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INTERNATIONAL/127: Pakistan - Kampf gegen Taliban trifft vor allem Zivilisten, Unmut über Armee wächst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Februar 2013

Pakistan: Kampf gegen Taliban trifft vor allem Zivilisten - Unmut über Armee wächst

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Proteste in Peshawar nach tödlichem Vergeltungsschlag gegen Zivilisten
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 5. Februar (IPS) - In den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) mehrt sich der Widerstand gegen die Armeeeinsätze zur Bekämpfung der Taliban. Die Menschen sind offenbar nicht länger bereit, die hohe Zahl ziviler Opfer zu tolerieren.

"Wir verlangen das sofortige Ende der Militäroperationen in Khyber Agency. Drei Jahre sind vergangen, ohne dass die Einsätze zum Erfolg geführt hätten", sagte Iqbal Afridi von der Pakistanischen Tehreek-Insaf-Partei in Peshawar. Die Stadt im Nordwesten des Landes liegt in der Nähe von Khyber Agency, einer der insgesamt sieben FATA-Verwaltungsbezirke.

Afridi protestierte mit anderen Parteimitgliedern und tausenden Stammesangehörigen am 16. Januar in Peshawar gegen einen Vergeltungsschlag der Armee, der am Tag zuvor 18 Zivilisten im nahegelegenen Dorf Alamgudar das Leben gekostet hatte. Im Rahmen der Demonstration wurden die Leichen von 15 Opfern vor dem Regierungsgebäude ausgestellt.

"Die Militäreinsätze treffen die lokale Bevölkerung, nicht die Milizen", kritisierte Afridi, der der Partei des ehemaligen Kricket-Spielers Imran Khan angehört. "Sie haben das Leben der acht Millionen Menschen zählenden FATA-Bevölkerung zum Stillstand gebracht, und noch immer stehen die sieben Stammesgebiete unter Beschuss."

Juma Khan Afridi gehört der Familie an, die durch den Armeeangriff in Alamgudar mehrere Angehörige verloren hat. "Wir schliefen, als die Sicherheitskräfte eindrangen. Sie forderten die Frauen auf, zur Seite zu treten und eröffneten das Feuer auf die Männer." Khan Afridi, ein Student, hat nach eigenen Angaben nur deshalb überlebt, weil er sich verschleiert hatte und als Frau durchgegangen war.

"Es sind die Menschen in den FATA, die den Preis des nunmehr vierjährigen US-geführten Anti-Terror-Kriegs zahlen müssen", meint Wazir Muhammad, politischer Analyst an der Universität von Peshawar. Dass die Menschen so viele Jahre stillgehalten hatten, führt er auf ihre Angst vor Übergriffen der Armee zurück.


Geduldsfaden gerissen

Doch Muhammad zufolge haben den Menschen in den FATA die Proteste in der Nachbarprovinz Belutschistan Mut gemacht. Dort hatten die Familien von mehr als 100 Bombenopfern die Beerdigung ihrer Lieben verweigert und in Quetta drei Nächte lang neben den Särgen ihrer Angehörigen ausgeharrt. Die Entscheidung des örtlichen Gouverneurs, den Notstand zu verhängen, veranlasste sie schließlich zur Aufgabe ihrer Protestaktion.

"Der Zorn über die Terroranschläge und die tödlichen Angriffe der Armee auf unschuldige Zivilsten nimmt im ganzen Land zu", versichert Muhammad. Die Agentur Khyber hat, was die Proteste gegen die pakistanischen Streitkräfte betrifft, ein neues Kapitel aufgeschlagen. Zum ersten Mal wurden die Sicherheitskräfte von den Menschen beschimpft und beschuldigt, sie nicht zu schützen.

"Diese Proteste werden solange weitergehen, bis die Armee ihre Vorgehensweise ändert", meint dazu Umar Farooq, der den Tod eines Bruders zu beklagen hat. "Es ging nicht nur um den brutalen Vergeltungsschlag an sich. Die Armee hat zudem die Leichen am Ort des Geschehens eingesammelt und auf eigene Faust begraben", sagt der junge Mann. "Doch uns Muslimen ist es wichtig, dass die Toten vor der Beerdigung gewaschen und betrauert werden."

Farooq erinnert zudem an ein Video, dass zeigt, wie die pakistanische Armee das Feuer auf sieben Jungen in Swat eröffnete. Die Militärs erklärten später, bei den Opfern habe es sich um junge Taliban gehandelt. Der Vorfall sorgte international für Proteste, und die USA, der wichtigste Sponsor der Militäroperation in Swat, hielten vorübergehend ihre Hilfe zurück.


US-Leahy-Gesetz ohne Folgen

Im Oktober 2010 straften die USA auf der Grundlage des sogenannten Leahy-Gesetzes sechs Einheiten der pakistanischen Armee ab. Dem Gesetz zufolge muss das US-Außenamt sicherstellen, dass keine Militäreinheit, die von den USA finanzielle Hilfe erhält, in grobe Menschenrechtsverstöße verwickelt ist. Werden solche Verbrechen festgestellt, müssen sie untersucht werden. Trotz aller Zusagen hat Pakistan bisher nichts unternommen, um die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.

Ob in Swat, Belutschistan oder den FATA - mit ihrer Finanzhilfe verstößt Washington auch weiterhin gegen das Leahy-Gesetz. Die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) hat in einem Bericht im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass sich die Menschenrechtslage im mineralienreichen Belutschistan deutlich verschlechtert hat. "Die Regierung scheint machtlos, die Übergriffe der Armee in den Griff zu bekommen", heißt es in dem Report. Nach Angaben von HRW wurden im letzten Jahr mindestens 200 belutschische Nationalisten getötet.

Im April 2010 hatte sich der pakistanische Armeechef Ashfaq Kayani für den Tod Dutzender Zivilisten während verschiedener Luftangriffe in der Nähe der afghanischen Grenze entschuldigt. Die betroffenen Zivilisten waren Mitglieder eines regierungsnahen Stammes gewesen, der sich dem Einfluss der Taliban widersetzt hatte.

Dem Abgeordneten Saqibullah Khan zufolge müssen die Übergriffe der Militärs, die das Leid und den Hass der Menschen auf die Armee schürten, unverzüglich gestoppt werden. Bushra Gohar von der Awami-Nationalpartei wies darauf hin, dass die Militäreinsätze innerhalb der FATA bereits zur Vertreibung von 1,2 Millionen Menschen geführt haben. "Die militanten Kräfte werden stärker, während die Menschen leiden. Wir fordern das Ende der Militäroperation in den FATA." (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/02/pakistan-tribes-turn-against-army/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2013