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BERICHT/013: Spielzeug auf Urlaub (welt der frau)


welt der frau 7-8/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Spielzeug auf Urlaub

Von Michaela Herzog


Drei Monate dauerte das Projekt "spielzeugfreier Kindergarten" in der Linzer "Rasselbande". Die Idee dahinter? Die Fülle an Spielzeug zu hinterfragen und neue Spielräume zu schaffen, die die Fantasie und Kreativität der Kinder fördern.


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Wo sind die Puppen geblieben? Die Schachteln mit Legosteinen? Wo wurden die Malstifte versteckt? Gemeinsam mit ihren Kindergärtnerinnen haben die 23 Kinder der "Rasselbande" das Spielzeug in große Schachtelschiffe verpackt und auf Urlaub geschickt. Dafür lag im großen Toberaum des Kindergartens eine dicke Matte unter der Kletterwand. Nicht nur Decken, Pölster und Tücher steckten zum Bauen von Höhlen und Hüllen griffbereit in Regalen. Ein Trampolin war aufgestellt. Dicke Seile lagen auf dem Boden, Rollbretter standen bereit. "Die Kinder wollten in der Früh ihren Bewegungsdrang ausleben", erklärt Simone Ranetbauer, Leiterin des Kindergartens "Rasselbande". Leiser wurde es erst im Kindergarten, nachdem sich die Kinder zu Spielgruppen gefunden hatten.

In einer Ecke entdeckten Kinder eine Spinne. Wurde eine Decke über den Kindergartentisch gezogen, war dieser zur Höhle verwandelt. Heraus kraxelten "Jäger und Wissenschafterinnen". Sie stapelten Sessel übereinander, um gemeinsam der Spinne möglichst nah zu kommen.

Von Kreativität und Nichtstun

"Zur Lebens- und Lernwelt jedes Kindes gehört natürlich Spielzeug", erklärt Frau Ranetbauer. Doch nicht nur zur Weihnachtszeit werden die Wunschzettel immer üppiger und die Wertschätzung von Autos, Puppen und Büchern nimmt ab. Das Projekt "spielzeugfreier Kindergarten" richtet sich einerseits gegen die Reizüberflutung bei Kindern durch zu viele Spielsachen. Andererseits versteht es sich als eine Form der Suchtprophylaxe bereits im Kindergarten. "Bei diesem Projekt müssen sich die Kinder mit sich selbst auseinandersetzen, sie stoßen immer wieder an ihre eigenen Grenzen und sollen dabei lernen, mit den eigenen Stärken und Schwächen umzugehen." Frau Ranetbauer verweist damit auf einen weiteren Hintergrund des Projektes: "Eine selbstbewusste Persönlichkeit, die sich selber kennt und schätzt, wird seltener Opfer von Süchten."

Gemeinsam mit der Suchtpräventionsstelle von pro mente Oberösterreich wurde das Projekt "spielzeugfreier Kindergarten" am Elternabend vorgestellt. Mütter und Väter waren begeistert von der Idee, ihren Kindern drei Monate lang neue Erfahrungs- und Spielräume zu schaffen. "Uns ist es darum gegangen, die Lebenskompetenz der Kinder mehr zu stärken und das soziale Lernen in der Kindergruppe zu fördern", erklärt die Leiterin Ranetbauer. Die Kinder waren drei Monate lang nicht von Spielsachen abgelenkt. Und hatten mehr Zeit, eigene Bedürfnisse besser wahrzunehmen, andere Kinder um Rat oder Hilfe zu bitten oder gemeinsam in der Gruppe mehr zu spielen und auch Konflikte zu lösen.

In der spielzeugfreien Zeit gab es keine angeleiteten Angebote von Seiten der Pädagoginnen. "Wir haben uns sehr zurückgenommen und als beobachtende Begleiterinnen agiert", so Frau Ranetbauer. Die Kinder werkten und arbeiteten sehr selbstständig, ihrer Fantasie, ihrer Kreativität und dem Drang nach Bewegung überlassen. Und legten Ruhe suchend immer wieder Pausen ein. Zum Nichtstun, Träumen und Kraftschöpfen.

Die Kinder waren begeistert

Die Befürchtungen, dass den Kindern langweilig werden könnte, haben sich nicht bestätigt, obwohl diese Erfahrung durchaus im Sinne des Projektes gewesen wäre. Frau Ranetbauer meint, dass Kinder lernen sollten, Langeweile auszuhalten und sich etwas einfallen zu lassen.

Dass die Kinder in der altersgemischten Gruppe während der zwölf Wochen viel selbstständiger geworden sind, haben auch die Eltern bestätigt. "Die Großen und die Kleinen profitieren voneinander, vor allem bei alltäglichen Tätigkeiten und in der Sprachentwicklung", weiß Frau Ranetbauer. Alle diese Beobachtungen wurden in einem Portfolio festgehalten, das die Pädagoginnen für jedes Kind angelegt haben. Frau Ranetbauer und ihr Team sprachen mit jedem Kind immer wieder darüber, wie es ihm ging, was ihm gut oder weniger gut gefiel. "Spielzeugfreier Kindergarten heißt nicht, dass Eltern das Spielzeug auch daheim wegräumen sollen, außer die Kinder verlangen es", erklärt die Kindergartenleiterin. Sie hat den Eltern empfohlen, während dieser zwölf Projektwochen den Fernsehkonsum und das Spielen am Computer zu reduzieren.

Willkommen, Spielzeug

Schritt für Schritt wurden die "Rasselbandekinder" wieder in den gewohnten Kindergartenalltag zurückgeführt. Tische und Sessel sind seither wieder zum Sitzen da. Auf die Fensterbank wird nicht mehr hinaufgekraxelt, sondern sie ist wieder zum Hinausschauen da. Worauf haben sich die Kinder nach diesen drei Monaten am meisten gefreut? Auf Lego, Stifte und Papier.


Infos zum "spielzeugfreien Kindergarten":
www.rasselbande-linz.org


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 7-8/2007, Seite 18-19
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2007