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LATEINAMERIKA/065: Kolumbien - Kaffee, Drogen und Solidaritätsmüdigkeit (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Pressemitteilung vom 1. Juli 2010

Kolumbien: Kaffee, Drogen und Solidaritätsmüdigkeit


Solidaritätsmüdigkeit ist eines der größten Probleme für die kolumbianischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich um eine Lösung des seit vierzig Jahren andauernden bewaffneten Konflikts im Land bemühen. Dies erfuhren die Teilnehmenden an einer ökumenischen Tagung, auf der auch ein neuer Aufruf zum Handeln erging.

"Für viele ist Kolumbien gleichbedeutend mit Kaffee und Drogen", sagte der presbyterianische Theologe Milton Mejía. Solche Klischees werden noch verstärkt durch den jahrzehntelangen bewaffneten internen Konflikt, der "immer schlimmer zu werden scheint", fügte Mejía hinzu, was zu einem "weit verbreiteten Interessenverlust und einer dementsprechenden Müdigkeit" geführt habe.

Laut Mejía, der die Beobachtungsstelle für Kirche und Gesellschaft an der Reformierten Universität von Barranquilla leitet, trifft diese Solidaritätsmüdigkeit sogar auf internationale Organisationen zu, an die sich die Kolumbianer um Hilfe wenden. Infolgedessen haben sie Probleme, wenn sie versuchen, das Ausmaß und die Dringlichkeit der humanitären Krise in ihrem Land zu erklären.

Mejía plädierte aber dafür, Initiativen wie die Ethische Wahrheitskommission (Comisión Ética de la Verdad) [1] zu unterstützen, die sich darauf spezialisiert hat, die Rechte und das kollektive Gedächtnis der Opfer von Verbrechen des Staates zu schützen. Er trat auch für die Umsetzung eines Begleitprogramms nach dem Modell des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel [2] ein.

Mejía sprach auf einer Anhörungssitzung des Globalen ökumenischen Netzwerks für Migrationsfragen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), das seine jährliche Tagung von 24. bis 30. Juni in Genf durchgeführt hat. Die Anhörung konzentrierte sich auf das, was ökumenischen Organisationen in Kolumbien als die schlimmste humanitäre Krise auf dem amerikanischen Kontinent und eine der ernstesten Krisen der Welt bezeichnet haben.

Regierungsstatistiken zufolge hat die Gewalt bisher 3,2 Millionen Kolumbianer gezwungen, ihre Heimatorte zu verlassen. Nichtregierungsorganisationen sprechen dagegen von 4,6 Millionen. 2008 hatte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen die Zahl der Kolumbianer, die in anderen Ländern Zuflucht gesucht hatten, auf 552 000 geschätzt.

Angesichts dieses anhaltenden bewaffneten internen Konflikts, an dem die Armee, Rebellengruppen, Drogenhändler und paramilitärische Gruppen beteiligt sind, weisen die kolumbianischen Kirchen und die ökumenischen Organisationen darauf hin, dass sich das Land in einer ethischen Krise befindet.

"Die grundlegenden Werte in der Gesellschaft werden auf den Kopf gestellt", sagte Mejía. "Eine Kultur der Gesetzlosigkeit hat sich entwickelt; zur Erreichung von Zielen kann jedes Mittel eingesetzt werden; Opfer werden als schuldig und Täter als Helden dargestellt", fügte er hinzu.

Laut Mejía verharmlost die staatliche Propagandamaschinerie den bewaffneten Konflikt der Geschäftswelt zuliebe, und verteufelt gleichzeitig die politische Opposition, die Verteidiger der Menschenrechte und die Richter, die die Verbrechen der paramilitärischen Gruppen untersuchen. "Wir werden alle als Sympathisanten oder Verteidiger des Terrorismus stigmatisiert - oder als Idioten, die diesem nutzen", sagte Mejía.

Mejía unterstrich jedoch die Tatsache, dass Gemeinschaften und soziale Organisationen "Widerstand gegen diese Denkweise leisten und versuchen, Alternativen aufzubauen". Selbst wenn "der Traum von einer besseren Zukunft manchmal ein Alptraum zu sein scheint", so fügte er hinzu, "arbeiten wir weiter für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung".


Nächstes Jahr in Kolumbien

2011 wird das Globale ökumenische Netzwerk für Migrationsfragen (GEM) des ÖRK seine Jahrestagung in Kolumbien abhalten. "Wir wollen damit ganz konkret unsere Solidarität mit den dortigen Kirchen und der betroffenen Bevölkerung bekunden", sagte Sydia Nduna, Koordinatorin des ÖRK-Projekts "Migration und soziale Gerechtigkeit" im Namen des GEM.

Nduna meinte, dass die Teilnehmenden aus dem Ausland dann Gelegenheit bekämen, mit den örtlichen Kirchen Kontakt aufzunehmen. Sie würden beratende Gespräche mit Regierungsvertretern, Kirchenverantwortlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen führen können, bei denen es speziell um Fürsprachearbeit gehen werde.

Nach einer dreitägigen öffentlichen Anhörung zu weltweiten Konfliktsituationen werde man Lager für Binnenvertriebene sowie Flüchtlingslager an den Grenzen zu Ecuador und Venezuela besuchen.

Es werde erwartet, so fügte Nduna hinzu, dass jede vom ÖRK geleitete Initiative zu Kolumbien, die zwischen dem heutigen Tag und der GEM-Tagung in Kolumbien stattfindet, die humanitäre Krise und die Migrationsperspektive berücksichtigen werde.

Zu den ökumenischen Partnern, die in Kolumbien zusammenarbeiten, zählen der ÖRK, der Lateinamerikanische Rat der Kirchen (CLAI), das ACT-Bündnis, das Kolumbianische Ökumenische Netzwerk, die Zwischenkirchliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden sowie das Lateinamerikanische Netzwerk für Migration.


[1] http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=78d8a3288f6a22051da0
[2] http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=5613a4579907f46f7668

Audioaufnahme von Milton Mejías theologischen Gedanken zur Krise in Kolumbien, ihren Hintergründen, ihren Auswirkungen und den humanitären Kosten:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=dd0d1b781294db27d303
(auf Spanisch)

Globales ökumenisches Netzwerk für Migrationsfragen:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=67343363e36d425151cd

ÖRK-Mitgliedskirchen in Kolumbien:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=43b3da88fca1d198701d

ÖRK-Exekutivausschuss ruft zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts in Kolumbien auf: br> http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=484653a70640302f3c40
(26. Februar 2010)

Besuch Lebendiger Briefe des ÖRK in Kolumbien:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=77db004c74d1432a780c
(Dezember 2008)


Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, von der (lutherischen) Kirche von Norwegen. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 1. Juli 2010
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2010