Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → ISLAM

BERICHT/072: Anforderungen an muslimische Verbände wachsen (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 4/2009

Auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft
Die Anforderungen an die muslimischen Verbände wachsen

Von Marfa Heimbach


Nicht zuletzt durch die Arbeit der Deutschen Islamkonferenz ist Bewegung in die muslimischen Verbände gekommen, auch wenn die Schwierigkeiten weiterhin offenkundig sind. Wird es den Verbänden gelingen, sich entsprechend zu entwickeln? Und was ist die Bringschuld der deutschen Gesellschaft gegenüber ihren Muslimen?


*


In den muslimischen Gemeinden wächst eine neue Generation heran. Sie bekennt sich zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und löst sich, wenn auch langsam, aus der Fixierung auf die Herkunftsländer der Väter. Aus Traditions- und Kulturvereinen werden Gemeinden, die sich aktiv für die deutsche Gesellschaft engagieren wollen. Nicht ohne Schwierigkeiten. Denn bis auf die Spitzen der Verbände ist der Islam in Deutschland landesweit auf ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen sowie auf Theologen und Imame, die überwiegend aus dem Ausland kommen.

"Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft", heißt es in der Regierungserklärung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im September 2006. So klar und deutlich hatte sich noch keine Bundesregierung zu dem längst zum Fakt gewordenen Umstand geäußert, dass rund drei Millionen Muslime in Deutschland längst keine vorübergehende Erscheinung mehr sind. Im selben Monat erfolgte die Einberufung der Deutschen Islamkonferenz (DIK), sie wurde zum Meilenstein einer neuen Bewertung der religiösen Vielfalt in Deutschland.

Erstmals traten nun auch die bis dahin in der Öffentlichkeit eher nebulös wahrgenommenen Verbände des organisierten Islam deutlicher hervor. Zumindest die bundesweiten Dachverbände, die Teilnehmer der DIK sind: Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD), Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V. (IR), Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB), Verband der islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ) und Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. (AABF). Der ZMD repräsentiert seinerseits 19 Mitgliedsorganisationen, der Islamrat nach eigenen Angaben derzeit 37 Mitgliedsvereine, darunter als größte Teilorganisation die als islamistisch beobachtete Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, (IGMG) (vgl. auch HK, April 2005, 182ff.).

Durch je einen Vertreter der Dachverbände erfasst die Islamkonferenz die größten Organisationen, doch viele arabische, nordafrikanische und auch die bosnischen Muslime fühlen sich hingegen nicht ausreichend repräsentiert, obwohl letztere sowohl Mitglied des ZMD als auch des Islamrats sind und somit über diese Dachverbände vertreten sein sollten.


Wie hört man eine schweigende Mehrheit?

Neben je einem Vertreter der Dachverbände nehmen zehn Vertreter für die nicht-organisierten Muslime an der DIK teil. Deren Auswahl gestaltete sich schwierig und gab seit Beginn der Islamkonferenz Anlass zur Kritik. Einerseits sollen sie ein möglichst breites Spektrum muslimischer Gegenwart repräsentieren, andererseits besteht die Auswahl aus Einzelpersonen ohne Mandat einer spezifisch definierten Gruppe. So konnte es nicht ausbleiben, dass diese Gruppe der nicht-organisierten Muslime eher zufällig zusammengesetzt ist, teilweise getragen von aktueller Popularität des oder der Betreffenden.

Es gibt aber guten Grund, auch nicht-organisierte Muslime in die DIK einzubeziehen. Die geschätzte Gesamtzahl der Muslime beruht auf Hochrechnungen, meist aufgrund ethnischer Herkunft unter Einbeziehung des ebenfalls ungenauen Wissens um eine große Zahl deutscher Muslime; die Zugehörigkeit zu einem der islamischen Verbände ist auf Grund der fehlenden mitgliedschaftlichen Verfasstheit der Verbände genauso schwer fassbar. Die Zahl eingetragener, zahlender Mitglieder entspricht darüber hinaus bei weitem nicht der Zahl derer, die die Moscheen und Einrichtungen der Verbände besuchen und nutzen.

Andererseits wiederum gibt die Nutzung zum Beispiel einer DITIB-Moschee für das Freitagsgebet nur bedingt Auskunft über das individuelle Zugehörigkeitsgefühl der betreffenden Muslime zu dem Verband, der die Moschee unterhält. Zwar verkündete der frühere Vorsitzende der DITIB, Botschaftsrat Ridvan Çakir, mehrfach in der Öffentlichkeit, die DITIB vertrete rund 80 Prozent der Muslime in Deutschland und begründete dies mit hochgerechneten Moscheebesuchern und Umfragen unter türkischstämmiger Bevölkerung. Derartige Zahlenspiele künden allerdings eher von einem herbeigerechneten Anspruch auf die Hauptvertretung der Muslime denn von der Realität.

Man kann davon ausgehen, dass rund 15 bis 20 Prozent der Muslime in Deutschland insgesamt in den großen und kleineren Verbänden organisiert sind, denen rund 80 Prozent nicht-organisierte Muslime gegenüberstehen. Hier steht man, will man die Gesamtheit der Muslime wahrnehmen und ihnen Raum geben, vor einem unlösbaren Dilemma. "Der überwiegenden Mehrheit der Muslime fehlt schlicht der Wille, sich in einem repräsentativen Gesamtverband zu organisieren" (Michael Kiefer und Jamal Malik, Tageszeitung, 24. Februar 2008).


Eine schweigende Mehrheit lehnt die Verbände als zu konservativ ab

Die Vorstellung mutet utopisch an. Berücksichtigt man einmal die vielen Christen, die sich ihrer Kirchenmitgliedschaften nur zu Hochzeiten und Beerdigungen entsinnen, ansonsten aber nicht aktiv am Kirchenleben teilnehmen oder es mitgestalten, wohl aber mit Kritik an die Öffentlichkeit treten können, so kann man davon ausgehen, dass dies unter Muslimen auch der Fall ist. Mit einem Unterschied: Qua Taufe sind Christen bereits Mitglieder ihrer Kirche, zuweilen auch höchst kritische. Muslime hingegen müssten sich theoretisch heute aktiv für einen Verband entscheiden und das fällt Kritikern der aktuellen Verbandslandschaft naturgemäß schwer, wenn es nicht gar unmöglich ist.

Nicht nur, dass dem Islam derartige mitgliedschaftliche Organisationsstrukturen historisch bedingt schlicht fremd sind, auch die Geschichte der heutigen religiösen Verbände, die ausnahmslos aus ehemaligen Kulturvereinen und heimatbezogenen politischen, teilweise konkret parteipolitischen Auslandsvereinen hervorgegangen sind, spielt hierbei eine Rolle. Noch ist ein vom Herkunftsland unabhängiges Profil zu unscharf geblieben.

Da, wo die schweigende Mehrheit der Muslime sich einzeln zu Wort meldet, lehnt sie in der Regel die bestehenden Verbände als zu konservativ und starr ab. Das Dilemma besteht eher in dem Umstand, dass auch viele der nicht-organisierten Muslime gerne Moscheen aufsuchen, für ihre Kinder islamischen Religionsunterricht an den Schulen wünschen, im Not-, Krankheits- oder Sterbefall auf Unterstützung durch einen Imam hoffen, oder die Übersetzungs- und Hausaufgabenhilfen der Gemeinden möglichst kostenlos in Anspruch nehmen möchten.

Wer aber soll die Moschee finanzieren? Wer soll im Sinne des Artikels 7 des Grundgesetzes als Religionsgemeinschaft verantwortlich zeichnen für schulischen Unterricht? Wer die benötigten Imame bezahlen? Und das wirft die Fragen wieder zurück auf die, die zurzeit als einzige ein Stück islamisch religiöser Organisation anbieten können: die Verbände. Die Arbeitsgruppen der Deutschen Islamkonferenz könnten hier ein Forum der konstruktiven Inspiration sein. Doch noch scheinen sich die organisierten und nicht-organisierten Vertreter eher als Kontrahenten gegenüberzustehen.

Im Rahmen der Neutralität des Staates in religiösen Fragen ist es nicht Aufgabe des Staates, Religionsgemeinschaften zu definieren. Das müssen die Gemeinschaften selber leisten. Dennoch braucht der Staat in vielen Fällen, so zum Beispiel für die Durchführung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen, den oder die berühmten Ansprechpartner. Dieser könnte ein langfristiges Ergebnis der DIK sein; vorrangig formuliertes Ziel jedoch ist, dass "Muslime in Deutschland sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen und von dieser auch so verstanden werden" sollen.

Drei Arbeitsgruppen und ein Gesprächskreis diskutieren zu gesellschaftlich-politischen Themen, nicht zu theologischen Fragen (AG 1: Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens; AG 2: Religionsfragen im deutschen Verfassungverständnis; AG 3: Wirtschaft und Medien als Brücke; GK: Sicherheit und Islamismus.) Die im März 2008 veröffentlichten Zwischenergebnisse stehen zunächst nur auf dem Papier. Die Islamkonferenz geht schließlich noch weiter, und allzu schnell sichtbare, messbare Ergebnisse zu erwarten, würde auch die Prozesshaftigkeit vieler Entwicklungen außer Acht lassen (www.deutsche-islam-konferenz.de/Aufgaben und Ziele/Bisherige Ergebnisse).

Seit vielen Jahrzehnten sieht sich die deutsche Öffentlichkeit mit einem Wald voller islamischer Vereine und Verbände konfrontiert, deren ethnische und politische Zusammensetzung oder unterschiedliche religiöse Ausrichtung für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen ist. So besteht schon seit langem die Forderung nach einem gemeinsamen, verbindlichen Ansprechpartner, zunächst eher absolut formuliert. Inzwischen ist aber klar, dass es aus rechtlicher Perspektive auch mehrere Ansprechpartner geben könnte. Die Zusammenschlüsse des Islamrat und des ZMD zu Dachverbänden in den achtziger und neunziger Jahren waren erste, wenn auch wenig effektive Versuche auf diesem Weg.

Nur wenige Monate nach Beginn der Islamkonferenz warteten die muslimischen Verbände mit einer Überraschung auf: Im April 2007 wurde in der Köln Arena die Gründung des Koordinierungsrates des Muslime (KRM) bekannt gegeben (vgl. HK, Mai 2007, 221). Mit Ausnahme der Aleviten ist er nun ein Zusammenschluss der oben genannten Dachverbände ZMD, Islamrat, DITIB und VIKZ. Von Anfang an erhob der KRM den Anspruch, der so lange geforderte Ansprechpartner zu sein. "Wir vertreten einen Mainstream-Islam", meint Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des ZMD und erster Sprecher der halbjährlich im Rotationssystem wechselnden Sprecher des KRM. Der Koordinierungsrat stehe "für etwa 85 Prozent der Moscheegemeinden. Damit vertreten wir die überwältigende Zahl der Muslime, die ihren Glauben praktizieren" (Die Zeit, 19. April 2007).

Der KRM ist seit 2008 durch seinen Sprecher auch auf der Islamkonferenz vertreten, damit ist die Zahl der organisierten Vertreter zwar höher, aber nicht unbedingt vielfältiger geworden. Als einer der Einzelvertreter auf der DIK meinte der Islamwissenschaftler Navid Kermani, "niemand solle davon ausgehen, dass der KRM für alle hier lebenden Muslime spricht. Der KRM kann ein, aber niemals der Ansprechpartner sein." Bislang sucht der KRM auch nicht den innerislamischen Dialog, beispielsweise mit jüngeren islamischen Vereinigungen wie dem Muslimischen Theologinnen und Theologenbund e. V. (MTB) in Bochum oder der im Dezember 2007 gegründete Union der muslimischen TheologenInnen und IslamwissenschaftlerInnen e. V. (UMTIS), die sich beide als Foren verbandsunabhängiger junger, in Deutschland sozialisierter Theologen verstehen. Das trifft ebenso auf die beiden Frauenvereinigungen, Zentrum für islamische Frauenforschung (ZIF) und das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BfmF), beide mit Sitz in Köln, zu.

Noch fehlt ein deutliches Profil des KRM, und es fragt sich, wie der KRM seine Mitglieder vertritt, wenn selbst Mitgliedsvereine des ZMD oder Islamrats "von der Gründung des KRM nur aus der Zeitung erfuhren" (Esnaf Begic, Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland e. V., IGBD, bis 2007 VIGB e. V.). Die bosnischen Muslime jedenfalls waren, obwohl theoretisch vom KRM vertreten, bislang an Sitzungen nicht beteiligt. Ein innerislamischer Dialog wird seit einiger Zeit von vielen Muslimen gefordert, er läuft aber nur höchst zögerlich an.


Gemeinden auf dem Weg zur gesellschaftlichen Partizipation

Im Windschatten der großen Frage nach dem Ansprechpartner und nur mühsam wachsender Verständigung unter den großen Verbänden gehen viele hundert Ehrenamtliche in den Ortsgemeinden der Verbände erste Schritte auf dem Weg der regionalen, gesellschaftlichen Partizipation. Doch vielerorts wirken sich auch heute noch Sprachschwierigkeiten, Unsicherheit und Misstrauen gegenüber dem Ozean der Mehrheitsgesellschaft als Hemmnisse aus.

Kontinuierliche Dialoginitiativen der beiden großen Kirchen haben in den letzten Jahren Verstehen und Verständigung entscheidend gefördert. Desgleichen verschiedene aus Bundesmitteln geförderte Projekte. So hat eine multireligiöse Studiengruppe (MUREST), geleitet von der Alevitischen Gemeinde Deutschland, 2003 begonnen, systematisch Themen wie Konversion, Autoritätsstrukturen in religiösen Gemeinschaften, Glaube und Gesetz, interreligiöses Gebet, aber auch konfliktbeladene Fragestellungen wie Geschlechterverhältnis, religionsverschiedene Ehen, Umgang mit Gewalt und vieles mehr multireligiös zu bearbeiten. Daraus hervor ging das "Handbuch Interreligiöser Dialog" (Hg. Alevitische Gemeinde Deutschland, 2. Aufl., Köln 2007). Bezeichnenderweise waren von muslimischer Seite nur verbandsunabhängige Theologen an dem Projekt beteiligt. Anders als geplant hatte sich DITIB in der ersten Phase wieder zurückgezogen.

Dem innerislamischen Dialog widmete sich ein interessantes Projekt im Rahmen von "Entimon", das zu dem 2001 von der Bundesregierung gestarteten Aktionsprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie" gehörte. In Form von Rollenspielen und anschließender Reflexion unter fachkundiger Leitung erlebten alevitische und sunnitische Jugendliche in vertauschten Rollen ihre gegenseitigen, oft tief verwurzelten Vorurteile, mit deren Aufarbeitung anschließend begonnen wurde.

Der erst seit wenigen Jahren als Multiplikator wahrgenommene Imam (Vorbeter) und seine Rolle in den Gemeinden (vgl. auch HK, Januar 2007, 25ff.) steht im Mittelpunkt des Projekts "Religionen im säkularen Staat". In Kooperation mit den christlichen Kirchen und muslimischen Verbänden führt die Bundeszentrale für politische Bildung im Auftrag des Bundesinnenministeriums seit 2004 Dialogtagungen für Pfarrerinnen, Pfarrer und Imame, muslimische Vereinsvorstände, katholische beziehungsweise evangelische Gemeindemitarbeiter sowie zivilgesellschaftliche Multiplikatoren und Multiplikatorinnen durch.

Im Mittelpunkt der Tagungen stehen neben Fragen zum "Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften" vor allem praxisorientierte Themenschwerpunkte: Alltagsanforderungen an Gemeinden im Bereich der sozialen und seelsorgerischen Arbeit, der Sensibilisierung für dringend gefragte Handlungsfelder wie Kranken- und Notfallseelsorge, Jugendarbeit, Sorge für alte Menschen, Gefängnisseelsorge oder Trauerarbeit. Andere Schwerpunkte sind Fragen der religiösen Unterweisung innerhalb der jeweiligen Gemeinschaften gewidmet, einerseits in Abgrenzung zum schulischen Religionsunterricht, andererseits in Methodik und Didaktik.

Begriff und Aufgabenbereiche der christlichen Seelsorge sind der traditionellen Stellenbeschreibung des Imams fremd. Danach ist er ausschließlich für die täglichen Gebete, Freitagspredigt und die Sauberkeit in der Moschee zuständig. Auf die Anforderungen der Gemeinden, besonders der jüngeren Generation, auf Fragen eines christlich-islamischen Dialoges oder gar auf Kommunikation mit Kommunen oder Schulen sind die aus dem Ausland importierten Imame nicht vorbereitet. Meist der deutschen Sprache nicht mächtig, können sie trotz sichtbarem Willen schlicht nicht kommunizieren. Schon innerhalb der Gemeinden ist die Verständigung mit der jüngeren Generation oft kaum mehr gegeben.


Gefragt sind kompetente Theologen und Imame

Das trifft in besonderem Maß auf die Imame der DITIB zu, die als Beamte des türkischen Staates, beziehungsweise des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten (Divanet I s. leri Bas.kanlig"y) für zwei bis vier Jahre nach Deutschland kommen. Die seit einigen Jahren vom Goethe-Institut in Ankara und Bursa durchgeführten 600 Stunden Sprach- und landeskundlicher Vorbereitungskurse sind hier sehr hilfreich, in der Praxis aber nicht ausreichend. Vor diesem Hintergrund haben die Islamwissenschaftler Kiefer und Malik sicher Recht, wenn sie kritisch anmerken, die zentrale Rolle der Imame bei der Integration der Muslime werde überschätzt (Tageszeitung, 24. Februar 2008).

Aus der Binnenperspektive von Ortsgemeinden stellt sich das zuweilen anders dar. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter haben keine theologische Ausbildung, Kenntnisse über die eigene Religion sind gering und nicht selten haben sich gesellschaftliche Traditionen aus dem Herkunftsland wild mit der Religion vermischt. Kompetente Theologen und Imame sind in Gemeinden daher höchst gefragt. Das Diyanet ist seit einigen Jahren bemüht, ausschließlich Imame mit abgeschlossenem Hochschulstudium nach Deutschland zu schicken.

Auf einer bundesweiten DITIB-internen Fortbildung für Vorstandmitglieder der Ortsgemeinden im Winter 2008 wertete die Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Mangel an adäquatem sprachlichen Transfer und die fehlende Sozialisation als hinderlich für die Bewältigung und Weiterentwicklung gerade auch der sozialen Aufgaben der Gemeinden. Kompetente Partner, hier sozialisiert, kundig der deutschen Sprache vor allem auch in theologischen Themen, sind gefragt. Das Diyanet trägt dem Rechnung, in dem seit 2006 inzwischen knapp 100 Stipendiaten, geboren und aufgewachsen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, in Ankara oder Istanbul Internationale Theologie studieren, um später wieder im Ausland als Imame eingesetzt zu werden.

Das alles kann aber nicht über die engen Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen DITIB und dem türkischen Diyanet hinwegtäuschen. Aus Ankara finanzierte Stipendiaten werden noch auf Jahre hinaus die Abhängigkeit vertiefen, die allein schon dadurch entsteht, dass der türkische Staat der DITIB das theologische Personal für die rund 889 Gemeinden finanziert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Imame arbeitsrechtlich den Attachés der Konsulatsbezirke unterstellt sind, somit seitens der deutschen DITIB keine Weisungsbefugnis gegenüber den Imamen besteht.

Der VIKZ bildet seit einigen Jahren den Großteil seiner Imame in Deutschland selbst aus. Die Deutschkenntnisse dieser hier aufgewachsenen Imame sind vor allem bei den durchschnittlich jüngeren Imamen in Nordrhein-Westfalen deutlich besser. Durch seine als integrationshemmend eingestuften Schülerwohnheime und ein negativ ausgefallenes Gutachten von Ursula Spuler-Stegemann aus dem Jahr 2004 war der VIKZ in den Focus der öffentlichen Kritik geraten. Inzwischen ist der VIKZ vor allem in Baden-Württemberg, wo der Verband die Mehrheit aller Wohnheime unterhält, um mehr Transparenz bemüht und baut gute Kommunikationsstrukturen mit dem Umfeld der Wohnheime sowie den Schulen auf. Das Konzept der Wohnheime, das grundsätzlich auf einer ganzheitlichen religiösen Weltsicht beruht, erfüllt daneben auch soziale Aufgaben, vor allem im Hinblick auf Hausaufgabenhilfe und Nachmittagsbetreuung von Jugendlichen. Ob die Wohnheime besuchenden muslimischen Schüler nicht auch parallel andere Freizeitaktivitäten wie Musik oder Sport wahrnehmen könnten oder sollten, bleibt als Frage im Raum.

Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich die rechtliche Umstrukturierung des Verbandes seit 2007 auswirkt. Der zuvor zentralistisch geführte Verband mit Hauptsitz in Köln hat in den letzten beiden Jahren sukzessiv selbständig eingetragene und damit juristisch eigenverantwortliche Landesverbände und Ortsvereine geschaffen. Von seiner kritisch bis ablehnenden Haltung zum schulischen Religionsunterricht hat der VIKZ inzwischen Abstand genommen: Aufgrund positiver Erfahrungen begrüßte der Verband auf einer Imam-Tagung im November 2008 an der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart erstmals den schulischen Religionsunterricht. Mit einer Einschränkung: Alle Schulversuche sollen auch von Seiten der Länder weiterhin als Überganglösungen verstanden werden, bis ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht nach Artikel 7 des Grundgesetzes eingeführt werden kann. Diesen gibt es ja bislang in keinem Bundesland.


Frauen auf dem Vormarsch

16 Tagungen haben in verschiedenen Regionen Deutschlands stattgefunden. Mit DITIB, dem VIKZ, der AABF, eine Tagung mit den bosnischen Imamen ist in Vorbereitung. Was läge näher, als hier im regionalen Kontext Synergieeffekte zu schaffen und Ressourcen zu bündeln? Doch verbandsübergreifende Tagungen waren bislang nicht möglich. Mit einer einzigen Ausnahme. Bezeichnenderweise gelang ein gemeinsames Kooperationsprojekt mit den beiden Verbänden und unabhängigen Frauenvereinigungen wie ZIF und BfmF im Sommer 2008 mit einer Frauentagung in der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mülheim (Ruhr) unter dem programmatischen Titel: "Grenzen erkennen - Grenzen verschieben". Neben der Tagung mit Aleviten war die Frauentagung auch die einzige, die bislang ohne Simultanübersetzung durchgeführt werden konnte. Und man erlebt gerade die Frauen als ein aus Sicht der islamischen Verbände völlig unterschätztes Kompetenzpotenzial.

Einen selbständigen Frauenverband hat nur die Alevitische Gemeinde Deutschlands; als Frau in einem Bundesvorstand findet man nur Ayten Kilicarslan (DITIB, seit 2007). 15 Predigerinnen schickte Ankara inzwischen mit den Imamen und weitere 15 Predigerinnen haben DITIB-Gemeinden inzwischen privat finanziert angestellt. Auch der VIKZ ergriff im Rahmen der Vorbereitungen für die Frauentagung die Gelegenheit, Nigar Yardim als Frauen- und Integrationsbeauftragte zu berufen. Die eloquente junge Theologin und Predigerin setzt sich unter anderem intensiv für die Entwicklung einer modernen Didaktik und Pädagogik im Bereich der religiösen Unterweisung innerhalb der VIKZ-Moscheen ein.

In den nächsten Jahren werden die ersten Absolventen der islamischen Religionslehrerausbildung als Referendare an die Schulen gehen. Die ersten Lehrbücher für die Grundschulen sind gerade erschienen (Mein Islambuch, München 2009). Ein Vollstudium der Islamischen Theologie wird derzeit noch an keiner deutschen Hochschule angeboten, nur an der Goethe-Universität in Frankfurt gibt es, bisher dem Fachbereich Evangelische Theologie angeschlossen, eine Stiftungsprofessur Islamische Religion des Diyanet in der Türkei. Seit langem wird deutlich: An einem Studiengang Islamische Theologie und einer vollwertigen Imamausbildung in Deutschland führt langfristig kein Weg vorbei. Gerade erst bestätigte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bei einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart: "Wir brauchen eine islamisch-theologische Fakultät". Der Weg dorthin wird sicherlich steinig werden, aber die Tür ist aufgestoßen. In einigen Jahren könnte der Islam in Deutschland seinen vollwertigen Platz einnehmen.


*


Marfa Heimbach (geb. 1960) studierte Islamwissenschaften und Geschichte und arbeitet als freie Feature-Autorin für den Westdeutschen Rundfunk. Im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung leitet sie seit 2004 das Dialogprojekt für Imame und Pfarrer, "Religionen im säkularen Staat".


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 4, April 2009, S. 189-193
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,40 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2009