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BERICHT/324: Justitia et Pax - Anwaltschaft für die Menschenwürde (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 3/2012

Justitia et Pax: Anwaltschaft für die Menschenwürde

Von Alexander Foitzik



Die Zahl derer, die dem Begriff der Menschenwürde skeptisch gegenüberstehen, nimmt in der öffentlichen Diskussion, vor allem aber in philosophischen und juristischen Fachkreisen offenbar zu. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Kommission Justitia et Pax nahm dies Ende Januar zum Anlass für eine Fachtagung zur Menschenwürde in der Politik.


Gerade in sozial- oder biopolitischen Auseinandersetzungen ist häufig zu beobachten, dass man den eigenen Argumenten und Forderungen dadurch besonderen Nachdruck zu verleihen sucht, indem man sich auf die "Menschenwürde" beruft" - gelegentlich fast schon inflationär. Dabei ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass auch sich widersprechende Positionen mit dem Verweis auf die Menschenwürde begründet werden, wie sich etwa in der Diskussion um das Für und Wider von Sterbehilfe beobachten lässt oder in den verschiedenen Konflikten zum Umgang mit vorgeburtlichen Leben. Es ist aber nicht nur der gelegentlich fast schon inflationäre Gebrauch beziehungsweise die offenkundige inhaltliche Offenheit dieses Begriffs, der die Arbeitsgruppe "Menschenrechte" der Deutschen Kommission Justitia et Pax veranlasst hat, sich besonders des Themas Menschenwürde anzunehmen.

Die Sorge der von Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, geleiteten Arbeitsgruppe aus dem Kreis kirchlicher Menschenrechts-, Entwicklungs- und Friedensexperten geht noch weiter. In einem noch nicht abgeschlossenen Positionspapier der Arbeitsgruppe "Grund der Menschenrechte. Überlegungen zum Stellenwert der Menschenwürde" heißt es dazu: Fraglos komme dem Prinzip Menschenwürde eine überragende Bedeutung zu, für die Auslegung des Grundgesetzes ebenso wie für das Verständnis der Menschenrechte. Schon die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen beginnt schließlich mit der "Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie inhärenten Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte"; der erste Satz ihres ersten Artikels lautet: "Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren.".


Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser überragenden Bedeutung glaubt die Arbeitsgruppe von Justitia et Pax, eine höchst beunruhigende Entwicklung ausmachen zu können: Zunehmend rege sich Unbehagen, gebe es skeptische Rückfragen, wo von der Menschenwürde die Rede ist, gelegentlich auch handfesten Widerspruch, gerade wegen der Verbindung von "inhaltlicher Offenheit und hohem normativen Stellenwert" (vgl. Heiner Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde? Warum sie in Frage steht und warum wir sie verteidigen müssen, Freiburg 2011).

Philosophen sorgten sich, dass unter Berufung auf die Menschenwürde öffentliche moralische Debatten willkürlich abgebrochen werden könnten. Manchem Juristen wiederum scheint der inhaltlich offenkundig so schwer zu bestimmende Begriff Bauchschmerzen zu bereiten, gerade weil er zugleich emotional so hoch aufgeladen ist. Andere befürchteten eine im Namen der Menschenwürde propagierte neue Variante des "Tugendstaates" oder sie stoßen sich an dem vermeintlich unauflösbaren Widerspruch zwischen dem säkularen Verfassungsprinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität einerseits und dem staatlichen Bekenntnis zur Würde des Menschen andererseits, das seinen letztlich (zivil-)religiösen Charakter kaum verbergen kann.

Aus dieser Skepsis und solchen Bedenken sieht die Arbeitsgruppe ganz unterschiedliche Handlungsvorschläge resultieren; in der Regel jedoch liefen sie darauf hinaus, die Bedeutung des Begriffs der Menschenwürde herabzustufen. So gibt es durchaus Vorschläge, in ernst zu nehmenden ethischen Debatten möglichst ganz auf die Argumentation mit der Menschenwürde zu verzichten. Ebenso beunruhigt den Experten-Kreis um Bielefeldt, der lange Jahre das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin leitete und seit Sommer 2010 auch das Ehrenamt des UN-Sonderberichterstatters für Religionsfreiheit bekleidet, eine zunehmend restriktive Interpretation der Achtung der Menschenwürde in der Grundgesetzkommentierung; demnach werde die Menschwürde immer weniger als überpositives Prinzip der Rechtsordnung im Ganzen begriffen, sondern als Rechtsnorm auf gleicher Ebene neben anderen Rechtsnormen behandelt.


Die Einwände ernst nehmen

Dies alles darf die Kirche nicht kaltlassen. Davon zeigt sich die Arbeitsgruppe des gemeinsam von Deutscher Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getragenen Verbundes der in Entwicklungs- und Friedensfragen engagierten kirchlichen Werke, Verbände und Organisationen überzeugt: Versteht sich die Kirche doch seit jeher als "Anwältin der unbedingt zu respektierenden Würde jedes Menschen". Allerdings seien öffentliche kirchliche Stellungnahmen zu diesem Thema, so gibt das Positionspapier gleichermaßen ausdrücklich zu bedenken, nur dann sinnvoll, wenn sie all die skeptischen Einwände ernst nehmen und auf die dahinter liegenden Motive eingehen.

In diesem Sinn veranstaltete die Arbeitsgruppe jüngst in Berlin eine Fachtagung, zu der sie "von außen" Politologen, Theologen und Philosophen, Politiker, Fachleute aus Ministerien und Parteien sowie Vertreter verschiedener Interessenverbände eingeladen hatte - bezeichnenderweise am 27. Januar, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus.

Für diese Tagung übernahm es die Kölner Religionsphilosophin Saskia Wendel, beides noch einmal in Erinnerung zu rufen: die vielfältigen Einwände gegenüber der Menschenwürde, die eben von deren Diskreditierung als Verlegenheitsbegriff oder metajuristische Pathosformel bis zum latenten Fundamentalismusverdacht reichen. Ebenso mahnte Wendel aber auch: Glaubwürdige Anwältin der Menschenwürde kann die Kirche in einer religiös-weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft nur sein, indem sie die Vielfalt möglicher religiöser, philosophischer und weltanschaulicher Deutungen dieses Begriffes anerkennt und sich damit zugleich um Verstehbarkeit und "Anschlussfähigkeit" ihrer eigenen Argumentation in der öffentlichen Auseinandersetzung bemüht.


So diskutierte in Berlin Bielefeldt mit dem einschlägig forschenden evangelischen Theologen Wolfgang Vögele und dem Frankfurter Politologen Stefan Gosepath, wie kommunikabel überhaupt der Begriff der Menschenwürde in einer religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft ist, und konkret, wie tragfähig zur Begründung der Menschenwürde der von der Arbeitsgruppe gewählte Ausgangspunkt bei der Achtung des Menschen als Verantwortungssubjekt. Wie lässt sich der Begriff der Menschenwürde möglichst offen halten, ohne beliebig zu werden? Wie steht es grundsätzlich um die Möglichkeiten dessen religiöser und theologischer Begründung und wie ist das Verhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten zu bestimmen?

Gerade zu Letzterem zeigte sich beispielsweise Gosepath skeptisch, ob die Menschenwürde für die Menschenrechte wirklich begründend notwendig sei, wo sie doch für den Entwicklungs- und Entstehungsprozess der Menschenrechtsidee keine zentrale Bedeutung gehabt habe und im angelsächsischen Menschenrechtsdiskurs bis heute nicht hat. Vögele seinerseits mahnte, Christen sollten sich selbstbewusst auch in die Diskussion um die Begründung der Menschenwürde einmischen, sich nicht allzu defensiv als "partikulare Position" zur Diskussion stellen.


Konkretisiert und quasi "geerdet" wurde diese Auseinandersetzung um Begründung und Tragfähigkeit des Begriffs der Menschenwürde in Bezug auf das Ende 2006 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung". Dessen Kernziel ist es, Menschen mit Behinderung die uneingeschränkte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten; mittlerweile haben 153 Staaten diese UN-Konvention ratifiziert, in Deutschland ist die Vereinbarung seit März 2009 in Kraft.

Für die Arbeitsgruppe "Menschenrechte" hat die Auseinandersetzung mit dieser Konvention quasi exemplarischen Charakter: Die Anregungen für menschenrechtliche Debatten, die von der Behindertenrechtskonvention ausgehen könnten, wiesen in ihrer starken und umfassenden Fundierung in der Menschenwürde weit über die in dem Übereinkommen angesprochene Gruppe hinaus auf unterschiedliche Formen der Diskriminierung. Insofern könnte diese Konvention auch der Debatte um die Menschenwürde neue positive Impulse verleihen, unterstrich die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Kommission Justita et Pax, Barbara Krause. Auch Bielefeldt betonte deren Bedeutung für die Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes: Von der Menschenwürde sei in der Behindertenrechtskonvention nicht nur ungleich häufiger als in anderen internationalen Menschenrechtsdokumenten die Rede. Sie werde auch selbst als Gegenstand notwendiger Bewusstseinsbildung angesprochen.


Die Juristin und frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und der Berliner Philosoph Volker Gerhardt, Mitglied des Deutschen Ethikrates, entfalteten den mit Bezug auf die Menschenwürde in dieser UN-Konvention vollzogenen Paradigmenwechsel in seiner Konsequenz für die Sozialpolitik ebenso wie für das Selbstverständnis und die "Selbstachtung" unserer Gesellschaft insgesamt. Denn mit der Konvention hat ein grundlegender Perspektivenwandel stattgefunden: Es geht nicht mehr "nur" um die Anerkennung und Respektierung bestimmter Gleichheits- und Freiheitsrechte von Behinderten, sondern um deren Partizipation in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens auf Augenhöhe.

Politisch dürften diese nicht länger als Bittsteller betrachtet werden, gefragt sei jetzt, was diese selbst wollen. Dabei ließen Däubler-Gmelin und Gerhardt keinen Zweifel daran, wie sehr man in Deutschland erst noch am Anfang der rechtlichen und politischen Umsetzung dieser Konvention steht und wie anspruchsvoll diese für die ganze Gesellschaft wie für jeden Einzelnen sei.

Anschlussfähigkeit an die öffentliche und politische Diskussion in einer religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft demonstrierte die Justitia et Pax-Arbeitsgruppe schließlich in einem Gespräch, das von einem breiten Konsens in Sache und Anliegen getragenen war: mit dem behindertenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Ilja Seifert, und der CDU-Bundestagsabgeordneten Stefanie Vogelsang, Mitglied im Bundestagsausschuss für Gesundheit, aber auch in der Bundestags-Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität".


Im Sommer wird sich die Arbeitsgruppe "Menschenrechte" ganz anderen Anfragen und Einwänden gegenüber der Rede von der Menschenwürde stellen - in einem Dialog mit Partnern aus Afrika. Wie füllen diese den Begriff der Menschwürde und welche Rolle spielen afrikanische Traditionen hierbei? Und wie stehen die afrikanischen Partner der in der Kommission Justitia et Pax zusammenarbeitenden kirchlichen Organisationen zum universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte und des Prinzips Menschenwürde?


Alexander Foitzik, Redakteur Dipl. theol., geboren 1964 in Heidelberg. Studium der Katholischen Theologie in Freiburg und Innsbruck. Seit 1992 Redakteur der Herder Korrespondenz.
(foitzik@herder.de)

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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
66. Jahrgang, Heft 3, März 2012, S. 115-117
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2012