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GESCHICHTE/045: Gegenspieler Martin Luthers - Der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli (Gerhard Feldbauer)


Gegenspieler Martin Luthers

Der radikale Schweizer Reformator Huldrych Zwingli -
- Am 11. Oktober 1531 fiel er in der Schlacht bei Kappel

Von Gerhard Feldbauer, 24. Oktober 2016



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Der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli auf einem Porträt von Hans Asper, entstanden nach dem Tod Zwinglis. Öl auf Pergament. 35 x 24.5 cm. Rechts Monogramm HA, oben beschriftet mit OCCUBIT ANNO AETATIS XLVII 1531 - er verstarb im 47. Altersjahr 1531
Winterthur Kunstmuseum
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Der 485. Jahrestag des Todes Huldrych Zwinglis am 11. Oktober 1531 erregte - soweit ich das verfolgen konnte - in deutschen Medien keine Aufmerksamkeit. Bleibt zu hoffen, dass sich das 2017, zum 500. Jahrestag der Reformation, ändert. Denn der radikale Schweizer Reformator unterschied sich in seinem Denken und Handeln grundsätzlich von Martin Luther, der die Reformation 1517 mit seinem Thesenanschlag einleitete, aber 1525 in seiner Schrift "Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren" den aufständischen Bauern in den Rücken fiel und die Fürsten ermutigte, sie sollten sie "zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss".

Der am 1. Januar 1484 in Wildhaus (Kanton St. Gallen) geborene Huldrych Zwingli gehörte zu den entschiedensten Führern der protestantischen Bewegung Europas, die beispielsweise in Deutschland in den Bauernkriegen in eine frühbürgerliche Revolution mündete. Als Feldprediger begleitete er die revolutionären Truppen in die Schlachten.

Zwingli, dessen eigentlicher Vorname Ullrich lautete, wuchs im sozialen und politischen Umfeld der im 15. Jahrhundert von verschiedenen Volksschichten getragenen reformatorischen Bewegung auf. Vordergründig ging es darum, die katholische Kirche in einem Teil Europas in eine reformierte anglikanische, lutherische oder kalvinistische umzugestalten. Die tieferen Ziele der Bewegung, die auch in der Schweiz ihrem Charakter nach Züge revolutionärer frühbürgerlicher Erhebungen annahm, bestanden jedoch darin, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Dafür gab es in der Schweiz eine Reihe günstiger Bedingungen, die in anderen Ländern so meist nicht existierten. Die Feudalverhältnisse waren relativ unterentwickelt; die Form der Marktgenossenschaft war erhalten geblieben; eine starke Schicht freier Bauern hatte sich herausgebildet; in den Stadtkantonen Zürich, Basel und Bern waren bereits starke Zentren des Zunfthandwerks (Weberei) entstanden; existierte ein ausgedehnter Fernhandel.

Das entwickelte städtische Bürgertum, aber auch Grundbesitzer forderten im Interesse der Stärkung ihrer wirtschaftlichen Positionen und politischer Eigenständigkeit, die Eidgenossenschaft stärker zu zentralisieren und die Machtstellung der Kirche zu beseitigen. In den nordschweizerischen Städten, an ihrer Spitze Basel mit seiner 1459 gegründeten Universität, entstanden Zentren des Buchdrucks und auf dieser Basis der Humanismus.

In Basel und Bern besuchte Zwingli, Sohn eines Bauern und Amtmannes, die Schule, studierte anschließend in Basel und Wien von 1498 bis 1506 Theologie und promovierte zum Magister. Danach hat er in Glarus zehn Jahre ein Pfarramt inne und ist bis 1518 im Wallfahrtsort Maria-Einsiedeln tätig und seit 1519 Leutpriester am Großmünster in Zürich. Als Feldprediger nimmt er 1513 und 1515 an den Schlachten von Novara bzw. Marignano (heute Melegnano) gegen die französischen Truppen in Norditalien teil.

Steht Zwinglis Wirken zunächst unter dem Einfluss der lutherischen Bewegung, wird er jedoch bereits zu dieser Zeit besonders durch den Humanismus des Erasmus von Rotterdam geprägt, der sich 1517 und 1528 in Basel aufhält. Zu einem engen Weggefährten wird ihm der Mediziner, Philosophieprofessor und Historiker Joachim von Watt (Latinisiert Vadianus genannt), der in St. Gallen als Stadtarzt arbeitet, dort zum Magistratsmitglied und 1526 zum Bürgermeister berufen wird.


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Titelblatt der Zürcher Bibel von 1531
Christoffel Froschauer (Druck) - Sigmund Widmer: 1484 Zwingli 1984. Zürich 1984.
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Im Rahmen heftiger sozialer und politischer Auseinandersetzungen beginnt unter Führung Zwinglis 1523 in Zürich die Schweizer Reformation, die sich in den nächsten Jahren auf andere Stadtkantone ausbreitet. Während in Zürich das Patriziertum entmachtet wird, erheben sich die Bauern in der Nordschweiz, erkämpfen die Aufhebung der Leibeigenschaft und des kleinen Zehnten. Durch seine erste und zweite Disputation (Januar und Oktober 1523) gestaltet Zwingli Zürich zum Zentrum der kirchlichen, politischen und sozialen Neuordnung der Eidgenossenschaft. Die Schweizer Reformation strahlt vor allem auf Süddeutschland und Tirol aus. Der Bauernführer Michael Gaismair verfasst 1526 in seinem Exil in Graubünden auf der Grundlage der Lehren Zwinglis seine "Tiroler Landesordnung" und führt im selben Jahr die Bauern des Alpenlandes zu einem neuen Aufstand.

Nach der zweiten Disputation Zwinglis beginnt die Durchführung der Reformation; der Züricher Stadtrat entmachtet die Kirche und übernimmt ihre Aufgaben. Zwingli verkündet als Ziel, alles zu beseitigen, was nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen ist: darunter die Abnahme der Heiligenbilder (1524), die Aufhebung der Klöster (1525), die Abschaffung der Prozession, des Orgelspiels und des Gemeindegesangs, der Firmung und der letzten Ölung, die Beschränkung der Feiertage, die Begründung des Almosenamtes, Abendmahlsfeier nur an vier Sonntagen des Jahres am weißgedeckten Tisch mit Brotbrechen und Kelchnahme. An die Stelle des Stiftskapitels am Großmünster tritt die Prophezei (Bibelauslegung in wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften). Zu Beginn der kirchlichen Reformen geht Zwingli 1524 mit Anna Reinhard die Ehe ein.

Zwinglis theologisches Wirken war rational geprägt und auf das gesellschaftliche städtische Leben ausgerichtet, es beeinflusste maßgeblich den bürgerlich-republikanischen Charakter der Schweizer Reformation. Wenn er die Bedeutung der Arbeit für die Gesellschaft hervorhob, war er seiner Zeit sozial weit voraus. Daran änderte auch die zeitbezogene Begründung nichts, dass sie Gottes Gnade herbeirufe. Entschieden bekämpfte er die Leibeigenschaft und den Söldnerdienst in fremden Heeren, das sogenannte Reislaufen, das 1522 in Zürich verboten wurde. Die von Zwingli herbeigeführten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen entsprachen den Bedürfnissen des aufsteigenden Bürgertums.

Sowohl in seinen kirchlichen als auch seinen politisch-sozialen Reformen war Zwingli radikaler als Luther, was offen in dem Marburger Religionsgespräch 1529 zum Ausdruck kam. Während Luther die leibhaftige Gegenwart Christi in den Abendmahlssegmenten (Brot und Wein) vertrat, fasste Zwingli diese nur symbolisch auf. Welten trennten Zwingli, der die Reformationstruppen in die Schlachten begleitete und sich auf die Seite der aufständischen Bauern stellte, von dem Wittenberger, der 1525 mit seiner Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" diesen in den Rücken fiel.

1529 verbündete sich die klerikal-katholische Reaktion der Schweiz mit der Österreichs gegen Zürich. 1531 erlitt das Revolutionsheer in der Schlacht bei Kappel, in der Zwingli fiel, eine Niederlage. Der Tod des radikalen Reformators engte die Reformen ein und erleichterte die katholischen Restaurationsbestrebungen. Die konfessionelle Spaltung blieb bestehen, tiefergehende historisch-progressiven Pläne Zwinglis zu einer staatspolitischen Umgestaltung der Eidgenossenschaft wurden verhindert.

Seine Anhänger, die sich nach seinem Tod Zwinglianer nannten, vereinigten sich 1549 mit denen Jean Calvins, der nach seiner Ausweisung aus Frankreich 1536 vor allem in Genf wirkte, zu den sogenannten Reformierten.

Zwingli hinterließ umfangreiche Schriften, die erstmals ab 1905 in 14 Bänden zusammengefasst erschienen. Als sein Hauptwerk gilt "De vera ac falsa religione" (Über die wahre und die falsche Religion), das bereits zu seinen Lebzeiten 1525 erstmals in Zürich erschien.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2016

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