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SCHACH-SPHINX/06043: Mannheimer Debakel (SB)


Daß selbst Politiker von hohen Würden zuweilen historische Ereignisse in einem gänzlich falschen Licht beurteilen, ruft kaum noch eine Unmutsfalte hervor. Noch weniger dürfte verwundern, daß Schachmeister seit jeher kein Auge für Realitäten hatten. Man denke da an das Mannheimer Turnier von 1914 zurück. Der Deutsche Schachbund hatte anläßlich seines 35jährigen Bestehens zum 19. Kongreß aufgerufen. 18 Meister wurden schließlich eingeladen, kamen, spielten bis zur elften Runde, als plötzlich ein Kurier hereinstürmte und mit trommelwirbelartigem Tonfall den Ausbruch des Ersten Weltkrieges bekanntgab. Die Schachmeister hatten in ihrer weltanschaulichen Nestwärme alle Zeichen des drohenden Gemetzels übersehen oder schlichtweg ignoriert. Ein aufgeregter Tumult entstand. Was war zu tun? Der Instinkt riet zur Flucht, zumal bei den ausländischen Turnierteilnehmern. Doch wenn es etwas gibt, das Schachspieler noch mehr verabscheuen als ein Matt dann die Unterbrechung ihrer allerwertesten Angelegenheit. Also machte man den Vorschlag, den Ort des Turniers kurzerhand in die neutrale Schweiz zu verlegen. Dagegen sprach jedoch der enorme Aufwand an Zeit, und noch dem blindesten Zeitgenossen dämmerte, daß Zeit wohl das Kostbarste war, dessen man in dieser Situation verlustig gehen konnte. Da meldete sich in die Runde hinein der deutsche Großmeister Siegbert Tarrasch zu Wort und schlug vor, daß Turnier um ein Jahr zu verschieben in der irrigen Annahme, daß der Tumult nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers sich nach dieser Frist wohl gelegt haben dürfte. Tarrasch, der auf dem Brett feinste Züge vorausberechnen konnte, bewies in diesem Augenblick, wie fern vom tatsächlichen Geschehen sein Realitätssinn doch gefangen war. Im heutigen Rätsel der Sphinx zeigte Tarrasch wenigstens auf dem Brett Durchblick, als er nach dem letzten Zug seines Kontrahenten 1...Ta8-a7 eine brillante Gewinnkombination aus seinem Schulmeisterhut zauberte. Also, Wanderer, wie brach die schwarze Stellung zusammen?



SCHACH-SPHINX/06043: Mannheimer Debakel (SB)

Tarrasch - von Scheve
Leipzig 1894

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
1...Lg4xe2 2.Th1-e1 sah gescheit aus, scheiterte jedoch fulminant an der Erwiderung 2...Tf8-e8! und der vernichtenden Finesse eines Läuferabzugs: 3.Te1xe2 Le5xc3+ 4.Kd2-d1 Te8xe2 5.Kd1xe2. Das Endspiel behandelte der Senior mit nötiger Akkuratesse: 5...Lc3xb4 6.Lc2-a4 Kg8- f7 7.Ke2-e3 Lb4-e1 8.La4-c6 Kf7-e6 9.Ke3-d4 Le1-f2+ 10.Kd4-c3 Ke6-d6 11.Lc6-e8 Kd6-c5 12.h4-h5 d5-d4+ 13.Kc3-c2 d4-d3+ 14.Kc2-d2 Kc5-d4 und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 17. Dezember 2003

08. Dezember 2016


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