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BERICHT/050: Männlichkeit und Bürgerkriege in Afrika (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 105, 3/08

Kriegsgewalt
Männlichkeit und Bürgerkriege in Afrika
Neue Ansätze zum Verständnis geschlechtsspezifischer Kriegsgewalt

Von Rita Schäfer


Für Außenstehende ist es oft schwer, afrikanische Bürgerkriege zu verstehen. Sie stellen die internationale Staatengemeinschaft und aktuelle Forschungen vor große Herausforderungen. Neue Zugänge bietet die Auseinandersetzung mit Maskulinität, v.a. wenn die gesellschaftlichen Kontexte der Gewaltbereitschaft und die Handlungslogik der Gewaltakteure berücksichtigt werden.


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Hier geht es keineswegs darum, Gewaltverbrechen zu entschuldigen, sondern die Rationalität in der Anwendung sexualisierter Gewalt aufzuzeigen. Schließlich handelt es sich bei den vergewaltigenden Kombattanten nicht um pathologische Triebtäter, sondern um junge Männer, die sich an kriegsgeprägten Normen orientieren. Folglich erlernen sie aggressive Maskulinitätsmuster und eignen sich martialisches Verhalten an. Lokale Gewaltdynamiken und die Gewaltlegitimationen der verschiedenen Milizionäre sind in sozio-kulturelle Bedeutungszusammenhänge eingewoben, dabei sind Geschlechter- und Generationenkonflikte ausschlaggebend. Strukturelle Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, aber auch zwischen Männern verschiedenen Alters und Status prägen die Gewalteskalationen vor dem "eigentlichen" Kriegsbeginn, die Kriegshandlungen und die Nachkriegssituationen.


Entmännlichung in der Kolonialzeit

Die Langlebigkeit von Gewaltmustern lässt sich nur erfassen, wenn man den Blick auf die Kolonialzeit zurückrichtet und die Auswirkungen der weißen Herrschaft berücksichtigt. Insbesondere in den SiedlerInnenkolonien des südlichen und östlichen Afrika griffen weiße Großfarmer und deren Ehefrauen seit dem 19. Jahrhundert in die lokalen Gesellschaften ein. Sie entzogen den Afrikanern keineswegs nur das Land, die eigene Wirtschaftsbasis und die politische Selbstbestimmung, sondern auch deren Würde und Männlichkeit. Erwachsene Männer wurden auf den Status unmündiger Kinder herabgestuft. Als rechtlose, schlecht entlohnte und gedemütigte Diener, Farm- und Minenarbeiter verloren sie ihre Respektposition gegenüber ihren Söhnen. Dennoch versuchten sie, ihre familiäre Autorität aufrecht zu erhalten, wodurch immer wieder Konflikte eskalierten.


Gesellschaftliche Neuorientierungen

Um so mehr waren die Unabhängigkeitskriege ab den 1960er Jahren keineswegs nur ein Aufbegehren gegen die rassistischen SiedlerInnenregime, sondern hatten auch sozialrevolutionäre Züge. Die jugendlichen Kombattanten stellten gesellschaftliche Hierarchien in Frage und traten als eigenständige politische Akteure auf. Viele Befreiungsbewegungen schrieben Frauenemanzipation auf ihre Fahnen und motivierten junge Frauen, aktiv am Kampf gegen die weiße Vorherrschaft mitzuwirken. Angesichts der jahrelangen Kriegswirren ließ sich die traditionelle Rollenverteilung nicht aufrecht erhalten. Pragmatismus war überlebenswichtig, wobei Männer alltägliche "weibliche" Versorgungsleistungen übernahmen. Während die Kämpfer das Kochen oder Waschen als Ausnahmezustand interpretierten, erwarteten viele Kombattantinnen, dass die emanzipatorischen Visionen der Befreiungsbewegungen auf diese Weise von ihren männlichen Mitstreitern in die Tat umgesetzt würden.

Allerdings erwiesen sich diese Hoffnungen nach dem siegreichen Kriegsende als fataler Trugschluss, wie die Erfahrungen in Simbabwe oder Namibia zeigten. Vielerorts pochten Männer unterschiedlichen Alters und Status auf ihre Vormachtstellung und feindeten nunmehr die eigenständigen früheren Kampfgenossinnen an. Etliche Ex-Kombattantinnen gründeten unabhängige Frauenorganisationen, um die rechtliche Diskriminierung zu überwinden und Bildungs- oder Berufsziele zu verwirklichen. Nach der politischen Unabhängigkeit forderten sie von früheren Kommandanten, die nun ranghohe Regierungsämter bekleideten, Versprechungen wie Gleichheit und Gerechtigkeit einzulösen. In Reaktion auf diese energische Lobbyarbeit reformierten einige nachkoloniale Regierungen die Familien-, Ehe- und Erbrechte, dennoch ist die Lebensrealität vieler Frauen - auch der Ex-Kombattantinnen - weit von den neuen Rechtsgrundlagen entfernt. Rasch etablierten sich alte und neue Hierarchien im privaten und öffentlichen Leben, was die Regierungen nicht oder nur unzureichend verhinderten.


Geschlechter- und Generationenkonflikte

In den westafrikanischen Bürgerkriegen, die Sierra Leone und Liberia während der 1990er Jahre erschütterten, griffen jugendliche Kämpfer zu den Waffen, um die korrupte politische Elite abzusetzen, die ihre Länder in den Ruin trieb. Trotz des Reichtums an Diamanten, Erzen und anderen Ressourcen wurden die Jugendlichen jeglicher Zukunftsperspektiven beraubt. Bildung und ein menschenwürdiges Leben blieben ihnen vorenthalten. Darüber hinaus nahmen die jungen Kämpfer die mächtigen alten Männer in ihrem sozialen Umfeld ins Visier, die über Eheschließungen bestimmten. Sie verlangten extrem hohe Brautpreiszahlungen, wenn sie ihre Töchter verheirateten. Diese Gelder konnten die verarmten Jungen unmöglich aufbringen. Sie gingen illegale Liebesbeziehungen mit Mädchen und jungen Frauen ein, die mit sehr alten, wohlhabenden Männern in polygamen Ehen verheiratet wurden. Wenn solche Liebesbeziehungen publik wurden, drohte den Liebhabern jahrelange Zwangsarbeit.

Solche sozialen Konflikte und den Kampf junger Männer gegen Rechtlosigkeit und Ausbeutung nutzten skrupellose Warlords wie Charles Taylor aus, dem derzeit am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag der Prozess gemacht wird. Er und seinesgleichen etablierten neue Hierarchien zwischen jungen Kommandanten und Kindersoldaten, die traditionelle Autoritäten brutal entmachteten. Eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Milizen kämpfte gegeneinander. Systematisch setzten sie öffentliche sexuelle Gewaltübergriffe auf Frauen und Mädchen der jeweiligen Gegner als Kriegstaktik ein. Dadurch wollten sie den sozialen Zusammenhalt ihrer Feinde untergraben und die männlichen Familienangehörigen ihrer Opfer als Versager verhöhnen. Viele Frauen und Mädchen wurden als Sex-Sklavinnen oder "Bush Wives" zwangsrekrutiert, wodurch sich die Milizionäre die Kontrolle über die Sexualität und die Fruchtbarkeit der Frauen über lange Zeiträume aneigneten. Einzelne junge Frauen schlossen sich mehr oder weniger freiwillig den Milizen an, u.a. um einer Zwangsehe zu entkommen. Nur in Ausnahmefällen übernahmen sie militärische Aufgaben oder gar Führungspositionen. Vielmehr zielten die Kriegsherren darauf ab, die jugendlichen Kämpfer durch das Erleben von Omnipotenz bei Massenvergewaltigungen zusammenzuschweißen. Dabei wurden Frauen und Mädchen auf den Status verfügbarer Objekte degradiert; entsprechend problematisch ist ihre Reintegration in die Nachkriegsgesellschaften. Schweigen über die erlittene Gewalt wird zur verbreiteten Strategie, um Stigmatisierungen und Ausgrenzungen zu vermeiden.


Herausforderungen für Nachkriegsgesellschaften

Während internationale Organisationen in westafrikanischen Nachkriegsländern einige Hilfsprogramme für weibliche Gewaltüberlebende fördern, bleibt die kriegsgeprägte Maskulinität weitgehend unangetastet. Daher sind häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung. Junge Männer, die durch jahrzehntelange Gewaltanwendung und eigene Gewalterfahrungen sozialisiert wurden, durchlaufen fragwürdige handwerkliche Schulungen und werden dann in den Nachkriegsalltag entlassen. Wie wichtig es wäre, die militarisierte Männlichkeit zu überwinden, illustrieren die rasant steigenden HIV/AIDS-Raten während und nach Bürgerkriegen. Eine nachhaltige Friedenssicherung ist nur dann möglich, wenn die vielschichtigen Auswirkungen von Kriegen auf Männer umfassend aufgearbeitet werden. Dazu sind innovative Ansätze zur Gewaltüberwindung und Neuorientierungen für Ex-Kombattanten erforderlich.


Literatur:
Schäfer, Rita: Frauen und Kriege in Afrika: Ein Beitrag zur Gender-Forschung (Frankfurt a.M. 2008).

Zur Autorin:
Rita Schäfer, Ethnologin, forscht und lehrt zu Gender in Afrika. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Frauenorganisationen, Frauenrechte, geschlechtsspezifische Gewalt und Kriege.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 105, 3/2008, S. 24-25
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2008