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FORSCHUNG/144: Wann ein Krieg ein Krieg ist - Humanitäre Hilfe in Krisengebieten (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin 2/2015
Ruhr-Universität Bochum
Schwerpunkt Konflikte
Gestern, heute und morgen

Wann ein Krieg ein Krieg ist

Humanitäre Hilfe in Krisengebieten

von Raffaela Römer


In den Nachrichten sehen wir regelmäßig Bilder von Menschen, die in einer Krisenregion leben. Sie haben Angst um ihr Leben, flüchten vor bewaffneten Einheiten, sind verletzt oder haben Heim und Habe verloren. Doch trotz des Eindrucks allgegenwärtigen Leids sind Kriege heute weit seltener als in den vergangenen Jahrzehnten, sagen Statistiken. Aber was wird heutzutage als Krieg bezeichnet und was nicht?


Eine eindeutige Antwort darauf zu finden ist schwierig, weiß Prof. Dr. Dennis Dijkzeul. Der 49-jährige Niederländer hat vor einigen Jahren am RUB-Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht eine Professur erhalten.

Sein Gebiet sind humanitäre Krisen im Allgemeinen und das Management solcher Krisen im Speziellen. "Das Problem dieser Statistiken ist, dass sie sich fast nur auf die Zahl der Getöteten beziehen. Dank des medizinischen Fortschritts sterben heute aber weitaus weniger Verwundete als noch vor zwanzig Jahren." Stattdessen sei jedoch die Zahl der Behinderten und Traumatisierten genauso gestiegen wie die der Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge. Doch diese werden von den Statistiken nicht erfasst. Krieg ist heute also weniger tödlich, aber das bedeutet nicht, dass er weniger stattfindet. Anders gesagt: Die Statistiken fassen das durch Kriege verursachte Leid nicht mehr zusammen. Wissenschaftler wie Dijkzeul und seine Kollegen forschen daran, andere Indikatoren zu definieren, um die Ursachen und Folgen der jüngsten Kriege besser verstehen zu können.

Einer dieser "modernen" Kriegsgründe ist der Klimawandel, weiß Dijkzeul: "Der Klimawandel ist schon heute ein Auslöser von Konflikten, und er wird es in immer stärkerem Ausmaß werden. Syrische Bauern zum Beispiel zogen in die Städte, weil sie aufgrund des Klimawandels keinen ausreichenden Ertrag hatten. In den Städten hatten sie aber ebenfalls wirtschaftliche Schwierigkeiten, was sie zu öffentlichen Protesten antrieb. Das Assad-Regime schlug diese gewaltsam nieder, die Menschen flohen." Bei vielen Flüchtlingen ist nachträglich aber nicht mehr auszumachen, ob Krieg, Klimawandel oder Armut die Ursache ihrer Migration ist. Die Faktoren beeinflussen sich gegenseitig, und man weiß zu wenig darüber, auf welche Weise sie dies genau tun.

Egal, welchen Titel das Leid der betroffenen Menschen trägt, Hilfe benötigen sie so oder so. Diese Aufgabe übernehmen in weiten Teilen humanitäre Hilfsorganisationen wie das "Rote Kreuz" oder "Ärzte ohne Grenzen". In seiner Arbeit als Professor für Organisations- und Konfliktforschung beschäftigt sich Dijkzeul intensiv mit ihren Aufgaben. "Es gibt hunderte von Hilfsorganisationen. Manche bieten medizinische Hilfe an, andere kümmern sich vorwiegend um Umwelt- und Wasserhygiene und wieder andere beschaffen Lebensmittel für die Notleidenden", so Dijkzeul. Dazu kommen teilweise Soldaten aus Nachbarländern und Friedensmächte der UNO. Nicht zu unterschätzen ist auch die Hilfe innerhalb der betroffenen Bevölkerung: "Bis zum Beispiel nach einem Erdbeben ein Flugzeug mit Hilfsgütern in, sagen wir, Indien angekommen ist, ist wahrscheinlich schon mehr als ein halber Tag vergangen", erklärt Dijkzeul. "Wir wissen aber, dass die meisten Menschen in den ersten Stunden nach solch einem Unglück sterben. Es sind also vor allem Nachbarn und Familienangehörige, die die erste Hilfe leisten. Das wird in Medienberichten aber oft ausgeblendet."

In der Vergangenheit war Dijkzeul oft selbst zu Forschungszwecken in Krisengebieten, vor allem in der Demokratischen Republik Kongo auf der Grenze mit Ruanda in Ostafrika. Dort hat er gelernt, wie wichtig der enge Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren ist. "Wenn man die Strategien der Konfliktparteien und die Überlebensstrategien der lokalen Bevölkerung versteht, kann man viel effizienter Hilfe leisten." Und er weiß auch, wie wichtig es ist, den Menschen seine Arbeit transparent zu machen: "Leute können sich durch die Forschung, die wir machen, schnell ausgenutzt fühlen. Man kommt in ihr Land, fragt sie aus und ist wieder weg. Außerdem sind sie misstrauisch, ob wir auch wirklich unparteiisch und neutral sind. Daher ist es mir wichtig, den Menschen meine Arbeit zu erklären. Und dann fühlen sie sich teilweise sogar geehrt, dass ihr Schicksal in einer wissenschaftlichen Studie Beachtung findet, dass westliche Studierende daraus etwas lernen."

Als wissenschaftlicher Berater von Regierungen und Hilfsorganisationen profitierte der Niederländer von seinem Blick von außen: "Die Hilfsorganisationen sind teilweise zehn, zwanzig Jahre lang in dem Land. Nach einiger Zeit nehmen die Menschen die Organisationen dann nicht mehr als neutrale Helfer wahr, sondern als Teil des Konfliktes." Auch wenn er viel Schlimmes gesehen hat, so hat er doch auch schöne Erinnerungen an diese Zeit: "Da sind viele Bilder in mir. Der herrliche Sonnenuntergang über dem Kiwusee. Die fröhlichen Tanzabende mit den afrikanischen Freunden. Wie Menschen einander helfen. Dass die Menschen in all ihrem Leid noch in Würde versuchen zu leben. Das beeindruckt mich sehr."

Wenn seine beiden Kinder älter sind, da ist sich Dijkzeul ziemlich sicher, wird auch er wieder weniger hinter dem Schreibtisch und mehr bei den Menschen in Krisengebieten zu finden sein. Bis es soweit ist, schreibt er eifrig Artikel und Bücher. Ein aktuelles Projekt ist zum Beispiel die Bewertung der offiziellen niederländischen humanitären Politik der vergangenen sechs Jahre. Dijkzeul arbeitet dabei als externer Gutachter für das niederländische Außenministerium in Den Haag.


Interview mit Prof. Dennis Dijkzeul:
http://rubin.rub.de/de/ueber-die-schwierigkeiten-der-humanitaeren-hilfe


URL des Artikels auf der RUBIN-Homepage:
http://rubin.rub.de/de/themenschwerpunkt-konflikte/wann-ein-krieg-ein-krieg-ist

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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin 2/2015, S. 26 - 27
Herausgeber: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung mit dem
Dezernat Hochschulkommunikation der Ruhr-Universität Bochum
Redaktion: Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2015

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