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INTERNATIONAL/109: Nahost - Von Bergdorf in "Sardinenbüchse", Beduinen wollen nicht umgesiedelt werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013

Nahost: Von Bergdorf in 'Sardinenbüchse' - Beduinen wollen nicht umgesiedelt werden

von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Eid Hamis Jahalin aus dem Dorf Khan Al-Ahmar warnt vor den Folgen, die aus der Vertreibung der Beduinen erwachsen könnten
Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Khan Al-Ahmar, Westjordanland, 2. Mai (IPS) - Dutzende Hütten aus Holz und Wellblech schmiegen sich an die Berghänge außerhalb Jerusalems in der Nähe der Straße, die zum Toten Meer führt. Sie sind Teil des Beduinendorfes Khan Al-Ahmar. Auf den weiter entfernten gegenüberliegenden Hügeln leuchten israelische Siedlungen auf, die sich leicht an ihren typisch roten Häuserdächern erkennen lassen.

Dem Jahalin-Beduinen Eid Hamis Jahalin zufolge könnte seine Ortschaft zu einem Symbol des Friedens in der Region werden. Wie alle anderen Einwohner von Khan Al-Ahmar fordert er ein Bleiberecht. "Seit 1967 versucht uns Israel von hier zu vertreiben", berichtet der 49-Jährige und nimmt im Schatten seiner Hütte einen tiefen Schluck Tee aus seinem Becher.

"Die ganze Welt spricht über eine Zwei-Staaten-Lösung und zwei Regierungen", betont er. "Wenn sie uns hier vertreiben, wird die Grenze zu Jerusalem das Tote Meer und das Jordan-Tal sein. Und wo bitteschön soll es dann die beiden Staaten geben?"

Im April hatten Menschenrechtsorganisationen über Pläne des israelischen Verteidigungsministeriums berichtet, einen neuen Umsiedlungsplan für zwei Dutzend Beduinendörfer am Rande von Jerusalem vorzulegen. Auch die Menschen in Khan Al-Ahmar gehören zu den 3.000 Jahalin-Beduinen, die ihre Dörfer verlassen sollen. Vorgesehen ist, die Betroffenen auf ein Gebiet in Nwei'mah in der Nähe der Stadt Jericho im Jordan-Tal umzusiedeln, das der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) untersteht.


An den Bedürfnissen der Beduinen vorbei

"Alle würden in Gebäudekomplexe mit jeweils 800 Wohneinheiten gepfercht, die natürlich nicht auf die Bedürfnisse dieser indigenen Gemeinschaften zugeschnitten sind", meint Alon Cohen-Lifshitz, ein Architekt, der für die israelische Menschenrechtsgruppe 'Bikum' tätig ist. Die Grundstücke wären viel zu klein und zu dicht besiedelt. "Es wäre nicht genügend Weideland vorhanden. Außerdem sind dort schon andere Beduinen-Gemeinschaften."

Nach den israelischen Vorstellungen würden die Jahalin inmitten einer israelischen Militärzone, einem Checkpoint, mehreren Siedlungen und einem Übungsgelände der PA-Sicherheitskräfte leben müssen.

Die israelische Regierung begründet das Umsiedlungsvorhaben damit, dass dadurch die Lebensqualität und die Basisversorgung der Beduinen erheblich verbessert würden. "Es gibt mehrere Optionen", erklärte Guy Inbar, Sprecher der Israelischen Zivilbehörde, gegenüber dem unabhängigen Nachrichten-Portal 'The Media Line'. Bisher sei aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden. "Die Beduinen sollen in einem Gebiet mit Zugang zu Wasser, Strom und anderen Basisstrukturen ohne Angst vor dem Abriss ihrer Hütten leben können."

Die Israelische Zivilbehörde ist eine Militärinstitution, die für das Gebiet C in dem von Israel besetzten Westjordanland zuständig ist, das wiederum 60 Prozent des gesamten Westjordanlandes umfasst. Gebiet C steht vollständig unter israelischer Verwaltung und die israelische Zivilbehörde ist dort für die Vergabe aller Baugenehmigungen zuständig.

Wie Cohen-Lifshitz betont, könnten aufgrund der vielen israelischen Restriktionen die Palästinenser nur auf einem Prozent des Gebietes bauen. "Man verfolgt mit Abrissbeschlüssen und anderen Beschränkungen eine Politik der leisen Vertreibung. Den Palästinensern soll vermittelt werden, dass sie besser in den Gebieten A und B leben könnten", erläutert er gegenüber IPS.

Die Jahalin-Beduinen waren Anfang der 1950er Jahre schon einmal zwangsumgesiedelt worden. Damals lebten sie in der Nähe von Tel Arad, einer Region in der südlichen Negev-Wüste. Im Umkreis ihrer 'neuen' Siedlungen befinden sich einige israelische Siedlungen. Die größte ist Ma'ale Adumim mit 40.000 Einwohnern.

Die Beduinen in Khan Al-Ahmar haben kein fließend Wasser und keinen Strom. Und für die lokalen Strukturen einschließlich der örtlichen Schule wurde ein Abrissbefehl ausgeben. Die Ausweitung der israelischen Siedlungen und die Bauarbeiten in Korridor E-1 in der Nähe von Khan Al-Ahmar stellen für die Jahalin-Gemeinschaft eine Bedrohung dar. Die Ausweitung der israelischen Siedlungen würde zudem Ostjerusalem vom Rest des Westjordanlandes abtrennen.


In die Nähe einer Müllhalde deportiert

Ende der 1990er Jahre wurden 200 Beduinenfamilien mit dem Ziel, Ma'ale Adumim zu vergrößern, in die Nähe der Müllkippe von Abu Dis umgesiedelt. "Familien, die schon zuvor dorthin verbracht worden waren, berichten über Gesundheitsprobleme und andere Nachteile ", kritisierte das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA).

Israel hatte seine bisher letzten Umsiedlungspläne im Oktober 2011 angekündigt. Damals deutete die Israelische Zivilbehörde an, dass um die 27.000 Beduinen innerhalb von drei bis sechs Jahren ins Jordan-Tal umgesiedelt werden sollen.

Die erste Phase des lokal und international heftig kritisierten Plans würde die Jahalin nahe Ma'ale Adumim treffen. Damals hatte die UN-Hilfsagentur für Flüchtlinge (UNRWA) davor gewarnt, dass die Jahalin Opfer von Individual- und Massenvertreibungen werden könnten, die mit den internationalen humanitären und Menschenrechten nicht vereinbar seien.

Eid Jahalin zufolge sollte die israelische Regierung ihre Umsiedlungspläne für sein Dorf aufgeben. Seiner Meinung gibt es für die Jahalin-Beduinen nur zwei mögliche Optionen. Entweder dürfen sie weiterhin friedlich in Khan Al-Ahmar leben oder in die ehemalige Heimat in der Negev-Wüste zurückkehren. "Ich möchte in einem Beduinendorf und nicht wie in einer Sardinenbüchse leben", sagt er. "Wir sollten den Umsiedlungsplan den Israelis vorlegen und sie fragen, ob sie selbst so leben wollten. Dazu wäre keiner bereit." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4369710,00.html
http://www.ochaopt.org/documents/ocha_opt_bedouin_FactSheet_October_2011_english.pdf
http://jahalin.org/wp-content/uploads/2012/01/Factsheet-Jahalin-Tribe-1.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/04/bedouin-resist-israeli-shove/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2013