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STANDPUNKT/058: Gericht des Vatikans will Enthüllungsjournalisten den Prozess machen (Gerhard Feldbauer)


Skandale ohne Ende

Gericht des Vatikans will Enthüllungsjournalisten und ihren Informanten Prozess machen

Von Gerhard Feldbauer, 24. November 2015


Mit den von seinem Vorgänger, Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger, hinterlassenen und unter dem Namen "Vatileaks" bekanntgewordenen Finanzskandalen wollte Papst Franziskus eigentlich rasch aufräumen. Zu den vielen Kommissionen, die er für seine Reformen einsetzte, gehörte auch eine "zur Neuordnung der wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten des Vatikans" (Cosea). Was sie aufdeckte, wurde indes nicht öffentlich. Drei Mitglieder befürchteten wohl, dass wie in der Vergangenheit alles vertuscht würde. Sie sollen Informationen an zwei Journalisten weitergegeben haben. Der Vorgang wurde jetzt als "Vatileaks II" bekannt. Am Dienstag will das Gericht des Vatikans gegen fünf Beschuldigte einen Prozess eröffnen.

Angeklagt werden die Journalisten und Autoren von Enthüllungsbüchern Gianluigi Nuzzi "Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes" und der Reporter des angesehenen Mailänder Nachrichtenmagazins "Espresso" Emiliano Fittipaldi "Avarizia" (Geiz) und ihre drei Informanten, die besagter Sonderkommission angehörten: Der spanische Priester Lucio Ángel Vallejo Balda, Sekretär der Wirtschaftspräfektur des Heiligen Stuhles, die PR-Managerin Francesca Chaouqui, und der Sekretär Baldas, Nicola Maio. Wie die Staatsanwaltschaft des Vatikans mitteilte, werden sie beschuldigt, geheime Dokumente an sich gebracht und veröffentlicht zu haben, die "fundamentale Interessen des Heiligen Stuhls und des Staates betreffen". Die Informanten sollen außerdem wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" belangt werden. Den Beschuldigten drohen vier bis acht Jahre Haft.

Welche Geheimnisse wurden da von den Informanten preisgegeben und von den Journalisten publik gemacht? Nuzzi wie Fittipaldi enthüllen undurchsichtige Finanzgeschäfte, Vetternwirtschaft, Bereicherung großen Stils und kriminelle Machenschaften. Der Peterspfennig lande mit Milliarden anderen Spenden der Gläubigen, mit Erbschaften und Kirchensteuern auf schwarzen Konten undurchsichtiger Bankengeflechte. Von den Spenden der Gläubigen erreichten nur 20 Prozent die Bedürftigen. Nuzzi, der bereits früher in "Vatikan AG" enthüllte, dass unter Benedikt XVI. die Mafia über die Vatikanbank Geldwäsche betrieb, stellt fest, dass sich daran trotz aller Bemühungen Franzisikus' nichts geändert habe. Regelrechte Mafia-Praktiken herrschten bei der Vergabe von Bau- oder Service-Aufträgen, die ohne Ausschreibung, ohne Prüfung, ob die Betriebe überhaupt geeignet sind, vergeben würden. Tausende Mitarbeiter prellten den Vatikan durch Nicht- und minimale Zahlung von Mieten für meist luxuriöse Wohnungen um 60 Millionen Euro jährlich. 27.000 Personen aus dem Vatikan tankten steuerfrei Benzin, obwohl nur 800 dazu berechtigt sind. Auch Selig- und Heiligsprechungen hätten ihren Preis. Nuzzi schätzt, dass für das "Aufspüren" "heroischer" Taten oder "vollbrachter Wunder" durchschnittlich etwa 500.000 Euro und im Einzelfall auch 750.000 gezahlt würden. Offen bleibt, ob das auch bei den bisher von Franziskus vorgenommenen Kanonisationen ebenso gehandhabt wurde. Die Autoren enthüllen, dass die COSEA massiv bei der Aufdeckung der üblen Machenschaften behindert, in ihre geheimen Archive eingebrochen, die Telefone bzw. Handys ihrer Mitglieder abgehört, der Computer des neu ernannten Generalrevisor des Heiligen Stuhls, Libero Milone, gehackt wurde, sie Drohbriefe erhielten.

Fittipaldi sagte zwar vor Gericht aus, bezeichnete das Verfahren in La Repubblica am Montag jedoch als "einen Prozess gegen die Pressefreiheit". Nuzzi folgte einer Vorladung nicht, da der Vatikan das Recht auf Meinungsfreiheit und den journalistischen Quellenschutz nicht achte. Der Vatikan teilte mit, dass gegen die Angeklagten bei Nichterscheinen in Abwesenheit verhandelt werde. Da Nuzzi, Fittipaldi und auch Chaouqui italienische Staatsbürger sind, müsste der Vatikan jedoch ein Rechtshilfeersuchen an Italien stellen, um sie juristisch zu belangen. Das ist bislang nicht gestellt worden. Beobachter verweisen darauf, dass Nuzzi schon 2012 in seinem Buch "Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI." Interna veröffentlichte und damit "Vatileaks" auslöste. Damals wurde sein Informant, ein Kammerdiener von Ratzinger, zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt und wenig später begnadigt. Diesmal scheint es, der Vatikan wolle schärfer vorgehen.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2015

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