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SCHACH-SPHINX/05019: Träume und Wirklichkeit (SB)


Zu allen Zeiten träumten Menschen von einer menschenwürdigen Welt, in der das Individuum sein Leben nicht unterm Joch verbringt. Im feudalen Europa, das sich zuweilen bis ins 20. Jahrhundert erstreckte, waren die Orte für solche Träumereien dünn gesät. Als in Paris Ludwig XVI. als Regent abgesetzt und durch den Nationalkonvent abgelöst wurde, glaubte so mancher Deutsche, das Zeitalter eines ungetrübten Friedens sei endlich aus dem Dunkel der Geschichte ins Licht getreten. Einer dieser begeisterten Anhänger der revolutionären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Bürgerlichkeit war der Arzt Georg Kerner, der sich 1792 zum "Zentrum des Vulkans" der neuen Zeit, nach Paris, begab mit stolzen Hoffnungen im Herzen. An seine Braut schrieb er: "Wo ich sein werde, werde ich dein sein; aber nur der Ort wird mich sehen, wo ich freiere Luft atmen, wo ich meiner Gattin keinen Sklaven, sondern die Hand eines freien Mannes reichen kann, wo ich in meinem Kinde keinen geborenen Knecht, sondern einen freien Bürger erblicken darf, wo nicht der Rock, den ich trage, und der Titel, den ich führe, sondern meine Eigenschaften den Platz bestimmen, den ich in der Gesellschaft einnehme - ich hoffe, diesen Ort zu finden." Doch die Wirklichkeit ernüchterte seine Träume rasch: "Die grenzenlosen Betrügereien, die überall verübt wurden, die überhandnehmenden Bedürfnisse des Staats und der geringe Eifer, ihm auf eine reelle Art zu Hülfe zu kommen, die überall sich äußernden Symptome der Verdorbenheit oder der Unwissenheit, jene Schwäche verratende Prahlerei und jener allzu sichtbare Mangel an Tugend rief mich frühe genug aus meinen Träumen zurück." Der Streit zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wieviele sind an ihm zerbrochen, weil das Denken immer wieder gebeugt wurde von den Zwangslagen der Macht. Einen Fehler beging jedenfalls auch unser Schachfreund Marschner im heutigen Rätsel der Sphinx, als er nun mit 1...g4-g3? seine siegreiche Stellung verdarb, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05019: Träume und Wirklichkeit (SB)

Fritsch - Marschner
Deutsche Jugendmeisterschaft 1972

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Für Luther war es ein leichtes, den Siegesweg zu finden. Allzu selten sind Opferschläge gegen den neuralgischen Punkt e6 nämlich nicht: 1.Dc4xe6+! Sein französischer Kontrahent gab sich jedenfalls sogleich geschlagen, denn 1...Lf8-e7 2.De6xe7# oder 1...f7xe6 2.Le4-g6# waren die einzigen Alternativen dazu.


Erstveröffentlichung am 01. Juni 2001

13. Februar 2014





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