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FORSCHUNG/094: Stadtentwicklung und Migration (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2008

Stadtentwicklung und Migration
Warum man die eine nicht ohne die andere versteht

Von Felicitas Hillmann, Katharina Goethe und Sandra Bröring


Knapp die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten bzw. in städtischen Siedlungsräumen. In Deutschland sind es nahezu drei Viertel der Bevölkerung. Schon immer war die Stadt Sammelbecken verschiedener Kulturen und Ausgangspunkt für gesellschaftliche Neuerungen, doch die Globalisierung hat die Geschwindigkeit der Veränderungen erhöht. Als Voraussetzung für eine moderne Stadtentwicklung gilt die Kenntnis über die Struktur der Bevölkerung. Geografinnen der Universität Bremen untersuchen deshalb nun die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten aus Entwicklungsländern in mehreren Städten Deutschlands.


Ähnlich wie im 19. Jahrhundert die Industrialisierung brachte die Globalisierung einen Entwicklungsschub für die Städte. Vor allem ökonomisch integrieren sich die Städte in ein weltweites Gebilde aus Knotenpunkten von Finanz-, Waren- und Informationsströmen. Diese neuen Anforderungen haben Veränderungen bewirkt: In den Industriestaaten bemühten sich die meisten Städte seit Mitte der 1990er Jahre um eine bessere Wahrnehmbarkeit nach außen und um eine aktive Stadtentwicklungspolitik. Stadtlandschaften werden seither zunehmend vermarktet, Einflussgrößen auf die Stadtentwicklung werden neu bewertet.

Mit den veränderten Rahmenbedingungen sind die Städte auf der Suche nach neuen Planungskonzepten. Alte Industriestädte, wie die Hafenstädte Genua oder Bremerhaven, müssen ihre Zukunft völlig neu planen. Das Forschungsinstitut Stadt und Region (Forstar) an der Universität Bremen untersucht unter anderem, wie sich diese Restrukturierung der Städte genau vollzieht, welche Ansätze in der Stadtentwicklung verfolgt werden und welche Planungsinstrumente angewandt werden.

Die moderne Stadtplanung sieht sich einer Reihe von konkreten Herauforderungen gegenüber: veränderte soziale Realitäten, Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss, die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und in die sozialen Netze nicht gelingen will, Gesellschaften, die drohen, in voneinander isolierte soziale Aktionsräume zu zerfallen, fragmentierte Stadtlandschaften. Neue nachbarschaftliche Konzepte, neue Formen der sozialen Organisation, sogenannte soziale Innovation, sind Teil dieser neuen Ansätze in der Planungspraxis und sollen eine Integration dieser marginalisierten Gruppen erreichen. Wie die Konzepte aussehen und ob es gelingt ist noch offen. Die neuen Fragen berühren alle Städte in Europa gleichermaßen, pauschale Antworten gibt es bislang nicht.

In den Schwellen- und Entwicklungsländern sind die meisten Städte mit zusätzlichen Anforderungen konfrontiert. In vielen urbanen Zentren kam es durch den Einstieg in die Globalisierung zwar zu einem Aufstieg von Teilen der Mittelschicht und zu einer starken Integration in internationale Kreisläufe. Die rasch ablaufende Urbanisierung brachte aber einen starken Zuzug von Menschen aus den ländlichen Regionen in die städtischen Marginalsiedlungen mit sich, häufig ein erster Schritt zu einer weiteren internationalen Migration.

Im Zuge der erleichterten Kommunikation über Internet und Mobiltelefon und durch verbilligten Flugverkehr haben sich zwischen den Entwicklungsländern und Europa stabile transnationale soziale Räume und Migrantennetzwerke herausgebildet. Pointiert gesprochen: Es entstehen neue Geographien der Migration. Die Entwicklung der Städte in Europa ohne deren Verbindungen in die sogenannten Entwicklungsländer hinein zu untersuchen, wäre kurzsichtig.


Vielfalt an Lebensstilen

Unterschiedliche städtische Lebenswirklichkeiten, unterschiedliche Stadtlandschaften, werfen unterschiedliche Forschungsfragen auf. Für jede Stadt, für jedes Land, für jede Region, jeden Kontinent liegen andere Datenquellen vor, gelten andere Spielregeln aus Werten, Politiken und Meinungen, strukturieren andere Faktoren die städtische Realität. Diese Vielfalt findet sich leider nicht in der Datenlage wieder: Oft genug existieren - wenn überhaupt - nur nationale Daten oder aus verschiedenen Städten zusammengerechnete Werte. Um überhaupt Aussagen über eine Stadt machen zu können, greift die Forschung notgedrungen auf dieses Material zurück. Nur, die "abstrahierte Stadt" - es gibt sie nicht. Die Bremer Geografinnen konzentrieren sich daher in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf Fragen der regionalen Differenzierung und auf die Bearbeitung von Fallstudien.

Um den neuen Anforderungen der Stadtentwicklung angemessen begegnen zu können, haben die Bremer Geografinnen auch die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Lebensumstände von Migrantinnen und Migranten zum Schwerpunkt gewählt. Vielerorts, in Industrie- und Entwicklungsländern, stellen Zuwanderer bereits die Mehrheit der Bevölkerung und man kann davon ausgehen, dass die kommende große Herausforderung an die städtische Bevölkerung der Umgang mit Diversität, mit gelebter Vielfalt, sein wird.

Die jüngsten Bevölkerungsstatistiken des Mikrozensus zeigen, dass auch in Deutschland mittlerweile 28 Prozent der Unter-Zwanzigjährigen einen Migrationshintergrund aufweisen. Drängender als noch vor zehn Jahren stellt sich die Frage, wie man mit einer solchen Vielfalt an Lebensstilen, Vorstellungen, Möglichkeiten und Unsicherheiten umgehen kann. In Deutschland waren bislang die sogenannten "Gastarbeiter" diejenigen, von denen man glauben wollte, dass sie nach getaner Arbeit wieder zurück in ihre Herkunftsländer gehen würden und die das Bild vieler Städte in Deutschland bestimmten.

Die Entwicklung der großen Einwanderungsgruppen aus den ehemaligen Anwerbeländern ist inzwischen vergleichsweise gut dokumentiert - man weiß jedoch noch nicht, warum Integration gleicher Herkunftsgruppen in den verschiedenen Städten unterschiedlich verläuft. Sehr wenig, teilweise nichts, weiß man über andere Zuwanderungsgruppen, etwa über Migranten aus Entwicklungsländern in verschiedenen deutschen Städten. Dabei interessieren besonders Fragen der Regionalisierung: Wo leben diese Migranten und warum wohnen sie gerade dort? Welche Einbindung haben sie in ihr städtisches Umfeld? Aus welchen regionalen Kontexten stammen sie?

Im Zuge der Einbindung Deutschlands in weltweite Entwicklungen sind weitere Fragen bedeutsam: Bleiben Bindungen in die Herkunftsregion bestehen? Kommt es zur Herausbildung von transnationalen Wirtschaftsstrategien oder konzentrieren sich diese Menschen auf ihre Integration in ihrer neuen Umgebung? Wie sind diese Migranten in den Arbeitsmarkt integriert, bilden sie etwa besondere Formen der Arbeitsmarktorganisation wie zum Beispiel ethnische Ökonomien aus? Welchen Einfluss hat die Geschlechtszugehörigkeit auf den Migrations- und Integrationsprozess?


Geschäftskontakte in die Heimat

Die ersten Ergebnisse einer im Frühjahr durchgeführten Befragung in Bremen, Hamburg, Berlin, Frankfurt und im Ruhrgebiet zeigen, dass einige Zuwanderungsgruppen auf diesem Wege sehr gut, andere kaum zu erreichen sind. Von den insgesamt knapp Tausend an Migrantenorganisationen geschickten Fragebögen kamen knapp 20 Prozent zurück. Allen Teilnehmern wurde Anonymität zugesichert. Die ausgefüllten Fragebögen konnten einfach in den nächsten Briefkasten geworfen werden. Das Sample an sich wirkt verzerrt: Geantwortet haben mit über 60 Prozent vorwiegend Frauen. Die Personen, die geantwortet haben, verfügen meist über eine gute Bildung. Zwei Drittel der Frauen und ein Viertel der Männer unter ihnen haben Abitur, knapp 90 Prozent der Befragten besaß mindestens die mittlere Reife.

Hinsichtlich der Integration in den Arbeitsmarkt unterscheiden sich nicht nur die verschiedenen Migrantengruppen, auch zwischen den Geschlechtern gibt es Unterschiede. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Dabei arbeiten Frauen häufiger als Angestellte, Männer dagegen sind häufiger selbständig tätig. Ergebnisse, die auch von den Gewerbestatistiken bestätigt werden.

Überraschend lang ist die Zeitspanne von der Einwanderung bis zur Selbständigkeit. Im Schnitt vergehen über zwölf Jahre, bis sich ein Migrant oder eine Migrantin dazu entschließt, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Dann aber sind vor allem die Männer sehr zufrieden mit ihrer Arbeitssituation. Geschäftsbeziehungen in das Ausland sind insbesondere bei den weiblichen Selbständigen wichtig. Für viele hängt gar der Erfolg ihrer Firma vom regelmäßigen Kontakt mit dem Herkunftsland ab.

Von den Angestellten unter den Migranten arbeiten die Frauen eher im öffentlichen Dienst, Männer eher in der Privatwirtschaft. Für manchen Beruf ist die Herkunft von Vorteil: Knapp ein Viertel der Befragten gab an, im Rahmen seiner Arbeit die Sprache oder Kultur- und Landeskenntnisse des Herkunftslandes zu nutzen. Dieses Wissen wird weniger in das Herkunftsland hinein, als vielmehr innerhalb Deutschlands genutzt, ein Hinweis, dass die Herkunftsgesellschaften in ganz heterogenen Berufen stark in unsere Gesellschaft hineinwirken. Die Einkünfte der Migrantinnen und Migranten sind dennoch niedrig. Meist kommen für sie zwischen 1000 und 2000 Euro netto im Monat zusammen, auch wenn sie zum Teil hoch qualifizierte Berufe inne haben.

Es ist bekannt, dass viele Einwanderer Geld in ihre Heimatländer schicken, sogenannte Rücküberweisungen tätigen. Wenig ist bekannt über Menge, Ziel und Zweck des Geldflusses. Die Befragung gab hier zumindest einen Einblick. Zwar gibt es einige Zuwanderungsgruppen, die praktisch gar kein Geld versenden, insgesamt schickt jedoch knapp die Hälfte aller Migranten Geld in die Heimat. Fast ausschließlich profitiert die heimische Familie. Männer zeigen sich gegenüber der Verwandtschaft häufiger spendabel als Frauen, Angestellte häufiger als Selbständige. Die Höhe der Rücküberweisungen korreliert dabei keineswegs mit der Höhe des monatlichen Verdienstes. Wer viel verdient ist manchmal geiziger, wer wenig hat, kratzt gerne noch etwas für die Familien in der Heimat zusammen.

Zur Zeit werden bundesweit Interviews mit Migranten und Experten aus fünf verschiedenen Zuwanderungsgruppen geführt. Solche qualitativen Einsichten sollen helfen, die durch die quantitative Erhebung gesammelten Daten richtig interpretieren zu können. Um in weiteren Befragungen einen größeren Kreis innerhalb der jeweiligen Migrantengruppe anzusprechen, sollen die Fragebögen in die Landessprachen übersetzt werden. Zudem wird sich die nächste Erhebung auf die indische, die philippinische und die brasilianische Community konzentrieren. Zur Arbeitsmarktintegration von zwei weiteren Zuwanderungsgruppen, Marokkanern und Vietnamesen entstehen derzeit jeweils Promotionen. Andere Teilprojekte im Forschungsprogramm untersuchen Themen wie die Frage nach der Bedeutung von Migrantenorganisationen für die städtische Entwicklung.


Felicitas Hillmann ist seit 2006 Professorin für Humangeographie/Angewandte Geographie am Institut für Geographie. Sie promovierte 1995 in Freiburg im Breisgau, forschte bis 2000 am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie 2001 am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung. Hillmann habilitierte sich 2004 an der FU Berlin. Sie arbeitet zu Fragen des sozialen und räumlichen Wandels, insbesondere über Migration.

Katharina Goethe schloss ihr Studium an der FU Berlin mit einer Studie über ghanaische hochqualifizierte Zuwanderer ab und machte ein Praktikum bei der International Organisation for Migration (IOM). Derzeit arbeitet sie im DFG-Projekt "Migration und Entwicklung", wo sie ihre Promotion über die Integration marokkanischer Migranten anfertigt.

Sandra Bröring ist seit Mai 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie. Nach ihrem Studienabschluss in "Geographischer Entwicklungsforschung Afrikas" in Bayreuth, hat sie 2008 ihren Master in "Internationale Migration und interkulturelle Beziehungen" in Osnabrück mit der Arbeit "Entwicklung durch Migration?" abgeschlossen.

Weitere Informationen:
www.forstar.uni-bremen.de


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2008, Seite 18-21
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2009