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FORSCHUNG/046: Gewalt im Namen der Religionen (AGORA - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


AGORA - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 1 - 2016

Gewalt im Namen der Religionen

von Teresa Braun


Religion wird seit jeher in Anspruch genommen, um Gewalt zu rechtfertigen. Auch die Christentumsgeschichte kennt genügend Beispiele exzessiver Gewalt. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus speziell für die religiöse Bildung?


Sind Religionen der Auslöser von Gewalt und Terror? Und ist der Wahrheitsanspruch monotheistischer Religionen der eigentliche Grund für viele kriegerische Auseinandersetzungen? Oder wird Religion für andere Zwecke instrumentalisiert, sodass verschiedene soziale, politische und gesellschaftliche Konflikte unter ihrem Deckmantel ausgetragen werden? In den Medien sind Konflikte, in denen Gewalt, Terrorismus oder Krieg mit Religion in Verbindung gebracht werden, an der Tagesordnung. Wörtliche Auslegung heiliger Schriften, fundamentalistische Interpretationen religiöser Rechtsvorschriften und fanatische Vertreter religiöser Strömungen prägen das Bild von Religion in der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt durch den "Islamischen Staat" stehen Religionen als solche unter dem Generalverdacht des Fanatismus, der Intoleranz und der Gewalttätigkeit.
Um sich mit diesen aktuellen Herausforderungen auseinanderzusetzen, veranstaltete der Lehrstuhl für Didaktik der Religionslehre, für Katechetik und Religionspädagogik (Prof. Dr. Ulrich Kropac und wiss. Mitarbeiterin Teresa Braun) in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung und der Hauptabteilung "Religionsunterricht, Schulen/Hochschulen" des Bistums Eichstätt eine Tagung zum Thema "Religion und Gewalt". Vom 18. bis 20. Februar 2016 trafen sich im Bildungszentrum Kloster Banz Studierende der KU, Lehrerinnen und Lehrer aus der Schulpraxis sowie Vertreter verschiedener theologischer Fachrichtungen, um das komplexe Themenfeld "Religion und Gewalt" mehrdimensional aufzuschließen: psychologisch, theologisch, gegenwartskulturell, ästhetisch-medial, bildungstheoretisch und schulbezogen.

Die friedenstiftende Seite des Islam wurde von den anwesenden muslimischen Theologen betont. Sie führten die Gewaltproblematik vor allem auf den gesellschaftlichen Kontext zurück. Prof. Dr. Tarek Badawia (Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) etwa stellte fest: "Schwierig wird es, wenn wir unsere Probleme auf Gott übertragen." Deshalb müsse eine "klare Trennungslinie zwischen Gott und den Menschen" eingehalten werden. Diese spiegele sich im koranischen Gottesbild. Badawia vertrat die These, dass religiös motivierte Gewalt mehr mit Psychologie als mit Theologie zu tun habe, und formulierte sein Bestreben, als islamischer Theologe "religionspädagogisch und bildungstheoretisch zur Relativierung von Religion beizutragen". Dieses ungewöhnlich klingende Anliegen stützte er auf seine Erfahrungen als Leiter der Forschergruppe "Norm, Normativität und Normenwandel". Soziologischen Untersuchungen zufolge sei es gerade im muslimischen Kontext wichtiger, über die "gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufzuklären als theologisch zu werden". Denn vor allem nach dem 11. September 2001 habe das Problem der "Reduktion auf den religiösen Anteil des Menschen" im muslimischen Bereich vielfach zu Stigmatisierung, Unverständnis und dadurch ausgelösten Gegenreaktionen geführt.

Wie verhält es sich mit dem Gewaltpotential monotheistischer Religionen, speziell mit dem Christentum? Welche Aussagen zu Gewalt lassen sich in der Bibel finden und wie begegnet eine moderne Bibelauslegung dem dort wiederholt beschriebenen gewalttätigen Handeln Gottes?
Prof. Dr. Burkhard M. Zapff, Inhaber des Lehrstuhls für Alttestamentliche Wissenschaft an der KU, stellte nüchtern fest, dass Gewalt in der gesamten Bibel zu finden sei. Zu denken sei beispielsweise an den Brudermord in Genesis 4, die Sintfluterzählung in Genesis 6 oder die ägyptischen Plagen in Exodus 7. Aber selbst wenn man das Alte Testament aus dem Kanon der Heiligen Schrift ausschließen würde - eine Forderung, die bereits in der frühen Kirche erhoben worden war -, ließe sich das Problem eines von Gewalt geprägten Gottesbildes nicht einfach beseitigen. Denn auch im Neuen Testament finden sich nicht nur Belege für einen gütigen und barmherzigen Gott. Zu erinnern ist beispielsweise an Jesu Warnung vor der Hölle (Mt 5,22), einer Strafe, die ewig währt.

Welche Wege haben Juden und Christen gefunden, um mit einem erschreckenden und furchteinflößenden Gottesbild umzugehen? Und wie ist diese Gewalt-Sprache überhaupt erst in die Bibel gekommen? Zapff verwies in diesem Zusammenhang auf das Offenbarungsverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Konzilsväter halten fest, dass die Bücher der Bibel "sicher, treu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte" (Dei Verbum 11). Im Gegensatz zum islamischen Verständnis dürften die Verfasser der Bibel laut Zapff aber nicht als unmittelbare Sprachrohre Gottes gesehen werden. Sie müssten vielmehr als echte Verfasser anerkannt werden, die im Kontext ihrer Zeit die "göttliche Heilswahrheit in dem von ihnen Geschriebenen zur Sprache brachten". Nicht über die Menschen hinweg, sondern durch sie und ihre Geschichte hindurch offenbare sich Gott. Bei der Auslegung der Bibel müsse also nach dem Sinn gefragt werden, den der jeweilige Autor unter den Bedingungen seiner Zeit und im Kontext seiner Kultur zum Ausdruck habe bringen wollen.

Für Zapff ist ein historisch-kritischer Zugang zu heiligen Schriften unumgänglich, soll deren Sinngehalt für die Gegenwart erschlossen werden. Gerade dies sei jedoch im Islam auf Grund eines anderen Offenbarungsverständnisses und einer anderen kulturgeschichtlichen Entwicklung nur äußerst begrenzt möglich. Islamwissenschaftler, die mit einem historisch-kritischen Verständnis den Koran auslegen, müssen um ihr Leben fürchten. Ein Beispiel dafür ist Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Inhaber des Lehrstuhls für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, der wegen Morddrohungen unter Polizeischutz steht.

Eine psychologische Perspektive eröffnete der Eichstätter Pastoralpsychologe Prof. Dr. Dr. Erwin Möde mit seinem Vortrag über religiösen Fanatismus als "Symptom eines existenziellen Vakuums". In Anlehnung an Viktor Frankl erklärte Möde: "Fanatismus als Symptom einer tieferliegenden 'Störung' ist vergleichbar einem trockenen Schwamm. Mit welcher Flüssigkeit er wie gefüllt wird, ist dem Schwamm gleichgültig. Selbst ätzende Säuren würde er zunächst nicht abweisen, sondern einsaugen." Fanatismus sei deshalb weder ein religionsimmanentes Phänomen, noch könnten Glaubensgemeinschaften für religiösen Fanatismus verantwortlich gemacht werden. Weiterführend bestätigte er den hohen Stellenwert religiöser Bildung. Darin traf er sich mit einer Forderung, die bereits Kropac in seinem Einführungsvortrag erhoben hatte: Religionsunterricht habe die Aufgabe eine "zivilisierenden Kraft" auf Religion auszuüben. Schülerinnen und Schüler, die in einer Glaubensgemeinschaft beheimatet seien und zugleich über religiöse Kompetenz verfügten, zeigten eine geringere Anfälligkeit für religiöse Indoktrination und Instrumentalisierung.
Was motiviert junge Menschen dazu, ein Leben in Sicherheit aufzugeben und in den "Heiligen Krieg" zu ziehen? Der Verfassungsschutz rechnete Ende 2015 mit mehr als 600 selbsternannten Gotteskriegern aus Deutschland, die für den "Islamischen Staat" als Söldner kämpften. Laut Möde handle es sich bei diesen "in der Regel um Adoleszenten mit keinem bzw. einem unterwertigen Schulabschluss ohne Beruf und soziale Einbindung." Überraschend sei, dass die meisten von ihnen areligiös, zumindest aber ohne religiöse Beheimatung aufwachsen würden. Dieses "Fußvolk" lasse sich durch die Versprechungen nach Befriedigung unerfüllter Bedürfnisse wie Anerkennung, Macht, Selbstwirksamkeit und Gewaltgenuss instrumentalisieren. Auf der Basis einer selektiven und dualistischen Koranauslegung investierten die Dschihadisten alles, um im Gegenzug zum vermeintlichen Werteverfall der westlichen Welt die Utopie eines "Islamischen Staates" zu errichten. Möde resümierte: "An ihrer gewaltsamen Umsetzung ist die Utopie erkennbar, am Zwang der Fanatismus."

Durch Vorträge und Gruppenarbeiten wurden weitere Aspekte vertieft: Prof. Dr. Konstantin Maier gab einen geschichtlichen Überblick zu Gewalt in monotheistischen Religionen, El Hadi Khelladi referierte zur gegenwartskulturellen Perspektive von Gewalt im Islam und Dr. Martin Ostermann veranschaulichte die Problematik in modernen Filmen. Schließlich präsentierten Susan Cilesiz und Philipp Haas ihre Seminararbeiten, die aus dem W-Seminar "Gott will es (nicht)!? - Kriege und Menschenrechtsverletzungen unter dem Deckmantel des Glaubens" am Simon-Marius-Gymnasium in Gunzenhausen unter der Betreuung von Dekan Konrad Bayerle hervorgegangen waren.

Der mehrdimensionale Zugang zur Thematik bot vielfältige Möglichkeiten, sich in Phasen der Gruppenarbeit untereinander auszutauschen. Durch die verschiedenen Sichtweisen unterschiedlicher Fächer und Religionen konnte das Thema differenziert wahrgenommen werden. Die Veranstalter sind überzeugt: Nur der kontinuierliche interdisziplinäre Dialog kann die oft einseitigen und pauschalisierenden Darstellungen der Problematik in den Religionen selbst und in deren öffentlicher Wahrnehmung aufbrechen.
Einblicke in die Tagung sind auf der Homepage des Lehrstuhls für Didaktik der Religionslehre, für Katechetik und Religionspädagogik zu finden.


Teresa Braun (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Religionslehre, für Katechetik und Religionspädagogik) und Prof. Dr. Ulrich Kropac (Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der Religionslehre, für Katechetik und Religionspädagogik) waren Veranstalter der in diesem Beitrag beschriebenen Tagung.

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Quelle:
AGORA - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2016, Seite 22-23
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2016

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