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INTERNATIONAL/056: Indonesien - Gewalt gegen Separatisten in West-Papua, Anschuldigungen gegen Armee (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2011

Indonesien: Gewalt gegen Separatisten in West-Papua - Anschuldigungen gegen Armee

von Catherine Wilson


Sydney, 15. Dezember (IPS) - Um Unabhängigkeitsbestrebungen in Papua und West-Papua einzudämmen, hat die Regierung in Jakarta zugesagt, die Entwicklung in den beiden vernachlässigten Provinzen drastisch zu beschleunigen. Politische Beobachter bezweifeln aber, dass die Inselhälfte von ihren Plänen für einen eigenen Staat abrücken wird. Menschenrechtsaktivisten prangern unterdessen massive Übergriffe der Sicherheitskräfte auf Zivilisten an.

Seit dem Ende der niederländischen Kolonialherrschaft Anfang der 1960er Jahre setzen sich die Bewohner beider Provinzen im Westen der Insel Neuguinea für die Unabhängigkeit ihres Landes ein. Ethnisch und kulturell sind sie mit den Melanesiern auf den benachbarten Pazifikinseln verwandt.

Im Zuge der Entkolonisierung trat 1961 der Erste Papuanische Volkskongress zusammen. Diese Initiative endete jedoch mit der Annektierung des Westens Papuas durch Indonesien. Eine von den Vereinten Nationen überwachte Abstimmung über die politische Zukunft der Region ('Act of Free Choice') wurde 1969 offenbar manipuliert, um eine Mehrheit für die Integration in das indonesische Staatsgebiet zu sichern.

Nach dem Zweiten Volkskongress 2001 wurde den Provinzen zwar ein Sonderautonomiestatus gewährt. Die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung verbesserte sich dadurch allerdings nicht. Auch ihre politischen Rechte konnten die Menschen weiterhin nicht vollständig ausüben.


Tote bei Zusammenstößen mit Armee

Bei dem Dritten Volkskongress im Oktober dieses Jahres in Jayapura kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit dem indonesischen Militär, bei denen sechs Delegierte starben. Trotz des hohen Aufgebots an Sicherheitskräften in der Region hatten sich rund 5.000 Teilnehmer eingefunden. Am 19. Oktober, dem letzten Tag des Treffens, schossen Soldaten mit Tränengas in die Menge und nahmen etwa 300 Menschen fest.

Die indonesische Menschenrechtsorganisation 'Kontras' berichtete von tödlichen Übergriffen, willkürlichen Festnahmen, Folter und weiteren Manifestationen inhumaner und exzessiver Gewaltausübung. Die Festgenommenen seien mit Stöcken und Gewehrläufen geschlagen sowie getreten worden. Sechs Kongressteilnehmer, darunter auch der Vorsitzende Selpius Bobil und der Präsident der Nationalbehörde von West-Papua, Edison Waromi, werden weiterhin unter dem Vorwurf des Landesverrats in Haft gehalten.

Im vergangenen Jahr hatte die Unzufriedenheit über die unzureichenden Freiheiten in den beiden Provinzen große Demonstrationen pro-separatistischer Gruppen ausgelöst. Die Gegner der indonesischen Regierung prangerten außerdem Menschenrechtsverstöße seitens der Sicherheitskräfte an und die von Jakarta geförderte Zuwanderung von Indonesiern nach Papua und West-Papua. Die Lokalbevölkerung sah sich dadurch zunehmend in die Position einer Minderheit gedrängt.

Zusätzlichen Auftrieb erhielt die Unabhängigkeitsbewegung durch die Entscheidung der Regierung des Pazifikstaates Vanuatu, die im vergangenen Jahr die Unterstützung für die Separatisten in Papua und West-Papua zum Teil ihrer Außenpolitik erklärte. In Großbritannien fand im August ein internationales Treffen von Juristen statt, die sich mit der Situation auf der Insel befassten.

Camellia Webb-Gannon, die am Zentrum für Frieden und Konfliktstudien der Universität Sydney ein Projekt über West-Papua koordiniert, warf der indonesischen Regierung vor, nicht die Gesetze vorangetrieben zu haben, die für die Umsetzung der Autonomie notwendig gewesen wären. "Die Zersplitterung von West-Papua in zwei Provinzen unterminiert die Sonderautonomie", kritisierte sie. Papua und West-Papua seien durch die administrative Teilung des Territoriums geschwächt worden. Zugesagte Rechte, etwa auf das Hissen der Flagge der Separatisten, seien wieder aufgehoben worden.


Korruption verhindert Entwicklung der Region

Obwohl die von dem US-Konzern 'Freeport McMoRan' betriebene große Gold- und Kupfermine in Timika mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes West Papuas erwirtschaftet, ist die Provinz hoffnungslos unterentwickelt. Hinzu kommt, dass die Mine unvorstellbare Umweltschäden anrichtet. So werden die giftigen Rückstände einfach in die Flüsse eingeleitet und Fauna und Flora verseucht.

"Obwohl Papua und West-Papua mit Kapital überflutet werden, sorgt die Korruption innerhalb der Provinz- und Kommunalverwaltungen dafür, dass es nicht bei den Menschen ankommt, die es am nötigsten bräuchten", sagte Webb-Gannon.

Indonesien argumentiert, dass eine Abspaltung West-Papuas das gesamte Staatsgefüge ins Wanken bringen könnte. Demonstrationen von Unabhängigkeitsverfechtern werden daher von Gesetz wegen als 'Verrat' angesehen. Die Regierung zieht wiederum hohen Nutzen aus den Bodenschätzen der Provinz.

Nach dem Ende der Suharto-Diktatur 1998 war das südostasiatische Land zunächst als starke Demokratie in Erscheinung getreten. Die Streitkräfte haben aber weiterhin große Macht und sind in Menschenrechtsverbrechen, Korruption und Erpressung verwickelt. Die Zivilgesellschaft hat dagegen keinerlei Handhabe.


Armee zieht Menschenrechtsverletzer nicht zur Rechenschaft

Laut einem Bericht der Organisation 'Human Rights Watch' sind im vergangenen Jahr neue Foltervorwürfe gegen das Militär bekannt geworden. Die Armee schütze ihre Mitglieder aber weiterhin vor Ermittlungen. Auch die Regierung unternehme wenig, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, hieß es. Ein geplantes Gesetz, dem zufolge Soldaten, die Menschenrechtsverbrechen an Zivilisten begehen, vor zivile Gerichte gestellt werden sollen, kam demnach bisher nicht voran.

Das indonesische Militär wird beschuldigt, sich in Papua und West-Papua an Drogenschmuggel, Prostitution, dem Handel mit tropischen Vögeln sowie dem legalen und illegalen Abholzen von Wäldern, Glücksspielen und der Schutzgelderpressung von Bewohnern der Region zu beteiligen.

Die Organisation 'Global Witness', die weltweit Fälle von Korruption dokumentiert, fand heraus, dass die Streitkräfte 2005 von Freeport McMoRan mehrere Millionen US-Dollar für 'Sicherheitsdienste' an der Grasberg-Mine in Timika erhalten haben. Dort war es kürzlich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und streikenden Arbeitern gekommen, die seit Mitte September ausstehende Löhne einfordern. Ein Bergmann kam dabei Mitte Oktober ums Leben.


Vertrauen zerrüttet

Die indonesische Regierung versprach nun, die Entwicklung in der Region durch die Bereitstellung weiterer Finanzmittel zu beschleunigen und mit den Bürgergruppen in West-Papua in einen Dialog zu treten. Beobachter halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass das zerrüttete Vertrauen zu der Zentralregierung wieder hergestellt werden kann.

Nach Ansicht von Web-Gannon hoffen die meisten politischen Aktivisten in West-Papua auf ein Referendum nach dem Vorbild von Osttimor, dessen Bewohner sich 1999 mit großer Mehrheit für eine vollständige Unabhängigkeit von Indonesien aussprachen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.hrw.org/asia/indonesia
http://sydney.edu.au/arts/peace_conflict/
http://www.kontras.org/
http://www.globalwitness.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106215

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2011