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SCHACH-SPHINX/05336: Revolutionsfiguren (SB)


Als das erzürnte Volk von Paris am 14. Juli 1789 die Bastille, ein Gefängnis, darin politische Überzeugungstäter meist ohne Verhör und Urteil verschwanden, erstürmte und dem Erdboden gleichmachte, sich also erhob gegen ein Symbol feudaler Willkür und Tyrannei, brach für Europa eine neue Ära politischen Bewußtseins an. Die Franzosen feiern diesen Tag noch heute als ihren Nationalfeiertag (Fête nationale). Der ungestüme Erneuerungswille jener Zeit machte vor nichts halt. Ein neuer, der Revolutionskalender wurde eingeführt, die alten Monate abgeschafft; und auch die Zeitrechnung begann mit dem Jahr 1. Die Neuregelung des Alltags verschonte natürlich auch das Schachspiel nicht. Eifrige Köpfe zerbrachen sich die Stirne darüber, in welche neuen Namen die alten Schachfiguren umgetauft werden sollten. Der roylistische Anklang durfte auf keinen Fall beibehalten werden. Bürger waren alle Franzosen nun, unterschiedslos, mit gleichen Rechten und ohne Standesdünkeleien. Dennoch befahl der Nationalkonvent, weil er es für nötig empfand, die kriegsorientierte Ader des Schachspiels auch im neuen Namen festzuhalten. Denn der Krieg, das wußten alle Eingeweihten und Zukunftsblicker, würde als Echo auf die Revolution von den alten europäischen Monarchien unweigerlich nach Frankreich hereingetragen werden. Daher behielt man also den kriegerischen Tenor im Schachspiel bei und nannte den König mit revolutionärem Pathos 'Le drapeau', die Dame 'l'adjutant', die Springer 'les dragons', die Türme 'les canons', die Läufer 'les volontaires' und die Bauern schließlich 'les troupes de ligne' oder auch 'l'infanterie régulaire'. Das Finale der Französischen Revolution sollte nicht lange auf sich warten lassen, mit den Septembermorden zeigte sie ihr häßliches Gesicht, die Säuberungsaktion unter den politischen Clubs beleidigte jedes demokratische Feingefühl, der Tod Marats machte sie zur Farce und die Hinrichtung Maximillian de Robespierres später zur Dirne Napoleons. Dies Finale hatten wohl die wenigsten Schwärmer einer emanzipatorischen Zeitenwende vorausgesehen, als sie die Bastille stürmten. Ein Mattfinale gab es jedenfalls in der Partie zwischen Inkijow und Bajovic, wobei Letzterer zur Gänze das Feld dominierte, am Zuge war und in vier Zügen den weißen König kaltstellte. Also, Wanderer, das heutige Rätsel der Sphinx ist mit revolutionärem Feuer und Schwung geschrieben.



SCHACH-SPHINX/05336: Revolutionsfiguren (SB)

Inkijow - Bajovic
Plovdiv 1982

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der Dorn im Fleische der schwarzen Königsstellung, jener todbringende Bauer f6, half mit, ein achtzügiges Matt zu forcieren. Meister Platz opferte also zunächst seine Dame mit 1.Dh3xh7+! Von da an ging alles, fast wie bei einem Rad, sich um seine eigene Achse drehend: 1...Kg8xh7 2.Te1-h1+ Kh7-g8 3.Sg4-h6+ Kg8-h8 4.Sh6-f7++ Kh8-g8 5.Th1-h8+! Kg8xf7 6.Th8-h7+ Kf7-g8 7.Th7-g7+ Kg8-h8 8.Td1-h1#


Erstveröffentlichung am 23. Januar 2002

27. Dezember 2014





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