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FORSCHUNG/038: Liebeskonzepte im Judentum, Christentum und Islam (Uni Bielefeld)


BI.research 36.2010
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Gottes Liebe, Gerechtigkeit und Zorn
Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam

Von Dr. Hans-Martin Kruckis


Dass die Liebe unter Glaube, Hoffnung und Liebe die größte sei, wie es Paulus im 1. Brief an die Korinther schreibt, ist wohl eine der berühmtesten Aussagen des Neuen Testaments, und ähnlich prominent ist der Spruch aus dem Johannesevangelium: "Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm". Dieser Gott liebt die Menschen nach christlicher Auffassung derart, dass er sich ihnen in Jesus Christus bis hinein in extremes Leiden gleich gemacht hat. Ein radikales Verständnis von Liebe grundiert also das Christentum (auch wenn die genannten Zitate durch Trauungen und Konfirmationen einer gewissen Abnutzung unterliegen). Wie unterscheiden sich die Liebeskonzepte in den drei Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam? Und gibt es bei allen vermutlichen Unterschieden auch Brücken zwischen diesen Konzepten? BI.research fragte bei Experten aus der Abteilung Theologie der Universität Bielefeld nach: Prof. Dr. Dr. Ina Wunn ist promovierte Religionswissenschaftlerin und Biologin, der Privatdozent Dr. Dr. Bertram Schmitz Theologe und Religionswissenschaftler. Beide setzen sich intensiv mit dem Islam auseinander. Ina Wunn forscht u.a. zu antisemitischen Tendenzen bei Anhängern des Islam in Deutschland und pflegt zugleich Kontakte zu islamischen Theologen im Iran, kooperiert aber auch mit Wissenschaftlern aus Israel. Bertram Schmitz arbeitet augenblicklich gemeinsam mit acht internationalen islamischen Kollegen an einem Kommentar zum Koran.


Liebe und Gesetz

Nach christlichem Verständnis ist Gottes Liebe bedingungslos, und ihre Konsequenz ist ein anderes Verhältnis zur irdischen Ordnung als im Judentum und im Islam. Jesus fordert sogar die Feindesliebe und lehrt beispielsweise, dass der Sabbath mit seinen strengen Vorschriften um des Menschen willen da sei und nicht umgekehrt - diese Vorschriften also im Sinne der Nächstenliebe auszulegen sind. Und Paulus schreibt im Römerbrief, Bruderliebe sei wichtiger als Gesetze. Judentum und Islam gehen dagegen davon aus, dass die irdische Ordnung gottgegeben ist und man sich entsprechend gesetzestreu zu verhalten habe. "Aber natürlich kam man auch im Christentum nicht ohne eigene Ordnungen aus, allerdings mit dem Hinweis, dass diese Ordnungen weltlich, also mehr oder weniger von der Religion abgekoppelt seien", bemerkt Schmitz dazu. "Der Judaist Jacob Neusner hat die Frage gestellt: 'Interessiert es Gott, was ich frühstücke?' und ganz bewusst im Gegensatz zum Christentum geantwortet: 'Ja, es interessiert ihn, wie ich lebe und ob ich mich verantwortungsvoll gemäß seinen Geboten mit ihm und diesen Geboten auseinandersetze.' Im Römerbrief fragt Paulus dagegen polemisch: 'Spricht Gott von Ochsen? Nein, er meint die Menschen!' Neusner hält dem entgegen: 'Doch, er spricht von Ochsen. Wir leben in einer Welt, wo Ochsen Menschen stoßen, was passiert denn dann?' Die eschatologische (auf die Endzeit gerichtete) Liebe hilft uns nicht, wenn wir Probleme in der Welt haben."

Feindesliebe, so die beiden Wissenschaftler, sei Judentum und Islam in der radikalen christlichen Formulierung sicher eher fremd. "Aber", sagt Ina Wunn, "selbstverständlich gilt im Judentum (wie im Islam) das Gebot der Nächstenliebe und auch eine Begrenzung von Aggression. Das Prinzip 'Auge um Auge' ist Ausdruck dieser Begrenzung." Schmitz verweist auf die Nüchternheit des islamischen Blicks an dieser Stelle: "Der Koran würde fragen: 'Macht ihr's denn wirklich?' Und das ist eine realistische Anfrage ans Christentum, ob es denn halbwegs das verwirklicht, wovon es spricht." Den landläufigen Vorstellungen über Gnade und Gericht im religiösen Kontext fügen beide einen wichtigen Aspekt hinzu: Im Judentum und dem Islam ist Gott zwar auch jemand, der verurteilen kann, aber, so Schmitz: "Diesen Religionen entspricht zugleich, dass Gott den Menschen zu ihrem Recht verhilft. Die jüdischen Propheten betonen, dass sich Gott für Witwen und Waisen einsetzt und für Arbeiter, denen Lohn vorenthalten wird. Sie fragen also nach sozialer Gerechtigkeit und seltener danach, ob Gott Gerechtigkeit getan wurde - wobei Gott schon unrecht getan wird, wenn eine Witwe keinen Unterhalt oder ein Arbeiter keinen anständigen Lohn erhält. Im Koran geht es darum, denjenigen, die nicht die Macht haben, zu ihrem Recht verhelfen oder die, die Macht haben, in ihre Verantwortung zu rufen, gleichgültig wie hoch sie stehen. Der Mensch muss das Gericht also nicht notwendig fürchten, sondern er hat sogar einen Anspruch darauf." "Das geht soweit", ergänzt Ina Wunn, "dass die Juden mit Gott verhandeln und dabei ihr Recht einklagen. Das ist eine andere Form des Gebets und des Haderns mit Gott, die im Christentum nicht üblich ist."


Zorn aus verletzter Liebe

Dass die Liebe Gottes auch mit Zorn verbunden sein kann, verblasste in der neueren christlichen Theologie zeitweise. Schon der große Theologe Dietrich Bonhoeffer habe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen eine "Selbstbegnadigung" im Christentum gewehrt, erklärt Schmitz: "Wenn alles vergeben wird und nur noch Gnade und Liebe da ist, egal, was man getan hat - wo ist da noch Verantwortung?" Zorn und Gerechtigkeit gehören zusammen: "Zwischenmenschliches Handeln ist in allen drei Religionen immer eine Angelegenheit vor den Augen Gottes, wo mit dem Bild des Zornes dem, dem Unrecht getan wurde, zu Recht verholfen werden soll." Gottes Zorn ist aber, wie es der Theologe Traugott Stählin formuliert hat, im Christentum einer "der verletzten Liebe". Er gibt der Liebe eine Tiefendimension, denn das Reden von ihr wird belanglos, wenn dieser Zorn geleugnet wird. Mit Nachdruck betont die moderne Theologie dabei, dass es kein zorniger Gott ist, der durch Jesu Opfer erst versöhnt und gnädig gestimmt ist: Kommen, Leiden und Sterben Jesu Christi sind selbst Ausdruck der Liebe Gottes, deren einer, aber keinesfalls gleichgewichtiger Aspekt der Zorn ist. Barmherzigkeit ist in allen drei Religionen ein zentraler Begriff: "Bis auf die 9. beginnen alle Suren des Koran mit der Anrufung des barmherzigen Allah", erläutert Bertram Schmitz. "Allah ist der Allerbarmer. Für die drei Religionen gilt dabei: Die Barmherzigkeit setzt die Gerechtigkeit nie außer Kraft, sie kann aber über die Gerechtigkeit hinweggehen." Im Islam kann Gottes Gerechtigkeit den Gläubigen am Ende lossprechen. "In einer berühmten Sure, die das Bild der Waage verwendet, heißt es: 'Soll denn dem Ungerechten die Ungerechtigkeit noch belohnt werden?' Diese Frage wird nicht beantwortet, sondern an den Hörer zurückgegeben", so Schmitz. Anstößig für christliche Kommentatoren sei eine Sure gewesen, in der Gottes Schöpfung gelobt und die Hölle in den Lobspruch hineingenommen wird. Denn die Hölle dient (wie auch in Dantes "Göttlicher Komödie") dazu, Gottes Gerechtigkeit zur Vollendung zu bringen: "Wie auch immer das vorstellbar sein mag. Ob die Hölle wie im Christentum aufhebbar ist, dazu gibt es keine Aussage im Islam." Ina Wunn weist in diesem Zusammenhang auf die kleine Gruppe der auf den Islam rückführbaren Jesiden hin. Dort steht der gefallene Engel Taus-i Melek im Vordergrund, dessen Tränen das Höllenfeuer und damit die Hölle ausgelöscht haben und der dann wegen seines Weinens und Bereuens rehabilitiert wurde.


Sexualität und Ehe

Die Liebe Gottes ist in den drei Religionen selbstverständlich eng mit der zwischen den Menschen verwoben und prägt auch das jeweilige Verständnis von Ehe. Für Paulus ist die Ehe allerdings kaum mehr als ein notwendiges Übel, weil eine Frau dabei zwischen Mann und Gott stehe und so ein unmittelbares Verhältnis zu Gott behindere. Paulus liefert damit einen wichtigen Anteil der Bibelstellen, mit denen die katholische Kirche den Zölibat begründet. Gleichzeitig ist die Ehe nach katholischem Verständnis ein Sakrament, allerdings das einzige, das nicht der Priester spendet, sondern das sich die Eheleute gegenseitig spenden. Aus dem Sakramentscharakter leitet sich die Unauflöslichkeit der Ehe ab - ganz ähnlich übrigens wie in der hinduistischen Tradition. Die rigide katholische Sexualmoral auch innerhalb der Ehe gibt es im Judentum und im Islam nicht. "Sexualität gehört dazu und ist wünschenswert", erklärt Ina Wunn, "sogar die islamischen Mystiker, die Sufis, sind verheiratet." Und ihr Kollege ergänzt: "Im Judentum ist es Pflicht, zwei Kinder zu bekommen. Der Talmud, das wichtigste jüdische Schriftwerk nach der Bibel, legt sogar fest, in welchen Berufsgruppen man in welchen Abständen Geschlechtsverkehr haben soll. Der größte Abstand ist für die Akademiker vorgesehen!" Auch im Hinduismus spielt Sexualität eine wichtige Rolle, und es kam darüber zum Streit mit Vertretern des frühen Buddhismus, dem es um einen direkten Weg zur Erlösung ging ohne großes Interesse für die Liebe zwischen Mann und Frau und zu den Kindern. Bei dieser Gelegenheit rückt Ina Wunn zugleich die Vorurteile über den skandalumwitterten Kamasutra zurecht: "Das ist ein ganz nüchternes Buch, das sich dem Hang der Inder zum Kategorisieren verdankt. Dort ist Liebe in ein System gebracht, und dazu gehört dann auch, wie mit geschlechtlicher Liebe umzugehen ist und wie Frauen befriedigt werden können. Das alles ist ganz unromantisch." Die ganz andere romantische abendländische Liebestradition mit ihrer Überhöhung der Liebe bis hin zur Unsinnlichkeit führt sie auf die christliche Marienverehrung zurück.

Und wie sieht es mit dem interreligiösen Dialog aus? Können das Thema "Liebe" hier ein wichtiger Anknüpfungspunkt sein oder sind die Differenzen zu groß für gegenseitiges Verständnis? "Differenzen", meint Bertram Schmitz, "eignen sich immer hervorragend für einen Dialog. Wichtig ist, hinreichend deutlich machen, wovon man redet. Das Liebesverständnis des Christentums ist nun einmal anders als das des Judentums und des Islam - wobei gar nicht gesagt ist, ob es besser ist oder schlechter. Die Aussage 'Gott ist Liebe' ist spezifisch christlich, genau wie die Einheit aus Schöpfergott, seinem Sohn und Welt. Der Koran sagt ausdrücklich: Es gibt keine Einheit, sondern Distanz zwischen Schöpfer und Welt." Ob man sich interreligiös auf die 1600 Jahre alte und auf den ersten Blick erstaunlich modern klingende Weisung des Kirchenvaters Augustin einigen könnte, ist eher zweifelhaft: "Ama et fac quod vis" - Liebe, und dann tue, was Du willst!


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Quelle:
BI.research 36.2010, Seite 44-49
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
Herausgeber: Universität Bielefeld, Referat für Kommunikation
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010