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KIRCHE/977: Bischof Munib Younan steht künftig an der Spitze des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB)


Deutsches Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes - 25. Juli 2010

Durch mehr Gerechtigkeit zur Versöhnung
Bischof Munib Younan steht künftig an der Spitze des Lutherischen Weltbundes

Ein Porträt von Udo Hahn


Dem neu gewählten Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Dr. Munib Younan, wird nachgesagt, er habe viele Gaben. Wer ihm begegnet, kann sich seiner gewinnenden Art, seinem Humor und seiner Rhetorik kaum entziehen. Eines kann der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL) aber nicht: unpolitisch sein. Am 18. September 1950 in Jerusalem geboren, stammt Younan aus einer Flüchtlingsfamilie. Das prägt ihn bis heute. Bereits als Kind ist er dem LWB begegnet. Es sei in den fünfziger Jahren gewesen, als er die Martin-Luther-Schule in Jerusalem besuchte und täglich einen Becher Milchschokolade erhielt. Dieser habe die Aufschrift getragen: "Ein Geschenk des Lutherischen Weltbundes." Auch das hat Munib Younan geprägt, der vor dem Hintergrund dieser Erfahrung den Bogen von seiner Schulzeit zum Thema der Elften Vollversammlung - "Unser tägliches Brot gib uns heute" - spannte.

Mit der Arbeit des Weltbundes ist Younan seit 1981 vertraut. Damals gehörte er dem LWB-Jugendkomitee an. Zwei Legislaturperioden arbeitete er bereits im Rat mit, zuletzt fungierte er als einer der fünf Vizepräsidenten. Schon bei den Vollversammlungen 1997 in Hongkong und 2003 in Winnipeg/Kanada fiel immer wieder auch sein Name, wenn es um die Suche nach dem geeigneten Kandidaten für das Präsidentenamt ging. Jetzt, in Stuttgart, war es soweit. Und für den LWB durchaus untypisch, dass er als einziger Bewerber präsentiert wurde. Entsprechend groß fiel die Zustimmung aus: 300 von 360 Delegierten votierten für ihn.

In der mehr als sechzigjährigen Geschichte des 1947 gegründeten LWB ist seine Wahl ein Novum: Erstmals kommt ein Präsident aus Asien - zu dieser Region wird der Nahe Osten auf der Weltkarte des LWB gerechnet. Von den elf bisherigen Präsidenten stammten sechs aus Europa - unter ihnen waren drei Deutsche -, drei US-Amerikaner, ein Lateinamerikaner sowie ein Afrikaner. Diesmal lief also alles auf Munib Younan zu. Dass er in Deutschland gewählt wurde, erfülle ihn mit besonderer Freude, sagte er in seiner Dankesrede nach der Wahl. Schließlich sei seine Kirche das Ergebnis deutscher Missionsarbeit im Heiligen Land. Und traditionell eng sind auch die Beziehungen der ELCJHL nach Deutschland - zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie zur Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Insbesondere mit dem Leitenden Bischof der VELKD und Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees des LWB, Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München), verbindet ihn auch eine persönliche Freundschaft. Sie wurzelt in der Zeit, als Friedrich für die EKD als Propst in Jerusalem tätig war, 1985 bis 1991.

Zum 50-jährigen Bestehen der Synode der ELCJHL im vergangenen Jahr würdigte der Leitende Bischof der VELKD unter anderem die sozial-diakonische und pädagogische Arbeit dieser Kirche als Beitrag zum Aufbau einer gerechten und im Frieden lebenden Gesellschaft in Israel und Palästina. Die Lutheraner in der Region leisteten nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Ökumene im Heiligen Land, sondern auch zur Verständigung von Christen, Juden und Muslimen.

Natürlich ist Munib Younan auch ein "politischer" Bischof. Das kann gar nicht anders sein. Schließlich lebt er in einer Region, in der Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit Themen des alltäglichen Lebens sind. Seine Rolle ist keine einfache, denn er hat stets zwei Adressaten: die Palästinenser, unter denen die Christen eine Minderheit sind, und den Staat Israel, den er ein ums andere Mal auffordert, politische Lösungen zu suchen, damit Israelis und Palästinenser in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben können. Israel habe den Schlüssel dazu in der Hand, hört man ihn regelmäßig sagen.

Munib Younan weist immer wieder auf den Einsatz seiner Kirche für eine demokratische Entwicklung und den Aufbau einer Zivilgesellschaft in Palästina hin. Dieses Engagement habe auch das Ziel, einer Radikalisierung entgegen zu wirken, erläutert er. Mit Besorgnis erfüllt ihn der anhaltende Exodus palästinensischer Christen aus dem Heiligen Land. Immer mehr Mitglieder seiner Kirche hätten keine Hoffnung mehr auf Frieden.

Als der Rat des LWB nach mehreren Anläufen endlich 2005 in Bethlehem tagen konnte, rief Younan einmal mehr Israelis und Palästinenser zur Versöhnung durch mehr Gerechtigkeit, Wahrheit und gegenseitige Vergebung auf. Echte Versöhnung könne nur in einer Kultur der Wahrhaftigkeit wachsen und habe ihren Grund in Gerechtigkeit. "Wenn wirkliche Versöhnung zustande kommen soll, müssen wir bereit sein zu vergeben", so Younan. Vor dem Hintergrund des Konflikts in der Region kritisierte der Bischof, dass sich "die globalisierte Welt rasant zu einer Welt ohne Werte entwickelt". Es gebe drei wesentliche Elemente, die der Welt fehlten: Friede, Gerechtigkeit und Vergebung. Gott definierten immer weniger Menschen als Mitte ihres Lebens. Bei manchen wirke es, als "wollten sie damit nur so etwas wie göttliches Recht für ihre engstirnigen eigenen Ideologien" beanspruchen. Im Namen des Friedens und der Sicherheit bete man Waffen, Mauern und den Krieg an. Laut Younan verurteilen die palästinensischen christlichen Kirchen Intoleranz und Extremismus. Sie seien der festen Überzeugung, dass sie berufen sind, eine neue Generation von Gläubigen heranwachsen zu lassen, die danach streben, Gott in anderen Religionen und Kulturen zu entdecken, und die nach gemeinsamen Wertvorstellungen wie Achtung vorallem menschlichen Lebens, gegenseitigem Verständnis, Liebe, Gerechtigkeit, Vergebung und Heilung streben. Im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern komme der Wahrheit eine herausragende Rolle zu, erklärte Bischof Younan. Beide Völker müssten lernen, die Wahrheit der anderen gelten zu lassen und zu achten, dass auch Anderen Leid zugefügt worden sei. "Wir müssen das Unrecht bekennen, das dem palästinensischen Volk angetan worden ist, und wir müssen bekennen, dass dem israelischen Volk Angst eingeflößt worden ist." Gegenseitig die Geschichte des Anderen anzuerkennen, sei eine wesentliche Voraussetzung für Heilung und Versöhnung. Er stellte fest, Frieden sei möglich, wenn die Menschen begriffen, dass die Sicherheit Israels von der Freiheit und Gerechtigkeit der Palästinenser abhinge und umgekehrt. Diese wechselseitige Beziehung schaffe "die Voraussetzungen dafür, dass beide Völker in einem unabhängigen, lebensfähigen Staat im Einklang mit den völkerrechtlichen Normen für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und einer gerechten Verteilung der Ressourcen leben können", so Younan.

Bei der Ratstagung 2005 rief Younan den LWB auf, die Erlöserkirche in Jerusalem als Stätte zu bestimmen, an der einmal im Jahr Christen, Muslime und Juden, Palästinenser und Israelis zusammenkommen und "unablässig beten können, bis ein gerechter Friede und Versöhnung verwirklicht worden sind". Es könnte gut sein, dass der Bischof als Präsident des LWB diese Initiative erneut ins Gespräch bringt.


Weitere Informationen sind im Internet unter
www.lwb-vollversammlung.org abrufbar.

Hannover, 25. Juli 2010
Udo Hahn
Pressesprecher des DNK/LWB

Das Deutsche Nationalkomitee (DNK) des Lutherischen Weltbundes (LWB) vertritt 13 lutherische Kirchen. Neben den acht Gliedkirchen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) - Bayern, Braunschweig, Hannover, Mecklenburg, Nordelbien, Sachsen, Schaumburg-Lippe und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) - gehören zum DNK: die Evangelisch-Lutherische Kirche in Baden, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg, die Pommersche Evangelische Kirche, die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die Lippische Landeskirche-Lutherische Klasse. Das DNK/LWB vertritt ca. 12,9 Millionen Gemeindeglieder. Vorsitzender des DNK/LWB ist der Leitende Bischof der VELKD, Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München). Die Geschäftsstelle des DNK/LWB leitet Oberkirchenrat Norbert Denecke. Der Lutherische Weltbund umfasst 70,1 Millionen Gläubige in weltweit 145 Mitgliedskirchen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 25.07.2010
Udo Hahn - Geschäftsstelle des DNK/LWB
Deutsches Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes
Postfach 21 02 20, 30402 Hannover
Telefon: 0511/ 27 96 272, Fax: 0511/ 27 96 777
E-Mail: hahn@dnk-lwb.de
Internet: www.dnk-lwb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010