistlicher Wegleitung zurück: Begründet klassisch in den Exerzitien der Jesuiten, bereichert um die uralte Weisheit des Zen aus der buddhistischen Tradition und zuletzt erweitert um die wiederentdeckten Formen der Kontemplation und des Herzensgebets. Die geistlichen Schriften aller Richtungen erzählen durch die Jahrhunderte von Menschen, die sich ganz auf Gott eingelassen haben und ihr Lehen aus dem Glauben heraus neu gestalten.

Alle Rede von Gott bleibt blutleer, wenn sie nicht durchdrungen ist von wirklicher Beziehung zu ihm. Die spirituelle Praxis, sei es nun östliche Meditation, katholisches Stundengebet oder ignatianische Entscheidungsfindung, erschließt die innere Quelle, die Kraft gibt zu einer existenziellen Neuausrichtung. Doch persönliche innere Vertiefung ist nicht alles - sie erfordert auch Reflexion und drängt nach Versprachlichung. Der Mystiker will sich mitteilen. Auch die Mystik drängt letztlich nach außen. Natürlich ist zu unterscheiden zwischen dem, was innerlich berührt und dem, was der Verstand begreift. Die Thematisierung kann die Fülle der Erfahrung nicht fassen. Die Erfahrung aber verlangt nach Thematisierung. Innerlichkeit, die sich nicht äußert, erstickt.

Der Graben zwischen Theologie und Mystik ist von jeher groß, doch es ist erforderlich, ihn zu überwinden. Der Wissenschaftler misstraut dem, der seinen Glauben aus der Erfahrung begründet, und der Betende misstraut dem, der alles mit ausgefeilten Gedanken definieren will. Denn wie die Erfahrung reflektiert werden muss, um vermittelt werden zu können, bedarf das Dogma der Lebendigkeit des Glaubens, um leibhaft wahr zu werden. Mit leisem Erstaunen stelle ich fest, dass es doch auch wieder eine zarte Nachfrage nach der guten alten katholischen Theologie gibt.

Es sind nicht viele, aber immer wieder begegnen mir junge Menschen, die ganz ohne die lange üblichen Vorbehalte nach Kirche fragen und wissen wollen, nicht nur erfahren. Aber auch jene, die sich in den unterschiedlichsten Methoden der Versenkung über die Jahre müde gesucht haben, entdecken plötzlich ihre abendländisch-christlichen Wurzeln und kehren mit einer großen Offenheit und einer nicht zu unterschätzenden Erfahrung auf dem inneren Weg zu ihnen zurück. Diese Menschen fordern das Engagement heraus. Ihnen genügt nicht ein kurzes Einführungswochenende, ein punktuell vertiefendes Seminar, sie müssen umfassender gebildet werden. So hat das Lassalle-Haus zwei Langzeitlehrgänge über zwei beziehungsweise drei Jahre konzipiert - zu Geschichte, Quellen und heutiger Praxis von christlicher Spiritualität einerseits und zur interreligiösen Theologie andererseits.

Die christliche Mystik ist zu einem breiten Forschungsfeld theologischer Studien geworden. Anders noch als in der Neuscholastik, die sich schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts umfassend mit dem Phänomen beschäftigt hatte, wird heute weitaus historischer und kontextueller gearbeitet. Diese Forschung ist nicht nur Binnenwissenschaft der systeminhärenten Selbstbestätigung, sondern hält auch den Fragen anderer Disziplinen stand, lässt sich einordnen beispielsweise in Soziologie, Philosophie und Psychologie.

Doch diese Forschung steckt noch zu sehr in den Köpfen an den Universitäten. Zu den meditierenden und übenden Menschen an der Basis, die sich mit der Frage der mystischen Erfahrung am eigenen Leib auseinandersetzen, ist sie noch nicht vorgedrungen. Dabei könnte beides einander befruchten. Positiv bleibt zu vermerken, dass die Bereitschaft auf beiden Seiten groß ist. Die zwölf Wissenschaftler, die für die Lehrgangsmodule angefragt wurden, waren alle sehr angetan von dieser Initiative und haben ausnahmslos zugesagt. Und auch die Anfragen für die Teilnahme am Lehrgang christliche Spiritualität sind zahlreich.

Für dessen Aufbau sind wir bei den Baumpflegern und Förstern in die Lehre gegangen. Sie wissen um vielfältige Konzepte zur Waldpflege - wir haben qualifizierte Referenten gebeten, die verschiedenen Schulen der Mystik vorzustellen, Wege der Askese, der Compassion, der Charismatik, des Widerstands, wie sie im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind und gelehrt wurden. Die Baumpfleger kennen die Geschichte des Waldes wie auch der einzelnen Bäume - wir lassen die Teilnehmenden ausgewählte Mystikerinnen und Mystiker lesen, Origines und den "Praktikos" von Evagrius Pontikus, Teresa von Avila und Luthers "Freiheit eines Christenmenschen", den Politiker Dag Hammarskjöld und die Denkerin Simone Weil.

Der Baumpfleger fördert gezielt das Wachstum seiner Schützlinge durch Beschneiden, Düngen und Veredeln - wir leiten an zur spirituellen Übung und führen ein in die lectio divina, ins Jesusgebet, in die spirituelle Traumdeutung, die geistliche Unterscheidung. So möchte der Lehrgang dazu beitragen, dass die vielfältigen, akademisch erschlossenen Quellen auch zu Quellen persönlicher Spiritualität werden.


Interreligiösen Dialog lernt man aus Erfahrungen

Ein zentraler Diskussionspunkt in der neueren katholischen Theologie der Mystik ist nach Bernhard McGinn das Verhältnis von christlicher und nicht-christlicher Mystik. Was sagt uns die offensichtliche Ähnlichkeit zwischen den Mystikern der verschiedenen Religionen? Löst sich wirklich alles auf in der einen großen Erfahrung am Ende? Integrieren nicht die religiösen Wege die geistliche Tiefenerfahrung, die Verbundenheit schafft, ganz unterschiedlich in ihren Weltbezug?

Für den Lehrgang "Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess" wurde dezidiert letztere Sichtweise gewählt. Die Teilnehmenden sollen als Christin und Christ von ihrem Standpunkt aus Argumente für die Beurteilung und den Umgang mit Spiritualität und Mystik sowie mit Elementen aus anderen Religionen erhalten. Dieser theologische Standpunkt ist nicht weniger wissenschaftlich oder weniger neutral als jener der Religionswissenschaft, denn beide bauen nicht auf einer geschichtslosen Vernunft auf, sondern gehen von Axiomen aus, die weiter nicht hinterfragt werden. Der theologische Blickwinkel ist formal einer, der aus einer Religion herausgewachsen ist, während der religionswissenschaftliche philosophisch von außen an die Religionen herangetragen wird.

Den interreligiösen Dialog lernt man vor allem durch Erfahrung, also in der Begegnung mit Menschen. Damit Begegnung zwischen den Religionen aber wirklich gelingen kann, braucht es Vorbereitung. Diese versucht der Lehrgang zu vermitteln. Die Teilnehmenden bekommen eine fundierte Einführung in die christliche Spiritualität, Grundlagen der Religionssoziologie und -philosophie, sowie eine psychologische Schulung im Umgang mit dem Anderen. Dann erst geht es um die spirituell-theologischen Impulse von Judentum, Buddhismus, Islam und Hinduismus. Der Lehrgang ermöglicht sowohl den Erwerb von Wissen über die Religionen als auch die Einübung einer dialogischen Haltung.

Ein guter Dialogpartner kann offen zuhören, durchdacht nachfragen und andere Ansichten respektvoll gelten lassen. Deshalb ist es auch wesentlich, einen eigenen geistlichen Weg zu gehen. Spirituelle Erfahrung ermöglicht tieferes Verstehen und wirkt langfristig. Wer übt, lässt sich existenziell betreffen, von seinem Gott und von der Gotteserfahrung anderer Traditionen. So ist ein nachhaltiges Kennenlernen und Ehrfurcht vor der Andersartigkeit des Gegenübers möglich. Der Lehrgang umfasst deshalb nicht nur Referate qualifizierter Theologen und Wissenschafter, sondern beinhaltet auch eine Woche Zen-Meditation in der buddhistischen Tradition und eine Einheit zum Herzensgebet im Kloster Niederaltaich, die sich eingehend der ostkirchlichen Spiritualität widmet.

Das Ziel all unserer Bemühungen jedoch können wir letztlich nicht lehren. Es muss sich im Alltag selbst bewähren. Qualifizierte Spiritualität mündet aus Erfahrung und Wissen in konkretes Handeln. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, heißt es im Evangelium. Doch diese Früchte lassen sich nicht vorgeben, bestimmen oder planen, sie wachsen in aller Freiheit. Was sich einzig vermitteln lässt, ist das Werkzeug zur richtigen Entscheidung: Verwobensein in die Erfahrung Gottes, eine lebendige Sprache für den Ausdruck dieses Erlebens, und daraus erwachsend Mut und Kreativität, in der richtigen Situation das Richtige zu tun.

Je mehr Menschen sich auf diese Schule einlassen und dieses Handwerk erlernen wollen, desto mehr gesunde, kräftige Bäume für die Kirche Gottes wird es geben. Aus Bäumen wächst ein Wald und aus dem Wald ein ganzer Lebensraum auch für die noch jungen, kleinen Bäume und die alten, beinah abgestorbenen. Büsche, Kräuter, wildlebende Tiere, giftige und genießbare Pilze, zarteste Mikroorganismen, alles findet hier Platz und kann gedeihen. Eine grüne Lunge für den Atem der Welt.


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Dr. Christian M. Rutishauser SJ, Direktor Lassalle-Haus Bad Schönbrunn, Arbeit im Bereich Exerzitien und Kontemplation, Lehrbeauftragter für jüdische Studien. Initiative und Konzept für zwei neue Ausbildungslehrgänge zu christlicher Spiritualität und spiritueller Theologie im interreligiösen Prozess (www.lassalle-haus.org).


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2008, S. 535-538
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2008