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BERICHT/099: Erste Konferenz des Katholisch-Muslimischen Forums (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2008

Neubeginn im Dialog
Die erste Konferenz des Katholisch-Muslimischen Forums

Von Christian Troll


Anfang November hat sich zum ersten Mal das neugegründete Katholisch-Muslimische Forum im Vatikan getroffen, um nach den Irritationen über die Regensburger Rede des Papstes und dem "Brief der 138" das Gespräch miteinander zu intensivieren. Was sind die Ergebnisse? Und wie sind sie angesichts des gegenwärtigen christlich-muslimischen Dialogs zu bewerten?


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Die Zahl und das Gewicht der Unterzeichner des mittlerweile berühmt gewordenen "Briefes der 138" vom 13. Oktober 2007, jenem Aufruf von muslimischen religiösen Führern, sind bemerkenswert. Noch mehr beeindruckt ihre nachdrückliche Feststellung, die Liebe zu dem Einen Gott und die Liebe gegenüber dem Nachbarn seien Bestandteil der "absolut grundlegenden Prinzipien beider Glaubensrichtungen", die "sich wieder und wieder in den geheiligten Schriften des Islams und Christentums finden". "Im Gehorsam gegenüber dem Koran", heißt es am Ende der zusammengefassten Kurzform des Briefes, "laden wir als Muslime die Christen ein, mit uns auf der Grundlage dessen zusammenzukommen, was uns gemeinsam ist, dem Wesentlichen unseres Glaubens und dessen Praxis: den Zwei Geboten der Liebe."

Der "Brief der 138" stellt in der Tat eine beachtliche Initiative und einen neuen Ansatz im Prozess des christlich-muslimischen Dialogs dar (vgl. HK, August 2008, 403ff.). Hier steht plötzlich eine klare Aufforderung an die in verschiedensten Kirchen organisierten Christen im Raum: Nehmt ernst, dass es auch uns von unserem Glauben an Gott und Seinen Koran her wesentlich um die Verwirklichung der Liebe geht!

Freilich war gleich auch einsichtig: Indirekt richtet sich der Brief nicht nur an die Christen, sondern auch, und vielleicht gar primär, an die jungen Muslime in aller Welt, die nach einem religiös überzeugenden und geistlich nährenden Islam suchen und sich von einem rein politisch ausgerichteten und ideologisch agierenden Islam nicht mehr angesprochen erfahren. Es wird eine reizende Aufgabe sein zu erforschen, ob und in welchem Grad der "Brief der 138" und die von seinen Verfassern angestoßenen Dialoginitiativen in den mehrheitlich muslimischen Gesellschaften und unter Muslimen allgemein Debatten ausgelöst haben.

In christlichen Kreisen freilich hatte der Nachdruck, mit dem er sie dazu aufrief, zu dem koranisch definierten "gemeinsamen Wort" zu kommen, eher eine dämpfende Wirkung. Das ins Zentrum des Briefes gestellte Zitat aus dem Koran lautet: "Sprich: 'O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gemeinsamen [oder auch: gleichen] Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und nichts neben ihn stellen, und das nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen außer Gott'. Und wenn sie sich abwenden, so sprecht: 'Bezeugt, dass wir (Ihm) ergeben sind.'" (Sure 3:64).

Praktisch alle Auslegungen dieses Verses über die Jahrhunderte hin machen nur allzu deutlich, dass es sich dabei um eine Einladung an die Christen handelt, den trinitarischen Monotheismus aufzugeben, der, koranisch gesehen, polytheistische Züge trägt, und stattdessen den "reinen" Monotheismus des Korans als "gemeinsames Wort" anzunehmen, um auf diese Weise mit den Muslimen eine gemeinsame Grundlage für den Gottesdienst sowie für praktische Zusammenarbeit zum Wohl aller zu schaffen.

Es leuchtet ein: Würden sich Christen auf diesen Aufruf einlassen und auf diese Weise einen Religionsfrieden herstellen, käme dies einer Aufgabe ihrer zentralen Glaubensüberzeugungen gleich. Dialog bedeutet nun aber gerade Gespräch und Suche nach Verbindendem in Respekt vor der Glaubensvision des Partners, wobei ein echter Dialog die respektiven Glaubensüberzeugungen beider Partner mit Recht immer wieder auch kritisch hinterfragen wird.


Die Dialoginitiative der Anglikaner

Schon durch den Wortlaut des Titels seiner theologisch tiefschürfendem Antwort auf den "Brief der 138" vom 14. Juli 2008 ("A Common Word for the Common Good") hat denn auch Rowan Williams, der Erzbischof von Canterbury, geschickt den koranischen Ausdruck "gemeinsames (oder gleiches) Wort" mit dem Christen und Muslimen gleichermaßen aufgetragenen "Gemeinwohl" in Beziehung gesetzt und damit das Gespräch auf eine auch von Christen (sowie anderen Gläubigen und Menschen guten Willens) akzeptable Ebene gehoben. Der anglikanische Erzbischof sagt somit: Christen und Muslime können und sollten vor Gott gemeinsam darüber nachdenken, worin sie das gemeinsame Wohl der Menschen sehen und auf welche Weise sie zu seiner Verwirklichung beitragen können, immer im Respekt auch vor den Glaubensüberzeugungen, in Bezug auf welche sie unterschiedlicher, ja sogar gegensätzlicher Meinung sind.

Vom 12. bis 15. Oktober 2008 fand dann in Cambridge und London (Lambeth Palace) die vom Erzbischof von Canterbury einberufene internationale muslimisch-christliche Konferenz zum Thema "A Common Word and Future Muslim-Christian Engagement" statt. Etwa 40 Muslime und Christen würdigten den genau ein Jahr zuvor veröffentlichten "Brief der 138" und diskutierten ihn im Licht der genannten Antwort des Erzbischofs. Vor allem aber wurde erörtert, welche Themen mittel- und langfristig auf der Agenda des christlich-muslimischen Dialogs stehen sollten.

Für das gemeinsame muslimisch-christliche Engagement sind - wie ich in Cambridge ausgehend von der Grundlage des Doppelgebotes der Liebe ausgeführt habe - in Zukunft folgende Dinge dringlich: Zunächst einmal basiert, jedenfalls neutestamentlich gesehen, das Doppelgebot der Liebe auf dem Primat der Liebe Gottes. Es ist die dem Menschen unverdient und unbedingt geschenkte Liebe Gottes zuerst und alleine, die ihn von der Gottvergessenheit und Zentriertheit auf sich selbst befreit, heilt und ihn so befähigt, die liebende Hingabe an Gott und den Nächsten zu praktizieren. Das Doppelgebot der Liebe nimmt so gesehen zunächst die Gestalt der liebenden Antwort auf Gottes Initiative an and bewährt sich als Umkehr und als Gebet um innere Reinigung durch Taten der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Auch das ständige Bemühen um ehrliche individuelle und korporative Selbstkritik im Angesicht Gottes und der Mitmenschen gehört wesentlich zur liebenden Hinkehr zu Gott und den Mitmenschen.

Williams hatte in seinem Brief auf die substantiellen Unterschiede im christlichen und muslimischen Verständnis ihrer jeweiligen heiligen Schriften hingewiesen sowie auf den unterschiedlichen Stellenwert, den sie im Gesamt der jeweiligen Theologien einnehmen. Gleichzeitig hatte er betont, dass "ein gemeinsames Studium der heiligen Schriften (...) ein fruchtbares Element darstelle". Tatsächlich sind entschiedene Anstrengungen der muslimischen und christlichen Partner auf dem Weg des gründlichen Studiums der religiösen Tradition und ihrer Quellen im Medium des theologischen Dialogs unabdingbar.

Solche Studien sollten allerdings gleichermaßen durch Empathie wie durch Kritikfähigkeit geprägt sein und versuchen, die einzelnen Lehren jeweils innerhalb des Gesamts der Glaubenssicht des anderen zu verstehen. Gibt es jedoch genügend gründlich ausgebildete Theologen auf beiden Seiten? Wichtig wäre, dass immer mehr gläubige Christen den Islam so studieren wie Muslime ihn ideal verstehen und verschieden auslegen, aber auch, wie sie ihn in Wirklichkeit gelebt haben und heute leben. Aber auch umgekehrt würde dies bedeuten, dass immer mehr gläubige Muslime die normativen Lehren sowie die empirische Realität der christlichen Glaubenstradition erforschen, in einer Haltung kritischer Offenheit.

Auf diese Weise würden Lehren wie zum Beispiel die der "Veränderung der biblischen Schriften durch Juden und Christen (tahrîf)", der "Menschwerdung Gottes in Jesus dem Messias", "der Dreieinigkeit Gottes", "der Ungeschaffenheit des Korans", der "Lehre über Muhammad als des Siegels der Propheten (khâtam an-nabiyyîn)" besser eingeschätzt werden können - auch von denen, die nicht an sie glauben. Wo der Geist eines liebevollen Verstehens bei den religiösen Führern und Predigern in unseren Glaubensgemeinschaften fehlt, verraten wir den Imperativ des Doppelgebotes der Liebe und tun unserer Glaubwürdigkeit als Religionsgemeinschaften Abbruch.


Das Treffen im Vatikan

Vom Doppelgebot der Liebe her stellt sich ferner die Aufgabe, die Menschenrechte neu zu bedenken. Die christlichen Kirchen sowie auch einige muslimische Organisationen und Gruppen haben ihre Lehre über die Menschenrechte prinzipiell revidiert: Sie sind zu Unterstützern und Verteidigern der Menschenrechte geworden. Gott selbst, so argumentieren sie, hat die Menschenrechte in die Natur des Menschen eingepflanzt. Dies ist für sie der entscheidende Grund, warum ihrer Meinung nach diese Rechte die unbedingte Anerkennung sowohl seitens des Staates wie auch seitens der Religionen fordern.

Dabei können Gottes- und Menschenrechte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Menschenrechte verleihen den minimalen Bedingungen Ausdruck, die die menschliche Würde beschützen, die der menschlichen Person als Kreatur Gottes geschuldet ist. So gesehen bedeutet die Anerkennung und die Achtung der Menschenrechte nichts anderes als Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Es gibt in der Tat nicht wenige gläubige Christen und Muslime, für die der Einsatz für die universale und effektive Einhaltung der Menschenrechte nichts anderes als Gehorsam gegenüber dem Doppelgebot der Liebe ist.

Im Lichte dieser Entwicklungen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts wäre es von Bedeutung zu erfahren, ob diejenigen, die den "Brief der 138" geschrieben oder unterzeichnet haben, die Menschenrechte, einschließlich der aktiven und passiven Religionsfreiheit, ohne Wenn und Aber anerkennen. Das Wort "Islam" bedeutet "Hingabe an oder Unterwerfung unter den Willen Gottes". Wenn die Menschenrechte dem Willen Gottes entsprechen, bedeutet das dann, dass der Islam heute die Verpflichtung in sich trägt, sie anzuerkennen, zusammen mit allen Menschen guten Willens?

Die klare Abgrenzung des Bereichs des Staates von dem der Religionen war und wird wohl immer vor allem eine Frucht unterschiedlich gefärbter historischer, regional geprägter Erfahrungen sein. Dennoch ist die Frage an die Autoren und Unterzeichner des "Briefs der 138" erlaubt: Entsteht die Überzeugung, dass in pluralen Gesellschaften und Staaten diese Bereiche grundsätzlich getrennt werden müssen, nicht zuletzt auch aus dem entschiedenen Willen, das Gebot der Nächstenliebe zu praktizieren? Genuine Nächstenliebe wird darauf bestehen, dass die religiöse und konfessionelle Identität des anderen respektiert und rechtlich geschützt werden muss, selbst wenn die Lehre, die mit dieser Identität verbunden ist, als inadäquat oder falsch abgelehnt werden mag.

Ein von der Nächstenliebe bestimmtes Staatsdenken wird sich heute ohne Wenn und Aber gegen jeglichen Versuch wenden, den religiös und ideologisch so verschieden geprägten Bürgern heutiger Gesellschaften und Staatsgebilde eine islamische oder christliche Staatsordnung zu verordnen. Überdies ist solches Denken überzeugt, dass die religiös und ideologisch neutrale Rolle des Staates ein übertriebenes pseudoreligiöses Selbstverständnis des Staates kritisch bloßlegt und die Religion beziehungsweise Religionen daran hindert, Macht und Gewalt in ihrem eigenen Interesse zu gebrauchen.

Schließlich erweist es sich gerade aus der Perspektive des Doppelgebots der Liebe als fruchtbar, erneut gemeinsam über die Weisen nachzudenken, wie in unseren mehr und mehr plural zusammengesetzten Gesellschaften religiösen Überzeugungen und Werten Nachdruck und Überzeugungskraft verliehen werden kann, und welche Rolle dabei einseitiger Druck durch politische Macht und Drohung mit extremer Gewalt spielen oder nicht spielen sollten.

Ein praktischer Vorschlag fand in Cambridge zwar kein unmittelbares Echo, wurde dann jedoch Anfang November in Rom positiv aufgegriffen. In der gemeinsamen Schlusserklärung des Katholisch-Muslimischen Forums, das vom 4. bis 6. November tagte, heißt es: "Wir sind darin übereingekommen, die Möglichkeit zu untersuchen, ein ständiges katholisch-muslimisches Komitee einzurichten, um Antworten auf Konflikte und andere Notfälle koordinieren zu können" (Nr. 14).


Alle Mitglieder der muslimischen Delegation mehr oder weniger vom Sufismus geprägt

Schon beim Vorbereitungstreffen von fünf Vertretern der Initiative des "Briefs der 138" mit fünf Vertretern der katholischen Seite Anfang März dieses Jahres einigte man sich auf Druck der katholischen Seite darauf, dass bei der für November geplanten Konferenz nicht nur das Doppelgebot der Liebe zur Debatte stehen solle, das aus katholischer Sicht nicht problematisch ist. Vielmehr müsse ausgehend von diesem Gebot geklärt werden, was konkret das gemeinsame Bekenntnis und Bemühen der Christen und Muslime sein kann und soll: die Sorge um die Würde des Menschen, um die Achtung des Anderen und von daher die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte, einschließlich der uneingeschränkten Gewissens- und Religionsfreiheit.

Der Titel der Konferenz lautete deshalb: "Die Liebe Gottes, die Liebe des Nächsten: Menschliche Würde und gegenseitige Achtung". Der erste Tag, mit je einem Grundsatzreferat eines christlichen und eines muslimischen Theologen und ausgedehnten Diskussionen, war den theologischen und geistlichen Grundlagen des Doppelgebots der Liebe gewidmet, der zweite Tag dem Thema der menschlichen Würde und der gegenseitigen Achtung.

Am Morgen des dritten Tages wurden je eine muslimische und eine christliche Zusammenfassung der Diskussionen der ersten beiden Tage zur Diskussion gestellt und dann das gemeinsame Schlussdokument verabschiedet, dessen Vorlage von einem muslimisch-christlichen Redaktionskomitee formuliert worden war. Ansprachen von Seyyed Hossein Nasr, Professor der George Washington University (Washington) und Mustafa Ceric, Großmufti von Bosnien-Herzegowina, bei der Begegnung mit dem Papst, sowie dessen Rede folgten. Die Konferenz schloss mit einer Öffentlichen Sitzung in der Aula der Päpstlichen Universität Gregoriana, mit zusammenfassenden Darstellungen - eine von muslimischer und eine von katholischer Seite - und der Verlesung des gemeinsamen Schlussdokuments und der Beantwortung von Fragen aus dem Plenum.

Die Mitglieder der Delegationen (auf jeder Seite je 24 Vollmitglieder und je vier Berater ohne Rederecht) konnten beide Seiten selbst bestimmen. Auf der muslimischen Seite überwogen Personen, die aus den USA und Europa stammen (darunter übrigens vier Konvertiten zum Islam) beziehungsweise dort seit langem ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt haben. Einige Mitglieder der muslimischen Delegation sind als Prediger und Autoren, vor allem in der jüngeren Generation der Muslime, aber auch darüber hinaus, sehr bekannt. Das gilt etwa für Tariq Ramadan (früher Genf, jetzt Oxford) und Seyyed Javad Khoei aus Nejef (Irak).

Schließlich zeigte sich, nicht zuletzt durch persönliche Gespräche, dass fast alle Mitglieder der muslimischen Delegation mehr oder weniger intensiv von dem einen oder anderen Sufiorden geprägt sind. Diese Beheimatung in der mystischen Dimension Islam erklärt unter anderem auch, wie es dazu kommen konnte, dass der "Brief der 138" das Doppelgebot der Liebe ins Zentrum seiner Hauptaussage stellt. Seyyed Hossein Nasr, der muslimische Hauptreferent des ersten Tages, sowie Timothy Winter alias Sheikh Abdal Hakim Murad stehen selbst ganz entschieden für diese mystische und philosophisch-esoterisch ausgerichtete islamische Weltsicht (ma'rifa), deren überragender klassischer Vertreter Ibn 'Arabi (1165-1240) ist. Außerhalb eines Sufikontextes wäre es sicher naheliegender gewesen - der koranischen Botschaft und Sprache entsprechender -, Gottes Barmherzigkeit (rahma) in den Mittelpunkt zu stellen.

Auf katholischer Seite hatte man sichtlich Wert darauf gelegt, eine ausgewogene Mischung von international, auch unter Muslimen anerkannten Islamkundlern und Dialogexperten und religiösen Führern (Kardinäle und Bischöfe aus dem Vatikan, vor allem aber auch aus vier Diözesen, die mitten in mehrheitlich muslimischen Ländern liegen [Golf und arabische Halbinsel, Irak, Syrien, Pakistan]) zusammenzustellen. Auf muslimischer Seite hat nur Mustafa Ceric, der Großmufti und Anführer der Ulema von Bosnien und Herzegowina, eine den Kardinälen und Bischöfen vergleichbare Position innerhalb des organisierten Weltislam inne.


Streitfrage Religionsfreiheit

Von daher darf man bei all der geschilderten Bedeutung der Briefinitiative und des durch sie entstandenen Dialogprozesses die direkten Einflussmöglichkeiten der muslimischen Delegation innerhalb der muslimisch-mehrheitlichen Länder und ihrer großen religiösen Institutionen (al-Azcar, Kairo; az-Zaytûna, Tunis; Darul Uloom, Deoband, Indien; die theologischen Schulen von Nejef und Qom) nicht überschätzen. Erst die Zukunft wird zeigen, wie weit sich diese und viele ihnen ähnliche Institutionen und die ihnen affiliierten Persönlichkeiten mit den Aussagen des Schlussdokumentes des katholisch-muslimischen Forums identifizieren.

Bei der zweitägigen Arbeitssitzung der Konferenz kamen die Mitglieder der beiden Delegationen wegen der kulturellen Affinität vieler Teilnehmer auf beiden Seiten schnell zu einem tiefschürfenden und gegenseitig herausfordernden Austausch. Die Christen brachten ihren Dank für die Kernaussage des Briefes zum Ausdruck, die im Lichte der traditionellen Selbstdarstellung des Mainstream-Islam über Jahrhunderte durchaus bemerkenswert ist. Sie machten jedoch klar, dass für sie die Affirmation des Primats der Liebe Gottes, so wie sie in der Person und im Leben Jesu Christi erschienen und ausgelegt ist, gelte. Nummer 1 der Schlusserklärung bringt in prägnanter Weise die katholische Position zu diesem fundamentalen Punkt zum Ausdruck; Nummer 2 die Sicht der muslimischen Seite, die im Lauf der Sitzungen des Redaktionskomitees in Antwort auf die katholische Darstellung des betreffenden Punktes noch einmal eigens erweitert worden war.

Der Austausch im Gespräch schloss durchaus Momente der Spannung mit ein, vor allem bei den Themen Menschenwürde, gegenseitige Achtung und Menschenrechte und beim Gespräch darüber, zu welchen konkreten, messbaren Konsequenzen das Bekenntnis zum Doppelgebot der Liebe führen müsse - gerade auch im Verhältnis zu Menschen, gar Mitbürgern, die sich religiös oder ideologisch bewusst nicht islamisch oder gar überhaupt nicht religiös positionieren.

Einig war man sich mit Blick auf: die Anerkennung des menschlichen Lebens als des kostbarsten Geschenks Gottes an jeden Menschen und die Pflicht, es in allen seinen Phasen zu bewahren und ehren; die Achtung der menschlichen Würde jedes Menschen; die volle Achtung der Identität und der Freiheit von Personen und Gemeinschaften durch die Regierungen, unterstützt von einer Zivilgesetzgebung, die die gleichen Rechte und volle Staatsbürgerschaft sichert; die Sorge dafür, dass menschliche Würde und Achtung in gleicher Weise auf Männer und Frauen ausgedehnt wird; Respekt vor der Person und ihrer Entscheidung in Gewissens- und Religionsfragen und das Recht von einzelnen Personen und Gemeinschaften, ihre Religion privat und öffentlich zu praktizieren; die Achtung der religiösen Überzeugungen und Praktiken von Minderheiten, das Recht auf eigene Kultstätten; die Überzeugung, dass den weniger Privilegierten und den An-den-Rand-Gedrängten besondere Sorge zukommen muss; die Bereitstellung einer gesunden Erziehung in menschlichen, bürgerlichen, religiösen und moralischen Werten und die Förderung korrekter Information über die anderen Religionen; die Förderung von Harmonie unter den Gläubigen, und für die Menschheit als Ganzes; die Ablehnung von Unterdrückung, aggressiver Gewalt und Terrorismus, vor allem seitens jener, die im Namen der Religion verübt wird und schließlich das Hochhalten des Prinzips der Gerechtigkeit für alle.

Direkt bezogen auf die derzeitige weltweite Finanzkrise ruft die Schlusserklärung die gläubigen Menschen auf, sich für die Entwicklung eines ethischen Finanzsystems einzusetzen, in dem die Regierungsmechanismen die Situation derer besonders ins Auge fasst, die durch diese Krise am dramatischsten betroffen sind. Als weitere dringende Aufgabe wird herausgestellt, der jungen Generation, die immer stärker in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften lebt, eine solide Ausbildung nicht nur in ihrer eigenen Tradition zu ermöglichen, sondern auch eine möglichst objektive Information über andere Kulturen und Religionen. Die Konferenz einigte sich darauf, in etwa zwei Jahren eine Folgekonferenz zu halten, diesmal in einem mehrheitlich muslimischen Land.


Das gemeinsame Erbe verteidigen

Vielleicht am eindrücklichsten war, wie die Gespräche während der Konferenz immer wieder die Frage der Gleichberechtigung aller Bürger als auch der Minderheiten und die Religionsfreiheit aufwarfen. Die Tatsache, dass vier der katholischen Teilnehmer Bischöfe aus mehrheitlich muslimischen Ländern waren, führte dazu, dass beide Seiten über diese Punkte in drängender Weise sprachen und im Redaktionskomitee intensiv über Details in dieser Frage gerungen wurde. So setzte sich der Großmufti von Bosnien-Herzegowina nachdrücklich für das Recht auf die öffentliche Ausübung des Kultes und der Gottesverehrung ein, das von anderen Teilnehmern auf muslimischer Seite als in einigen Teilen der muslimischen Welt nicht durchsetzbar zunächst abgelehnt worden war.

Die Ansprache Benedikts XVI. schließlich spiegelt in erstaunlicher Weise die Hauptpunkte der gemeinsamen Schlusserklärung wider. Die Kernaussage lautete: "Wir sollten daher gemeinsam für den grundlegenden Respekt, für die Würde der menschlichen Person und die fundamentalen Menschenrechte eintreten, auch wenn unsere anthropologischen Sichtweisen und unsere Theologien dies auf verschiedene Weisen begründen. Es ist ein großes und weites Feld, in dem wir zusammenarbeiten können zur Verteidigung und zur Förderung der moralischen Werte, die zu unserem gemeinsamen Erbe gehören."

Mit Blick auf unmittelbare Auswirkungen dieser ersten Konferenz des Katholisch-Muslimischen Forums bleibt als Problem, dass die muslimische Delegation weitgehend aus westlichen und im Westen wirkenden Muslimen zusammengesetzt war. Vertreter der "Islamischen Institutionen", das heißt der Institutionen, die Imame und Muftis ausbilden, Rechtsentscheide (Fatwas) erlassen und das theologisch-juristische Denken bis heute prägen, waren nicht präsent. Ebenso natürlich nicht die prominenten Vertreter der extremen islamistischen Bewegungen. So darf man die unmittelbaren Möglichkeiten der muslimischen Dialogpartner nicht überschätzen.

Auch wenn viele der muslimischen Gesprächsteilnehmer in Rom persönlich von den Aussagen der gemeinsamen Abschlusserklärung überzeugt sind, kann man begründete Zweifel daran haben, ob sie spürbare Veränderungen in Bezug auf die Hauptpunkte der Schlusserklärung bewirken können. Als akademische Lehrer, Schriftsteller, Prediger und moderne Multiplikatoren üben Persönlichkeiten wie Seyyed Hossein Nasr, Tariq Ramadan und Mustaf Cherif einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus, aber sie stehen nicht für die Institutionen, die die islamische Welt bis heute entscheidend prägen.


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Christian W. Troll (geb. 1937) trat 1963 in den Jesuitenorden ein. Von 1976 bis 1988 wirkte er als Professor für Islamische Studien in Neu-Delhi, lehrte dann in Birmingham und von 1993 bis 1999 am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom. Troll nahm am Katholisch-Muslimischen Forum teil und war Mitglied des Redaktionskomitees der Schlusserklärung.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2008, S. 605-610
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2009