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SCHACH-SPHINX/05940: Abbröckeln eines Monuments (SB)


Wenn es für den kubanischen Großmeister José Capablanca je eine Phase gegeben hat, wo er sich von der Zeit überrollt fühlte, dann war es das Jahr 1928. Seinen Weltmeistertitel hatte er ein Jahr zuvor an Alexander Aljechin verloren. War er bis dahin als ein Genie der präzisen Spielführung über den Klee gelobt worden, so trat in eben jenem Jahr ein pessimistischer Wandel in seinem Selbstbild ein. Von Zukertort und Steinitz wußte man, daß sie ihre Niederlagen in den Weltmeisterschaftskämpfen mit einem Abbruch ihrer Spielstärke bezahlt hatten. Und schon ging man mit demselben journalistischen Eifer daran, auch im Kubaner jene verderblichen Symptome der Mattheit und des inneren Werteverfalls auszuspähen. Gründe dafür boten sich viele. Was Capablanca auf den internationalen Turnierbühnen des Jahres 1928 geboten hatte, glich einem Abgesang. In Moskau sah man einen Capablanca, der längst nicht mehr mit gewohnter Souveränität die Partien behandelte. Nur dank einer gewissen Scheu, die viele ihm gegenüber immer noch hegten, konnte er sich auf den dritten Platz retten. Fade wie bloße Erinnerungen schienen Capablancas goldene Tage in San Sebastian 1911 und St. Petersburg 1914 entfernt zu sein. Er, ein Fossil jener Ära, wo mit purem Handwerkswissen jede Partie gemeistert werden konnte, traf nun auf eine neue Generation von Schachspielern, die zumal in der Eröffnungsphase ein viel höheres Niveau erreicht hatte. Dinosauriersterben, so könnte man das Schnittjahr 1928 bezeichnen, wo ein sich alt und verbraucht fühlender Capablanca sorgenvoll registrierte, daß die Zeit einen galoppartigen Schritt bekommen hatte. Anzeichen einer Müdigkeit hatte Capablanca schon Jahre zuvor hin und wieder gezeigt wie in seiner New Yorker Partie gegen Emanuel Lasker, wo er im heutigen Rätsel der Sphinx nun 1.g4-g5? zog und später nur auf Grund einer simplen Verrechnung des deutschen Großmeisters gewann. Also, Wanderer, wie hätte Capablanca den Sieg forcieren können?



SCHACH-SPHINX/05940: Abbröckeln eines Monuments (SB)

Capablanca - Lasker
New York 1924

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
In einer späteren Analyse fand Taimanow heraus, daß Kasparow mit 1.g4- g5+ Kf6-f5 2.h5-h6 Th4-h1 3.Kc5-d6 Th1-e1 4.Tb5-b8! wesentlicher rascher den Sieg hätte erzwingen können, zum Beispiel 4...Kf5xf4 5.g5- g6! h7xg6 6.h6-h7 Te1-h1 7.h7-h8D Th1xh8 8.Tb8xh8 g6-g5 9.Kd6-d5 mit einem bequemen Gewinn oder 4...Te1-d1+ 5.Kd6-c5! Td1-c1+ 6.Kc5-d4 Tc1- d1+ 7.Kd4-e3 Td1-e1+ 8.Ke3-f2 und gegen 9.Tb8-f8+ nebst 10.Tf8-f6 hätte es keine Antwort mehr gegeben.


Erstveröffentlichung am 08. September 2003

27. August 2016


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