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BERICHT/077: Islamdebatten, variiert (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 126/Dezember 2009
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Islamdebatten, variiert
Unterschiedliche Akzente in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Von Marc Helbling


Die zunehmende Migration aus muslimischen Ländern stellt westliche Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Die Auseinandersetzungen darüber folgen in verschiedenen Ländern unterschiedlichen Logiken. Es zeigt sich, dass neben dem traditionellen Verständnis, was eine Nation bedingt, auch die Beziehung zwischen Kirche und Staat sowie die Stärke rechtspopulistischer Akteure einen Einfluss darauf ausüben, wie über Islam und Muslime in der Öffentlichkeit debattiert wird.


Die zunehmende Immigration aus muslimischen Ländern hat den Islam seit Ende des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen kulturellen Phänomen in Westeuropa werden lassen. In den Einwanderungsdebatten dominieren oft Konflikte, in denen eingewanderte Muslime und deren Kultur eine Rolle spielen. Denn westliche Gesellschaften fühlen sich immer häufiger von religiösen Sitten und Gebräuchen herausgefordert, die mit ihren liberalen Normen in Konflikt zu stehen scheinen. Der Bau von Moscheen und Minaretten, islamischer Religionsunterricht und nach Geschlechtern getrennter Sportunterricht sind nur einige der Themen, die immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen führen.

Die stärker werdenden Spannungen erfordern eine systematische Untersuchung dieses Themas. Es stellt sich die Frage, wie westliche Gesellschaften auf muslimische Migration reagieren und wie sie mit den Forderungen der Muslime nach kulturellen Rechten umgehen. Dabei geht es nicht nur um politische und rechtliche Bestimmungen, sondern auch darum, von welchen Faktoren die gesellschaftliche Auseinandersetzung insgesamt bestimmt wird: Welche Themen dominieren die Debatten, und welche Akteure nehmen daran teil? Welche Positionen werden eingenommen, und wie wird argumentiert?

Ein besonderes Augenmerk gilt immer wieder den terroristischen Anschlägen in New York, Madrid und London. Viele Beobachter vermuten, dass diese Ereignisse kontroversere Einstellungen gegenüber Muslimen in Westeuropa und Nordamerika zur Folge hatten. Es hat sich aber in verschiedenen Studien gezeigt, dass die Auswirkungen gar nicht so gravierend ausgefallen sind. Zwar wird seit 9/11 in der Öffentlichkeit sehr viel häufiger über muslimische Migration diskutiert als zuvor; auch Sicherheitsthemen wird ein wichtiger Platz eingeräumt. Die generellen Einstellungen haben sich aber nicht merklich verändert. Vielmehr scheinen sich gewisse kontroverse Positionen verstärkt zu haben, die es bereits vor den Anschlägen gab und mit der zunehmenden muslimischen Migration in den 1980er und 1990er Jahren erklärt werden können.

Wichtige Hinweise ergibt die Analyse der verschiedenen Islamdebatten in einzelnen Ländern und deren Unterschiede. Es wird oft argumentiert, dass die vorherrschenden nationalen Staatsbürgermodelle einen starken Einfluss auf die Art und Weise ausüben, wie mit den Migranten umgegangen wird. Die in einem Land dominierende Vorstellung darüber, was eine Nation ausmacht, wer dazugehört und wer nicht, müsste demnach Auskunft darüber geben, wie eine Gesellschaft auf muslimische Migration reagiert. Neuere Arbeiten haben jedoch auf die Unzulänglichkeit dieses Arguments hingewiesen. Die Idee, dass ein Staatsbürgermodell allein als Erklärungsmuster dienen kann, gilt einigen Forschern als zu grob vereinfachend, zumal Muslime keine ethnische, sondern vielmehr eine religiöse Minderheit sind und sich das Verständnis einer Nation im Laufe der Zeit verändern kann.

Am besten kann diese Frage anhand der derzeitigen Islamdebatten in den Ländern überprüft werden, die ein ähnliches Staatsbürgermodell aufweisen. Dies erlaubt es zu untersuchen, ob sich die Reaktionen auf muslimische Einwanderer trotz des gleichen Staatsbürgermodells unterscheiden und welche weiteren Faktoren relevant sind. Deutschland, Österreich und die Schweiz haben, wie in mehreren Studien dargelegt wurde, ein ähnlich ethnisches Staatsbürgermodell, das eine restriktive Politik und ablehnende Einstellungen gegenüber Migranten zur Folge hat. In diesen drei Ländern ist die Meinung vorherrschend, nur Menschen mit einem sehr ähnlichen kulturellen Hintergrund gehörten zur nationalen Gesellschaft. Im Gegensatz dazu gelten Länder wie die Niederlande und Großbritannien als offen und großzügig gegenüber Immigrantengruppen und deren kulturellen Forderungen.

Sollte das Verständnis von Staatsbürgerschaft tatsächlich einen solch großen Einfluss ausüben, wie oft angenommen wird, müsste in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein ähnliches gesellschaftliches Klima gegenüber Muslimen beobachtet werden können. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich die öffentlichen Debatten in einigen Aspekten stark unterscheiden: Diese können zu einem großen Teil mit der traditionellen Beziehung zwischen Staat und Kirche sowie der Mobilisierung durch rechtspopulistische Parteien erklärt werden. Nach Auffassung vieler Wissenschaftler sagen die traditionellen Beziehungen zwischen dem Staat und den in einem Land traditionell angestammten Religionen etwas darüber aus, wie mit neuen religiösen Gruppen umgegangen wird. So hat sich gezeigt, dass der Islam in jenen Ländern eine bessere Position hat, in denen die christlichen Kirchen eine größere Anerkennung genießen.

In einem nächsten Schritt spielt eine große Rolle, welche traditionelle Stellung der Islam in den drei untersuchten Ländern hat und wie sich diese Beziehung auf die heutigen Debatten auswirkt. Auf Grund des historischen Erbes des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs ist der Islam seit gut hundert Jahren eine offiziell anerkannte Religion in Österreich. In der Schweiz sind dagegen neben den christlichen und der jüdischen keine weiteren Religionen anerkannt. Eine Anerkennung ist schon deshalb schwierig, da die Beziehung zwischen Kirche und Staat auf subnationaler Ebene geregelt wird. Im Kanton Zürich gab es zwar bereits Anläufe, weitere Religionen offiziell anzuerkennen. Diesen wurde aber in einer Volksabstimmung ein vorläufiges Ende gesetzt. In Deutschland erschwert der Föderalismus ebenfalls eine nationale Anerkennung des Islam. Es gibt aber zumindest seit einiger Zeit Bestrebungen, mit muslimischen Gruppen auf nationaler Ebene enger zusammenzuarbeiten.

Der Erklärungsansatz der Staatsbürgermodelle ist nicht hinreichend, wenn es darum geht, den Umgang mit spezifischen Migrantengruppen zu erklären. Er erlaubt es außerdem nicht, zeitliche Veränderungen zu untersuchen. Tatsache ist jedoch, dass sich Staaten und deren Vorstellungen über das Wesen einer nationalen Gemeinschaft verändern können. Diese Entwicklungen werden vor allem von politischen Akteuren vorangetrieben, die mit einer bestimmten vorherrschenden Politik unzufrieden sind. Eine solche Mobilisierung kann weitere politische Akteure und Teile der Gesellschaft beeinflussen und so der öffentlichen Debatte ein neues Bild geben.

Beim Thema Migration mobilisieren insbesondere rechtspopulistische Parteien die öffentliche Meinung. Politiker wie Pim Fortuyn, Geert Wilders oder Umberto Bossi haben sich in verschiedenen westeuropäischen Ländern dieses Themas so lautstark angenommen, dass sie oft nur noch als Anti-Immigrationsparteien bezeichnet werden. Rechtspopulistische Kräfte sind in Österreich und der Schweiz relativ erfolgreich, während sie in Deutschland zumindest auf nationaler Ebene kaum eine Bedeutung haben. In der Schweiz ist die Schweizerische Volkspartei (SVP) eine treibende Kraft in der Islamdebatte. Eine von ihr lancierte Initiative zum Verbot des Baus von Minaretten hat bereits über die Landesgrenzen hinweg für Furore gesorgt. Die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) haben sich ebenfalls verschiedentlich des Islamthemas angenommen. Für Deutschland stellt sich die Frage, ob das Fehlen solcher politischen Kräfte zu allgemein großzügigeren Einstellungen gegenüber Muslimen führt oder ob andere, traditionell eher moderate rechte Parteien die Lücke ausfüllen und gegen den Islam mobilisieren.

Auswertungen in einem Forschungsprojekt des WZB in Zusammenarbeit mit der Universität München haben ergeben, dass rechtspopulistische Parteien überdurchschnittlich in den Islamdebatten vertreten sind. Sie stellen die wichtigste politische Kraft dar, wenn es um Themen rund um den Islam geht. Ihre Mobilisierung in Österreich und der Schweiz führt auch - stärker als in Deutschland - zu einer deutlicher polarisierten Debatte. Die CDU/CSU in Deutschland scheint also zumindest in der Islamdebatte nicht die Aufgabe des rechtspopulistischen Lagers übernommen zu haben. Der Einfluss der Rechtspopulisten in Österreich und der Schweiz macht sich auch dadurch bemerkbar, dass dort die Auseinandersetzungen um Moscheen und Minarette sehr intensiv sind, während diese Themen in Deutschland zumindest auf nationaler Ebene kaum Reaktionen auslösen. Öffentlich gut sichtbare Symbole des Islams sind ganz klar bevorzugte Themen von Rechtspopulisten.

Der Einfluss der Rechtspopulisten ist jedoch in der Schweiz größer als in Österreich. Die verschiedenen Parteilager, die FPÖ und BZÖ eingeschlossen, nehmen dort weniger ablehnende Positionen ein. Dies deutet darauf hin, dass die traditionell starke Position des Islam in Österreich eine offenere Debatte gegenüber den Muslimen fördert und den Einfluss der Rechtspopulisten dämpft. Außerdem sind in Österreich muslimische Organisationen viel stärker in die Debatte eingebunden. Dies ist vor allem im Unterschied zur Schweiz erstaunlich, deren direktdemokratische Institutionen normalerweise solchen Akteuren einen besonders großen Spielraum zur Verfügung stellen.

Die starke Stellung des Islam in Österreich führt ebenfalls dazu, dass weniger um grundsätzliche und ideologische Aspekte gestritten wird als vielmehr um praktische Fragen, die sich auf Infrastruktur, islamische Institutionen und die Regelung kultureller Ansprüche von Muslimen konzentrieren. Die Schweiz, die bis vor kurzem viel weniger stark als Österreich mit dem Islam konfrontiert war, beschäftigt sich dagegen stärker mit grundsätzlichen Fragen, die den Islam an sich und die Integration muslimischer Einwanderer betreffen. Es geht noch eher darum, wie der Islam mit der schweizerischen Kultur und Gesellschaft vereinbar ist. In Deutschland ist die Debatte weiter fortgeschritten als in der Schweiz, es werden aber auch hier grundlegende Aspekte der Vereinbarkeit diskutiert. In allen drei Ländern wird relativ stark nationalistisch argumentiert, wenn es um muslimische Migration geht. Solche Argumentationsmuster sind aber ausgeprägter in Deutschland und der Schweiz. In Österreich werden sie oft durch religiöse Argumente ersetzt, was wiederum durch das spezifische, historisch gewachsene Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zu erklären ist.

Die Migration aus muslimischen Ländern stellt westliche Gesellschaften nicht nur vor neue Herausforderungen; sie wirft auch die Frage auf, wie dieses Phänomen untersucht werden kann. Die Analyse zeigt, wie notwendig es ist, den historischen Kontext, etwa das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften, zu berücksichtigen, ebenso wie die Rolle rechtspopulistischer Kräfte. Eine Erweiterung der Forschungsperspektive ergibt sich, wenn der Einfluss dieser Faktoren auf Länder wie Großbritannien und die Niederlande untersucht wird. Interessant wäre auch ein Vergleich zwischen westeuropäischen und nordamerikanischen Ländern. Muslimische Migranten in den USA und Kanada sind meist besser gebildet und gehören höheren sozialen Schichten an als diejenigen in Westeuropa. Dies könnte ebenfalls einen Einfluss darauf ausüben, wie die jeweiligen Gesellschaften auf diese Minderheit reagieren.


Marc Helbling arbeitet seit 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Migration, Integration, Transnationalisierung". Er hat in Lausanne und Paris Politikwissenschaft studiert, war 2005/ 2006 Visting Scholar an der New York University und wurde 2007 an der Universität Zürich promoviert. Er arbeitet zurzeit unter anderem über Immigration, Islampolitik und Islamophobie in westeuropäischen Staaten.
helbling@wzb.eu


Literatur

Marc Helbling, "Islamophobia in Switzerland. A New Phenomenon or a New Name for Xenophobia?", in: Simon Hug, Hanspeter Kriesi (Eds.), Value Change in Switzerland, Lanham: Lexington Press 2010 (im Erscheinen)

Martin Dolezal, Marc Helbling, Swen Hutter, "Zwischen Gipfelkreuz und Halbmond. Die Auseinandersetzung um den Islam in Österreich und der Schweiz, 1998-2007", in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, Jg. 37, Nr. 4, 2008, S. 401-417

Martin Dolezal, Marc Helbling, Swen Hutter, "Debates over Islam in Austria, Germany, and Switzerland: Between Ethnic Citizenship, State-Church Relations and Right-Wing Populism", in: West European Politics, Vol. 33, No. 2, 2010 (im Erscheinen)


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 126, Dezember 2009, Seite 22-24
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2010