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BERICHT/114: Christliche, jüdische und muslimische Studierende suchen gegenseitiges Verständnis (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Feature vom 15. Juli 2011

Christliche, jüdische und muslimische Studierende suchen gegenseitiges Verständnis

Von Theodore Gill


"Religionen als Werkzeuge des Friedens" lautet der Untertitel eines Sommerkurses 2011 zum Thema "Aufbau interreligiöser Gemeinschaft". 23 Studierende aus über einem Duzend Ländern sind im Ökumenischen Institut Bossey, Schweiz, für diesen Kurs, der vom 4. bis 29. Juli stattfindet, zusammengekommen.

Einer der ersten Dozenten räumte ein, dass viele Beobachter heute Religionen nicht als Werkzeuge des Friedens, sondern vielmehr als Ursache von Konflikten sehen. "Wir Religionsführer haben keine reine Weste", sagte Rabbi Richard Marker vom Internationalen Jüdischen Komitee für Interreligiöse Konsultationen. Zu viele Nationen und deren Regierungen hätten die Erfahrung gemacht, "dass Religion ein Grund für Spaltungen ist, die den gemeinsamen Werten entgegenwirkt".

Zum fünften Mal bringt der Sommerkurs des Instituts in diesem Jahr jüdische, christliche und muslimische Studierende zusammen, um gemeinsam zu lernen, die heiligen Orte der anderen zu erleben und über die eigene Kultur, die eigene Spiritualität und die eigenen Weltanschauung nachzudenken.

Unter den Studierenden sind neun Männer und vierzehn Frauen; zehn sind christlichen, sieben muslimischen und sechs jüdischen Glaubens. Sie kommen aus Lateinamerika, West- und Osteuropa, dem Nahen Osten, Asien und Australien. Drei von ihnen sind Schwestern einer Ordensgemeinschaft in Kolumbien, Guatemala sowie Rumänien. Drei Studierende kommen aus Israel, drei weitere aus Palästina.

Danielle Antebi aus Israel, deren akademischer Hintergrund in der Kriminologie und der internationalen Politik liegt, wollte unbedingt an dem Kurs teilnehmen, nachdem ihr Bruder als Teilnehmer im vergangenen Jahr so positive Erfahrungen gemacht hatte.

"Er ist Archäologe und hält an verschiedenen Orten Vorträge über Israel", erklärt sie. "Er hat nach einer Möglichkeit gesucht, Menschen aus verschiedenen Ländern zu treffen und deren Meinungen über Israel und die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens zu hören."

Sie beschloss, dass ein Monat in Bossey mit Blick auf den Genfer See "eine sehr gute Gelegenheit sein würde, Menschen aus verschiedenen Kulturen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen".

Charlotte Lindhé erfuhr von ihrem Pfarrer in der lutherischen schwedischen Kirche von dem Kurs in Bossey. Nach dem Abitur ging sie auf eine anspruchsvolle Rucksackreise, die sie bisher nach China, Südostasien und den Nahen Osten führte. Weitere Ziele sind Griechenland, Indien und Nordamerika.

"Ich hoffe, mehr über meine eigene Religion im Verhältnis zu den Religionen anderer zu lernen", erklärt sie. "Und ich hoffe, meiner Heimatgemeinde und anderen nach meiner Rückkehr nach Schweden weitergeben zu können, was ich gelernt habe."

Sie erzählt, dass ihr Interesse für interreligiöse Aktivitäten geweckt wurde, als sie Israel und Palästina besuchte und dort sah, dass "Religionen Seite an Seite existierten und doch nicht wirklich zusammenlebten".


Von Toleranz der Unterschiede hin zu Wertschätzung

Für Mohammed Azhari aus Australien, der ein Graduierten-Studium zu islamischen Lehren und interreligiösem Dialog in Damaskus absolvierte, ist der Kurs in Bossey "eine großartige Gelegenheit, Menschen anderen Glaubens zu treffen. Hier werden wir damit beginnen, unter uns eine Gemeinschaft aufzubauen und hoffen, dass dies der erste Schritt sein wird, etwas Größeres zu erreichen".

Azhari erlebt, dass die Studierenden sich selbst fragen: "Wie können die Menschen durch Gebete und durch ihren Glauben Frieden erreichen? Wenn wir einander als Personen kennenlernen, werden wir lernen, einander zu respektieren. So können wir über Toleranz hinausgehen und Wertschätzung, ja Akzeptanz unserer Unterschiede erreichen. Und das ist nur zu unserem Besten, denn es ist Unwissenheit, die zu Konflikten führt."

In der ersten Woche des Kurses nahm neben Rabbi Marker auch der Großrabbiner Marc Raphaël Guedj, Präsident der Fondation Racines et Sources (Stiftung Wurzeln und Quellen) an der Diskussion über das Judentum teil.

Professorin Fawzia Al-Ahmawi von der Universität Genf und Hafid Ouardiri, Präsident der Ta'aruf-Stiftung, bringen ihr Fachwissen über den Islam ein, während das Christentum von verschiedenen Mitarbeitenden des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und Professor S. Wesley Ariarajah von der Drew University in den Vereinigten Staaten erklärt wird.

Für Professor Odair Pedroso Mateus vom Ökumenischen Institut, Koordinator des diesjährigen Sommerkurses, ist die Veranstaltung eine Gelegenheit, "Begegnung zu fördern, nicht Konflikte heraufzubeschwören", eine Gelegenheit, kritische Fragen zustellen und Möglichkeiten für "Dialog als Instrument für friedlichen Wandel" in der Welt zu erkunden, eine Gelegenheit "die Gemeinschaft der Kulturen zu unterstützen und nicht Konflikte zu fördern".

Die Verwaltung des Ökumenischen Instituts nimmt Rücksicht auf die verschiedenen Ernährungsgewohnheiten der Studierenden und es wurden für die verschiedenen Religionen entsprechende Räume für Gottesdienst und Gebet eingerichtet.

Das Ökumenische Institut Bossey wurde 1946 gegründet und ist das internationale Begegnungs-, Dialog- und Ausbildungszentrum des ÖRK. Es ist durch ein Abkommen mit der Unabhängigen Fakultät für evangelische Theologie mit der Universität Genf verbunden.

Die Sommerkurse wurden vom Ökumenischen Institut, dem ÖRK-Programm für Interreligiösen Dialog und interreligiöse Zusammenarbeit, der Ta'aruf-Stiftung und der Fondation Racines et Sources gemeinsam organisiert.


Theodore Gill/b> ist Chefredakteur von WCC Publications und ordinierter Pfarrer der Presbyterianischen Kirche (USA).

ÖRK-Programm für Interreligiösen Dialog und interreligiöse Zusammenarbeit:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=8e552870b3400b71b17d

Website des Ökumenischen Instituts:
http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=69f09bd7820b7e914f59

Weitere Informationen zu dem interreligiösen Kurs: http://www.oikoumene.org/index.php?RDCT=3d930c79902bf6739b28


Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit, von der (lutherischen) Kirche von Norwegen. Hauptsitz: Genf, Schweiz.


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Quelle:
Feature vom 15. Juli 2011
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011