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INTERNATIONAL/078: Argentinien - Mißachtung der Menschenrechte von Gefangenen wie unter der Diktatur (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Mai 2012

Argentinien: Folter wie unter der Diktatur - Menschenrechte von Gefangenen missachtet

von Marcela Valente



Buenos Aires, 23. Mai (IPS) - Nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien 1983 haben die nachfolgenden demokratischen Regierungen den Strafvollzug nicht humanisiert. So kommt es in den Haftanstalten auch weiterhin zu vermeidbaren Todesfällen, Folter und Verstößen gegen fundamentale Menschenrechte.

"Praktiken, die noch aus der Zeit der Diktatur stammen, sind in den Gefängnissen an der Tagesordnung. Folter, Missbrauch und andere Misshandlungen müssen beseitigt werden", fordert die Juristin Paula Litvachky, die für das Zentrum für Rechts- und Sozialstudien (CELS) tätig ist.

Litvachky ist Mitautorin des argentinischen Menschenrechtsberichts 2012, den CELS im Mai vorgestellt hat. In dem Kapitel 'Das Gefängnis als Lager: Dringende Maßnahmen für Haftanstalten in Argentinien' werden erniedrigende Behandlung, Folter, Prügel, die willkürliche Verlegung von Häftlingen, exzessive Strafen, ein Mangel an Hygiene und ein unzureichender Zugang zu medizinischer Versorgung dokumentiert.

CELS wirft den Regierungsbehörden und der Justiz in diesem Zusammenhang vor, die Augen vor dem Problem zu verschließen. Kritisiert wird außerdem die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit gegenüber gravierenden Menschenrechtsverstößen hinter Gittern. Die Gefangenen würden ihrer Rechte beraubt, heißt es in dem Bericht. Dies zeigten nicht nur das hohe Maß an Gewalt und vermeidbare Todesfälle in der Haft, sondern auch die schlechte Gesundheitsversorgung, Ernährung und Hygiene sowie die Überfüllung der Gefängnisse.

Seit langem prangert die Organisation schlimmste Menschenrechtsverstöße in den Haftanstalten an. Besonders gravierend sind die Zustände offenbar in der im Osten gelegenen Provinz Buenos Aires, wo etwa die Hälfte aller argentinischen Gefangenen einsitzen.


Gefängnisse chronisch überfüllt

In Buenos Aires, der Provinz mit den meisten Einwohnern, waren Ende 2011 mehr als 29.000 Menschen in Gefängnissen inhaftiert, die eigentlich nur 18.640 Personen Platz bieten. Laut dem CELS-Bericht ist die Überfüllung in manchen Haftanstalten so extrem, dass nur jeder dritte Insasse ein Bett hat und daher im Schichtbetrieb geschlafen wird.

In noch schlimmeren Fällen schlafen die Gefangenen auf schmutzigen Böden. Die Zellen stinken und verfügen über keine Wasseranschlüsse. Ärztliche Betreuung und Medikamente sind nicht vorhanden. Die Nahrungsmittel sind unzureichend und von geringem Nährwert.

Gefangene und ihre Besucher müssen zudem Übergriffe durch die Wärter ertragen. Manche Besucher werden gezwungen, sich auszuziehen und Leibesvisitationen über sich ergehen zu lassen. Aufgrund dieser entwürdigenden Behandlung verzichten manche Häftlinge freiwillig auf Verwandtenbesuch.

Die hinter Gittern praktizierten Foltermethoden ähneln denen der Diktatur. So werden Häftlinge mit dem Kopf unter Wasser gedrückt ('U-Boot-Methode'), eiskalt geduscht, mit Stöcken und Schläuchen geschlagen oder gezwungen, nackt über den Hof zu laufen. Andere Gefangene berichteten, sie hätten Elektroschocks an Genitalien und anderen Körperteilen erlitten.

Litvachky dringt darauf, dass der argentinische Senat ein Protokoll zur Anti-Folterkonvention verabschiedet, die bereits vom Unterhaus gebilligt wurde. Die 'Gedächtniskommission' der Provinz, der Mitglieder der Regierungsbehörden von Buenos Aires angehören, hat bisher 235 Beschwerden über Misshandlungen hinter Gittern entgegengenommen. Nur 21 Opfer haben aber vor Gericht ausgesagt. Die übrigen schweigen offenbar aus Furcht vor Schikanen.


Gefangene erlitt nach Schlägen Fehlgeburt

Wie aus dem CELS-Bericht hervorgeht, erlitt eine Insassin des Frauengefängnisses der Stadt Mercedes in Buenos Aires eine Fehlgeburt, nachdem sie von einem Wärter brutal geschlagen worden war. Von anderen Gefangenen wurde bekannt, dass sie wochenlang in Isolationshaft gehalten wurden, obwohl eine Höchstdauer von 23 Stunden vorgeschrieben ist. Außerdem wurden Frauen und Männer "gewaltsamen und invasiven" Leibesvisitationen unterzogen.

Die Studie hebt zudem hervor, dass in den Gefängnissen häufig Feuer ausbrächen, die vielen Insassen das Leben kosteten. Überdies wurde eine hohe Zahl von Selbstmorden und gewaltsame Todesfälle durch Auseinandersetzungen unter Häftlingen bekannt. "Das Gefängnispersonal entscheidet, ob ein Häftling Besuch empfangen oder telefonieren darf", heißt es.

Dem Bericht zufolge sind Fälle aktenkundig, wonach Wärter die Besitztümer der Gefangenen vernichtet und die Verlegung der Häftlinge in Krankenhäuser verhindert haben. Den Aufsehern werden zudem Korruption, Diebstahl, Drogenhandel und Waffenschmuggel vorgeworfen. Es kommt zudem vor, dass Gefangene zur Teilnahme an bewaffneten Überfällen außerhalb der Haftanstalten gezwungen werden.

Die Vorwürfe in der CELS-Studie stimmen mit den Erkenntnissen in einem im Mai von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission veröffentlichten Bericht über die Situation von Gefangenen in Nord-, Mittel- und Südamerika überein. Litvachky fordert für Argentinien eine nachhaltige Reform und "Demilitarisierung" des Strafvollzugs. (Ende/IPS/ck/2012)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2012