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REZENSION/031: Ulrich Geilmann - Jüdische Schachmeister aus Deutschland (SB)


Ulrich Geilmann


Jüdische Schachmeister aus Deutschland

Kurzbiografien mit 47 Partien und 55 Schachaufgaben sowie einem Vorwort von IM Herbert Bastian




Buchcover: Jüdische Schachmeister aus Deutschland - © by Joachim Beyer Verlag

Buchcover: © by Joachim Beyer Verlag

Wäre der Motivhintergrund nicht gänzlich von Trauer erfüllt, man könnte über die Lektüre "Jüdische Schachmeister aus Deutschland" ein stolzes Lächeln auf die Lippen bringen. So aber muss man erst einmal verarbeiten: "Über die bedeutende Rolle jüdischer Schachspieler für die Entwicklung des Schachs in Deutschland wird heute kaum noch gesprochen" (S. 7). So heißt es im Vorwort von IM Herbert Bastian zum längst überfälligen Werk von Ulrich Geilmann.

Schachgrößen wie Jean Dufresne, Emanuel Lasker, Siegbert Tarrasch oder Johannes Hermann Zukertort, die internationalen Ruhm erlangten, als auch für die Theoriebildung immanent wichtig waren, kennt heute jeder Schachfreund, die wenigsten wissen jedoch, dass es sich dabei um jüdische Schachmeister handelte. Lasker brachte es sogar zum bisher einzigen deutschen Weltmeister. Jüdische Intellektuelle, Schriftsteller, Kunstschaffende, kaum ein Bereich der deutschen Gesellschaft profitierte nicht von den Errungenschaften und Einschüben, seit Juden im Deutschen Kaiserreich die volle Staatsbürgerschaft erhielten.

Das Nazi-Regime, das nicht nur verantwortlich war für den Sturz der Weimarer Republik, bedeutete über den Verlust der Menschlichkeit hinaus eine bis heute andauernde Zäsur in den blühenden kulturellen Landschaften, die in Deutschland einst gediehen und Zeugnisse von unvergänglichem Ruhm schafften. Insbesondere im Königlichen Spiel konnte infolge der Vertreibungen und der Morde an jüdischen Schachmeistern der ehemalige Leistungsstand nie wieder erreicht werden.

Der Autor hat sich nicht nur in Kurzbiografien mit den renommierten Meistern jüdischer Abstammung beschäftigt, vielmehr hat er aus dem Abgrund des Vergessens auch jene Anhänger der Schachkunst wieder hervorgeholt, die für das deutsche Schach Enormes geleistet hatten und deren Verdienste dafür kaum angemessen gewürdigt wurden. 35 Namen tauchten so aus der Versenkung hervor, darunter solche, die im 18. Jahrhundert zu den Meilensteinen der Schachtheorie zählten und wesentlich zur Aufarbeitung der Schachhistorie beitrugen. Im 19. Jahrhundert verdankte der Einfluss der jüdischen Schachelite den Deutschen einen Spitzenplatz im seinerzeit noch jungen internationalen Turniergeschehen. So gehörte Daniel Harrwitz zu den wenigen Gegnern von Paul Morphy, denen er unterlag. Natürlich darf in einem Buch über die jüdische Schachgeschichte in Deutschland Johann Hermann Zukertort nicht fehlen, der es zum Weltklassespieler brachte, leider aber gegen Wilhelm Steinitz an der Krone vorbeigriff.

Was dieses Buch im Besonderen auszeichnet, ist trotz der Knappheit der präsentierten Lebensläufe die herzangelegene Leidenschaft und Hingabe, mit welcher der Autor die Rolle jüdischer Meisterspieler, Problemkomponisten in der Gestalt von Erich Ernst Zepler, des Fernschachmeisters Hans Berliner, verdienstvoller Verleger wie Bernhard Kagan, diverser Turnierorganisatoren, Autoren und Mäzene in einen würdigen Rahmen stellt. Auf der reinen Schachebene sind die kommentierten Partien der Protagonisten aus der Turnierwelt und einzelnen Duellen mit den Fahnenträgern ihrer Zeit sehr gefällig und im Kontext der damaligen Theorie und Praxis verständlich nähergebracht.

Dass die Leser ein Buch über das jüdische Schachleben in Deutschland so lange entbehren und vermissen mussten, mag viele Gründe gehabt haben, die Mutmaßungen zulassen, sie erweisen sich jedoch als müßig und nutzlos. Geilmann lässt sich jedenfalls nicht aufs spekulative Glatteis führen, zumal er explizit kein politisches Buch schreiben wollte. Allerdings verzichtet er nicht darauf, die mit der Machtergreifung der Nazis inszenierte Diskreditierung jüdischer Schachspieler, als da wären die Aberkennung aller Ämter in Schachverbänden, das Verbot der Teilnahme an Schachvereinen, die Umbenennung an Juden gewidmeter Eröffnungsvarianten, kritisch in den Blick zu nehmen. In erster Linie hatte hier der Großdeutsche Schachbund nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet wie auch die Schmähschriften des Weltmeisters Alexander Aljechin ihren Teil an der Verunglimpfung beisteuerten, in denen sogenanntem feigen jüdischen Schach das heroische arische Schach entgegengestellt wurde.

Die Vergangenheit als Schall und Rauch abzutun, als wäre heutzutage alles anders, humanistischer gar, käme einer Verblendung gleich angesichts der zunehmenden Zahl antisemitistischer Straftaten in Deutschland. Wichtig war dem Autor offenbar, dass nicht jene vergessen bleiben, die dem Schachspiel einen prägenden Stempel aufdrückten, die ihr Herzblut hingaben für dieses Spiel und mit unermüdlichem Eifer, zumindest für eine kurze Epoche, nämlich, in der sie wirkten, dem deutschen Schach wunderbare Partien und einen ebenbürtigen Platz an der Seite der Schachnationen bescherten. Ohne jüdische Schachmeister wäre dies nicht möglich gewesen. Daran will dieses Buch des Vizepräsidenten der Schachbundesliga wärmstens erinnern, und die Zeit war, wenngleich verspätet, allemal reif dafür.

8. Dezember 2024


Ulrich Geilmann
Jüdische Schachmeister aus Deutschland
Kurzbiografien mit 47 Partien und 55 Schachaufgaben sowie einem Vorwort von IM Herbert Bastian
Joachim Beyer Verlag 2024
209 Seiten
ISBN 978-3-95920-210-7


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 182 vom 21. Dezember 2024


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