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BERICHT/267: Väter und Söhne in der Sicht des Alten Testaments (Bibel und Kirche)


Bibel und Kirche 3/2008 - Organ der Katholischen Bibelwerke
in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Ein spannungsreiches Verhältnis
Väter und Söhne in der Sicht des Alten Testaments

Von Andreas Ruffing


Das Verhältnis von Vätern und Söhnen - der entscheidende Gradmesser dafür, ob eine Gesellschaft gut funktioniert und überlebensfähig ist? Was uns heute eher befremdlich und für viele als Ausdruck patriarchalen Denkens überholt erscheinen mag, formuliert das Alte Testament an vielen Stellen als eine wesentliche Einsicht. Der Autor zeigt, warum den Beziehungen von Vätern und Söhnen in vielen Texten so große Bedeutung zugemessen wird.


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Das Buch Maleachi schließt mit einem Gotteswort, das in seinem zweiten Teil Väter und Söhne in den Blick nimmt: "Bevor aber der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne den Vätern, damit ich nicht kommen und das Land dem Untergang weihen muss" (Mal 3,23f).

In der hebräischen Bibel bilden die Verse ein spätes redaktionelles "Schlusswort zum (zweiten) Kanonteil der Propheten"[1], der mit dem Buch Maleachi endet. In unseren katholischen Bibelübersetzungen - darin der Anordnung der Septuaginta folgend - sind die Verse sogar die letzten Sätze des Alten Testaments.[2] So oder so verdient das Gotteswort besondere Aufmerksamkeit aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung im Kanon.

Thema des Gotteswortes ist das Kommen des Elija. Der Prophet erscheint als der von Gott beauftragte Vorläufer des eschatologischen Tages Jahwes. Seine Aufgabe ist es, das Land (und damit seine Bewohner) vor dem ansonsten unausweichlichen Strafgericht Gottes zu bewahren. Dies geschieht dadurch, dass der Prophet das Herz der Väter den Söhnen und das Herz der Söhne den Vätern zuwendet. Mit "zuwenden" gibt die Einheitsübersetzung an dieser Stelle das hebräische Verb sub und damit einen Kernbegriff alttestamentlicher Umkehrtheologie wieder.[3]

Vielleicht wirkt gerade aus diesem Grunde der Spruch von den Vätern und den Söhnen heute für bibelkundige Leserinnen und Leser zunächst reichlich befremdlich. Wäre nicht eher zu erwarten, dass an dieser Stelle von der "Umkehr zu Jahwe", vom "Halten seiner Gebote", vom "Tun von Recht und Gerechtigkeit" die Rede ist, alles Wendungen, wie sie aus anderen biblischen "Umkehrtexten" bekannt sind? Was also bringt den Verfasser - und dass es ein Mann ist, scheint mir unzweifelhaft - dazu, das Verhältnis von Vätern und Söhnen zu dem entscheidenden Kriterium zu machen, das über Wohl und Wehe, über Heil und Unheil eines ganzen Volkes entscheidet? Nun sind die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen - angefangen in den Patriarchenerzählungen des Buches Genesis bis hin zur Weisheitsliteratur - an vielen Stellen Gegenstand biblischen Erzählens und Nachdenkens. Dabei werden einige Grundlinien sichtbar, die auch für das Verständnis von Mal 3,23f wichtig sind und die ich im Folgenden kurz skizzieren werde.[4]


Väter und Söhne - eingebunden in die Familienstruktur des Vaterhauses

Ich beginne mit einem Text, der auf den ersten Blick zum Thema "Väter und Söhne" wenig zu sagen scheint. In Josua 7 wird erzählt, dass eine militärische Aktion im Rahmen der Landnahme Israels daran zu scheitern droht, dass einer der beteiligten Männer, ein Judäer namens Achan, wertvollen Schmuck aus der Kriegsbeute der zuvor eroberten Stadt Jericho heimlich in seinen Besitz gebracht hat. Weil es sich bei der Eroberung Jerichos um einen "Jahwekrieg" handelte, gehört die Beute Gott. Der Diebstahl des Beutegutes, so stellt die Erzählung in einem Gotteswort (Jos 7,10-15) unmissverständlich klar, gefährdet vor diesem Hintergrund die gesamte Gemeinschaft. Aufklärung und Auffindung des Schuldigen sind daher unbedingt notwendig. Dies geschieht durch ein "Gottesurteil". Unter Josuas Regie tritt "ganz Israel" zusammen, gegliedert nach seinen Stämmen. Ein Losverfahren als Medium des Gottesurteils beginnt. Getroffen vom Los wird zunächst der Stamm Juda. Darauf treten die Sippen Judas an, und das Los fällt auf die Sippe der Serachiter. Nun stellt sich die Sippe nach ihren "Häusern" (die Einheitsübersetzung paraphrasiert sachlich zutreffend "Großfamilie") auf, und das Los fällt auf das Haus des Sabdi, das "Mann für Mann" hervortritt. Das letzte Los trifft Achan, den Enkel Sabdis, der ein Geständnis ablegt (Jos 7,20f) und anschließend zu Tode gesteinigt wird.

Vorgestellt wird uns ein idealtypisches Schema vom Aufbau Israels - wohlgemerkt in einem Text wohl aus der frühen Exilszeit.[5] Der einzelne freie Mann - und um diesen geht es diesem Zusammenhang allein - ist eingebunden in einen wohlgeordneten Organismus (Volk-Stamm-Sippe-Haus/Großfamilie); er lebt in einem System abgestufter Beziehungen, wobei das "Haus", an dessen Spitze der Hausvater steht, die Grundeinheit darstellt. Wer alles einer solchen Großfamilie (hebr. bet'ab "Vaterhaus") angehört, lässt sich aus verschiedenen Texten entnehmen: neben dem Hausvater seine Ehefrau(en), Kinder, Enkel, Blutsverwandte und Dienstpersonal. Nicht immer klar erkennbar ist der Unterschied zwischen "Haus" und Sippe; nicht selten erscheint auch "Haus" als Bezeichnung für den Stamm ("Haus Israel"). Mögen auch Ideal und Wirklichkeit zu verschiedenen Zeiten aufgrund sozialer, religiöser und politischer Entwicklungen mehr oder weniger stark auseinandergeklafft haben, die Großfamilie, das Vaterhaus wird quer durch das Alte Testament als Grundordnung und Konstituente der Gemeinschaft herausgestellt.[6]

Für das alttestamentliche Männerbild hat dies eine entscheidende Konsequenz, die Lothar Perlitt so zusammenfasst: "Ein Mann lebt in einem Vaterhaus und mit Verwandtschaft - oder gar nicht".[7] Und - so ist zu ergänzen - er lebt in diesem Vaterhaus in der grundlegenden Relation Vater-Sohn, sei es als der dem Haus vorstehende Vater, sei es als leiblicher Sohn, Enkel, Verwandter. Das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen wird damit zunächst unter einem systemisch-funktionalen Blickwinkel beschrieben. Dies heißt natürlich nicht, dass das Alte Testament keine psychologisch-emotionalen Konnotationen des Begriffspaares kennt. Es gibt eine Reihe von erzählenden Texten, die in eindrücklicher Weise genau diese Seite der "Privatheit" der Beziehungen von Vätern und Söhnen zum Klingen bringen, aber immer hingeordnet zur systemisch-funktionalen Dimension des Verhältnisses.[8]

Die fundamentale Bedeutung des Konzeptes des "Vaterhauses" für das alttestamentliche Männerbild führt dazu, dass derjenige Mann, der aus dem Vaterhaus ausgeschlossen wird oder sich selbst davon isoliert, ein Ausgestoßener und Verlorener ist. Noch schärfer formuliert: Ein Mann ohne Vaterhaus fällt nicht nur aus der schützenden Solidarität der Gemeinschaft heraus, er verliert zudem seine Identität, ist ein Mann ohne Namen. Erst von daher gewinnt z.B. der Befehl Gottes an Abraham (Gen 12,1), sein Vaterhaus zu verlassen, oder die Aufforderung an Jeremia (Jer 16,2), nicht zu heiraten und auf Kinder zu verzichten, also nicht Vater eines Hauses zu werden, ihre Zumutung und Spitze.

Von daher ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass selbst dort, wo etwa große Männergestalten des Alten Testamentes das Schicksal der "Vaterlosigkeit" trifft, die Erzähler um Abmilderung bemüht sind. Abraham, der sein Vaterhaus verlässt, nimmt seine Frau, seinen Neffen Lot, sein Dienstpersonal sowie sein Hab und Gut mit. Der aus Ägypten fliehende Mose heiratet die Tochter des Priesters von Midian und "gewinnt" dadurch ein neues Vaterhaus; von David schließlich wird berichtet (1 Sam 22,1-5), dass sich ihm nach seiner Flucht vor Saul seine Familie anschließt. Anders sieht es beim Propheten Jeremia aus. Die Berufung durch Gott führt ihn in der Tat zu einer persönlichen "Vaterlosigkeit", die zum prophetischen Zeichen für Israel wird (vgl. Jer 16,2).


Väter und Söhne - Tradenten des Glaubens Israels

Das Verhältnis von Vätern und Söhnen wird zweitens zum Thema, wenn es um die Erziehung und um die Weitergabe der religiösen Traditionen Israels geht. Die betreffenden Texte spiegeln eine frappierende Dominanz der Väter in diesem Bereich: Die Vermittlung dessen, was man in Israel von Jahwe lernen und wissen kann, ist Grundaufgabe der Väter. Diese haben ihr väterliches Wissen an ihre Söhne weiterzugeben und werden damit zugleich zum spirituellen Vorbild der Söhne.

Die Verantwortung der Väter für die Weitergabe des Jahweglaubens ist eine Aufgabe, der sich jede Generation neu zu stellen hat. Programmatisch zeigt sich dies in Psalm 78,3-6. Dort werden die Väter in jeder neuen Generation aufgefordert, ihren Söhnen[9] "die ruhmreichen Taten und die Stärke des Herrn, die Wunder, die er getan hat" (Ps 78,4), zu erzählen.[10]

Die Weitergabe des religiösen Väterwissens ist also Grundlage der Erziehung. In der Tradierung des Väterwissens bewähren sich Väter als Väter und werden Söhne zu Vätern.[11] Die Weisheitsliteratur zeigt übrigens, dass auch die Tradierung des lebenspraktischen Wissens - also das, was in Israel und in seinem Umfeld "Weisheit" genannt wird -, originäre Aufgabe der Väter ist. Höchstes Gut ist es dabei, die Söhne zu einem gelingenden Leben vor Gott und in der Gemeinschaft zu führen. Das Buch Deuteronomium fasst diese Zielsetzung väterlicher Erziehung in die bekannte Formel: "damit ihr das Leben habt und es euch gutgeht und ihr lange lebt in dem Land, das ihr in Besitz nehmt" (Dtn 5,33).

Und die Alltagswirklichkeit? Mangels Quellen sind wir auf Vermutungen angewiesen. Doch ist davon auszugehen, dass die Unterweisung durch die Väter, also die Vermittlung jenes religiösen und lebenspraktischen Erfahrungsschatzes an Einsichten, Regeln, Bekenntnissen, Gebeten, Erzählungen und was immer sonst den Söhnen einzuschärfen war (vgl. Dtn 6,7), für diese lebenswichtig war. Denn wie anders konnten sich die Söhne in die Welt der Väter einordnen und ihren eigenen Platz finden? Auf der anderen Seite war dies für die jungen Männer mit der Anerkennung der Autorität des Hausvaters und der Unterordnung eigener Interessen unter das Wohl des Gesamtsystems des Vaterhauses verbunden. Persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten waren damit automatisch Grenzen gesetzt. Lagen hier möglicherweise auch Ursachen für innerfamiliäre Konflikte zwischen Vätern und Söhnen? Die in der Weisheitsliteratur verbreitete Mahnung an die Väter; ihre Söhne zu züchtigen, lässt daran denken.[12] In Spr 29,15.17 ist etwa von dem "zügellosen" Sohn die Rede, der seiner Mutter (!) Schande macht, und den der Vater hätte rechtzeitig züchtigen sollen. Wörtlich übersetzen müsste man in V. 15 der "ent-lassene" Knabe (me sullach), also der, den die Eltern doch wohl aus der fest gefügten Ordnung des Vaterhauses haben "laufen lassen".


Väter und Söhne - in Schuld verstrickt

Das Verhältnis von Vätern und Söhnen wird drittens zu einem ausdrücklichen Thema an Stellen, die davon sprechen, dass das Gute wie auch das Böse, das die Väter getan haben, in den nachfolgenden Generationen der Söhne wiederkehren. Die positiven bzw. negativen Beurteilungen der Könige im deuteronomistischen Geschichtswerk sind beispielsweise streng nach diesem Muster gewonnen. "Er verfiel allen Sünden, die sein Vater vor ihm begangen hatte", heißt es etwa in 1 Kön 15,3 vom judäischen König Abija, während sein direkter Nachfolger mit den Worten charakterisiert wird: "Asa tat, was dem Herrn gefiel, wie sein Vater David" (1 Kön 15,11). Auch in der prophetischen Literatur findet sich dieses Schema. Jeremia begründet die bevorstehende Katastrophe des Exils mit den Worten: "Eure Väter haben mich verlassen ... Ihr selbst habt es noch schlimmer getrieben als eure Väter" (Jer 16,11f).

Dass Unterlassungen und Verfehlungen der Vätergeneration Folgen für die Generation der Söhne haben, ist auch uns heute kein fremder Gedanke. Aber was ist, wenn die Söhne für die Taten der Väter büßen müssen, ohne selber schuldig geworden zu sein? Ein in der Exilszeit umherlaufendes Sprichwort "Die Väter essen saure Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf" (vgl. die Aufnahme des Sprichwortes in Jer 31,29; Ez 18,2 und Klgl 5,7) bringt genau dies zur Sprache. Gott lässt die Menschen im Exil büßen für die Sünden ihrer Ahnen. Das ist der Vorwurf, der hinter der Redensart steht.[13] Die Exilspropheten allerdings weisen diesen Vorwurf scharf zurück. So heißt es bei Jeremia: "In jenen Tagen sagt man nicht mehr: Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Nein, jeder stirbt nur für seine eigene Schuld; nur dem, der die sauren Trauben isst, werden die Zähne stumpf" (Jer 31,29). Und Ezechiel formuliert in einem Gotteswort kurz und bündig: "Nur wer sündigt, soll sterben" (Ez 18,4).[14]

Ezechiel und Jeremia stehen mit der Überzeugung, dass jeder für sein eigenes Tun verantwortlich ist, nicht allein. Vielmehr greifen sie auf Rechtsgrundsätze Israels zurück, die eine Sippenhaftung ausschließen. So hält Dtn 24,16 unmissverständlich als Rechtsauffassung fest, dass Väter nicht für die Schuld der Söhne und Söhne nicht für die Schuld der Väter bestraft werden dürfen, sondern nur für ihr eigenes Vergehen. Auch das Bundesbuch, die älteste Rechtssammlung Israels, weiß übrigens nichts von einer Schuldhaftung.[15]


Väter und Söhne - Hoffnung für Israel

Schon vor Jeremia und Ezechiel spielt das Verhältnis von Vätern und Söhnen in der prophetischen Gerichtsbotschaft eines Jesaja oder Micha eine wichtige Rolle. Die Destabilisierung und Zerstörung der Vaterhäuser wird dort zum Zeichen und Mittel des Gerichtes, das Jahwe über Israel verhängen wird. Ausgestaltet wird dies mit Hilfe des Motivs des "Aufstandes der Söhne gegen die Väter". Jesaja etwa kündigt im 8. Jh.v.Chr. Jerusalem und Juda das Gericht damit an, dass die Führungsschicht durch etwas weit Schlimmeres ersetzt wird, nämlich durch das Chaos und die Tyrannei junger Männer: "Ich mache junge Burschen zu ihren Fürsten, Willkür soll über sie herrschen. Dann bedrängt im Volk einer den anderen, und jeder bedrängt seinen Nächsten" (Jes 3,4f). Ähnlich wird in Micha 7,6 beschrieben, was geschehen muss, damit das Volk in Chaos und Anarchie fällt und reif für den Untergang wird: "Denn der Sohn verachtet den Vater, die Tochter stellt sich gegen die Mutter, die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter; jeder hat die eigenen Hausgenossen zum Feind." Was hier beschrieben wird, ist nichts anderes als die totale Auflösung der Strukturen des Vaterhauses.[16]

Hier knüpft nun der Verfasser der Schlussverse des Maleachi-Buches an. Er macht deutlich: Wenn die Zerstörung der Vaterhäuser Zeichen des göttlichen Gerichtes ist, so sind umgekehrt solidarische und starke Vaterhäuser das Hoffnungszeichen, das Israel Zukunft und Leben ermöglicht. Dem eschatologischen Gericht kann Israel daher nur entgehen, wenn es zu einer Restitution der Vaterhäuser als Grundordnung der Gemeinschaft kommt, wenn Väter und Söhne sich wieder einander zuwenden. Allerdings werden beide diese Umkehr nicht aus eigener Initiative schaffen. Bewirken wird sie letztlich der Prophet Elija, dessen Kommen der Verfasser nachdrücklich erwartet und mit dem Kommen Gottes an "jenem Tag" verknüpft. In diesem späten Zeugnis des Alten Testaments ist das Vaterhaus, in dem Väter und Söhne miteinander in einer intakten Beziehung leben, zu einer eschatologischen Größe geworden, das zu anderen Hoffnungsbildern der Zeit hinzutritt.


Väter und Söhne damals - Väter und Söhne heute

Gibt es Berührungspunkte zwischen den biblischen Texten und der heutigen Lebenswirklichkeit von Vätern und Söhnen? Ich möchte zum Schluss auf drei Punkte kurz eingehen. Erstens erinnern die Texte daran, dass Söhne gute Väter brauchen, um Männer zu werden, Väter, die wirklich Erziehungsverantwortung für ihre Söhne übernehmen und die zugleich Rückgrat und Konfliktfähigkeit besitzen. In der aktuellen Diskussion etwa um benachteiligte und überforderte Jungs[17] gewinnt die Einsicht zunehmend an Gewicht, dass eine aktive Vaterschaft und eine stärkere Präsenz von Männern in den Erziehungsberufen unverzichtbar für die Entwicklung der Jungen sind. Doch nicht nur die Söhne - und damit bin ich beim zweiten Punkt -, sondern die Familien insgesamt und die Gesellschaft als ganzes brauchen väterliche Männer, die Verantwortung übernehmen, gerade auch "für die, die zu kurz gekommen sind, die sich verwaist und verlassen fühlen, die am Rande der Gesellschaft stehen".[18] Und schließlich erinnern die biblischen Texte daran, dass die Kirche heute mehr denn je Väter als spirituelle Mentoren braucht, die ihre Glaubenserfahrungen und ihr Glaubenswissen an die nachfolgenden Männergenerationen weitergeben können.


Anmerkungen

[1] Ina Willi-Plein, Haggai, Sacharja, Maleachi (ZBK.AT 24,4), Zürich 2007, 288.

[2] Zur Zitation dieses "Schlusstextes" im NT vgl. z.B. Erich Zenger, Die jüdische Bibel und die Christen, Düsseldorf 1991, 1838.

[3] Vgl. Bernhard Lang, Art. Umkehr, in: NBL III (2001), 953-958, hier 954f.

[4] Die texte, die das Verhältnis von Vätern und Söhnen zum Thema haben, hat Annemarie Ohler, Väter, wie die Bibel sie sieht, Freiburg 1996, übersichtlich zusammengestellt und besprochen.

[5] Zur zeitlichen Einordnung des Textes vgl. etwa Volkmar Fritz, Das Buch Josua (HAT I/7), Tübingen 1994, 8f;79.

[6] Vgl. Bernhard Lang, Art. Verwandtschaft, in: NBL III (2001), 1026-1031, hier 1O28.

[7] Lothar Perlitt, Der Vater im Alten Testament, in: Hubertus Tellenbach (Hg.), Das Vaterbild in Mythus und Geschichte. Ägypter, Griechenland, Altes Testament, Neues Testament, Stuttgart u.a. 1976, 50-101, hier 56.

[8] An Abraham und Isaak ist hier zu erinnern (vgl. die Formulierung in Gen 22,2 "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst"), an Isaak und Jakob, an Jakob und Josef oder an David und Abschalom. Man lese unter diesem Gesichtspunkt einmal die Deutungen dieser Männergestalten durch Anselm Grün, Kämpfen und Lieben. Wie Männer zu sich selbst finden, Münsterschwarzach ²2003.

[9] Die Einheitsübersetzung spricht von Kindern. Im hebräischen Text steht "Söhne".

[10] So ist der Psalm selbst auch weniger ein Debet denn eine belehrende Erzählung über Gottes Gegenwart in der Geschichte seines Volkes, vgl. Frank-Lothar Hossfeld, Erich Zenger, Psalm 51-100 (HThKAT), Freiburg i.Br. 2000, 419.

[11] Sehr schön anschaulich wird das in Dtn 6,20-25. Die Beantwortung der sog. "Kinderfrage" wird dort vom Dreh- und Angelpunkt der Weitergabe des Glaubens vom Vater auf den Sohn.

[12] Vgl. Spr 13,24; 19,18 u. ö. Zu möglichen ägyptischen Vorbildern vgl. Annemarie Ohler, Väter, 174f.

[13] Genau dies scheint auch den zweite Teil des so genannten "Gnadenformel" Ex 34,6f in der Wiedergabe der Einheitsübersetzung zu suggerieren: "Er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation" (Ex 34,7). Tatsächlich geht es jedoch darum, dass Gott prüft, inwieweit die Söhne das weiter tun, was ihre Väter getan haben und erst dann entsprechend handelt, so zurecht und die EÜ korrigierend Josef Scharbert, Exodus (NEB 24), Würzburg 1989, 129, in seinem Kommentar zur Stelle. Zudem ist die "Prüfung" auf vier Generationen beschränkt, also auf die maximale Generationenzahl, die in den "Vaterhäusern" vorzufinden war. Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist dagegen unbegrenzt (1000 Generationen!). Von einer Kollektivschuld kann also auch hier nicht die Rede sein. Zum Diskussionsstand bezüglich der "Gnadenformel" Ex 34,6 und verwandter Stellen vgl. Gerlinde Baumann, Gottesbilder der Gewalt im Alten Testament verstehen, Darmstadt 2006, 133-136.

[14] Moshe Greenberg, Ezechiel 1-20 (HThKAT), Freiburg i.Br 2001, 376, notiert eine "vollständige und theoretische Entkräftung" durch Ezechiel; für Georg Fischer, Jeremia 26-52 (HThKAt), Freiburg i.Br 2005, 170, ist es eine "befreiende Klärung".

[15] Vgl. Franz Sedlmeier, Das Buch Ezechiel Kapitel 1-24) NSK-AT 24/1), Stuttgart 2002, 243.

[16] Der Aufstand der Söhne gegen die Väter ist also niemals nur ein innerfamiliärer, 'privater' Generationenkonflikt, sondern zugleich ein die gesamte Gemeinschaft in den Abgrund ziehendes Geschehen. Diese aus unserer heutigen Perspektive eigentümliche Verknüpfung von "Privatheit" und Öffentlichkeit wird immer wieder in biblischen Erzählungen spürbar, die Konflikte zwischen Vätern und Söhnen zum Inhalt haben, vgl. dazu die Hinweise bei Annemarie Ohler, Väter, 84-91.

[17] Aktuelle Buchtitel wie "Kleine Jungs große Not", "Kleine Machos in der Krise" oder "Die Jungenkatastrophe" sprechen eine deutliche Sprache. Auch politisch wird mittlerweile reagiert, so z.B. mit der Kampagne des Bundesfamilienministeriums "Neue Wege für Jungs" (www.neue-wege-fuer-jungs.de).

[18] Anselm Grün, Kämpfen und Lieben, 51.


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Zusammenfassung

Über das Verhältnis von Vätern und Söhnen wird im AT besonders nachgedacht. Die uns heute geläufige Unterscheidung zwischen familiärem und öffentlichem Raum spielt dabei keine Rolle. Die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen sind für das Alte Testament immer zugleich: privat und politisch.


Dr. Andreas Ruffing leitet die Arbeitsstelle für Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz.
Er veröffentlicht und referiert in der Männerseelsorge und Bibelpastoral. (E-Mail: Maennerseelsorge.fd@t-online.de)


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Die Zeitschrift ist für Blinde und Sehbehinderte auch als pdf-Datei erhältlich.
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Quelle:
Bibel und Kirche - Organ der Katholischen Bibelwerke in Deutschland,
Österreich und der Schweiz, 63. Jahrgang, 3. Quartal 2008, 3/2008,
Seite 144-148
Herausgeber: Dr. Franz-Josef Ortkemper, Dipl.-Theol. Dieter Bauer,
Österr. Kath. Bibelwerk Klosterneuburg
Redaktion: Dipl.-Theol. Andreas Hölscher, Dr. Bettina Eltrop,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2008