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STANDPUNKT/110: Keine Ente für Mohammed (Ingolf Bossenz)


Keine Ente für Mohammed

Christlich-islamischer Dialog im "Wettbewerb der Plausibilitäten"

Von Ingolf Bossenz, April 2019


Damit hatte ich nicht gerechnet. Als ich Mitte der 1980er Jahre die Umayyaden-Moschee in Damaskus besuchte, zog ein kleiner mausoleumsartiger Bau meine Aufmerksamkeit an. Mein Begleiter vom syrischen Informationsministerium erklärte mir, dass es sich um den Schrein handele, in dem sich das Haupt von Johannes dem Täufer befinde. Der jüdische Bußprediger, der Jesus im Jordan taufte, verehrt in einer der berühmtesten Moscheen des Morgenlandes?

Die Wege und Wirren der Geschichte prägten auch die Damaszener Altstadt, die vom derzeitigen Krieg bislang verschont blieb. Wo heute die Umayyaden-Moschee steht, wurden einst archaische Kulte zelebriert, deren Tempel dann einer christlichen Basilika weichen musste, die schließlich zur Moschee transformiert wurde. Ein gängiges Verfahren obsiegender Religionen.

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte ihrer Religionen. Mittels legendenreicher Tradierungen waren deren Protagonisten bestrebt, ihre fantastischen Lehrgebäude mit göttlichem Copyright zu schmücken. Dabei wurde gern auf bereits im Glutofen des Glaubens gehärtetes Mythengut zurückgegriffen. Konnten die Israeliten sich bei diversen himmlischen Heerscharen bedienen, standen dem Christentum zudem die heiligen Schriften der Juden zur Verfügung. Der Islam preist sich als "natürliche Religion des Menschen". Historisch ist er das jüngste der drei monotheistisch-abrahamitischen Systeme und fand in der Rüstkammer des Numinosen den größten Bestand an heilsgesättigten Ingredienzen. Der Koran ist prall von Personen, Propheten, Phänomenen, die für Juden und Christen zentrale Glaubenselemente sind.

Angesichts der Konflikte im Gefolge muslimischer Zuwanderung nach Europa präferieren die christlichen Kirchen den interreligiösen Dialog als wichtigsten Weg zu wechselseitigem Verstehen. Dabei wird besonders das gemeinsame religiöse Erbe betont. Nun sind Existenz und Bewusstmachung eines solchen Erbes nicht unbedingt die Gewähr für Harmonie und Frieden. Immerhin wurde der jüdische Tanach vom Christentum komplett übernommen und im 2. Jahrhundert als Altes Testament kanonisiert. Für die Widerlichkeiten des christlichen Antijudaismus war dies kein Hemmnis. Ebenso wenig bewahrte die koranische Präsenz jüdischer Propheten sowie von Jesus und Maria Juden und Christen vor Verfolgung und Tod durch Anhänger Mohammeds.

Das wollen Anselm Grün und Ahmad Milad Karimi ändern. Der von dem Benediktinerpater und dem Islamwissenschaftler gemeinsam verfasste Band "Im Herzen der Spiritualität" soll anhand substanzieller Segmente aus Lehre und Praxis der Glaubenssysteme anregen, "wie sich Muslime und Christen begegnen können", so der Untertitel. Ich fragte Karimi, wie denn die Kluft zwischen einem auf Ausgleich und Verständigung setzenden Islam und seiner fundamentalistischen, Gewalt und Terror rechtfertigenden Variante zu erklären und vor allem zu überwinden sei. Für den aus Afghanistan stammenden Professor für islamische Philosophie an der Universität Münster sind "Terroristen, Fundamentalisten, Salafisten, Wahhabisten nicht salonfähig für eine theologisch fundierte Auseinandersetzung mit der Religion". Es sei ein "großer Missstand, dass Muslime mehrheitlich nicht religiös ausgebildet sind". Es gebe "einen Wettbewerb der Plausibilitäten" bei Auslegung und Interpretation der islamischen Schriften. Mit anderen Worten: Welche Lesart sich wann, wo und wie lange durchsetzt, bleibt eine schicksalhafte Frage.

Auch Jesus, den der Koran mehrfach erwähnt, soll im Buch von Grün und Karimi Anknüpfungspunkte für religiöse Gemeinsamkeiten bieten. Der Galiläer gilt im Islam als Gesandter Gottes, als einer der Propheten, die es vor Mohammed gab. Mohammed ist deren letzter, abschließender, das "Siegel der Propheten". Jesus ist für Muslime der "Sohn Marias", nicht der "Sohn Gottes". Er starb nicht am Kreuz, konnte folglich nicht auferstehen. Dass Gott "im Menschen Jesus den Weg ans Kreuz gegangen ist", kann der Muslim Karimi, wie er in dem Band schreibt, "nicht glauben, aber es ist auch kein Unglaube, der sich in mir einstellt. Es ist vielmehr ein gläubiges Staunen, das mich als Muslim bewegt und zugleich in Hochachtung zurücklässt." Der Katholik Grün spart seinerseits nicht an Hochachtung für die Jesus-Botschaft des Korans: "Es freut mich, wenn ich als Christ lese, dass der Koran Jesus so positiv als einen Propheten sieht." Als Christ könne er "viele Aussagen des Korans über Jesus" unterstreichen. Der Benediktiner versteigt sich gar zu der (rhetorischen) Frage: "Denn was ist das für ein Gottesbild, wenn Gott seinen Sohn opfern muss, um uns unsere Sünden vergeben zu können?" Er formuliert die Hoffnung: "Und vielleicht gibt es da Deutungsweisen, die auch für einen Muslim möglich sind und ihm das Geheimnis einer Liebe offenbaren, die stärker ist als der Tod."

Die Suche nach spirituellen Gemeinsamkeiten der Bekenntnisse ist zweifellos vom ernsthaften Bemühen um entspannenden Ausgleich der historisch und theologisch tiefen Gegensätze geprägt. Aber letztlich sind religiöse "Wahrheiten" weder verhandel- noch austauschbar. Joseph Ratzinger, damals noch Kurienkardinal, äußerte 2004 in einem Interview, der "feste Glaube der Muslime an Gott" sei "eine positive Herausforderung" für das europäische Christentum. Darauf angesprochen, sagte mir Anselm Grün, seine Erfahrung sei, "dass Muslime besser zurechtkommen mit Christen, die ganz im Glauben stehen, als mit verwässerten Christen."

Das verheißt keine sonderlich guten Aussichten für den interreligiösen Dialog. Denn der christliche Glaube im Abendland verwässert nicht nur. "Die Gewässer der Religion fluten ab und lassen Sümpfe oder Weiher zurück", prophezeite Friedrich Nietzsche. Das zeigt sich heute nicht zuletzt im Umgang mit einst heiligen Hoheitssymbolen. So lässt der österreichische Maler Siegfried Anzinger auf seinem Bild "Auferstehung" - immerhin der zentrale Topos christlichen Glaubens - Jesus samt Kreuz auf einer riesigen Ente reitend gen Himmel abheben. Ein eher moderates Beispiel dafür, dass man mit Jesus alles machen darf. Im Gegensatz zu Mohammed. Drohung, Terror, Mord von den "Satanischen Versen" bis "Charlie Hebdo" haben dafür gesorgt, dass Künstler, Karikaturisten und Kabarettisten in dieser Hinsicht die Kunst- und Meinungsfreiheit lieber nicht mehr auf die Probe stellen. Bleibt die Hoffnung, dass Karimis gemeinsam mit Grün verfasstes Buch im "Wettbewerb der Plausibilitäten" der Vernunft einen kleinen Vorteil verschafft.

Anselm Grün, Ahmad Milad Karimi: Im Herzen der Spiritualität. Wie sich Muslime und Christen begegnen können. Herder, 288 S., geb., 20 EUR.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, April 2019
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 20./21. April 2019
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1117153.keine-ente-fuer-mohammed.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2019

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