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FORSCHUNG/082: Post-sozialistische Stimmen im feministischen Diskurs (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 100, 2/07

Nischendasein
Post-sozialistische Stimmen im internationalen feministischen Diskurs

Von Veronika Wöhrer


Wie international sind Frauen- und Geschlechterforschung organisiert? Finden Beiträge aus post-sozialistischen Ländern Eingang in dominante Erzählungen über Feminismus und Frauenbewegungen? Diese Fragen werden im Folgenden vor allem in Bezug auf den wissenschaftlichen Bereich der Gender Studies gestellt.


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Seit vor mittlerweile 18 Jahren der so genannte Eiserne Vorhang fiel, veränderten und intensivierten sich Kontakte zwischen Frauen aus "Ost" und "West" in Europa. Feministisch interessierte AktivistInnen und ForscherInnen(1) aus traditionell kapitalistischen und post-sozialistischen Ländern begannen sich verstärkt über ihre Auffassungen von Geschlecht, Geschlechterdifferenz und Feminismus auszutauschen und entdeckten, dass sie dabei oft unterschiedliche Probleme identifizierten, Begriffe verwendeten und Strategien entwarfen.


Bedeutung der lokalen Verortung

Eine Analyse der Diskussionsforen zeigt, dass die unterschiedlichen Standpunkte allerdings nicht in gleicher Form international präsent waren. Verlagsprogramme, Bibliotheksbestände, Einführungsbücher und Zeitschriften machen deutlich, dass die lokale Verortung von AktivistInnen und ForscherInnen offenbar Auswirkungen auf deren Chance hat, ihre Stimme in internationalen Foren zu erheben bzw. ihr Gehör zu verschaffen. Zur Illustration möchte ich im Folgenden einige Zahlen zu AutorInnen und Texten bringen.(2)

Verlagsprogramme von Frauenverlagen in der Tschechischen Republik, der Slowakei, Österreich, Deutschland und den USA zeigten beispielsweise recht klare Präferenzen: Während unter den von 'Aspekt' in Bratislava und 'One Woman Press' in Prag verlegten Werken 61% bzw. 94% Übersetzungen waren, vorwiegend aus dem anglo-amerikanischen Raum - wobei in der Rubrik "Fachbücher" bzw. "Theorie" weniger "einheimische" Werke zu finden waren als unter Belletristik -, liegt der Schwerpunkt des in Wien ansässigen 'Milena-Verlags' auf deutschsprachigen Werken. Hier waren nur in ca. drei Prozent der Fälle Autorinnen aus post-sozialistischen Ländern vertreten. In den Verlagsprogrammen von 'Orlanda Frauenverlag' in Berlin und 'Feminist Press' in New York - letztere hat den Anspruch, Werke "from all areas and from all regions around the globe"(3) zu verlegen - fanden sich nicht einmal ein Prozent Autorinnen aus post-sozialistischen Kontexten. Ähnlich ist die Verteilung von Werken in Bibliotheken: Während die beiden auf Gender Studies spezialisierten Bibliotheken 'Gender Studies, o.p.s.' in Prag und 'Aspekt' in Bratislava mehrheitlich englische und deutsche Bücher im Bestand haben, finden sich in einschlägigen Bibliotheken bzw. Datenbanken in Wien (Stichwort, 'Frauensolidarität' oder 'Ariadne) nur wenige tschechische oder slowakische Werke. Wenn diese Länder behandelt werden, dann oft in deutschen oder englischen Publikationen. Die meisten der renommierten wissenschaftlichen feministischen Zeitschriften (z.B. 'Signs', 'The European Journal of Women's Studies', 'Feminist Studies', 'Feministische Studien') brachten jeweils eine Schwerpunktnummer zum Thema "Post-Sozialismus" heraus. Außerhalb dieser fanden sich jedoch nur wenige post-sozialistische AutorInnen, die zu anderen Themen schrieben(4).

Auch in Einführungs- und Überblickswerken zu Frauen- und Geschlechterforschung kommen post-sozialistische Standpunkte selten vor: Nur in drei von 19 an der Bibliothek der Universität Wien erhältlichen Überblickswerken fanden sich kurze Verweise auf gegenwärtige ForscherInnen bzw. Debatten aus dieser Region.


Das Allgemeine und das Besondere

Doch nicht nur so genannte allgemeine Werke zu Gender Studies, sondern auch die meisten Publikationen zum Thema Feminismus bzw. Gender und Post-Sozialismus wurden von AutorInnen verfasst bzw. herausgegeben, die in so genannten westlichen Ländern verortet sind; lediglich einzelne Beiträge waren von ForscherInnen aus post-sozialistischen Ländern selbst geschrieben. (Auch die Verfasserin dieser Zeilen ist übrigens eine in Wien verortete Forscherin, die über "Ost"-"West"-Verhältnisse forscht und schreibt. Dieser Text reproduziert die genannten Repräsentationsmuster somit zumindest zum Teil.)

Während feministisch interessierte ForscherInnen aus Tschechien und der Slowakei also gar nicht umhin kamen, sich auf Theorien, Werke und Autorinnen aus dem "Westen" zu beziehen, da diese so präsent waren bzw. sind, ist es für ForscherInnen in Wien, Berlin oder New York oft gar nicht einfach, Werke von KollegInnen aus post-sozialistischen Ländern zu finden und zu lesen. Während AutorInnen aus traditionell kapitalistischen Ländern oft als HerausgeberInnen und TheoretikerInnen fungier(t)en, fanden und finden post-sozialistische AutorInnen zumeist in einer Nische Platz, die die Überschrift "Osteuropa" oder "Post-Sozialismus" trägt. In die "allgemeine" Theorie feministischer Diskurse vorzustoßen, gelang nur selten.


Fragen und Antworten

Ich möchte hier ein Bild wiedergeben, das Ines Rieder bereits 1991 für den Austausch zwischen Frauen aus "West" und "Ost" verwendete:

"Sometimes I think, that the East is asking more questions, while the West seems to have the ready answers. But I also observe cautiousness among Eastern European women, since they don't want to be swallowed up by the West. A lot depends on women from the West - if they can hold their appetite, if they are willing to taste Eastern European food, and most important, if they are going to share their specialities rather than handing out left-overs."(5)

Wie es scheint, war die Neugierde von ForscherInnen aus den USA und Österreich an tschechischen und slowakischen Gerichten bislang nicht allzu groß. Abgesehen von der Aufmerksamkeit einiger ExpertInnen, die sich auf die Kost dieser Region spezialisiert hatten, gingen sie in der Emsigkeit eigene Speisen aufzutischen unter oder wurden nicht als Spezialitäten erkannt. Manchen schienen sie wohl zu exotisch, um gut zu sein, anderen zu altbacken, um interessant zu sein. In vielen Fällen war harte Arbeit und Kreativität der tschechischen und slowakischen KöchInnen nötig, damit ihre Gerichte überhaupt Beachtung fanden - bisweilen halfen Zutaten und Garnierungen, die in den lokalen Rezepten nicht vorgesehen waren, einer internationalen Küche aber besser entsprachen. Dennoch wurden sie bislang häufig in der "Ecke für den ausgefallenen Geschmack" untergebracht und fanden weder Eingang in die Alltagsküche noch in die haute cuisine der feministischen, Frauen- und Genderforschung.


Dominante Diskurse hinterfragen

Natürlich sind weder die genannte ungleiche Repräsentation von ForscherInnen aus "West" und "Ost" noch die Nischenbildung eine Besonderheit der Gender Studies. In anderen wissenschaftlichen und aktivistischen Bereichen ist dies ebenso der Fall. Vieles lässt sich als Auswirkungen neoliberaler Ökonomien, kommerziell orientierter Verlage, der Dominanz der englischen Sprache sowie veränderter Forschungs- und Förderpolitiken erklären. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass feministische Forschung den Anspruch vertritt, lokale Verortungen und Differenzen ernst zu nehmen, Hierarchien und Dominanzen zu reflektieren und ihnen entgegen zu wirken. Daher sollte es, meiner Meinung nach, Ziel kritischer Genderforschung sein, dominante ("westliche") Diskurse zu hinterfragen und feministische Positionen aus anderen Kontexten wahrzunehmen, zu rezipieren und zu zitieren - auch wenn sie kritisch und unbequem sind.


Anmerkungen:
(1) Ich verwende Splitting, da es sich bei den ProtagonistInnen dieser Begegnungen nicht immer um sich als Frauen identifizierende Personen handelt(e).
(2) Ich gehe in dieser Darstellung vor allem auf die Länder Österreich, USA, Tschechische und Slowakische Republik ein und spreche nur an einzelnen Stellen auch über andere europäische - traditionell kapitalistische wie post-sozialistische - Länder.
(3) Vgl. http://www.feministpress.org/
(4) Das European Journal of Women's Studies veröffentlichte allerdings häufiger Texte post-sozialistischer AutorInnen als die anderen.
(5) Rieder, Ines: Feminism and Eastern Europe (Dublin 1991) S.5


Zur Autorin:
Veronika Wöhrer ist Soziologin, schrieb ihre Dissertation zum Thema "GrenzgängerInnen. Genderforschung zwischen Kapitalismus und (Post-)Sozialismus" und arbeitet derzeit am Institut für Wissenschaftsforschung der Universität Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 100, 2/2007, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2007