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INTERNATIONAL/001: Sudan - Geisterstädte in Südkordofan, Zehntausende Menschen auf der Flucht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2011

Sudan: Geisterstädte in Südkordofan - Zehntausende Menschen auf der Flucht

Von Reem Abbas


Khartum, 1. Juli (IPS) - Tausende Menschen, die durch den Bürgerkrieg im sudanesischen Bundesstaat Südkordofan vertrieben wurden, warten vergeblich auf Hilfe. Die Regierung in Khartum hat den meisten unabhängigen Organisationen die Arbeit in der Region verboten. Die Helfer, die bleiben konnten, versuchen seit dem Ausbruch der jüngsten Kämpfe die Leichen der zahlreichen zivilen Opfer zu bergen.

Am 5. Juni waren in mehreren Städten des Bundesstaats nahe der Grenze zum Südsudan schwere Kämpfe zwischen den Streitkräften und Kämpfern, die der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee SPLM loyal verbunden sind. Südkordofan gehört zwar geografisch zum Nordsudan, steht jedoch unter dem Einfluss der SPLM, die den Süden am 9. Juli in die Unabhängigkeit führen wird.

Den Vereinten Nationen zufolge haben die Luftangriffe des Militärs bislang mindestens 75.000 Zivilisten in die Flucht geschlagen. Betroffen sind die Hauptstadt des Bundesstaates, Kadugli, sowie weitere Städte. Etwa 35.000 Menschen sollen zurzeit auf dem Weg nach El Obeid in Nordkordofan sein.

"Wir haben gehört, dass Angehörige der Nuba-Ethnien nicht nach El Obeid hineingelassen werden", kritisierte die Menschenrechtsaktivistin Fatima, die ihren richtigen Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt sehen will. Die Vertriebenen würden nach ihrer Herkunft aufgeteilt, und die Nuba müssten außerhalb der Stadt unter sengender Sonne zurückbleiben. Die Angehörigen der Ethnie, die in Sudkordofan in der Minderheit sein, gelten als die eigentliche Zielscheibe der jüngsten Angriffe.


Arbeitsverbot für Großteil der internationalen Helfer

Zivilgesellschaftliche Gruppen in dem afrikanischen Land schicken mittlerweile Lastwagen mit Lebensmittelspenden gen Süden. Humanitäre Organisationen, deren Mandat begrenzt ist, versuchen zumindest die Toten zu bergen. Die zuständige Behörde HAC, die die Einsätze der einheimischen und internationalen Organisationen koordiniert, erteilte jedoch den meisten ausländischen Gruppen ein Arbeitsverbot.

"Wir haben HAC gebeten, uns um die Vertriebenen kümmern zu dürfen. Man hat uns gesagt, dass erst ein Untersuchungsteam entsandt werde, um die Lage einzuschätzen", berichtete eine Mitarbeiterin einer sudanesischen Hilfsorganisation in Khartum. Sie macht sich Sorgen um den Nahrungsmittelnachschub. "Eigentlich werden in dieser Jahreszeit die Felder bestellt", erklärte sie. "Die Familien haben kaum noch Vorräte. Und viele Sudanesen, die in sicheren Städten lebten, haben Flüchtlinge aufgenommen und teilen mit ihnen ihr Essen."

Viele Vertriebene sind kurz vor Beginn der Regenzeit im Juli in Schulen untergekommen. "Die Regierung will keine Flüchtlingslager errichten, weil sie kein zweites Darfur schaffen will", sagte Fatima. "Die Menschen können aber auch nicht einfach in ihre Häuser zurückkehren. Die Lage wird immer kritischer."

Im Januar hatten sich die Bürger von zehn der 25 Bundesstaaten des Sudans inklusive des Südens in einem Referendum mit großer Mehrheit für eine Abspaltung vom 'Mutterland' entschieden. Nachdem aber Ahmed Haroun im Mai in einer umstrittenen Wahl zum neuen Gouverneur von Südkordofan bestimmt wurde, spitzte sich die Lage dort zu.

Haroun wird vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in der Provinz Darfur per Haftbefehl gesucht. Ihm wird vorgeworfen, Milizen bewaffnet und zu Angriffen auf Rebellen angestachelt zu haben. Bei der Wahl in Südkordofan schlug er den Kandidaten der SPLM. 75 Prozent der Zivilisten in dem Bundesstaat seien zwar Anhänger der SPLM, sagte eine UN-Mitarbeiterin. Sie wählten dennoch die regierende Nationale Kongresspartei (NCP), weil sie um ihr Leben fürchteten.


Berichte über politisch motivierte Morde an Zivilisten

Vor der Wahl im Mai hätten die Rebellen auf Märkten Flugblätter verteilen lassen, um die Bevölkerung vor den Folgen eines NCP-Wahlsieges zu warnen, berichtete die UN-Mitarbeiter. Als sie am 5. Juni zur Arbeit gekommen sei, habe sie gesehen, dass viele Anhänger der SPLM geflohen seien. Kurz darauf hätten die Kämpfe begonnen, und der Strom sei zum ersten Mal den ganzen Tag über ausgefallen.

"Uns blieb nichts anderes übrig, als uns im Stockdunkeln unter dem Bett zu verstecken", erinnerte sich die UN-Mitarbeiterin. Man habe nicht abschätzen können, von aus die nächsten Schüsse kamen. "Ich sah viele Frauen und Kinder fliehen", erzählte sie. "Sie waren lange zu Fuß unterwegs." Inzwischen konnte sie die Region verlassen und ist wieder in Sicherheit bei ihrer Familie in Khartum.

In Südkordofan gehen die Gefechte aber weiter. Inzwischen wird auch von zahlreichen politischen Morden berichtet. Die SPLM habe Angriffe gegen NCP-Führer durchgeführt, hieß es. Die Regierung in Khartum habe daraufhin Vergeltungsmaßnahmen veranlasst. Etliche politische Aktivisten seien in ihren Häusern erschossen worden. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2011