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KIRCHE/1412: Griechenland - mehr als nur Wirtschaftskrise (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Pressemitteilung vom 22. November 2012

Situation in Griechenland mehr als nur Wirtschaftskrise

Gemeinsame Pressemitteilung mit der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK)



Die Situation in Griechenland sei mehr als eine Wirtschaftskrise, die nur das Land selbst betreffe, sagten Regierungs- und Kirchenvertreter in Athen gegenüber einer ökumenischen Delegation aus Europa und Afrika am Montag, 19. November.

Die schwierige Lage, in der sich Griechenland momentan befinde, sei nur ein Teil eines größeren Problems in Europa und im Rest der Welt. Dies weise nicht nur auf eine mögliche wirtschaftliche Katastrophe hin, sondern auch auf eine beginnende moralische und spirituelle Zersetzung, die bis ins Zentrum der Europäischen Union und des gegenwärtigen Wirtschaftssystems reiche.

Griechenland habe ein ernsthaftes Problem, meinte Constantinos Tsiaras, der griechische stellvertretende Außenminister, am Montagmorgen vor der ökumenischen Delegation, der die Generalsekretäre des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) sowie acht weitere Kirchenvertreter angehörten.

Auch wenn das Problem von Griechenland ausgehe, sei das Land "nicht das ganze Problem", so Tsiaras.

Das Problem reiche weit über Griechenland hinaus, sagte der Minister. "Griechenland bemüht sich in dieser Zeit sehr, eine Situation zu verhindern, die noch schlimmer werden könnte als das, was wir jetzt erleben."

"Wir werden die Wirtschaft nicht kollabieren lassen", fügte er hinzu. "Aber die Europäische Union muss Solidarität zeigen als Wert ihrer Existenz."

Tsiaras traf sich zu Beginn des zweitätigen Solidaritätsbesuchs unter der Leitung von ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Olav Fykse Tveit und KEK-Generalsekretär Pastor Dr. Guy Liagre. Das Besuchsprogramm umfasste außerdem eine Audienz bei Erzbischof Hieronymus II. von Athen und ganz Griechenland.

Der Erzbischof wies auf eine größere Krise hin und erwähnte ein wachsendes Gefühl von Bitterkeit, da die Griechen nicht nur unter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten litten, sondern auch unter dem negativen Bild von ihnen, das durch die Medien propagiert werde. "Das ist nicht hilfreich", sagte er.

"Die Griechen sind keine Diebe, sie sind weder unehrlich noch faul, wie es in den Medien in ganz Europa zu hören ist", sagte der Erzbischof. "Sie arbeiten hart und verfügen über Liebe, Ehre, Gastfreundschaft und Würde."

Bezüglich des Auseinanderdriftens der zwei Seiten aufgrund von unterschiedlicher Wahrnehmung sagte er: "Mehl muss von zwei Steinen gepresst werden."

"Es handelt sich nicht nur um eine griechische Krise, sondern auch um eine Krise der anderen Seite", sagte der Erzbischof zur gegenseitigen Verantwortung. "In dieser schwierigen Situation muss die Kirche die Seelen der Menschen erheben und wiederherstellen."


Solidaritätsbekundungen für Griechenland

"In einer Krise ist es Zeit für Solidarität, Einheit und Liebe, nicht für Spaltungen", sagte Tveit in der Begegnung mit Tsiaras, und wiederholte seine Aussage in der Diskussion mit Erzbischof Hieronymus. "Keine Krise ist nur eine Krise, sondern sie ist auch eine Chance."

Wenn es sich um ein rein wirtschaftliches Problem Griechenlands handelte, könnte es mit der Zeit gelöst werden. Aber eine zunehmende Kluft zwischen den beiden Hauptakteuren in dieser Krise - Griechenland und Deutschland - führe zu Spannungen und Missverständnissen und betreffe die Grundlagen der Europäischen Union, während die Kirche gefragt sei, ihre Rolle zu spielen.

"Wir leiden wirklich mit unseren Freunden", sagte Bischof Heinrich Bedford-Strohm von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. "Wir sind alle ein Europa." Gleichzeitig bestätigte er, dass in Deutschland in der Gesellschaft und sogar in der Regierung ein negatives Bild der Griechen vorherrsche.

"Ich plädiere für Demut auf deutscher Seite", sagte Bedford-Strohm im Gespräch mit dem Erzbischof. Er sagte, dass in den Feiern zum Tag der deutschen Einheit auch anerkannt worden sei, dass Deutschland einst das Mitgefühl der Welt empfangen habe, und "nach dem Zweiten Weltkrieg Freiheit geschenkt bekam, die es nicht verdient hatte".

"Ich sehe ein Umdenken bei deutschen Politikern", meinte er. "Ihre Botschaft wird langsam wahrgenommen."

Bedford-Strohm sagte, die Verantwortlichen der Europäischen Union müssten zu den Grundwerten der Union zurückkehren, und bat ÖRK und KEK, sich einzumischen. "Sie sollten sich mit lauter Stimme an das Europäische Parlament wenden und darauf hinweisen, dass es sich nicht in Übereinstimmung mit seinen Gründungswerten befindet."

Am selben Tag konnte die Delegation hautnah erleben, wie komplex die Situation in Griechenland geworden ist.

In einer Suppenküche im Zentrum von Athen, die von der griechischen Kirche, der anglikanischen Kirche und verschiedenen von afrikanischen Einwanderern gegründeten Pfingstkirchen betrieben wird, waren unter den 1000 Menschen, die für Essen anstanden, Afghanen, Syrer und Nordafrikaner. Seit kurzem sind ein Drittel dieser Menschen Griechen.

Auf eine Art ist Griechenland zum Haupteingang für Migranten geworden, die in Europa an die Tür klopfen, weil sie ein besseres Leben, Sicherheit vor Konflikten oder politisches Asyl suchen. Durch Griechenland erreichen sie den Rest Europas. In vielen Fällen schaffen sie es aber nicht weiter als bis Griechenland.

"Ich plädiere für eine Fortsetzung des Dialogs, um die Situation, in der wir leben, zu verstehen", sagte Liagre am Abend, und drückte seine Hoffnung aus, dass die Kirche einen neuen Ansatz in der Krise hervorbringen könne.


Website der Konferenz Europäischer Kirchen:
http://lists.wcc-coe.org/ct.html?ufl=4&rtr=on&s=jazjt,ity3,usx,fhjw,1uun,6a92,l50s

ÖRK-Mitgliedskirchen in Griechenland:
http://lists.wcc-coe.org/ct.html?ufl=4&rtr=on&s=jazjt,ity3,usx,afgr,kflb,6a92,l50s

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Quelle:
Pressemitteilung vom 22. November 2012
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2012