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BERICHT/311: Kirche und Nationalismus im spanischen Baskenland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 10/2010

Anhaltende Spannungen
Kirche und Nationalismus im spanischen Baskenland

Von Friederike Kuhn


Der Nationalismus im Baskenland führt nicht nur in der Gesellschaft Spaniens und des Baskenlandes zu Konfrontationen, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche. Sie steht vor der Herausforderung mehrere Perspektiven zu vereinen, um dem Frieden näherzukommen.


Der Nationalismus ist in der baskischen Kirche noch immer derart stark verankert, dass es bei kircheninternen Entscheidungen, wie zum Beispiel der Ernennung von Bischöfen, zu Unruhen und Polemiken kommt. So sahen sich sowohl José Ignacio Munilla als auch Mario Iceta starken Protesten des baskischen Klerus und der Laien ausgesetzt. José Ignacio Munilla wurde im November 2009 zum Bischof von San Sebastián ernannt und trat trotz anhaltender Proteste, Amtsrücktritten von Geistlichen und Beschwerdebriefen am 9. Januar 2010 sein Amt an. Obwohl Munilla aus San Sebastián gebürtig ist und die baskische Sprache beherrscht, warfen ihm viele nationalistische Basken vor, sich ablehnend gegenüber ihrer Linie zu verhalten. Mit nationalistischen Basken sind vor allem diejenigen gemeint, die ein regionalistisch-nationalistisches Bewusstsein haben und sich für mehr politische und wirtschaftliche Selbstbestimmungsrechte bis hin zur Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzen.

Mario Iceta, ebenfalls im Baskenland geboren, wurde im Juni 2010 zum Bischof von Bilbao ernannt, woraufhin 677 Gläubige der Diözese einen Brief unterschrieben, der sich an den Nuntius in Spanien richtete und die Forderung stellte, an der Auswahl des neuen Bischofs beteiligt zu werden. Diese Ereignisse zeigen, dass es eine Reihe von Basken gibt, die nationalistisch gesonnene Geistliche für ihre Region favorisieren. Auf diese Weise versuchen sie, der aus Madrid und Rom kommenden Tendenz entgegenzuwirken, die stark nationalistisch gesinnten durch nicht-nationalistische Bischöfe auszutauschen. Sie möchten den stärker werdenden spanischen Einfluss auf die baskische Kirche eindämmen.

Diese aktuellen Beispiele veranschaulichen, dass die Frage nach dem Nationalismus im Baskenland sowie die Frage nach der Autonomie beziehungsweise Unabhängigkeit nicht nur in der Politik, sondern auch in Kirchenkreisen sehr präsente und konfliktbeladene Themen sind. Kirchliche Angelegenheiten verursachen, begünstigt durch den starken Einfluss der Medien, großes öffentliches Aufsehen und werden politisiert. Die Ereignisse beweisen ferner die Zerrissenheit der Basken und ihre Trennung in Nationalisten und Nicht-Nationalisten. Zu Nicht-Nationalisten zählen jene Bewohner des Baskenlandes, die das derzeitige Autonomiestatut befürworten und eine Trennung von Spanien verhindern wollen. So verurteilte beispielsweise die Gruppe Foro de El Salvador, die sich aus nicht-nationalistischen Priestern und Laien zusammensetzt, die Dominanz des Nationalismus in der baskischen Kirche.

Bereits seit der Entstehung des Nationalismus im 19. Jahrhundert spielte der baskische Klerus eine unverhältnismäßig große Rolle in dessen Entwicklung und auch heute engagieren sich viele Kleriker für den Nationalismus im Baskenland. Problematisch an der Haltung vieler Kleriker ist, dass nicht nur sie dem baskischen Nationalismus anhängen, sondern eben auch die radikale Geheimorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna, "Baskenland und Freiheit"), die sich auf sehr ähnliche Werte bezieht. Wichtigstes Ziel der ETA ist die Unabhängigkeit des Baskenlandes, die sie mit terroristischen Aktivitäten durchzusetzen versucht.


Die Fälle Munilla und Iceta zeigen, dass viele Basken und gerade auch ein großer Teil der baskischen Kirche am Nationalismus festhalten und ihn nicht aufgeben wollen. Die stark zunehmende Distanzierung der Gesellschaft von der Terrororganisation ETA und die wiederholten Verurteilungen durch die Kirche lassen auf Frieden hoffen, was allerdings nicht zwangsläufig das Ende des Nationalismus bedeutet. Nationalismus und Nicht-Nationalismus spalten zwar die baskische Bevölkerung und prägen die Schwerpunktsetzung im Friedensprozess. Ein Großteil der Bevölkerung ist sich jedoch darin einig, dass der Terror der ETA beendet werden müsse, um Frieden zu erlangen.


Zwei bischöfliche Dokumente aus dem Jahre 2002 haben sich intensiv mit den Themen des Terrorismus und des Nationalismus im Baskenland beschäftigt. Noch während die Spanische Bischofskonferenz an ihrer Pastoralinstruktion "Moralische Bewertung des Terrorismus in Spanien, über dessen Ursachen und Auswirkungen" ("Valoración moral del terrorismo en España, de sus causas y de sus consecuencias") arbeitete, veröffentlichten die drei Bischöfe der baskischen Diözesen im Mai 2002 den Pastoralbrief "Den Frieden vorbereiten" ("Preparar la paz"). Dieser löste eine Welle von Polemiken aus, weil er scharfe Kritik an der Politik Spaniens und des Baskenlandes übt und wenig einfühlsam auf das Schicksal der Familien von ETA-Opfern außerhalb des Baskenlandes eingeht.

Die Bischofskonferenz war sehr überrascht, da sie weder über das Vorhaben noch über die Erarbeitung des Textes informiert war. Anlass des baskischen Pastoralbriefes war das Vorantreiben eines neuen Parteiengesetzes durch die Regierung in Madrid, das ein gesetzliches Verbot radikaler Parteien ermöglichen sollte. Obgleich sich 68 Prozent der Basken dagegen ausgesprochen hatten, wurde dieses Parteiengesetz Anfang Juni 2002 verabschiedet.


Verurteilung eines "totalitären Nationalismus"

Nach intensiver Arbeit, mehreren Diskussionsrunden und Modifizierungen folgte am 23. November 2002 die Veröffentlichung der Pastoralinstruktion der spanischen Bischofskonferenz mit 63 Ja-Stimmen, acht Gegenstimmen und fünf Enthaltungen. Sie machte es sich zur Aufgabe, in Reaktion auf den polemisierenden Vorwurf des ersten Vizepräsidenten der Regierung, die Kirche habe sich bis dato unsolidarisch und unzureichend zum Problem des Terrorismus geäußert, das Phänomen des Terrorismus ausführlich zu behandeln und moralisch zu bewerten. Die Rezeption dieses Dokumentes fiel nicht weniger konfliktreich aus als die des baskischen Pastoralbriefes, da es sehr einseitig und stark voreingenommen gelesen und interpretiert wurde.


Das Ergebnis der Abstimmung über die Pastoralinstruktion belegte zwar eine auffällig große Zustimmung und somit mehrheitliche Einigkeit unter den Bischöfen. Die acht Gegenstimmen jedoch, die von den drei baskischen und fünf katalanischen Bischöfen stammten, deuten auf die Meinungsverschiedenheiten im Episkopat hin, die während der Diskussionen über den Nationalismus zu Tage kamen. Um die unterschiedlichen Positionen aufzudecken, bedarf es einer Gegenüberstellung beider Dokumente.

Sehr offensichtlich und als positiv einzuschätzen ist die Tatsache, dass beide Dokumente die ETA und den Terrorismus eindeutig und klar verurteilen und moralisch brandmarken. Zusätzlich fordern sie sowohl die Gläubigen als auch die gesamte Gesellschaft dazu auf, es ihnen gleichzutun. Es ist also festzuhalten, dass die Bischöfe Spaniens sich gleichermaßen darüber einig sind, dass die ETA nicht zu legitimieren ist und alles daran gesetzt werden muss, mit ihr fertig zu werden.

Während sich der baskische Pastoralbrief hierbei allein auf den Terrorismus bezieht, geht die Pastoralinstruktion der Bischofskonferenz in ihrer differenzierten Beschreibung des Terrorismus einen Schritt weiter und nimmt auch die Ideologie und die totalitären Tendenzen der ETA in ihre Verurteilung auf. Sie unterscheidet zwischen einem "totalitären Nationalismus" und einem legitimen Nationalismus, der sich vorrangig auf die Sorge um Kultur und Heimat bezieht. Solange sich Menschen mit nationalistischen Bestrebungen Andersdenkenden gegenüber offen verhalten, sich innerhalb moralischer Grenzen bewegen und dem Gemeinwohl dienen, werden ihre Einstellungen von der Bischofskonferenz anerkannt und akzeptiert.

Jegliche ausschließende oder verabsolutierende politische Bestrebung, auch ohne die Anwendung terroristischer Gewalt, sei dagegen mit der Lehre der Kirche unvereinbar und muss abgelehnt werden. Der "totalitäre Nationalismus" entstehe aus der radikalen Forderung nach Unabhängigkeit einer Nation und bilde den Hintergrund für den Terrorismus der ETA.

Die Bischofskonferenz macht klar auf das Problem aufmerksam, dass die ETA grundsätzlich positive Werte zu ihrer Rechtfertigung benutze und die Gesellschaft in ihrem moralischen Bewusstsein täusche. Mit Hilfe ihrer Ideologien verschleiere die ETA ihre Taten und verleite somit Anhänger dieser Ideologie, sie zu decken. Dieser Vorgang der Verschleierung führe zu Nachsichtigkeit bei eigentlich friedliebenden Menschen der ETA gegenüber sowie zur Demoralisierung der Gesellschaft.

Obwohl auch die baskischen Bischöfe in ihrem Pastoralbrief das Problem der Demoralisierung wahrnehmen und erwähnen, blenden sie die Gefahr der Verabsolutierung nationalistischer Bestrebungen, die von der ETA propagiert wird, aus. Sie grenzen lediglich den illegitimen Terrorismus von einem legitimen Nationalismus ab; diese hätten nichts miteinander zu tun.


Die Frage nach der Legitimierung nationalistischer Einstellungen ist eng mit der nach den Unabhängigkeitsbestrebungen einer Nation verknüpft. Hinsichtlich dieses Aspekts divergieren die Meinungen innerhalb des spanischen Episkopats besonders stark. Die baskischen Bischöfe setzen sich in ihrem Pastoralbrief dafür ein, dass jedes politische Ziel, somit auch das der Unabhängigkeit einer Nation, Legitimität besitzt und auf friedliche Weise angestrebt werden darf. Die Pastoralinstruktion der Bischofskonferenz hingegen bewertet bereits das Engagement für die Unabhängigkeit einer Nation als moralisch schlecht und beruft sich vorrangig auf das Gemeinwohl, das durch die Abspaltung einer Nation verletzt werde. Das Gemeinwohl und der Wille der Mehrheit werden in beiden Dokumenten thematisiert, insofern sie als ausschlaggebend für politische Veränderungen gelten.


Unterschiedliche politische Interessen im Baskenland

Es ist interessant zu beobachten, dass der baskische Pastoralbrief den Aspekt des Willens der Mehrheit im Zusammenhang mit der ETA erwähnt und ihr vorwirft, dass sie entgegen der Forderungen der Mehrheit der Bürger handelt. Obwohl sich die baskischen Bischöfe für die Legitimität des politischen Ziels der Unabhängigkeit aussprechen, implizieren sie doch mit dieser Aussage, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Unabhängigkeit des Baskenlandes ablehnt, welche die ETA mit allen Mitteln durchzusetzen versucht.

Baskische Umfragen aus dem Jahre 2006, auf die Walter Bernecker in einem Beitrag in der von ihm herausgegebenen Anthologie "Spanien heute" präsentiert, bestätigen dies, denn nur 33 Prozent der Befragten sprachen sich darin für die Unabhängigkeit des Baskenlandes aus. Aufgrund dieser Tatsache müsste die Debatte über die Unabhängigkeit eigentlich beendet sein. Weitere Zahlen machen aber deutlich, dass das Problem des Status des Baskenlandes nicht gelöst ist und so auch weiterhin Thema bleiben wird. Ein großer Teil der Befragten, nämlich 35 Prozent, plädiert für eine föderale Lösung, während nur 26 Prozent die derzeitige Autonomieregelung akzeptieren.


Hier zeigt sich die konfliktreiche Pluralität des Baskenlandes und die mit ihr einhergehenden unterschiedlichen politischen Interessen, die von den baskischen Bischöfen in ihrem Pastoralbrief besonders brisant herausgestellt werden. Sie verfassten ihren Brief aus einer stark baskischen Perspektive, sprechen an mehreren Stellen von "unser Land" und setzen sich für spezifische Interessen ein, wie zum Beispiel die nationale Anerkennung und die damit verbundenen Rechte für alle Basken gleichermaßen. Sie betonen die pluralistische Struktur der baskischen Gesellschaft, da sich ein Teil der baskischen Bevölkerung entweder baskisch oder spanisch fühle, andere eher baskisch als spanisch und wieder andere sich beiden Gruppen zugehörig fühlen.

Im Zusammenhang mit dem Friedensprozess fordern sie von den Politikern die Berücksichtigung dieser Pluralität. Ausdrücklich verlangen sie von den Konfliktparteien Kompromissbereitschaft und das Bemühen, sich um einer Einigung willen entgegenzukommen. Den Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen erachten sie als ausschlaggebend zur Erlangung des Friedens und zur Lösung der bestehenden Spannungen. Dabei blenden die baskischen Bischöfe jedoch aus, dass die Konfliktparteien nicht die gleichen Voraussetzungen für einen Dialog haben, da sie sich nicht gleichermaßen frei und ohne Furcht für ihre Interessen einsetzen und aufeinander zugehen können. Eine Umfrage aus dem Jahre 2002 veranschaulichte diese ungleichen Voraussetzungen, denn 61 Prozent der Befragten äußerten, sie hätten Angst davor, politisch aktiv zu sein.

Die Pastoralinstruktion der spanischen Bischofskonferenz deutet die (ethnisch-kulturelle) Pluralität im Land lediglich an, geht jedoch nicht auf die Besonderheit und Schwierigkeit einer solchen Situation ein und übergeht somit einen grundlegenden Teilaspekt des Konfliktpotenzials im Baskenland. Sie erwähnt zwar ebenfalls die Wichtigkeit eines Dialogs, erachtet jedoch die eindeutige Darstellung des Terrorismus und das Verzeihen als die entscheidenden Handlungsweisen der Friedensbemühungen. Hierbei richtet die Bischofskonferenz ihre Aufmerksamkeit besonders auf die Hinterbliebenen der Opfer.

Es ist erstaunlich und vielleicht sogar erschreckend, dass die baskischen Bischöfe in ihrem Pastoralbrief kein Wort über die Situation der Angehörigen der Opfer verlieren, sich dafür aber für die Familien der gefangenen Terrorattentäter einsetzen und für eine Lockerung der Haftpolitik plädieren. So fordern sie als Zeichen der Entspannung und Annäherung, dass die Gefangenen in der Nähe ihrer Familien inhaftiert werden dürfen. Das Dokument der Bischofskonferenz erwähnt im Zusammenhang mit den Häftlingen allein ihren Anspruch auf menschenwürdige Behandlung.


Beide Dokumente erfuhren seitens der Öffentlichkeit rege Reaktionen und lösten gleichermaßen polarisierende Diskussionen aus. Sarkastisch urteilte die Zeitschrift Razón y fe, dass der Pastoralbrief der baskischen Bischöfe von den Medien, Politikern, der Kirche und der Gesellschaft mehr kommentiert als gelesen worden sei. Und auch die Pastoralinstruktion der Bischofskonferenz konnte nach ihrer Veröffentlichung nur schwer unvoreingenommen rezipiert werden.

Das Thema Nationalismus wird in beiden bischöflichen Dokumenten zwar aufgegriffen, gehört aber nicht zu deren ursprünglichen Hauptanliegen. Der baskische Pastoralbrief Preparar la paz möchte vor allem einen Beitrag zur Erreichung des lange ersehnten Friedens leisten. Der Titel klingt in dieser Hinsicht viel versprechend und auch in ihrer Einleitung äußern die baskischen Bischöfe ihren Willen zur Versöhnung. Leider führte der Pastoralbrief aufgrund seiner teils provozierenden Formulierungen und Inhalte genau zum Gegenteil und löste Unruhen und heftige Auseinandersetzungen in Kirche und Gesellschaft aus.

Die Pastoralinstruktion der Bischofskonferenz beabsichtigte eine ausführliche Darstellung und eindeutige moralische Bewertung des Terrorismus der ETA. Als eine der Ursachen dafür nennen die Bischöfe den totalitären Nationalismus, dem sie in diesem Zusammenhang ein eigenes Kapitel widmen. Die ursprüngliche Intention, den Terrorismus der ETA moralisch negativ zu bewerten, wurde in der Rezeption häufig in den Hintergrund gedrängt und fand bald keinen Platz mehr in den Diskussionen. Es ist bemerkenswert, dass trotz der unterschiedlichen Intention beider Dokumente die Stellungnahme zum Nationalismus die größte Aufmerksamkeit auf sich zog und die anderen für sie bedeutsameren Themen an den Rand drängte.

Beide Dokumente reflektieren ähnliche wie divergierende oder sogar konträre Meinungen und Standpunkte im spanischen Episkopat. In beiden Dokumenten finden sich jedoch auch jeweils sehr wertvolle Aspekte, die sich gegenseitig ergänzen. Somit leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalismus, indem sie sowohl die Kirche als auch die Gesellschaft für dieses sensibilisierten. Allerdings darf man nicht ausklammern, dass die ausgelösten Empörungen und heftig geführten Debatten zweifellos auch zu einer weiteren Verhärtung bereits bestehender Haltungen in der Gesellschaft geführt haben.

Das Dilemma des Rechts auf einen legitimen gemäßigten Nationalismus und der Ablehnung eines illegitimen totalitären Nationalismus konnte während der Debatten und mit Hilfe der beiden Dokumente nicht gelöst werden. Das Problem besteht in der Gesellschaft des Baskenlandes weiter, wie die Fälle der Bischöfe Munilla und Iceta beweisen.

Auf die spezifischen Bedürfnisse eingehen

Eine aktuelle Umfrage des "Zentrums für soziologische Untersuchungen" (Centro de Investigaciones Sociológicas) ermittelte, dass sich nur knapp 20 Prozent der Basken als gläubig bezeichnen, sich 46 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 24 als Atheisten betrachten und dass lediglich 16 von 100 Personen regelmäßig sonntags zur Messe gehen. Diese Zahlen veranschaulichen die stark säkulare Prägung der baskischen Gesellschaft und werfen die Frage auf, inwiefern Bischofsernennungen tatsächlich noch relevant für sie sind beziehungsweise sein sollten. Im alltäglichen Leben dürften diese innerkirchlichen Entscheidungen die Gesellschaft nur marginal tangieren.

Die Gründe für die trotzdem stattfindenden Demonstrationen und Unterschriftensammlungen liegen bei Bestrebungen aus Madrid und Rom, gegen die sich einige Basken zu wehren versuchen. Dabei wird ausgeblendet, dass für das Baskenland nur Bischöfe vorgeschlagen werden, die aus der baskischen Region stammen. Und trotzdem fürchten die Basken, zu sehr hispanisiert zu werden. Madrid und Rom versuchen mit ihrer Taktik, den Nationalismus in einem gewissen Maße aus der Kirche des Baskenlandes herauszudrängen. Ob diese Taktik fruchtet, wird sich erst noch zeigen. Auf jeden Fall muss sich die Kirche jedoch der Herausforderung bewusst sein, auf die spezifischen Bedürfnisse der Gläubigen im Baskenland einzugehen und ihre besondere Situation auf kultureller, sozialer und politischer Ebene zu berücksichtigen.


Die großen Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen, die im Zusammenhang mit den vorgestellten Dokumenten zu Tage getreten sind, zeigen, dass selbst innerhalb der Bischofskonferenz die Frage nach dem Nationalismus nicht geklärt ist. Diese Uneinigkeit verlor jedoch relativ bald nach dem Jahre 2002 ihre Bedeutung, da eine generelle Überalterung des Klerus und der starke Priestermangel in Spanien die Aufmerksamkeit auf sich zogen und zum neuen gravierenden Problem für alle Bischöfe wurde. Das Hauptaugenmerk galt nun der Sorge, dass fast die Hälfte der stetig schrumpfenden Gemeinden keinen eigenen Priester mehr haben. Nur punktuell flackert das Thema des Nationalismus noch in innerkirchlichen Kreisen auf und sorgt für Unruhen und Auseinandersetzungen. Es zeigt sich eine noch immer vorhandene Zerrissenheit sowohl innerhalb der Kirche im Baskenland als auch innerhalb der Bischofskonferenz. Denn solange im Baskenland Bischöfe aufgrund ihrer politischen Haltung akzeptiert oder abgelehnt werden, ist man von einem wahren Frieden und einer nachhaltigen gesellschaftlichen Einigung noch entfernt.


Friederike Kuhn hat Englisch, katholische Theologie und Spanisch an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster studiert und befindet sich derzeitig im Vorbereitungsdienst für das Lehramt.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2010, S. 530-534
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2010