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BERICHT/086: Gesteigerte Dynamik beim Ausbau islamischer Theologie in Deutschland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 4/2011

Professoren gesucht
Gesteigerte Dynamik beim Ausbau der islamischen Theologie in Deutschland

Von Stefan Orth


Vor einem Jahr hat der Wissenschaftsrat die Schaffung von Zentren für "Islamische Studien" in Deutschland gefordert. Vier Standorte haben inzwischen Bundesmittel zur Einrichtung entsprechender Professuren zugesagt bekommen. Die größte Herausforderung besteht nun in der Ausbildung des benötigten wissenschaftlichen Nachwuchses.


Hochschulpolitik ist eine zähe Materie, Veränderungen vollziehen sich hier oft genug nur schleppend, nicht zuletzt aufgrund der föderalen Strukturen in Deutschland, aufgrund derer das Thema Bildung Ländersache ist. Ganz anders verhält es sich momentan im Fall des Ausbaus von Einrichtungen islamischer Theologie in Deutschland.

Mit einem gewissen Erstaunen hatte man im Zuge der Deutschen Islam Konferenz zur Kenntnis genommen, dass um die vier Millionen Muslime in diesem Land leben. Interesse an einem islamischen Religionsunterricht hatten sie länger schon angemeldet; zumindest punktuell gab es auch in einigen Bundesländern entsprechende Schulversuche. Erst jüngst hat sich jedoch die Überzeugung in der Breite durchgesetzt, dass man die religiöse Bildung der Muslime hierzulande nicht einfach den Moscheegemeinden überlassen kann. Gleichzeitig steht damit aber auch die Aufgabe im Raum, entsprechende Lehrer mit muslimischem Bekenntnis auszubilden, die sich mit Blick auf Fachwissen, didaktische Fähigkeiten und pädagogische Überzeugungen mit katholischen und evangelischen Religionslehrern messen lassen können.

Ebenso kritisch wird inzwischen gesehen, wenn die Imame der Gemeinden aus dem Ausland stammen, nicht mit den hiesigen Verhältnissen vertraut sind und oft genug nicht einmal Deutsch sprechen (vgl. HK, Januar 2010, 12 ff.). In nicht wenigen Gemeinden gibt es selbst eine Unzufriedenheit mit den Imamen.


Bewerbungen um Bundesmittel

Rund 700.000 Kinder und Jugendliche muslimischen Glaubens besuchen derzeit in Deutschland die Schule; insgesamt wären deshalb 2000, nach großzügigen Schätzungen auch mehr als 2500 Lehrer notwendig. Die Zahl der Moscheegemeinden liegt in einer ähnlichen Größenordnung. Auch wenn es länger dauern wird, flächendeckend universitär ausgebildete muslimische Religionslehrer, Religionslehrerinnen und Imame zur Verfügung zu haben, die sich analog zu den Absolventen christlicher Theologie im Beziehungsgeflecht zwischen säkularer Öffentlichkeit und den jeweiligen Gemeinden bewegen können: Derzeit wird mit Hochdruck daran gearbeitet (vgl. zuletzt HK, September 2010, 436 ff.).

Bekanntermaßen startet man auch hier nicht ganz beim Nullpunkt. Im vergangenen Jahrzehnt wurde vor allem an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Münster und Osnabrück mit der Aus- und Weiterbildung von Lehrern für die entsprechenden Schulversuche begonnen und damit wurden erste Professuren etabliert, die nicht islamwissenschaftlich (im religionswissenschaftlichen Sinne) ausgerichtet sind, sondern den Islam aus der Binnenperspektive des Bekenntnisses reflektieren. Zweisemestrige Erweiterungsstudiengänge zur Weiterqualifizierung für Lehrer und Lehrerinnen für Grund- und Hauptschulen gab es auch an den baden-württembergischen Pädagogischen Hochschulen in Ludwigsburg und Weingarten sowie in Karlsruhe, wo auch für Rheinland-Pfalz ausgebildet wurde.


Der Wissenschaftsrat hat vor einem Jahr in seinen "Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen" gefordert, zwei bis drei Zentren für "Islamische Studien" aufzubauen, an denen vergleichbar evangelisch- oder katholisch-theologischen Fakultäten sowohl Lehrer als auch Imame ausgebildet werden können - und daneben auch der wissenschaftliche Nachwuchs, der unter anderem notwendig ist, um jenes überhaupt leisten zu können (vgl. auch HK, März 2010, 137 ff.). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat daraufhin rasch signalisiert, im Sinne einer Anschubförderung Gelder zur Verfügung zu stellen - wenn denn gewährleistet ist, dass die jeweiligen Bundesländer in ähnlichem Umfang mitfinanzieren und danach die Einrichtungen auch voll übernehmen.

Eine ganze Reihe von Universitäten, darunter vor allem jene mit bereits etablierten Professuren für islamische Religionspädagogik, haben dann in den folgenden Monaten entsprechende Anträge ausgearbeitet. Im Herbst vergangenen Jahres hat das BMBF bereits die ersten zwei Zentren benannt: Zum einen hatten die Universitäten Osnabrück und Münster für ein Kooperationsvorhaben den Zuschlag bekommen, zum anderen die Universität Tübingen. Positiv würdigten die Gutachter seinerzeit aber auch den Vorschlag der Universität Erlangen, der jetzt in einer zweiten Auswahlrunde Ende Februar positiv beschieden wurde. Nicht berücksichtigt wurde das Konzept der Universitäten Marburg und Gießen, für die sich das Land Hessen in der ersten Runde stark gemacht hatte, obwohl der Frankfurter Standort mindestens so viele gute Argumente in die Waagschale zu werfen hatte. Dieser hat jetzt, in Kombination mit der Universität Gießen für die Primarlehrerausbildung, ebenfalls in der zweiten Runde eine Zusage erhalten. Nicht durchsetzen konnte sich in Baden-Württemberg ein Standort an der Universität Heidelberg, der sich im Verbund mit der Universität Freiburg beworben hatte.

Den jetzt vier Zentren finanziert das Bundesministerium für die nächsten fünf Jahre Professuren, Mitarbeiterstellen und jeweils zwei Gruppen für vier Post-Doc-Studierende. Pro Standort stellt das BMBF bis zu vier Millionen Euro zur Verfügung. Insgesamt sollen aufgrund der beiden Runden 400 bis 500 Studienplätze entstehen. Verbunden ist die Zusage mit dem Hinweis an die mitfinanzierenden Bundesländer, dass der Ausbau der in der Regel bereits bestehenden Einheiten nicht auf Kosten der christlichen Theologien geschehen darf.


Was es bisher gibt

In Osnabrück gibt es bereits seit dem Wintersemester 2007/2008 am "Zentrum für Interkulturelle Islamstudien" (ZIIS) den Studiengang "Islamische Religionspädagogik" als Erweiterungsfach, der auf vier Semester angelegt ist. Bereits ausgebildete Lehrer und Studierende mit dem Ziel Lehramt können das Fach zusätzlich belegen. Neben den wichtigsten Inhalten der verschiedenen islamischen Fachwissenschaften geht es zum einen um die Vermittlung von für den Unterricht wichtigen arabischen Sprachkenntnissen als auch um die Fachdidaktik. Professoren sind der Gründungsdirektor des Zentrums, Bülent Ucar, und seit 2009 Rauf Ceylan, der mit einer Studie über Imame in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist.

Seit dem vergangenen Herbst werden in Osnabrück jetzt auch Imame ausgebildet, erst einmal zwei Semester lang berufsbegleitend. Eine theologische Ausbildung wird hier vorausgesetzt, im Mittelpunkt dieses Studienangebots stehen Deutschkenntnisse, landeskundliche Themen und mit Blick auf die Gemeinde- und Jugendarbeit Pädagogik. Während der Studiengang islamische Religionspädagogik auf 70 Studierende ausgelegt und voll ausgelastet ist, gibt es in der Imam-Ausbildung nur 30 Plätze, die ebenfalls begehrt sind. Auch das in diesem Herbst beginnende Programm ist bereits ausgebucht. Dies soll allerdings nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer universitären Ausbildung von Imamen sein. Geplant ist ein eigener Bachelorstudiengang ab dem Wintersemester 2013/2014 (vgl. auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann, in: Ucar [Hg.], Imamausbildung in Deutschland. Islamische Theologie im europäischen Kontext, Veröffentlichungen des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien der Universität Osnabrück 3, V&R unipress, Göttingen 2010, 32 f.).

Nach der akademischen Ausbildung der Imame an den Universitäten könnten die muslimischen Dachverbände und Gemeinden einem Priesterseminar vergleichbare Imamseminare aufbauen und dort praxisbezogene und liturgische Inhalte vermitteln, hat Ucar vorgeschlagen (Rheinischer Merkur, Nr. 41/2010). Professoren gesucht


In Münster sind am "Centrum für Religiöse Studien" (CRS), an dem auch orthodoxe und jüdische Theologie gelehrt wird, mehr als 50 Muslime eingeschrieben, davon ein knappes Dutzend in der Promotionsphase. Gerade sind die ersten Religionslehrerinnen und Religionslehrer fertig geworden. Sven Kalisch war dort seit 2004 Inhaber der ersten Professur, hat aber das "Centrum für Religiöse Studien" verlassen, nachdem er die Historizität des Propheten Mohammeds bestritten und sich vom islamischen Glauben abgewendet hat. Er lehrt jetzt "Geistesgeschichte im Vorderen Orient in nachantiker Zeit" am Fachbereich Philologie. Sein Nachfolger wurde im vergangenen Herbst Mouhanad Khorchide, der in Österreich mit einer Studie über die ideologische Ausrichtung der dortigen muslimischen Religionslehrer für Furore gesorgt hat. Eine zweite Professur soll in Kürze, zwei weitere der insgesamt fünf sollen im kommenden Jahr besetzt werden. Ab dem Herbst wird es wie in Osnabrück ein eigenes Fortbildungsangebot für Imame geben.


Wie kommt man auf Augenhöhe?

Die Studiengänge "Islamische Theologie" (Bachelor und Master) unter dem Dach des neuen "Zentrums für Islamische Studien" befinden sich in der Konzeptionsphase und sollen ab dem Herbst 2012 sowohl in Osnabrück als auch in Münster eigenständig angeboten werden. Die beiden Standorte ergänzen sich aufgrund von unterschiedlichen Einzugsgebieten (hier Norddeutschland, dort Nordrhein-Westfalen), die auch zwei Beiräte mit sich bringen. In Münster sind die einschlägigen Bezugswissenschaften, etwa zwei große christlich-theologische Fakultäten und auch Islamwissenschaft sowie Orientalistik vorhanden; durch die Vorleistungen des Landes Niedersachsen ist in Osnabrück das "Zentrum für interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück" bereits vergleichsweise gut institutionalisiert. Mit insgesamt zehn bis zwölf Professuren wird das gemeinsame Zentrum in wenigen Jahren ähnlich groß wie eine klassische theologische Fakultät in Deutschland sein - und wüsste sich dann zumindest in dieser Hinsicht auf Augenhöhe.


Die Universität Tübingen hatte bisher in Sachen islamischer Theologie wenig vorzuweisen, konnte aber zum einen mit dem politischen Willen der baden-württembergischen Landesregierung und den umfassenden Vernetzungsmöglichkeiten zu bereits bestehenden verwandten Wissenschaften punkten. Bereits zum Wintersemester 2011/12 will man jetzt dort mit der Lehre beginnen. Geplant sind in der Einrichtung, die vom Rektorat auf der Ebene einer Fakultät angesiedelt werden wird, sechs Lehrstühle als Minimalausstattung, davon sollen zwei bereits in diesem Jahr fest vergeben werden. Mit weiteren Dozenten will man dann ein Programm für 40 Studierende anbieten können. Daneben werden in Kürze auch weitere Mittelbaustellen für islamische Religionspädagogik an den Pädagogischen Hochschulen des Bundeslandes ausgeschrieben, um dort das Lehrangebot ausbauen zu können.


Die Universität Erlangen-Nürnberg ist die erste deutsche Hochschule, an der man nicht nur Islamwissenschaften, sondern auch islamische Religionspädagogik studieren konnte. Bereits 2002 wurde dort das "Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre" (IZIR) gegründet, seit 2006 lehrt dort der muslimische Religionspädagoge Harry Harun Behr. Geschätzte 150 Studierende gibt es in Erlangen derzeit insgesamt, davon strebt ein Großteil das Lehramt an und musste islamische Religionspädagogik als zusätzliches Fach wählen. Zu den weiteren Studiengängen zählt ein Magisterstudiengang Islamwissenschaften/Pädagogik. Auch unabhängig vom Zuschlag des BMBF in der zweiten Runde hatte das Land Bayern eine zweite Professur bereits angekündigt, der jetzt weitere folgen werden.


An der Universität Frankfurt, dem zweiten Standort für ein Zentrum, der ebenfalls erst jetzt die Zusage erhalten hat, gab es bereits seit dem Jahr 2003 die Möglichkeit, "Islamische Studien" zu betreiben - wobei das Programm bisher stärker religionswissenschaftlich ausgerichtet war, einige Absolventen faktisch aber auch als islamische Religionslehrer arbeiten. Maßgeblich von der türkischen Religionsbehörde Diyanet mitfinanziert, lehren am "Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam" die Professoren Ömer Özsoy und Abdullah Takim.

In Frankfurt konnte man auch seit diesem Wintersemester erstmals in Deutschland in einem auf sechs Semester angelegten Bachelorstudiengang "Islamische Studien" als eigenständigen Studiengang studieren. Von den insgesamt 230 Studierenden zur Zeit sind dort mehr als 90 Studierende eingeschrieben. Rund 75 haben den religionswissenschaftlichen BA-Studiengang "Islamische Religion" belegt, den die ersten Absolventen demnächst abschließen werden (der Master-Studiengang wird gerade konzipiert), und etwa 65 studieren noch den jetzt auslaufenden Magister-Studiengang gleichen Namens. Eine dritte Professur wird momentan besetzt, aber nach der Entscheidung von Ende Februar kann jetzt auch hier, zusammen mit der Universität Gießen, großzügiger geplant werden.


Diskussionen um die Bezeichnung des Fachs

Der Wissenschaftsrat hatte in seinen Empfehlungen als muslimisches Pendant zur Verantwortung der Kirchen für die theologische Lehre an staatlichen Universitäten die Berufung von Beiräten vorgeschlagen. Offen ist derzeit noch, ob die Berufung - und Überprüfung - von islamischen Theologen konfliktfrei verlaufen wird.

Das Hauptproblem beim gegenwärtigen Ausbau der Kapazitäten für Forschung und Lehre in Sachen islamischer Theologie besteht ohnehin darin, dass man auf die Schnelle nicht ausreichend geeignete Bewerber für die vielen neu zu besetzenden Professuren finden wird, unter anderem auch, weil die meisten infrage kommenden deutschen Muslime bisher Islamwissenschaftler und nicht Absolventen islamischer Theologie sind.


Die Verantwortlichen des "Theologischen Forums Christentum - Islam", einer Gruppe von muslimischen und christlichen Theologen an der katholischen Akademie Rottenburg-Stuttgart, zu denen ein Gutteil der einschlägigen Akteure gehört, hatte im vergangenen Juni bereits vor diesem Hintergrund in einer Stellungnahme zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats vor "aktionistischer Bedarfsbestimmung" und "willkürlicher Fächeranarchie" gewarnt.

Angemahnt wird auch eine dezidiert theologische Orientierung der "Islamischen Studien", um diese von den Religionswissenschaften im Allgemeinen als auch den Islamwissenschaften im Besonderen abgrenzen zu können: "Die spezifische Aufgabe der Theologien besteht darin, neben Verstehen und Interpretation der Grundquellen der Religion eine wissenschaftliche Reflexion auf den Glauben, wie er in den Kirchen beziehungsweise den islamischen Gemeinschaften gelebt wird, zu leisten (...) in den gegenwärtigen Verstehenshorizont zu übersetzen und deren Voraussetzungen, Inhalte und Konsequenzen methodisch zur Sprache zu bringen." Konkret heißt das, auch Forschung in den Teildisziplinen islamischer Theologie zu betreiben: also etwa in Koran- oder Hadith-Exegese, der Geschichte der prophetischen Tradition und der Mystik, aber auch in islamischer Philosophie und islamischem Recht.

Interessant ist vor diesem Hintergrund, wie auf den Internet-Seiten des CRS in Münster das Selbstverständnis des Fachs formuliert wird: "Das Ziel der Professur ist einerseits die Qualifizierung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern für den konfessionellen islamischen Religionsunterricht, andererseits die Etablierung und Weiterentwicklung eines innerislamischen Diskurses der Aufklärung, der darauf zielt, den Islam als spirituelle und ethische Quelle zu sehen und als eine auf Liebe und Barmherzigkeit basierende, humanistische, weltoffene Botschaft zu verstehen."


Ein vergleichbares Interesse an einer genaueren Profilierung des neuen Fachs gibt es übrigens auf Seiten mancher Islamwissenschaftler an deutschen Universitäten, die an der Bezeichnung der neuen Zentren Kritik üben. Der Begriff "Islamische Studien" erlaube keine klare Abgrenzung, eine Umbenennung der Islamwissenschaft in Orientalistik, wie vorgeschlagen wurde, sei keine Alternative: Auch der Islamwissenschaft gehe es um die gesamte islamische Welt und nicht einfach nur um den Orient (vgl. etwa Patrick Franke, Transkulturelle Alternative zu den "Islamischen Studien", Dossier "Islam - Kultur - Politik" in: Politik und Kultur, Nr. 1/2011, 16). In Tübingen hat man entschieden, die neue Einrichtung ausdrücklich "Zentrum für Islamische Theologie" zu nennen, um Missverständnissen zu begegnen, aber auch die neue Sichtweise zu unterstreichen.


Jetzt Nachwuchswissenschaftler qualifizieren

Angesichts des absehbaren Bewerbermangels wird man, so der Tenor aller Beteiligten, zumindest für eine Übergangszeit nicht auf Gastprofessoren verzichten können, die aus Ländern mit einer verankerten islamischen Theologie stammen (vor allem etwa der Türkei oder Bosnien, aber auch anderer Länder mit vergleichbaren universitären Standards). Erklärtes Ziel ist allerdings auch, jetzt Nachwuchswissenschaftler, die in Deutschland sozialisiert wurden und sich hier auch heimisch fühlen, entsprechend zu qualifizieren.

Zu diesem Zweck wurden ebenfalls eine Reihe neuer Initiativen ins Leben gerufen. Im vergangenen Jahr hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung an der Universität Osnabrück fünf Stipendien für Doktoranden der islamischen Theologie und Religionspädagogik ausgeschrieben. An der Universität Paderborn gibt es am 2009 gegründeten "Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften" (ZeKK) ebenfalls seit dem vergangenen Jahr zwei muslimische Promotionsstipendiaten der Mercator-Stiftung. Das ZeKK, vom katholischen Theologen Klaus von Stosch geleitet, legt bisher einen Schwerpunkt auf der Beschäftigung mit islamischer Theologie.

Diesselbe Stiftung hat zuletzt auf sich aufmerksam gemacht, als sie Anfang Dezember vergangenen Jahres angekündigt hat, für das kommende Wintersemester ein Graduiertenkolleg mit 15 Doktoranden einzurichten - erklärtermaßen, um zu einer "angemessenen Repräsentation von Muslimen in Wissenschaft, Schule und Öffentlichkeit" beizutragen. Bewerben können sich muslimische Absolventen der Islamwissenschaften, der Orientalistik oder vergleichbarer Fächer aus dem In- und Ausland. Das Vorhaben ist auf sechs Jahre angelegt, 3,6 Millionen Euro stehen insgesamt zur Verfügung; die Leitung wurde Mouhanad Khorchide übertragen. Die Stipendiaten sollen an den einschlägigen Einrichtungen in Erlangen, Frankfurt, Münster, Osnabrück, Paderborn und an der Universität Hamburg ("Akademie der Weltreligionen") studieren können; jeder Standort soll mindestens einen Doktoranden erhalten. Weitere Universitäten können sich beteiligen, wenn sie entsprechende Institute aufbauen.


Bemerkenswert für die gegenwärtige Entwicklung ist schließlich auch das Erscheinen neuer Zeitschriften und Publikationsreihen. In Erlangen gibt es länger schon die "Zeitschrift für die Religionslehre des Islam" (ZRLI), die zwei Mal im Jahr als Online-Angebot erscheint. Bülent Ucar hat im vergangenen Jahr "Hikma. Zeitschrift für Islamische Theologie und Religionspädagogik" gegründet, die im neu gegründeten Freiburger Kalam Verlag für islamische Theologie und Religionspädagogik erscheint.

Neben den Veröffentlichungen des ZIIS (V&R unipress, Göttingen, 2010 ff.) gibt das Osnabrücker Institut im Frankfurter Verlag Peter Lang auch die "Reihe für Osnabrücker Islamstudien" heraus, Harry Harun Behr in Erlangen die Reihe "Islam und Bildung" (Lit-Verlag, Münster 2008 ff.). Auch der Schwerpunkt der Reihe "Beiträge zur Komparativen Theologie" (Verlag Schöningh, 2010 ff.) von Klaus von Stosch liegt bisher auf islamischer Theologie. Bereits seit 2006 erscheint die Reihe des "Theologischen Forums Christentum-Islam" in Regensburg im Verlag Friedrich Pustet mit inzwischen sechs Bänden.


Mancher evangelische oder katholische Theologe mag angesichts der Dynamik beim Aufbau des neuen Fachs Anflüge von Neid empfinden. Faktisch geht es allerdings in erster Linie darum, einem Nachholbedarf zu entsprechen - den zu stillen auch eine ganze Weile dauern wird.


Stefan Orth, Redakteur, Dr. theol., geboren 1968 in Duisburg. Studium der Katholischen Theologie in Freiburg, Paris und Münster. 1998 Promotion. Seit 1998 Redakteur der Herder Korrespondenz.
(orth@herder.de)


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 4, April 2011, S. 196-200
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011