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FRAGEN/013: Bildhauer Klaus Simon - Mehr als Glaubensinnenausstattung (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 2/2011

"Mehr als Glaubensinnenausstattung"
Ein Gespräch mit dem Bildhauer Klaus Simon


Seit Jahrzehnten wird über das gespaltene Verhältnis von Kunst und Kirche diskutiert. Wie stellen sich die gegenwärtigen Beziehungen aus der Sicht eines Künstlers dar? Darüber sprachen wir mit dem Krefelder Bildhauer Klaus Simon. Die Fragen stellte Stefan Orth.


HK: Herr Simon, Sie haben als Bildhauer für ganz unterschiedliche Orte, von der Bundesgartenschau über Kirchenräume bis zur Biennale in Venedig, Holzskulpturen gestaltet: Worin besteht der Kern Ihres künstlerischen Schaffens?

SIMON: Am besten zum Ausdruck bringt dies für mich der Altar mit dem Titel "Ulmensterben", den ich 1988 für die Kunststation St. Peter in Köln gemacht habe. Es war mein erster Altar. Seinerzeit waren die Ulmen in Europa durch eine Krankheit bereits weitgehend ausgestorben. Im Kern geht es bei der Skulptur also nicht um das besondere Stück Holz, sondern um einen Ulmenstamm, den ich nach einem Jahr Suche in Ostholstein gefunden habe. Zuvor stand in St. Peter als Zelebrationsaltar eine Art Kiste aus Spanplatten, mit Mooreiche furniert. Gerade als Bildhauer war dieser Altar für mich eine Lüge: eine Attrappe, wenn auch mit edelstem Holz verblendet.

HK: Was ist das Spezifische Ihres Umgangs mit dem Werkstoff Holz, nicht zuletzt um jene Aufrichtigkeit zu erreichen, die Sie anmahnen?

SIMON: Der Baum in seiner Versehrtheit, als gewachsenes Holz ist für mich der Ausgangspunkt. Die geeigneten Bäume sind meistens gigantisch groß und überaltert. Sie sind nur stehen geblieben, weil sie Naturdenkmale waren, die für die Holzwirtschaft völlig uninteressant sind. Ich bekomme einen solchen abgestorbenen Baum, und wenn es geht, fotografiere ich ihn noch stehend und dann wird er langsam in einem Prozess zu einer Skulptur transformiert. Wenn man eine Figur in einem solchen Stück Holz gründen will, muss man sich schon genau überlegen, wie man sie in diesem Baum-Torso einrichten kann. Aber wenn es gelingt, erhält man eine doppelte Aussage: Im Zentrum bleibt der Baum, der eine Biographie hat, und dieses gelebte Leben schlägt sich in der Gestalt nieder. Gerade die Risse und Verformungen sprechen von der Lebenszeit. Es gibt großartige Beispiele von Skulpturen aus dem dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert, aber auch zum Beispiel von Tilmann Riemenschneider, wo der Wuchs des Baumes in die Skulptur, in die Gestalt der Madonna einfließt.

HK: Bringt dieser Ansatz auch ein ganz bestimmtes Verständnis von Ästhetik mit sich? Welche Bedeutung hat es für Sie, mit Ihrer Kunst etwas zu schaffen, das andere in irgendeiner Weise als schön ansehen sollen?

SIMON: Wenn die Aussagekraft eines Baumes in einen Altar oder eine andere Skulptur einfließt, protestiert Kunst gegen ein selektives Aussuchen von nur Schönem und Glattem. Entscheidend ist das Unterschwellige, nicht das Vordergründige. Mir geht es um möglichst wenige, ganz reduzierte Eingriffe und ganz einfache Formen, nicht um Manierismus. Mir liegt daran, dass deutlich wird, wo die Arbeiten - im wahrsten Sinne des Wortes - herstammen. Dadurch wird eine Skulptur ehrlich. Gerade für einen Kirchenraum, in dem es um das Heiligste geht, gibt es nichts Wichtigeres als Ehrlichkeit.

HK: Und worin besteht dann der Reiz, Naturrelikte in einen anderen Kontext zu stellen, der ihn letztlich verfremdet, aber auch selbst diesem zuerst einmal Fremden ausgesetzt wird?

SIMON: Das Entscheidende ist tatsächlich die Veränderung. Jener Altar in St. Peter besteht aus drei gleichen Tau-Kreuzen, von denen zwei außen stehen und das dritte in der Mitte als Mensa eingehängt wird, so dass der Altar allein durch die Schwerkraft stabil ist. Er wurde perfekt aus nassem Holz gefügt und trocknete dann in den ersten zwei, drei Jahren aus. Wenn aber das Holz schwindet, wird der Altar zu einem Unruhestifter. Er verwirft sich, die Mensa hat sich verbogen, so dass die beiden senkrechten Tau-Kreuze alleine gar nicht mehr stehen würden. Nach einiger Zeit hatte die Gemeinde also eine labile Skulptur als Altar. Dieser Altar trägt in seiner Transformation etwas von der Wirklichkeit der Natur in den Kirchenraum: Draußen ist Ulmensterben. Genau in diesem Sinne führt der Blick auf Gottes Schöpfung.

HK: Gibt es da für einen Künstler einen besonderen Grund, für die Kirche zu arbeiten, konkret für einen Sakralraum, der von der Liturgie bestimmt wird?

SIMON: Es ist tatsächlich ein großer Unterschied, ob man Skulpturen unter freiem Himmel aufbaut oder in einem geschützten Museums- oder in einem Kirchenraum. Wenn die Menschen, die einen Gottesdienst besuchen, eine Stunde lang in einem von einem Künstler gestalteten Sakral-Raum sind, werden sie ganz anders über die Baukunst und die Kunstwerke nachdenken. Das sind sehr intensive Vorgänge, ganzheitliche Erlebnisse, sie bergen auch für die Kirche eine unglaubliche Chance. Ein solches Erleben von Kunst ist sogar intensiver, als wenn sich jemand eine Stunde lang in einem Museum eine Skulptur anschaut - einmal abgesehen davon, dass das ohnehin kaum jemand macht. Wenn die Kernaussage in einer Skulptur stimmt, wird sie in der Kirche noch einmal wie durch einen Transformator aufgeladen.

HK: Was sind denn die entscheidenden Lebensfragen der Menschen heute, auf die die Kunst eine Antwort zu geben versucht und faktisch auch in großer Vielfalt gibt?

SIMON: Die Fragen sind sehr unterschiedlich, weil auch die Betrachter jeweils andere sind. Die großen Kunstwerke aus der Geschichte der Kirche haben genau diese Kraft, jeden Betrachter individuell zu befragen. Problematisch ist es deshalb, wenn der Pfarrer eine Predigt hält und dabei versucht, anhand eines Kunstwerks einfach seinen Glaubenskanon zu erklären und die Kunst damit zu instrumentalisieren. Gute Prediger lehnen das glatt ab. In den meisten Fällen wird Kunst sonst nämlich inhaltlich verramscht. Was ein Kunstwerk alles sein, für was es im Glauben stehen soll: Das kann eine Arbeit gar nicht einlösen. Aus diesem Grund sind auch Räume der Stille wichtig. Und deshalb war es für Friedhelm Mennekes in St. Peter in Köln so zentral, die Kirche auszuräumen und leer zu machen, damit das sparsam Hineingestellte sich entfalten kann. Angesichts der Bilderfluten, in denen wir leben, dürfen wir nicht auch noch die Kirchen vollstopfen. Alte Kathedralen sind nicht zuletzt heute Publikumsmagneten, weil sie in sich stimmig sind und die Baukunst dem Geistigen Raum gibt.

HK: Was geschieht genauer mit den Betrachtern, wenn sie solche Kirchenräume besuchen, in denen Kunstwerke in besonderer Weise wirken können, oft genug aber auch irritieren?

SIMON: Das lässt sich natürlich nur schlecht allgemein sagen. Oft genug geht es darum, zu sich selbst finden zu können. Vor kurzem habe ich in Bad Säckingen eine Kapelle in einem Altersheim gestaltet. Der evangelische Pfarrer berichtete mir, dass es in der Gemeinde jetzt einen Gebetskreis gebe, der sich nur wegen dieses Raumes gegründet habe. Kunst kann in diesem Sinne ein sehr wirksamer Katalysator sein. Das muss keine moderne Kunst sein, sondern gilt auch für alte große Kunstwerke. Ich denke etwa an das Baumgabelkreuz aus dem Jahr 1350 in der Kölner Kirche Sankt Maria im Kapitol. Menschen fangen dort an, andächtig zu werden und ihre persönliche Art zu beten zu entdecken. Das ist die Qualität von Kunst im Kirchenraum.

HK: Wie nachhaltig sind denn solche Erfahrungen?

SIMON: Besonders beeindruckt hat mich eine Reaktion auf das Kunstwerk "Tor zur Ewigkeit" von Klaus Rinke im Kirchenraum der Pax-Christi-Gemeinde in Krefeld. Das ist eine hochpolierte schwarze Blindtüre aus Granit, die in einer roten Backsteinwand eingelassen ist. Sie ist wie ein matter Spiegel. Ein sterbenskranker Mann der Gemeinde hat vor seinem Tod den Wunsch geäußert, vor dieser blinden Tür, durch die man nicht gehen kann, aufgebahrt zu werden, weil ihn das Kunstwerk so lange beschäftigt habe. Da entsteht etwas Neues. Das ist doch ein Beitrag dazu, wie wir unseren Totenkult weiter entwickeln können.

HK: Wie hier angesichts des Todes gibt es eine ganze Reihe von Lebensfragen, die gar nicht oder nur sehr schwer besprechbar sind, so dass auch alle Antwortversuche nur schwer dargestellt werden können. Sie haben in Esterwegen in Niedersachsen einen "Raum der Sprachlosigkeit" gestaltet. Wie lässt sich Sprachlosigkeit ins Bild bringen?

SIMON: Die Gedenkstätte nahe Papenburg erinnert an ein bereits 1933 gebautes Konzentrationslager, wo zunächst Gegner des Naziregimes gefangen gehalten und zum Torfabbau gezwungen wurden - dort ist das "Lied der Moorsoldaten" entstanden, das als Zeugnis des Widerstands gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten international bekannt wurde. Das Bistum Osnabrück ließ auf diesem Gelände ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Bundeswehr zu einem kleinen Kloster mit einer Kapelle umbauen. Ich bin dort von Fundstücken aus dem Moor ausgegangen, habe rostige Schienen und Räder der Loren genommen. Ein Schienendrehkreuz ruht nun auf dem Fußboden mitten im Raum, davor steht der Altar aus Eichenholz mit Rädern der Loren aus dem Moor. Das Material aus jener Zeit wurde bewusst integriert, es hält die Erinnerung wach. Die christliche Symbolik ist zurückgenommen und doch spürbar. Auf diese Weise definierte Orte haben eine ganz besondere Anziehungskraft.

HK: Was macht diese Kraft genauer aus?

SIMON: Heute ist man es ja gewohnt, ganze Ausstellungen von versunkenen Menschheitskulturen weltweit zu verschicken, wir haben uns daran gewöhnt, dass Kunstwerke zu Nomaden geworden sind. Die Menschen wissen aber ganz genau, dass es Dinge gibt, die ihren Platz haben. Solche unverrückbaren Orte werden deshalb auch immer kontinuierlich besucht, seien es der Aachener Dom oder Kapellen, die von klassisch modernen Künstlern wie Henri Matisse oder Pablo Picasso gestaltet worden sind, wo eine solche ganzheitliche Kraft zu spüren ist.

HK: Was ist da das Religiöse am Kunstwerk? Ist allein der religiöse Kontext, etwa ein Kirchenraum, entscheidend, oder gibt es spezifisch religiöse Qualitäten des Kunstwerks als solches?

SIMON: Das ist eine schwierige Frage. Tatsächlich wird ja die Aussagekraft von Kunst in der Kirche eine andere als im Museum. Im Vorraum zur Kirche der Pax-Christi-Gemeinde in Krefeld findet sich die Installation "Abgebrochenes Schwert" von Joseph Beuys, bei der Filz um eine Schwertschneide gewickelt ist. Die Arbeit gibt es mehrfach, aber in der Kirche Pax-Christi bekommt sie eine ganz andere Würde, nicht zuletzt mit Blick auf den Namen der Kirche. Der Titel des Werks erhält noch einmal eine viel stärkere Deutlichkeit als in jedem Museum. Im Vorraum hängen noch andere Kunstwerke, unter anderem eine kreuzförmige Ulmenskulptur von mir. Als wir sie dort aufhängen wollten, haben wir festgestellt, dass auf der Rückseite ein Granatsplitter aus dem Zweiten Weltkrieg im Holz steckte, den ich bis dahin noch gar nicht gesehen hatte. Wir haben die Skulptur dann anders herum aufgehängt. Im Eingangsbereich der Kirche, bezeichnenderweise ja auch Paradies genannt, befinden sich jetzt eine ganze Reihe von Skulpturen, die alle ein Thema haben, das Thema der Gemeinde: Pax Christi.

HK: Welche Berechtigung hat da die so genannte christliche Kunst, welche Bedeutung können christliche Motive und Symbole eigentlich heute noch in der zeitgenössischen Kunst haben, nachdem nicht zuletzt die Arte Povera, in deren Tradition Sie stehen, so sehr auf Reduktion und Abstraktion gesetzt hat?

SIMON: Im 19. Jahrhundert hat sich der Weg gegabelt. Auf der einen Seite wurden die Künstler autonomer, auf der anderen Seite entstand das, was man christliche Kunst nennt. In der Zeit davor wurde hier nicht getrennt: Die bedeutendsten Künstler haben für die Kirche gearbeitet, aber auch aus eigenen Stücken Kunst geschaffen, zum Beispiel Peter Paul Rubens. Durch die Neoromanik und Neogotik entsteht etwas ganz Merkwürdiges. Man wollte bewusst kirchliche Kunst machen, zu dem Preis, dass die Künstler die Wirklichkeit negiert haben. In einem neugotischen Altar sind beispielsweise Skulpturen, die Menschen darstellen, die nie gelebt haben. Die Figuren sind alle so heilig, so ideal geschnitzt, dass das kein Mensch auf der Straße mehr sein kann. Gesichter sind auf diese Weise zu Allgemeinplätzen geworden. Bei Riemenschneider, etwa seinen Sandstein-Figuren Adam und Eva am Haupteingang von Sankt Marien in Würzburg, erkennt man hingegen Vorbilder, die gelebt haben. Das sind der schönste Mann und die schönste Frau des damaligen Würzburg gewesen, die Modell für die Bürgerkirche gestanden haben. Eine solche individuelle Aussagekraft geht im 19. Jahrhundert in der christlichen Kunst verloren.

HK: Haben Künstler heute nicht einfach auch Angst vor dem Anachronismus, frühere Stile einfach zu zitieren?

SIMON: Ewald Mataré hat einmal sehr lange an einer weiblichen Figur gearbeitet und am Ende befunden, dass ihm der Kopf misslungen sei. Wo der Kopf saß, hat er deshalb einen Keil in den Torso hineingesägt. Unmittelbar danach wusste er, dass die Skulptur, für die er jahrelang kein Gesicht gefunden hatte, in ihrer Gesichtslosigkeit vollendet war. Möglicherweise muss man sich etwas länger mit einem solchen Kunstwerk auseinandersetzen. Aber dann merkt man auch, dass das heute vielleicht die aufrichtigere Vorgehensweise ist.

HK: Seit Jahrzehnten wird, nachdem die Selbstverständlichkeit aktueller Kunst im kirchlichen Kontext geschwunden ist, über das gespaltene Verhältnis von Kunst und Kirche diskutiert. Manches hat sich inzwischen etwas entspannt: Auf welche Seite ist momentan das Interesse am Anderen größer?

SIMON: Es ist weiterhin etwas im Aufbruch, das ist ganz deutlich. Vor drei, vier Jahrzehnten konnte es passieren, dass ein Künstler mit dem Hinweis, er sei Atheist, einen kunstinteressierten Pfarrer bat, sein Atelier zu verlassen. Das gibt es heute kaum noch. Künstler schauen sich heute zumindest erst einmal an, ob ihre Kunst in den kirchlichen Kontext passt.

HK: Sind da die Künstler noch hinreichend sensibel für die Eigenheiten von Kirchenräumen, in denen eben doch in erster Linie Gottesdienst gefeiert wird?

SIMON: Wenn sie von einem Pfarrer, der eine echte Persönlichkeit ist, angesprochen werden, und wenn die Gemeinde sich darauf einlässt, entsteht immer etwas Gutes.

HK: ... und gibt es genug solcher charismatischer Akteure auf kirchlicher Seite?

SIMON: Natürlich würde man sich heute mehr von jenen großen Vermittlergestalten wie Otto Mauer oder Marie-Alain Couturier in den fünfziger Jahren, später Friedhelm Mennekes oder den Pfarrer der Pax-Christi-Kirche, Karl Josef Maßen, wünschen. Wenn hinter solchen Kunstkirchen jemand steht, der Enthusiasmus hat, funktioniert das, sonst wird es ganz schwer. Das muss nicht zwingend ein Priester sein, aber er sollte natürlich schon über heutige Kunst Bescheid wissen. Jeder Bischof müsste überlegen, ob er nicht in seinem Bistum eine solche Persönlichkeit hat, die da entsprechend Anschubarbeit leisten kann. Dann erhält die Kirche auch mehr von jener Kraft zur Wirklichkeit, die sie so dringend braucht. Wichtig wäre freilich auch wieder eine größere Einfachheit. In vielen Kirchen findet man heute eine sehr verstaubte Ästhetik.

HK: Es wird aber doch auf verschiedenen Ebenen durchaus einiges an Aufwand getrieben, um Kunst in die Kirche zu bringen und darüber zum gegenseitigen Nutzen ins Gespräch zu kommen.

SIMON: Der ganze Wettbewerbsapparat ist eher hinderlich. Oft wird in Kunstkommissionen und Bauausschüssen das genommen, was am wenigsten anstößt. Wir sind heute eine Gesellschaft mit Perfektionswahn geworden. Das strahlt dann auch auf die Kirche ab: So wie wir heute ein Haus kaufen wollen, habe ich in den vergangenen Jahren Gemeinden erlebt, die auch ihre Kirche schlüsselfertig haben wollten. Kathedralen hatten früher eine Bauzeit von zwei-, dreihundert und mehr Jahren. Das ist heute undenkbar. Aus dem Ringen um ein Bauwerk ist ein Aussuchen geworden. Man lässt mal kommen und guckt, was so alles möglich wäre. Am Ende des Wettbewerbs wird dann ein Modell ausgewählt, man fragt, ob das bezahlt werden kann, und dann wird das einfach gebaut. Und wenn man alles fertig hat, will man auch noch eine perfekte Glaubensinnenausstattung haben. Die möchte man sich kaufen wie eine Kollektion. Das geht bis zu den Paramenten, die sich eine Gemeinde im Devotionalienhandel oder sonstwo her besorgt.

HK: Was wäre denn die Alternative?

SIMON: Stattdessen käme es darauf an, dass der Pfarrer und die Gemeinde im intensiven Gespräch mit dem Künstler ihre Wünsche äußern. Um nur ein Beispiel aus meiner Arbeit zu nennen: Ich habe für die Katholische Akademie in Bayern aus einer abgestorbenen Ulme eine Skulptur geschaffen, die jetzt im Garten steht. Von ihr wurden zwei Caseln gedruckt, die in der Kapelle zur Liturgie verwendet werden. Die Skulptur wird nach zwanzig Jahren vermodert sein und man wird sie wegwerfen. Aber dadurch, dass weiter Liturgie gefeiert wird, bleiben die Caseln erhalten. Auf diesen Caseln sind eben keine gestickten Tauben, sondern die Abdrucke des Holzes zu sehen, in denen man noch die Motorkettensäge erkennt, die mit ihren Rillen Schraffuren geschaffen hat. Es ist dem heutigen Menschen sehr wichtig, dass er Arbeit hat: Warum sollen da nicht die Spuren menschlicher Arbeit auf einem Priestergewand erscheinen?

HK: Was reizt Künstler trotz all dieser Probleme, die Sie beschreiben, an der Kooperation mit der Kirche?

SIMON: Dass ein Raum bleibt, der begehbar ist, wo man hineinkommt und der wirklich im Sinne eines Gesamtkunstwerks eine Aussagekraft hat. Das System in einem Museum besteht ja heute gerade darin, dass man jedem Künstler einen Saal zur Verfügung stellt. Wenn man so will, bekommt jeder Künstler da eine eigene Kapelle. Jeder Künstler begreift, dass das etwas ganz Besonderes ist, wenn er einen, wenn auch kleinen Raum, stimmig hinterlassen kann. Das müssen keine großen Räume sein. Die Kirche müsste sich noch stärker darauf konzentrieren, nicht nur große, sondern auch kleine Räume zu bauen und als Gesamtkunstwerke zu gestalten, die dann von innen her wirken. Ein solcher Raum gelingt, wenn von den Fenstern bis zum Altar alles eine Sprache spricht und eine Einheit wird - ohne dass es allerdings einfach nur glatt und schick werden darf.

HK: Ist in der Kunst insgesamt und vor allem mit Blick auf das Verhältnis von Kunst und Kirche die Lust an der Provokation vergangen?

SIMON: Leider. Das liegt teilweise auch am restriktiven Umgang mit Kunst von Seiten der Kirche, den es in den vergangenen Jahren auch gab. Mindestens so entscheidend ist, dass die Kirche heute genug eigene Probleme hat: den Missbrauchsskandal, aber auch den Umgang mit den so genannten aufgelassenen Kirchen. Heute besteht die Provokation eher darin, eine Skulptur im öffentlichen Raum zu entwickeln. 2004 von der Stadt Heidenheim eingeladen, habe ich eine Skulptur auf dem Galgenberg neben einem Friedhof entwickelt. Ein alter Steinaltar aus einer aufgelassenen Kirche, hängt an Drahtseilen in einem aus Holzbalken gestapelten Oktogon. Heute besteht die Notwendigkeit, konstruktiv eine Bildsprache zu entwickeln, die das Auseinanderdriften von Kirche und Gesellschaft deutlich macht.


Klaus Simon (geb. 1949) ist Bildhauer und lebt in Krefeld. 1969 bis 1975 Studium an der Fachhochschule für Kunst und Design in Köln; 1976 bis 1982 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf; 1983 bis 1986 dort Lehrauftrag für Bildhauerei; 1992 bis 1995 Lehrtätigkeit am Institut National Supérieur des Arts et de l' Action Culturelle (INSAAC) in Abidjan/ Elfenbeinküste.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 2, Februar 2011, S. 69-73
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2011