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SCHACH-SPHINX/06090: Ein untreues Völkchen (SB)


Der Augenblick des Angriffs in einer Schachpartie stellt ein Mysterium dar, zumindest in den Augen des Laien. Wann soll man angreifen, wann lieber noch warten und lavieren? Schon der nächste halbherzige Zug kann den Kontrahenten ans Ruder bringen, und jäh, ohne ersichtlichen Grund, ist der ganze zusammengeraffte Vorteil den Händen geglitten. Niemand kann endlose Varianten und Abzweigungen im Kopf behalten. Kein Gedächtnis der Welt wäre dazu imstande. Woher jedoch nehmen die Großmeister das Wissen, um zum richtigen Zeitpunkt anzugreifen, Linien zu öffnen und die Figuren in Richtung auf den gegnerischen König zu bewegen? Liest man die dazu bereitgestellte Literatur durch, so stößt man als Suchender auf den Begriff "Positionsgefühl". Nun sind Gefühle bekanntlich ein untreues Völkchen. Auf der Höhe eines sicher geglaubten Triumphes können sie einem jählings in den Rücken fallen. Hochmut nennt sich dieser Sohn der Niederlage. Andersherum kann der Eindruck, nichts ausrichten zu können, die einzige Rettung versprechende Zugwahl ungenutzt verstreichen lassen. Resignation ist die Fessel dieses Gefühls. Man mag sich hin und her wenden, wie man will, das so umjubelte Positionsgefühl will im Grunde nichts anderes besagen, als daß eine Menge Erfahrung, kombiniert mit Talent und dem Glück des Angreifers, die Siege stiften, von denen dann behauptet wird, ein Gefühl hätte sie geboren. Die Romantik der Schachkunst überschattet offenbar noch unser so vernünftig sich gebärendes Zeitalter. Vielleicht hatte sich unser Schachfreund Dubeck im heutigen Rätsel der Sphinx ebenfalls auf ein Gefühl verlassen, als er die folgende Stellung anvisierte. Sein Kontrahent Staller, mit den schwarzen Steinen spielend, hielt es lieber mit seinem Verstand und fand bequem den Gewinnzug. Also, Wanderer, mit Köpfchen ans Werk!



SCHACH-SPHINX/06090: Ein untreues Völkchen (SB)

Dubeck - Staller
Bundesliga 1983

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der Tatar Gata Kamski schickte seine Dame mit 1.Db3-b5! vor, um die Kapitulation entgegenzunehmen. Die schwarze Dame war angegriffen und gleichzeitig drohte vernichtend 2.Lf4xd6+, zwei Gründe, die Anand bewogen, dem Leiden seiner Stellung ein Ende zu machen.


Erstveröffentlichung am 01. Februar 2004

24. Januar 2017


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