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SCHACH-SPHINX/06700: Ein Gambit wider den Zeitgeschmack (SB)


Selbst in unserer Zeit der hochentwickelten Schachtheorie ist das Spielen der Variante 1.e2-e4 e7-e5 2.Sb1-c3 Sb8-c6 3.f2-f4 e5xf4 4.d2- d4!? Dd8-h4+ 5.Ke1-e2 schier unvorstellbar. Dabei genießt das Steinitz- Gambit durchaus eine gewisse Wertschätzung. Zu widerlegen ist es nicht, und der so positionswidrig aussehende Königszug - mag er dem Stellungsgefühl auch noch so zuwidergehen - findet ein strategisches Äquivalent im weißen Bauernbollwerk und Tempogewinn durch den Angriff auf die schwarze Dame. Der Urheber dieses Gambit war immerhin Weltmeister, noch dazu der erste Champion überhaupt. Wilhelm Steinitz war davon überzeugt, daß der König keine bedeutungslose Figur ist, die erst im Endspiel in Erscheinung treten kann. Gewiß, die Lage des weißen Königs mutet unheilvoll an. Zudem blockiert er die Entwicklung des Läufers. Was seinen Zeitgenossen gegen den Strich ging, die in der raschen Entwicklung der Figuren den einzigen Sinn sahen, stößt auch heutige Spieler ab. Steinitz war zum Teil sicherlich ein halsstarriger Prinzipienreiter. Andererseits bewies er durchaus, daß die Bewertung der Stellungsvorteile nicht unbedingt mit einem Zählwerk zu bestimmen ist. Wer mehr Figuren im Spiel hat, muß nicht notwendig besser stehen. Die Feinheiten und deren Umsetzung geben in der strategischen Bilanz immer den Ausschlag, auch wenn das Auge, dieses Anpassungsorgan par excellence, Anstoß daran nimmt. Steinitz zeigte jedenfalls auf, daß es jenseits der anerkannten Spielpraxis noch unbekanntes Terrain zu erforschen gibt, und daß viele Annahmen nur allzu leichtfertig und ohne präzise Überprüfung aufgestellt werden. Dieser Beitrag zur Entwicklung der Schachkunst ist ungleich wertvoller als das Aufstellen von Strategiegesetze. Im heutigen Rätsel der Sphinx wandte Steinitz das nach ihm benannte Gambit gegen Louis Paulsen an, einem Spieler von höchstem Rang in der damaligen Zeit. Nachdem Steinitz seinen König auf künstlichem Wege nach g1 überführt hatte, konnte er dank der gesammelten Stellungsvorteile einen vernichtenden Königsangriff inszenieren, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06700: Ein Gambit wider den Zeitgeschmack (SB)

Steinitz - Paulsen
Baden-Baden 1870

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der weiße c-Bauern war weniger bedroht, als es Frank Marshall befürchtete. Nach 1...Tb8-b5! hätte er mit dem umsichtigeren Springerzug 2.Sb1-d2! leicht ein Endspiel mit Remisausgang herbeiführen können, zum Beispiel 2...Tb5-c5 3.Ta1-c1 Lc8-a6+ 4.Kf1-f2 - 4.Kf1-e1? Tc5-c3! - 4...La6-d3 - nun bringt 4...Tc5-c3 nichts ein wegen 5.Sd2-b1!, da Schwarz kein Turmschach zur Verfügung hat - 5.Sd2- f3 Tc5xc2+ 6.Tc1xc2 Ld3xc2 7.Sf3xd4 Lc2xe4 8.Sd4-e6 Le4-b1 9.a2-a3 Lb1- a2 10.Se6-c5 und die schwarzen Bauern sind blockiert. Ein Sieg wäre trotz des Mehrbauern nicht mehr möglich gewesen.


Erstveröffentlichung am 30. September 2005

29. September 2018


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