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BERICHT/276: Die "Kölner Erklärung" von 1989 und ihre Wirkungen (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 2/2009

Eine durchwachsene Bilanz
Die "Kölner Erklärung" von 1989 und ihre Wirkungen

Von Dietmar Mieth


Vor zwanzig Jahren wurde die "Kölner Erklärung" veröffentlicht, in der sich Theologen kritisch mit der Praxis von Bischofsernennungen, der Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis und dem lehramtlichen Anspruch in moraltheologischen Detailfragen auseinandersetzten. Sie erregte seinerzeit beträchtliches Aufsehen, hatte durchaus aber auch längerfristige Wirkungen.


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Am 23. Januar 1989 wurde die "Kölner Erklärung" im Auftrag der 14 Theologieprofessoren, die sie am Vorabend des Dreikönigfestes, am 5. Januar 1989, in Köln beschlossen hatten, nach ihrer Unterzeichnung von bis dahin 163 Theologieprofessoren und -professorinnen in Deutschland an die Presse mit der Sperrfrist 27. Januar 12 Uhr übersandt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte jedoch den Text - ohne Angabe der Namen der Unterzeichner - bereits am 26. Januar, gefolgt von Publik Forum am 27. Januar (mit den Namen).

Vorausgegangen waren interne Auseinandersetzungen der Pastoraltheologen und Kirchenrechtler um die Ernennung von Kardinal Joachim Meisner zum Erzbischof von Köln sowie Stellungnahmen wie beispielsweise die der Dogmatiker und Fundamentaltheologen (29. September 1988 in St. Pölten) "Zur Praxis der Nihil-obstat-Erteilung". Auch der westdeutsche Katholisch-Theologische Fakultätentag hatte sich zu diesem Thema geäußert. Letztere waren jedoch keine Schritte in die allgemeine Öffentlichkeit. Freilich rief die Zähigkeit, mit der ein Dialog über diese Fragen abgewehrt oder aufgeschoben wurde, die "Kölner Erklärung" mit hervor.

Die Kölner Versammlung hatte mich, da der vorgetragene Textentwurf allgemeine Zustimmung fand, mit der Redaktion der Erklärung beauftragt. Die Modi der "Kölner" sowie auch andere einsichtige Verbesserungen konnte ich, teilweise im Laufe der Unterschriftensammlung, für die ich als Rückmeldeadresse diente, in die Erklärung eintragen.

Norbert Greinacher hatte sich im Vorfeld mit einigen Kollegen und insbesondere bereits kurz vor Weihnachten 1988 mit mir auf diese Initiative verständigt. Ich schlug dafür wegen der Symbolwirkung Köln als Ort und das Dreikönigsfest als Termin vor. Insbesondere ging es dabei um die Problemkreise der Bischofsernennungen (weltweit!), der Praxis der Verweigerung der kirchlichen Lehrerlaubnis für Theologen und der in Papstansprachen des Spätherbstes 1988 (an die Bischöfe des Staates New York sowie an einen römischen Kongress der Moraltheologen) sichtbaren Verschärfung des lehramtlichen Anspruchs auf die Geltung von "Humanae Vitae" (1968).


Die Erklärung war kein reiner Protest

Eine solche Unterschriftensammlung war in dem Sinne prekär, als die Anfrage nicht an alle Kollegen gehen konnte, da sonst noch während der Sammlung mit Indiskretionen und Gegenmaßnahmen zu rechnen war. Außerdem musste sie aus dem gleichen Grunde kurze Fristen (hier den 20. Januar) setzen. Daraus erklärt sich, dass rund 200 Personen angeschrieben wurden, von denen 163 unterzeichnet haben. Im Endeffekt, auch durch Beitritt nach dem Termin, waren es dann 220.


Die Medien stürzten sich auf den Text

Die "Kölner Erklärung" trägt den Titel: "Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität". Schon daraus geht hervor, dass es sich nicht um einen reinen Protest handelte. Mit Recht heißt es im Vorspann, der in der FAZ abgedruckt wurde: "Die Autoren und Unterzeichner wollen mit ihrer Meinungsäußerung zu einem ernsthaften theologischen Gespräch beitragen". Deshalb plädierten wir für eine stärkere Einbeziehung der Ortskirchen in die Bischofsernennungen und eine stärkere Berücksichtigung gewachsener Rechte, damit die "Vielgestaltigkeit der Kirche angemessen zum Ausdruck komme". Bei der Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis erhofften wir eine Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Auch heute ist die Forderung nicht obsolet geworden: "Einwände gegen die Erteilung einer Lehrbefugnis (...) sind mit Argumenten zu begründen und nach anerkannten akademischen Normen zu belegen." Dabei seien die "Hierarchie der Wahrheiten" und die "theologischen Gewissheitsgrade" zu berücksichtigen. Kritisch wird konstatiert, dass "einzelne ethische und dogmatische Detailfragen zur Frage nach der Glaubensidentität hochgespielt" würden, "während mit der Glaubenspraxis unmittelbar verbundene sittliche Einstellungen (etwa gegen die Folter, die Rassentrennung oder die Ausbeutung) nicht von gleichem theologischen Belang für die Frage nach der Wahrheit zu sein scheinen." Der damals befürchtete "Verlust des Ansehens der Theologie an den Universitäten" ist inzwischen eingetreten.

Im Blick auf die moraltheologische Lehre wurde kritisiert, dass hinsichtlich der Empfängnisregelung in Papstansprachen "die Begriffe der 'grundlegenden Wahrheit' und der 'göttlichen Offenbarung'" herangezogen worden seien, um eine konkrete, naturrechtlich argumentierte Detailfrage zu disziplinieren. Bedauert wird "die intensive Fixierung des päpstlichen Lehramtes auf diesen Problembereich." Im Ganzen wird die Pflicht zum theologischen Widerspruch aus den rechtlichen Kriterien der Freiheit der theologischen Wissenschaft und aus der Verantwortung im Rahmen einer kirchlichen "communio" begründet.

Der Anknüpfungspunkt bei den umstrittenen Bischofsernennungen, die bereits in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland zu öffentlichen Debatten geführt hatten, war ein Türöffner in den Medien, die sich mit unerwarteter Wucht auf die "Kölner Erklärung" stürzten und eine weit reichende Debatte begleiteten. Die Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz wurde noch am gleichen Tag (26. Januar) im Fernsehen gebracht. Talkshows folgten ebenso wie Einzel-Interviews. Eine große Solidarisierungswelle erfasste Teile des Klerus und der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gegenerklärungen und Ergebenheitsadressen wurden veröffentlicht. Der als ungewöhnlich erscheinende deutliche Stil des Protestes wurde Gegenstand polemischer Erörterung.

Aber dies war überraschenderweise keinesfalls ein deutsches oder deutschsprachiges Phänomen. Frankreich, Belgien, die Niederlande, Italien, Spanien, USA - überall waren führende Theologen über die Unterschriftensammlung informiert, oft auch durch die schnelle Reaktion der Medien im eigenen Land. Sie meldeten sich spontan und intensiv. Übersetzungen machten schnell die Runde. In Frankreich (166 Unterzeichner), Italien (63) und Spanien (62) wurden ähnliche Erklärungen verfasst; 52 belgische, 13 niederländische und 23 Schweizer Theologen schlossen sich der "Kölner Erklärung" an. Ein Solidaritätsappell von "Témoignage Chrétien" erhielt 26.355 Unterschriften; Publik Forum sammelte 19.444 Unterschriften. Insgesamt meldeten sich weit über 100 Gruppen zu Wort. In Zürich (mit 400 Teilnehmern!) in Aachen und in Münster fanden große Akademietagungen zur "Kölner Erklärung" statt. Diskutiert wurde auch der Zusammenhang mit dem Brief des Moraltheologen Bernhard Häring an Johannes Paul II., der zur Zeit der Abfassung der "Kölner Erklärung" noch nicht bekannt war, aber dann Aufsehen erregte.

Diese Wirkung war überwältigend. Aber sie war zunächst nur ein Echo. Entscheidender war, dass Gespräche stattfanden. Unter anderem wurde Bischof Karl Lehmann vom Papst nach Rom gebeten. Er berichtete darüber der üblichen Jahresversammlung der Moraltheologen (nur die Professoren an den Fakultäten mit Priesterausbildung) am 13. März auf Schloss Hirschberg. Es war das erste Mal, dass ein Bischof der Einladung dorthin folgte.

Bischof Lehmann wollte unter anderem zwei Anregungen folgen, die ich schon schriftlich zum Ausdruck gebracht hatte: die Vorsitzenden der theologischen Arbeitsgemeinschaften zum Gespräch einzuladen - das ist nun Tradition geworden -, und eine Arbeitsgruppe von Bischöfen und Moraltheologen zu bilden. Das zweite Anliegen wurde nicht realisiert. Solche Gespräche gab es dann doch eher ad hoc - etwa zum deutschen Erwachsenenkatechismus - und eher selten. Sie spielten beispielsweise keine große Rolle, als 1999 120 Moraltheologen, versammelt in Tilburg, sich für das Verbleiben in der Schwangerschaftskonfliktberatung aussprachen.

Die "Kölner Erklärung" war ein Erfolg. Es bewegte sich etwas, mehr als wir bisher in solchen Fällen erfahren und mehr als wir erwartet hatten. Eine gewisse Erschütterung ging bis in die römischen "Bastionen". Aber was heißt Erfolg? Man kann zwischen einem Erfolg als Ereignis und einem Erfolg mit Wirkungen, möglichst mit andauernden Wirkungen, unterscheiden. Elemente eines solchen Erfolges will ich im Sinne einer persönlichen Einschätzung kurz aufzeigen. Dabei ist mir bewusst, dass die Zuschreibung von Ursache und Wirkung keine Einbahnstraße sein kann. Aber der Impuls der "Kölner Erklärung" war in diese Prozesse zumindest mit verwickelt.

Bestärkt wurde die internationale Solidarität von Theologinnen und Theologen nicht nur im europäischen Raum, sondern auch in Nord- und Südamerika, darüber hinaus bis Asien und Australien. Weder die entsprechenden Artikel noch die Erklärungen von Gesellschaften (wie der US-amerikanischen Gesellschaft für Theologie, Erklärungen aus Brasilien und Australien, auch weitere Solidaritätsbekundungen, beispielsweise von Diözesanversammlungen aus diesen Ländern), auch nicht die vielen Zuschriften und Nachfragen, habe ich aufarbeiten können. Die in Frankreich zeitweise erscheinende Zeitschrift "Golias" listete 1990 weltweit 1000 Theologen und Theologinnen als Befürworter mit Namen auf.

Die wichtigste Folge war jedoch der interne Dialog der Theologen in Europa, das damalige Osteuropa, vor allem Polen, mit eingeschlossen. Dieser hatte zur Voraussetzung, dass sich bereits in der Zeit der Unterschriftensammlung eine Korrespondenz herausgebildet hatte, in welcher einzelne Kollegen ihre differenzierenden Einstellungen und Überlegungen bekundeten. Insbesondere wurde der Druck auf die österreichischen Kollegen mehrfach zum Ausdruck gebracht. Die "Kölner Erklärung" sollte hier nicht spaltend, sondern dialogisch wirken. Daher schlug ich Norbert Greinacher vor, europaweit zu einer Versammlung von Theologinnen und Theologen einzuladen. Zweck der Versammlung zwischen expliziten Unterzeichnern, Sympathisanten und Kritikern der "Kölner Erklärung", die sich schriftlich bei mir gemeldet hatten, sollte der Gründungsbeschluss für eine "Europäische Gesellschaft für katholische Theologie" sein. Am 30. April und 1. Mai kamen 70 Theologen und Theologinnen aus Mittel-, West-, Süd- und Osteuropa zusammen. Weitere äußerten schriftlich ihre Zustimmung. Der einstimmige Beschluss vom 1. Mai 1989 lautete (die Zahlen geben den vorübergehenden Stand von Ende April 1989 wieder!):

"Die "Kölner Erklärung" hat weit über den deutschen Sprachraum hinaus ein überraschend großes Echo gefunden. Äußerungen der Solidarität von Laien und Priestern sind inzwischen von 16.000 Personen und über 100 Gruppierungen eingegangen. 485 europäische katholische Theologinnen und Theologen haben die Erklärung unterzeichnet oder mit eigenen Stellungnahmen unterstützt. Viele andere haben den Initiatoren bekundet, dass sie ihre Anliegen und Sorgen teilen, aber wegen Einzelformulierungen nicht unterschreiben wollten.

Diese Reaktion hat gezeigt, dass sehr viele Menschen einen Raum für das offene Wort in der Kirche suchen.

Die am 30.4./1.5.1989 im Wilhelm-Kempf-Haus versammelten 70 Professoren und Professorinnen der Katholischen Theologie aus 7 Ländern Europas, hauptsächlich Unterzeichner, aber auch Nichtunterzeichner der "Kölner Erklärung", wissen sich diesem Anliegen verpflichtet. Sie wollen daher den vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Dr. Karl Lehmann, sodann von vielen anderen Bischöfen gewünschten 'sorgfältigen Dialog' untereinander und mit anderen fortsetzen.

Aus dem Zusammenwachsen Europas, den neuen Verbindungen von Ost und West, der länderübergreifenden Wissenschaft und Praxis, ergeben sich ebenso neue Chancen wie neue Nöte. Daher ergreifen die hier versammelten Theologinnen und Theologen die Initiative zur 'Gründung einer europäischen Gesellschaft für katholische Theologie'. Die europäischen Kollegen und Kolleginnen sind eingeladen, diese Initiative mitzutragen. Die Gesellschaft möchte den Raum für das freie Wort und für aufbauende Kritik aus theologischem Sachverstand wahren beziehungsweise schaffen. Für diese theologische Gesellschaft sind freiheitlicher Dialog, wissenschaftlicher Anspruch und Dienst an der ganzen Kirche selbstverständlich. Sie sieht im kirchlichen Amt der Theologen einen eigenständigen Dienst für das gesamte Volk Gottes. Sie engagiert sich für eine offene, dem Evangelium gemäße Kirche, für die Ökumene und für die internationale Solidarität und Gerechtigkeit. Die Fragen, denen sich die theologische Gesellschaft widmet, sind nicht beschränkt auf die in der "Kölner Erklärung" angeschnittenen Probleme. Sie betrachtet namentlich die Lebens- und Überlebensfragen in unserer Gesellschaft als Herausforderung, wie sie stets neu die jeweils aktuellen und in verschiedenen Kulturen verschiedenen Situationen zu prüfen hat, die helfen oder hindern, das Evangelium der Welt zu vermitteln. Diese theologische Gesellschaft begrüßt das Zusammenstehen ganz verschiedener Richtungen in der Theologie in zentralen Fragen der 'Kirche in der Welt von heute'. Sie tritt für diese Vielfalt ein und wird sich allen Versuchen widersetzen, die freie theologische Auseinandersetzung einzuschränken."


Änderungen, die schwer einzuschätzen sind

Es ist hier nicht der Ort, auf die weitere Gründungsgeschichte der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie vor 20 Jahren weiter einzugehen (vgl. HK, Januar 2009, 15ff.). Nach Wiesbaden wandte ich mich an Peter Hünermann, der sich (vgl. HK, März 1989, 130ff.) um die theologischen Argumente im Kontext der "Kölner Erklärung" bemüht hatte. Er übernahm mit mir die Initiative für eine Tübinger Gruppe, die die Satzung der Gesellschaft erarbeitete. Die Gründung der Gesellschaft wurde durch eine Gruppe von internationalen Vertretern am 1. Dezember 1989 im Erbacher Hof in Mainz umgesetzt. Erster Präsident wurde Peter Hünermann, mit dem ich dann sechs Jahre im Vorstand zusammenarbeitete.

Das Treffen in Wiesbaden-Naurod wirkte weiter in der CONCILIUM- Jahresversammlung in Bologna (17.-21. Mai). In Bologna wurde die "Kölner Erklärung" als Ermunterung empfunden, die Konzilsbewegung zu erneuern und zu stärken, was dann auch später in einer großen Theologen-Versammlung in Löwen geschah. Manche betrachteten eine konfessionell aufgestellte theologische Gesellschaft als Rückschritt. Aber es gab auch Gründe dafür, institutionelle Auseinandersetzungen erst einmal intern anzugehen.


Die Bilanz ist teilweise getrübt

Was die Bischofsernennungen betrifft, so konnte man im Laufe der Zeit einige Änderungen beobachten. Es ist schwer, sie einzuschätzen. Aber es war keine Frage, dass damals die Ernennung des Kollegen Walter Kasper, der sich seinerseits von der Erklärung distanziert hatte, zum Bischof in Rottenburg übergreifend begrüßt und gefeiert wurde. Initiativen seitens der Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz in Rom sind aus den neunziger Jahren bekannt - aber sie waren nicht erfolgreich.

Einige Veränderungen gab es im Hinblick auf die Lehrerlaubnis (Nihil obstat). Eine "Handreichung" der Deutschen Bischofskonferenz brachte mehr Klarheit, erwies sich aber nicht in jedem Fall als durchschlagskräftig. Es fehlte hier die rückwirkende innerkirchliche Rechtskontrolle ebenso wie eine Einforderung der Normengerechtigkeit seitens des Konkordats-Partners Staat. Freilich gab es seit der Errichtung der Europäischen Gesellschaft für Katholischen Theologie auch gelegentlich erfolgreiche Gespräche mit den involvierten römischen Kongregationen. Unterzeichner der "Kölner Erklärung" wurden in Deutschland trotz einiger herber bischöflicher Reaktionen nicht "verfolgt", in Italien soll das anders gewesen sein.

Für Aufregung sorgte im Folgejahr der "Fall Wiedenhofer": Dem von Frankfurt nach Graz berufenen Ratzinger-Schüler Siegfried Wiedenhofer, der die Erklärung unterzeichnet hatte, wurde mit römischem Eingriff das "Nihil Obstat" für Graz verweigert. Es hieß auch, meinem Lehrer Alfons Auer sei wegen der "Kölner Erklärung" langjährig der beschlossene theologische Ehrendoktor der Universität Wien kirchlich verweigert worden. Im Falle Wiedenhofer habe ich 1990 noch einmal eine große interne Aktion der Solidaritätsbekundung und der Proteste an die deutschsprachigen Bischöfe geleitet, die zwar als Unterschriftensammlung ebenfalls äußerst erfolgreich war, aber den Frust doch eher erhöhte. Hier stellt sich die Frage: wie sehr sind wir in diesen Dingen von einer medialen Event-Kultur abhängig?

Und doch kann man auch von einem römischen Erfolg sprechen. Wir wissen nicht, wie die Moralenzyklika "Veritatis Splendor" Johannes Pauls II. ausgesehen hätte, wenn nicht zwischen den Mitarbeitern des Papstes und Vertretern der "Kölner" (Auer, Gründel, Von Eiff) Kontaktgespräche über Streitpunkte stattgefunden hätten. Dies kann nicht übersehen werden, wenn auch die Enzyklika in dem internationalen Sammelband "Moraltheologie im Abseits?" (Freiburg 1994) kritisch diskutiert wurde. 1990 veröffentlichte ich das Buch "Geburtenregelung. Ein katholischer Konflikt" (Mainz), um dem Anspruch an die Moraltheologen zu genügen, die Argumente erneut zu dokumentieren. Es brachte mir ein Dossier der römischen Glaubenskongregation, mit Briefen von Kardinal Ratzinger an Bischof Kasper, ein.

Das weitere römische Vorgehen schloss auch andere Dissensfragen (beispielsweise die Streitfrage Frauenordination) ein und führte zu Gesprächen in Rottenburg mit Bischof Kasper, deren Reichweite mir mangels Einsicht in Briefe und Akten verborgen blieb, die ich aber wegen des dabei nicht ausbleibenden Humors durchaus schätzte. Einen Brief Kardinal Ratzingers an Bischof Fürst vom Dezember 2003 kann ich als konstruktiven Abschluss betrachten, zumal darin das Buch "Was wollen wir können? Ethik in Zeiten der Biotechnik" (Freiburg 2002) gelobt wurde. Über Fragen der Transparenz, des Stils und der Rechtssicherheit kann und muss man weiterhin objektiv streiten. Subjektiv wollte ich mich aber nicht selbst zum Gegenstand dieses Streites stilisieren.

Als Erzbischof William J. Levada von Benedikt XVI. zu seinem Nachfolger an der Spitze der römischen Glaubenskongregation ernannt wurde, las ich das Exzerpt seiner dogmatischen Doktorarbeit von 1971 ("Infallible Church Magisterium and the Natural Moral Law"), in welcher er zu dem Ergebnis kommt, Unfehlbarkeit in konkreten naturrechtlich begründeten Urteilen könne es angesichts der sich wandelnden faktischen Implikationen nicht geben. So hoffe ich, dass möglicherweise damit in Zukunft eine der Befürchtungen, die zur "Kölner Erklärung" führten, gegenstandslos werden könnte.

Nicht außer Acht lassen sollte man auch, dass Johann Baptist Metz, der bei der Unterstützung der "Kölner Erklärung" eine wichtige Rolle spielte, als einziger katholischer Theologe unter 35 Gelehrten 1989 zum Gespräch mit Johannes Paul II. nach Castel Gandolfo eingeladen war. Kardinal Ratzinger traf sich ja auch jährlich mit seinen Schülern, von denen einige der "Kölner Erklärung" nahe standen. Von einigen Trübungen der Bilanz war bereits die Rede. Es handelt sich um weiterhin zu beobachtende Trübungen der nachkonziliaren katholischen Kirche. Man kann sie von zwei Seiten her betrachten. Von der Seite der römischen Behörden her gesehen stimmt weiterhin, was "Le Monde" 1989 schrieb: "Der Vatikan setzt seine Ordnung durch". Dies gilt beispielsweise für die Entwicklung der Bischofsernennungen, besonders in Lateinamerika, in den USA und punktuell weiterhin. Es gilt für die direktive Mitwirkung des Vatikans an der Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis. Mir gegenüber wurde dies von einem Mitarbeiter der Bildungskongregation damit begründet, es gehe um "Qualitätskontrolle".

Die "Kölner Erklärung" hatte darauf bestanden, dass sich der theologisch-wissenschaftliche Bereich selbst ergänzen dürfe. Man wird sich weiterhin fragen, wo die "Qualität" liegt: bei der Selbstergänzung oder bei der Kontrolle, die sich auch anmaßt, wissenschaftstheoretische Einbahnstraßen zu verteidigen oder theologische Qualität mit der abnehmenden Zugehörigkeit zum Priesterstand zu verwechseln. Die Forderungen der Fundamentaltheologen und Dogmatiker von 1988 nach Transparenz und nach zureichenden Rechtsmitteln für die Betroffenen sind trotz einiger Fortschritte im Verfahren, die aber de facto nicht immer und nicht vollständig eingehalten werden, nicht erfüllt.


Neuere Theologengenerationen ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück

Auf der anderen Seite kann man seit etwa 15 Jahren auch beklagen, dass neuere Theologengenerationen sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Das mag teilweise daran liegen, dass sich die mediale Öffentlichkeit ihrerseits vor den Theologinnen und Theologen (mit wenigen Ausnahmen) zurückzieht, weil sie im Zweifelsfalle als Gesprächspartner Bischöfe vorzieht, um nach Holzschnittmanier einer Position sicher zu sein. Aber diese Barriere ist überwindbar, auch indem man eigene Öffentlichkeiten schafft.

Der römische Druck auf der Selektion des wissenschaftlichen Nachwuchses wird von diesem fortschreitend internalisiert. Wer sich dann über längere Durststrecken der Qualifikation von "gefährlichen" Terrains fernhält, wird sich daran gewöhnen, sie auch dann nicht zu betreten, wenn die Gefahr für ihn abgenommen hat. Die derzeit wieder zunehmende Zahl der Theologiestudierenden entzieht sich dem Druck ihrerseits durch selektive Bedürfnisse nach Katholizität, die sich auf den liturgischen und spirituellen Raum konzentrieren. Unter Druck gibt es - verständlicherweise - immer auch einen "menschlichen Faktor": Furcht oder Belastungsscheu und die mangelnde Bereitschaft, unter Stressbedingungen seine Maximen aufrechtzuerhalten, zumal wenn die damit zu erzielende Wirkung gering oder ambivalent ist.

Die "Kölner Erklärung" war ein großer Erfolg, ein über das Jahr 1989 hinauswirkendes "Event". Ein loyaler innerkirchlicher Einspruch gegen problematische Entwicklungen ist als öffentliches Dauer-Event nicht möglich, obwohl ein solches, um der Wirkung willen, öfter erforderlich wäre. Dialoge brauchen jedoch mehrere, auch interne Ebenen. In einer kritischen Loyalität ist man zudem auf Symbolfiguren angewiesen, die mit einer medialen Beachtung rechnen können, sich damit aber auch eine große Last zuteilen lassen. Denn sie werden auch von den Erwartungen an ihre Rolle belastet und mitbestimmt.

Die mediale System- und Eventkultur kommt seit den medialen Auftritten Johannes Pauls II. der kirchlichen Weltzentrale entgegen. Insofern ist es schwierig, sich einerseits dieser Eventkultur zu bedienen und sie andererseits aus den weltkirchlichen Auseinandersetzungen heraushalten zu wollen. In einem Interview in "Le Monde", das Kardinal Ratzinger zum Abschluss des Jahres 1989 gegeben hat, heißt es: "Die Funktion des Theologen ist eigentlich zu lehren, aber auch, die Grundlagen des Glaubens zu vertiefen, Antworten auf neue Probleme zu finden und manchmal auch, zu kritisieren." Aber das Recht zu kritisieren werde durch die Pflicht, die Kirche zu lieben und ihr Lehramt zu respektieren, begrenzt. Der Theologe trage auch eine Verantwortung angesichts der Informationen, die den Gläubigen durch die Massenmedien zukommen. Also müsse er das richtige Gleichgewicht zwischen dem Respekt vor dem Lehramt, dem Wohl der Gläubigen und der Forderung nach einer exakten intellektuellen Reflexion finden. Die Frage bleibt, wie das Lehramt selbst sein "Gleichgewicht" findet.

In einer Welt, die sich, unter anderem im Bildungsbereich immer mehr nach dem intern dirigistischen Muster, aber global effizienter Wirtschaftsbetriebe entwickelt, wird von Systemen wieder interne Geschlossenheit erwartet, während sie ihre externe Freiheit genießen. Diese Entwicklung behindert die Beschäftigung der Hierarchie mit den offensichtlichen Gravamina, die jeder in der katholischen Kirche kennt, der sich näher mit ihrer Theologie und mit ihrer pastoralen Lage beschäftigt.


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Dietmar Mieth (geb. 1940), war von 1974 bis 1981 Professor für Moraltheologie an der Universität Fribourg (Schweiz). Seitdem ist er Professor für Theologische Ethik unter besonderer Berücksichtigung der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Tübingen. Mitglied zahlreicher Ethikkommissionen auf nationaler und internationaler Ebene. Seit 2001 Mitglied der Bioethik-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 2, Februar 2009, S. 65-70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2009