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FORSCHUNG/112: Bürgernähe statt Militarisierung - Der Aufbau der afghanischen Polizei (idw)


Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung - 26.01.2011

Bürgernähe statt Militarisierung - Der Aufbau der afghanischen Polizei

Wissenschaftler der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung untersuchen die internationale Polizeihilfe in Afghanistan und erklären, warum der Wandel vom zivilen zum militärisch dominierten Polizeiaufbau für das Land problematisch ist. Die Forscher plädieren für eine graduelle Neuausrichtung der Polizeireform, die stärker als bisher auch die Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung berücksichtigt.


Frankfurt. Bis 2014 will die internationale Gemeinschaft - darunter die deutsche Bundesregierung - die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan an afghanische Institutionen übergeben. Eine wichtige Bedingung für den Rückzug internationaler Truppen ist die Qualität der afghanischen Sicherheitskräfte. Geberstaaten investieren daher massiv nicht nur in die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Armee, sondern auch der afghanischen Polizei (Afghan National Police, ANP). Dr. Cornelius Friesendorf und Jörg Krempel untersuchen in einer aktuellen Veröffentlichung der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) die internationale Polizeihilfe in Afghanistan und erläutern, warum der Wandel vom zivil zum militärisch dominierten Polizeiaufbau in Afghanistan problematisch ist.

Deutschland war ab 2002 als Führungsnation für die Koordination der internationalen Hilfe für den Polizeiaufbau - mit stark ziviler Ausrichtung - in Afghanistan verantwortlich. Allerdings investierte Deutschland anfangs nur relativ geringe Mittel in den Aufbau und die Reform der ANP. Mangels rascher Fortschritte übernahmen die USA ab 2003/4 de facto die Führungsrolle beim Polizeiaufbau. Dies bedeutete einen Paradigmenwechsel von der zögerlichen, aber zivil orientierten Polizeireform hin zum militärischen Polizeiaufbau. Diese Militarisierung wurde durch den Strategiewechsel in Richtung Aufstandsbekämpfung im Jahr 2009 beschleunigt.

"Es ist unklar, ob die Militarisierung der ANP die Überlebenschancen von afghanischen Polizisten wesentlich verbessert hat - Polizisten bleiben die am meisten gefährdeten Sicherheitskräfte", erklären Cornelius Friesendorf und Jörg Krempel. Die Militarisierung kann auch nicht das Problem der schwachen Legitimität des afghanischen Staates beheben. Es fehlt an Vertrauen zwischen Bevölkerung und Polizei, auch, weil die ANP Verbrechen nur unzureichend verhindern und aufklären kann. "Nur eine Polizei, der die Bevölkerung vertraut, kann effektiv sein und den Aufbau eines als legitim betrachteten Staates stützen", so die Wissenschaftler.

Die Experten räumen ein, dass in Afghanistan dennoch militärische Elemente bei der Unterstützung der ANP notwendig sind - vor Ort seien die Voraussetzungen für eine Sicherheitssektorreform, die klar zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben trennt, nicht gegeben. Ohne militärische Ausrüstung und militärische Grundkenntnisse könnte sich die Polizei nicht gegen gut bewaffnete und gut organisierte aufständische und kriminelle Gruppen verteidigen. Allerdings, so raten die Autoren, muss die Polizei so zivil wie möglich und so militärisch geprägt wie nötig sein - hinsichtlich ihrer Ausstattung, ihres Auftretens, ihrer Struktur und ihren Aufgaben.

Daher befürworten Friesendorf und Krempel, den zivilen Polizeiaufbau weiter voranzutreiben, vor allem bei der regulären afghanischen Polizei - der Afghan Uniformed Civilian Police. Hierfür sei wichtig, dass nicht Soldaten, sondern zivile Polizeiexperten die strategische Ausrichtung der Polizeireform definieren. Ebenso müssen Lücken bei zivilen Trainern, Partnern und Mentoren so schnell wie möglich geschlossen werden. Wichtig ist, die ANP langfristig zu unterstützen. Für eine nachhaltige Polizeireform reichten die üblichen Projektzyklen der internationalen Zusammenarbeit von zwei bis drei Jahren meist nicht aus, unter anderem wegen eines Mangels an Planungssicherheit für lokale Akteure, erklären die Forscher.

Aber auch die Reform des Innenministeriums, eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche innerhalb der ANP und zwischen der ANP und weiteren Sicherheitsakteuren in Afghanistan, eine Verzahnung der Polizeiarbeit mit dem Justizsektor und eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure sind nötig. Weiterhin muss der Polizeiaufbau regionale Unterschiede innerhalb von Afghanistan widerspiegeln. In ganz Afghanistan muss allerdings die Ausbildung über bürgernahe Polizeiarbeit und Alphabetisierungskampagnen vorangetrieben werden. Darüber hinaus sollten Partner der USA, unter anderem auch Deutschland, mehr Druck auf die USA ausüben, milizähnliche Hilfspolizeien nicht zu unterstützen, da die meisten Afghanen Milizen mit dem Bürgerkrieg in der ersten Hälfte der 1990er Jahre verbinden.

Allerdings können Partner der USA auf Washington nur Druck ausüben, wenn sie sich personell und finanziell in Afghanistan weiterhin engagieren. "Sinnvoll wäre deshalb keine neue Polizeistrategie, sondern eine graduelle Neuausrichtung der Reform der afghanischen Polizei, die den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung bessere Dienste erweist als die schnelle Militarisierung der Polizei", fassen Friesendorf und Krempel zusammen.


Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
Die Arbeit der HSFK ist darauf gerichtet, die Ursachen gewaltsamer internationaler und innerer Konflikte zu erkennen und die Bedingungen des Friedens, verstanden als Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit, zu erforschen. Die HSFK ist das größte und älteste Friedensforschungsinstitut in Deutschland und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 86 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen gehören.

Die Veröffentlichung erscheint in der Reihe "HSFK-Report" und ist auf Anfrage bei den Autoren als PDF erhältlich.

Weitere Informationen unter:
http://hsfk.de/Newsdetail.25.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=861&tx_ttnews[backPid]=5&cHash=a4d9f74c8c
Die Pressemitteilung auf der Website der HSFK http://www.hsfk.de
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung online

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution404


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Babette Knauer,
26.01.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2011