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KIRCHE/595: Seit 50 Jahren Versöhnungsarbeit um des Friedens willen (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 02.05.2008

Seit 50 Jahren Versöhnungsarbeit um des Friedens willen

Ratsvorsitzender beim Festakt von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste


Im Sinne der neuen Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeitet "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" (ASF) seit 50 Jahren, erläuterte der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, in seinem Grußwort zum 50-jährigen Jubiläum des Vereins in Berlin. 1958 sei es das Ziel von Lothar Kreyssig gewesen "der Selbstrechtfertigung, der Bitterkeit und dem Hass eine Kraft entgegen zu setzen". Deshalb habe er sich mit ASF für die Versöhnung der ehemaligen Gegner aus dem zweiten Weltkrieg eingesetzt: Junge Deutsche sollten in andere Länder gehen, um "Sühnezeichen"; Zeichen der Versöhnung, zu setzen. Zum Festakt anlässlich des halben Jahrhunderts solcher Freiwilligeneinsätze, sprachen außer dem Ratsvorsitzenden, Bundespräsident Horst Köhler, die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, der Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, und eine Überlebende der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und ASF-Projektpartnerin aus Prag.

Die Forderung der 2007 erschienen Friedensdenkschrift des Rates der EKD, dass wer aus den Frieden Gottes lebe, für den Frieden in der Welt eintrete, habe Lothar Kreyssig und die ASF schon sieben Jahre vor dem Erscheinen der Ostdenkschrift der EKD verwirklicht: Sie seien für die Versöhnung zwischen den Völkern eingetreten in der Überzeugung, "wer für die Versöhnung arbeitet, gibt dem Frieden Wurzeln". Die Initiatoren von ASF hätten gewusst, welches Leid die Deutschen im Gefolge von Hitler über andere Völker gebracht hatten, deshalb baten sie durch tätige Hilfsangebote um Versöhnung, so der Ratsvorsitzende. Aus dem Geist der Versöhnung, "der mit Recht und Gerechtigkeit, mit Erinnerung und Phantasie verbunden wird, sollte eine friedliche Zukunft eröffnet werden.

Hannover/Berlin, 2. Mai 2008
Pressestelle der EKD
Christof Vetter


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Das Grußwort im Wortlaut:

Wie die Religionen zum Frieden stehen, wird neuerdings wieder heiß diskutiert. Aus unseligen Verbindungen zwischen Religion und Gewalt leiten Kritiker die Auffassung ab, die Gewaltneigung gehöre zum Wesen der Religion, auch des Christentums. Wenn man sie daran erinnert, dass Jesus die Friedensstifter, ja sogar die Sanftmütigen selig pries, halten sie dem entgegen, das sei lange her. Wenn man ihnen dagegen christliche Friedensinitiativen unserer Zeit vor Augen stellt, kann man Nachdenklichkeit wecken. Wenn solche Initiativen aus dem Bekenntnis der Schuld geboren sind und Folgerungen daraus ziehen, dass in unserer Geschichte Glaube und Gewalt, religiöser Überlegenheitswahn und Menschenverachtung sich in verantwortungsloser Weise verquickten, dann erwächst daraus eine Kraft, die wir gerade heute und morgen dringend brauchen.

Die Initiative, die Lothar Kreyssig und mit ihm Franz von Hammerstein und andere vor fünfzig Jahren ergriffen, war eine Antwort auf geschichtliche Erfahrungen: auf das nationalsozialistische Gewaltregime, den von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieg, die Gräuel der Konzentrationslager. Die Initiatoren wussten um das Leid, das die Deutschen im Gefolge Hitlers über andere Völker gebracht hatten. Sie wussten um die Opfer, um die Schuld, um all das Schreckliche, das Deutsche verursacht hatten. Sie wussten um die Bitterkeit und den Hass auf die Deutschen insbesondere in Ländern wie Israel, Polen oder der Sowjetunion. Sie baten um Vergebung und waren fest entschlossen, diese ehrliche Bitte um Vergebung durch aktive und tätige Hilfsangebote plausibel zu machen. Deutsche Freiwillige sollten in den von der deutschen Wehrmacht überfallenen Ländern sowie an den Überlebenden der Schoah einen Dienst der Versöhnung tun.

Lothar Kreyssig und seine Mitstreiter wussten insbesondere um das Defizit an Versöhnung, das verhinderte, dass im Nachkriegs-Europa ein gerechter und nachhaltiger Friede wachsen konnte. Deshalb sollten junge Deutsche in andere Länder gehen, um dort "Sühnezeichen", Zeichen der Versöhnung zu setzen.

Schon sieben Jahre vor der Veröffentlichung der "Ost-Denkschrift" der Evangelischen Kirche in Deutschland war hier der Geist am Werk, der auf Versöhnung zwischen den Völkern zielte. Wenn Kreyssig schrieb: "Wir haben vornehmlich darum noch immer keinen Frieden, weil zu wenig Versöhnung ist ...", so wies er auf die Wurzeln des Friedens hin. Zu diesen Wurzeln zählen außer Versöhnung auch Recht und Gerechtigkeit, ebenso Erinnerungsfähigkeit und eine in die Zukunft weisende Phantasie.

Die Aktion Sühnezeichen wurde als gesamtdeutsche Organisation gegründet. Angesichts der deutschen Spaltung entwickelten sich in den beiden deutschen Staaten zwei Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der praktischen Arbeit. Doch die Resonanz war auf der einen wie auf der anderen Seite groß. So nahmen allein an den von der Aktion Sühnezeichen in der DDR organisierten Sommerlagern zwischen 1962 bis 1992 über 12 000 Freiwillige teil.

Der Aktion Sühnezeichen geht es darum, aus dem Geist der Versöhnung, der mit Recht und Gerechtigkeit, mit Erinnerung und Phantasie verbunden wird, eine friedliche Zukunft zu eröffnen. Im praktischen Handeln entspricht dem ein Dienst im Geist der Freiheit, der als christlich profilierter internationaler Freiwilligendienst für junge (und auch ältere) Menschen Gestalt angenommen hat. Ein Dienst im Geist der Freiheit kann sich aus guten Gründen auf Ursprungsimpulse des christlichen Glaubens berufen. Mit Worten des Apostels Paulus: "So besteht denn in der Freiheit, zu der euch Christus befreit hat." Oder mit der abschließenden Formulierung in Martin Luthers reformatorischem Freiheitstraktat: "Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe."

Die Idee solcher Dienste im Geist der Freiheit ist gerade heute wichtig und zukunftsträchtig. Auch die Politik begreift dies und sieht in der sachgerechten Förderung von Freiwilligendiensten eine entscheidende politische Gestaltungsaufgabe. Leider ist es jedoch noch immer nicht zu einem allgemeinen Entsendegesetz für im Ausland tätige Freiwilligendienste gekommen, wie die christlichen Kirchen dies seit vielen Jahren fordern. Ich nutze den heutigen Festtag, um dieses Anliegen noch einmal in seiner Dringlichkeit hervorzuheben.

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und andere christlich profilierte Freiwilligendienste sind nicht nur ein Markenzeichen der Kirche, sondern sie leisten auch Wertvolles für unsere Gesellschaft. Davon ist der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland fest überzeugt. Ich spreche Ihnen deshalb heute den herzlichen Dank unserer Kirche für das große Engagement aus, von dem die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste getragen ist: für das Engagement ihrer Freiwilligen und ihrer Ehemaligen, ihrer beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihrer treuen Mitglieder und Förderer. Gewiss war das Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und der Aktion Sühnezeichen nicht immer spannungsfrei; aber unsere Kirche weiß um die große Bedeutung dieser Initiative für Friedenszeugnis, Friedensbewegung und Friedensdienst. Deshalb gilt Ihnen auch in Zukunft unsere Unterstützung.

"Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein." So sagt es die neue Friedensdenkschrift unserer Kirche. Ganz in diesem Geist forderte Lothar Kreyssig, wir müssten "der Selbstrechtfertigung, der Bitterkeit und dem Hass eine Kraft entgegensetzen". Um diese Kraft geht es heute und morgen. Ihr Jubiläumsmotto trifft den Kern: "Wer für Versöhnung arbeitet, gibt dem Frieden Wurzeln."

Zur Friedensdenkschrift der EKD:
http://www.ekd.de/download/ekd_friedensdenkschrift.pdf


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Quelle:
Pressemitteilung 110/2008 vom 02.05.2008
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2008