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BERICHT/066: Gleichberechtigung im Islam? (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 101, 3/07

Gleichberechtigung im Islam?
Musliminnen fordern Anerkennung

Von Gerda Mackerle


Eine neue Initiative muslimischer Frauen lässt mit ihrem Bestreben, die Frau im Islam zu stärken, aufhorchen. Von den USA ausgehend, sieht sie sich als international und offen für alle Musliminnen. Hat eine im Westen lancierte muslimische Frauenbewegung eine Chance auf umfassende Anerkennung?


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Im November letzten Jahres haben sich im Rahmen einer ersten Konferenz der Women's Islamic Initiative in Spirituality and Equity (WISE)(1) über 100 muslimische Frauen aus verschiedenen Ländern zusammengefunden, wobei die Initiative selbst etwa 200 Mitglieder aufweist. Auf dem Treffen, welches im November 2006 in New York stattfand, wurde bereits ein Plan vorgestellt, welcher innerhalb der nächsten zehn Jahre umgesetzt werden soll.


Bestandsaufnahme

WISE ist eine von den USA ausgehende Initiative, welche von Daisy Khan gegründet wurde; sie ist Geschäftsführerin der ebenfalls in New York ansässigen ASMA Society(2). Anspruch von WISE ist es, möglichst international tätig zu werden und auf diesem Weg v. a. auch muslimische Frauen, die in Ländern leben, in denen der Islam als Religion dominiert, für ihr Vorhaben zu gewinnen. Finanzielle Unterstützung erhält WISE u. a. von der Ford Foundation und dem Rockefeller Brothers Fund. Eines der erklärten Ziele ist die Teilnahme muslimischer Frauen am islamischen Diskurs, um so den Frauen innerhalb dieses patriarchal geprägten Diskurses Schritt für Schritt Autorität zu verschaffen. Bei der ersten Konferenz waren Musliminnen aus 25 Ländern vertreten, darunter Afghanistan, Großbritannien, die Niederlande und die Türkei. Die Teilnehmerinnen der Initiative stammen aus den verschiedensten Berufsfeldern; unter ihnen befinden sich Akademikerinnen und Politikerinnen ebenso wie Künstlerinnen und Aktivistinnen. Die vielen unterschiedlichen Gruppen mit ihren zum Teil voneinander abweichenden Interessen sollen über diese Initiative verbunden werden. Das Aufeinanderstoßen verschiedener Ansichten, das bei einem solchen Unterfangen unvermeidlich ist, sehen die Mitstreiterinnen als Herausforderung und zugleich als Möglichkeit, durch eine derartige Konfrontation die gemeinsamen Ziele herauszufiltern und für diese umso bestimmter einzutreten.

Zur ersten Konferenz waren auch Nicht-Musliminnen eingeladen - als Grundtenor des Treffens kristallisierte sich heraus, dass es nicht die Religion sei, die Frauen unterdrücke, sondern die festgefahrene patriarchale Struktur, in der religiöse Praxis aufgebaut ist.


Anerkennung über Bildung und Vernetzung

Ein Stipendien-Fonds soll Musliminnen die Möglichkeit eröffnen, islamisches Recht zu studieren. Schließlich ist es das ehrgeizige Ziel von WISE, eine Shura zu bilden, also ein Gremium, welches innerhalb seines Autoritätsbereiches islamisches Recht interpretiert und diesbezüglich die religiösen wie auch die politischen Führungskräfte berät. Diese Shura soll aus 13 bis 15 Repräsentantinnen verschiedener Länder gebildet werden und soll die Bedürfnisse muslimischer Frauen im internationalen Kontext vertreten.

Es gibt einige islamische Gesellschaften, in welchen eine Shura integraler Bestandteil der Regierung ist - so etwa in Ägypten oder im Iran. Allerdings bestehen diese Shuras nur aus Männern. Als Gegenstück - so das Anliegen von WISE - könnte eine aus Frauen bestehende Shura als stellvertretendes Organ für die Anliegen muslimischer Frauen tätig sein und diese im religiösen wie auch im gesetzlichen Kontext geltend machen. Eine solche Einrichtung hätte die Möglichkeit, Fatwas zu erlassen, also Beschlüsse, die im islamischen Bereich zwar nicht als bindend, aber durchaus als Empfehlungen anerkannt werden. In diesem Zusammenhang hat sich WISE zur Aufgabe gemacht, innerhalb der nächsten zehn Jahre zehn Muftias(3) zu bestellen, welche die notwendige Autorität hätten, um auf diese Weise Einfluss zu erlangen. Ein weiteres Instrument, um die Situation muslimischer Frauen zu verbessern, indem eine zusätzliche Argumentationsgrundlage geschaffen wird, ist für die Teilnehmerinnen der Initiative eine neue Auslegung des Koran. Eine vom Standpunkt muslimischer Frauen ausgehende Interpretation ist nach Meinung der WISE-Mitglieder unumgänglich, um die auf dem Koran fußenden Rechte der muslimischen Frau deutlich zu machen, welche durch Fehlinterpretationen unsichtbar gemacht wurden. Falsche Auslegungen haben in der Praxis etwa zu Zwangsverheiratung geführt oder Frauen daran gehindert, in hohe Positionen innerhalb des Islam zu gelangen - Auslegungen, die von einem anderen Ansatz ausgehend ebenso als Verstöße gegen die Vorgaben des Islam gelesen werden können.(4)


Männer inkludieren?

Ein bei der ersten Konferenz offen gebliebener Diskussionspunkt ist die Frage danach, ob Männer in die geplante Shura aufgenommen werden sollen. Manche Teilnehmerinnen argumentierten, dass die Initiative im islamischen Diskurs nur Anerkennung finden würde, wenn sie sich progressiven Männern öffnet, andere Frauen entgegneten, dass die Bedeutung von WISE als einem ausschließlich für Frauen zugänglichen Forum durch eine solche Öffnung geschmälert würde.

Ob die ambitionierten Vorhaben der WISE-Teilnehmerinnen in dem von ihnen angedachten Ausmaß realisierbar sind, bleibt fraglich. In jedem Fall muss die Initiative mit abwehrenden Stimmen rechnen. Gerade auch, weil die Bewegung in den USA ihren Ausgang nimmt, erwarten die Mitglieder skeptische Reaktionen v. a. aus Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Befürchtet wird, dass die Vereinigung als westliches Projekt wahrgenommen wird und dadurch von vornherein eine schlechte Ausgangsposition aufgrund der derzeitigen politischen Lage hat. Darüber hinaus sind sich die Teilnehmerinnen der schwierigen Aufgabe bewusst, Akzeptanz v. a. unter männlichen MuslimInnen zu erlangen.


Wirken über den Westen hinaus?

Um solcher Kritik von vornherein entgegenzuwirken, plant WISE, mit traditionellen islamischen Universitäten zusammenzuarbeiten. Auf diesem Weg soll von Beginn an die Bereitschaft, verschiedene Ansichten in einen Dialog zu bringen, signalisiert werden. Gerade weil es eines der wichtigsten Anliegen der Initiative ist, Musliminnen in vom Islam dominierten Gesellschaften zu erreichen, wird eine solche Vernetzung mit traditionellen Schulen als unumgängliche Maßnahme angesehen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass WISE "nur" in westlichen Gesellschaften, in welchen Musliminnen leben - wie etwa in den Niederlanden, den USA oder Großbritannien - eine breitere Wahrnehmung und Akzeptanz finden wird.

In Österreich, wie überhaupt im deutschen Sprachraum, ist WISE noch weitgehend unbekannt. Andrea Saleh, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ), meint, dass die Zusammenarbeit mit traditionellen islamischen Universitäten bei einem Vorhaben wie WISE unbedingt zu befürworten ist. Gerade die Traditionalisten für sich zu gewinnen, ist ihrer Ansicht nach für ein solches Unterfangen unerlässlich, da es sonst wahrscheinlich wäre, dass konservative Muslime sich aus Angst vor einer Verwässerung der Religion durch Progressivität gegen die Initiative stellen. Aus diesem Grund hält Saleh auch die Mitarbeit fortschrittlich denkender männlicher MuslimInnen an einer Unternehmung wie WISE für zielführend.

Die erste WISE-Konferenz hat gezeigt, dass viele muslimische Frauen aus den unterschiedlichsten Kontexten für ihre Rechte kämpfen wollen. Das nächste Treffen wird im November 2007 in Kuala Lumpur in Malaysien stattfinden und möglicherweise bereits eine Konkretisierung der geplanten Veränderungen mit sich bringen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit WISE in männlich dominierten islamischen Kontexten sowie in hauptsächlich islamischen Gesellschaften Autorität erlangen wird. Nur mittels einer solchen Anerkennung wird es der Initiative möglich sein, weitreichende Veränderungen nach sich zu ziehen. Ob die ehrgeizigen Anliegen der Bewegung in die Realität umgesetzt werden, wird sich innerhalb der nächsten Jahre zeigen. Der erste Schritt, nämlich die Grundlage eines internationalen Frauenraums für Musliminnen zu schaffen, ist getan. Wir warten gespannt auf den zweiten.


Anmerkungen:

(1) Der Beitrag bezieht sich auf folgenden Artikel: Habib, Shanaz: International: The WISE Initiative: "Women's Initiative in Spirituality and Equity"
http://www.wluml.org/english/newsfulltxt.shtml?cmd[157]=x-157-554638 (22.8.2007).

(2) American Society for Muslim Advancement: mit Sitz in New York; tritt für den Dialog zwischen amerikanischen MuslimInnen und der amerikanischen Öffentlichkeit ein.

(3) MuftiA: islamischer RechtsgelehrteR, der/die ein auf islamischem Recht beruhendes Gutachten, eine Fatwa, abgeben darf.

(4) siehe http://www.asmasociety.org/wise/wisefinalreport.pdf


Webtipps:
www.asmasociety.org/wise
www.derislam.at
www.wluml.org

Zur Autorin:
Gerda Mackerle ist Studentin der Germanistik und absolviert derzeit ein Volontariat bei der Frauensolidarität. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 101, 3/2007, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2007