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LATEINAMERIKA/078: Mexiko - Evangelische Kirchen gewinnen an Boden, Anhänger jedoch oft verfolgt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. August 2012

Mexiko: Evangelische Kirchen gewinnen an Boden - Anhänger jedoch oft verfolgt

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 8. August (IPS) - Der Mexikaner Sergio Guerrero ging 2006 in die USA. Als er 2010 zurückkehrte, war aus dem Katholiken ein Protestant geworden. "Ich traf dort viele Anhänger evangelischer Kirchen, und ich bin in Christus wiedergeboren worden", sagt der 31-jährige Vater von drei Kindern. In der Heimat wird der Wechsel in eine andere Glaubensgemeinschaft jedoch nicht immer problemlos akzeptiert.

Die Erfahrungen von Guerrero, der als Gärtner in North Carolina arbeitete, zeigen, wie die Migration von Mexikanern das Verhältnis der Gesellschaft zur Religion verändern kann. In dem lateinamerikanischen Land mit rund 112 Millionen Einwohnern bekennen sich fast 84 Millionen zum Katholizismus. 10,9 Millionen sind Anhänger weiterer christlicher Glaubensrichtungen oder anderer Religionen, wie ein Zensus von 2010 belegt.

Elías Betanzos vom Zentrum für Lobgesang und Verkündigung (CAP), eine Kongregation der Kirche des Nazareners, im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca spricht von einem "weitverbreiteten Phänomen". In den USA gebe es viele Kirchengemeinden, die Einwanderer mit Nahrung und Arbeit versorgen. Diejenigen, die Mexiko verließen, suchten am neuen Ort Landsleute, von denen viele bereits einen anderen Glauben angenommen hätten.

"Wenn sie dann zurückgehen, erzählen sie ihren Familien davon und laden sie ein und machen sie mit der Kirche bekannt", sagt der Vorsitzende von CAP. Nach seinen Angaben zählt seine Glaubensgemeinschaft rund 6.000 Anhänger und ist Teil des 2010 gegründeten Rats für Evangelische Einheit in Oaxaca, dem etwa 1.200 Organisationen mit insgesamt 109.000 Mitgliedern angehören.

Jedes Jahr schlagen sich rund 500.000 Mexikaner in die USA durch. Dort leben inzwischen etwa 18 Millionen Menschen mexikanischer Herkunft. Nach Angaben der US-Zensusbehörde haben mehr als sechs Millionen von ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung.


Evangelische Kirchen im armen Süden Mexikos besonders verbreitet

Die evangelischen Kirchengemeinschaften verbreiten sich besonders stark in den verarmten südlichen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Guerrero, von wo die meisten mexikanischen US-Zuwanderer kommen. In Oaxaca gehören 380.000 der 3,8 Millionen Einwohner den 2.000 evangelischen Kirchen des Bundesstaates an, wie der Rat für Evangelische Einheit mitteilte.

In dem vom Innenministerium erstellten Verzeichnis der Religionsgemeinschaften in Mexiko sind 7.653 Institutionen aufgeführt. Davon sind 3.202 katholisch und 4.295 evangelisch. Die übrigen sind anderen Glaubensrichtungen wie Anglikanern, Pfingstlern und Mormonen zuzurechnen.

"Mexiko gehört zu den Ländern, in denen in Bezug auf die Religionen in letzter Zeit gravierende Veränderungen stattgefunden haben", sagt Alberto Hernández von dem angesehenen Bildungsinstitut 'Colégio de la Frontera Norte'. Dieser Prozess habe in dem lateinamerikanischen Staat trotz früherer Missionsbemühungen evangelischer Kirchen erst spät eingesetzt.

"Wir beobachten einen facettenreichen Prozess, der durch mehrere Faktoren die etwa die Verstädterung vorangetrieben wird. Im Süden ist der religiöse Wandel eng verbunden mit der Migrationsfrage", erklärt Hernández.

Der katholische Glaube verliert in Mexiko immer mehr an Boden. Von der Kirche erhobene Daten zeigen, dass die Zahl der Taufen und Hochzeiten von 1980 bis 2008 deutlich gesunken ist. Die Zahl der Gläubigen ging vor allem in den nördlichen und südlichen Grenzgebieten zurück, wie Studien von Hernández und anderen Experten belegen.

Doch die Entwicklung geht nicht gewaltfrei vonstatten. Seit 2006 hat es mehr als 200 Angriffe auf Anhänger evangelischer Glaubensrichtungen in Staaten wie Michoacán, Hidalgo, Guerrero, Oaxaca und Chiapas gegeben, wie die betroffenen Gruppen erklärten.

"Am Anfang hatte ich Probleme, weil meine Familie mit meiner Entscheidung nicht glücklich war", sagt Sergio Guerrero, der in Jilotzingo bei Mexiko-Stadt lebt. "Später haben sie es jedoch akzeptiert."


Andersgläubige aus ihren Gemeinden vertrieben

Verfolgt werden Anhänger neuer Glaubensrichtungen vor allem in Chiapas, einem der ärmsten Staaten des Landes, in dem vor allem Ureinwohner leben. In dem an Guatemala angrenzenden Staat wurden bereits in den siebziger Jahren Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugungen aus ihren Gemeinden ausgestoßen.

Laut einer 2008 von Erasmo Sáenz veröffentlichten Studie wurden im Zuge religiöser Auseinandersetzungen rund 50.000 Menschen aus ihren Orten vertrieben. Der Fall Chiapas könne dem Rest des Landes als warnendes Beispiel dienen, schrieb Sáenz, Wissenschaftler an der Autonomen Universität von Mexiko. Durch frühzeitige Gegenmaßnahmen könne eine Eskalation der Konflikte vermieden werden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.familiacap.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101324
http://www.ipsnews.net/2012/08/mexicans-migrate-body-and-soul/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2012