Unter Laien sind bestimmte Eröffnungen geradezu verpönnt, und das, weil ihre Behandlung ein derart hochgezüchtetes Verständnis und eine solch akurate Tiefenschärfe voraussetzt, daß selbst Meisteranwärter unter dieser Wucht von Vorabbedingungen zusammenbrechen. Eine dieser hochkomplexen Eröffnungen ist die Königsindische Verteidigung, die erst in 20. Jahrhundert konzipiert, gedacht und in die Turnierpraxis eingeführt worden ist. Anders als die Spanische Partie oder die Sizilianische Verteidigung sind ihre Pläne durchweg verworren und erfordern eine hohe Kreativität und Situationsbeherrschung. Kein Wunder also, daß fast nur sensible Köpfe wie Bobby Fischer in der Vergangenheit und Garry Kasparow in der Gegenwart zu ihr griffen bzw. greifen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte der niederländische Meister Nijboer Fischers und Kasparows Fußstapfen folgen wollen. Dummerweise ausgerechnet gegen Viktor Kortschnoj, einem erklärten Gegner und Antipoden der Königsindischen Verteidigung. Der Mut des Holländers verdient Lob, aber seine Wahl war dennoch unüberlegt. Und er zahlte für seinen Übermut. Mit einem Figurenopfer für zwei Bauern riß Kortschnoj im Mittelspiel die Initiative an sich und konnte trotz gewiefter Gegenwehr seitens seines Kontrahenten die Stellungsüberlegenheit wahren. Schließlich entstand folgende Position. Nijboer hatte zuletzt 1...Sg6-f8 gezogen, aber an Rettung war nicht mehr zu denken, Wanderer.
Kortschnoj - Nijboer
Niederlande 1994
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Leider verpaßte der argentinische Großmeister Hoffman die mindestens
zum Ausgleich führende Zugfolge 25.Dg4xg5 c4-c3 26.Lb2xc3 Dd3xc3
27.Ta1-c1! Dc3-d3 28.Dg4-h5 f7-f6 29.Dh5-h8+ mit der Möglichkeit eines
Dauerschachs durch 29...Kg8-f7 30.Dh8-h5+ usw. Unzureichend wäre
hingegen das überstürzte 27.Dg4-h5? gewesen wegen 27...Dc3xa1+ 28.Kd1-
c2 La6-d3+! 29.Kc2xd3 Ta8-d8+ 30.Kd3-e2 Td8xd2+!
Erstveröffentlichung am 10. Juni 2005
7. Juni 2018
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