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SCHULE/236: Chancen auf eine bessere Bildung (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 7-9/2008

Chancen auf eine bessere Bildung
Grundschulpädagogen der Uni Potsdam beteiligen sich am bundesweiten Projekt zur Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund

Von Petra Görlich


Im Unterricht sitzen und nicht immer verstehen, worum es gerade geht - für viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ist dies bitterer Alltag. Nicht, weil es an Begabung fehlt, freilich kommen mitunter fachliche Probleme hinzu, sondern weil Sprachbarrieren verhindern, dass sie sich aktiv am Geschehen beteiligen können. Ihre Schulkarrieren verlaufen deshalb nicht selten anders als die von Mitschülern ohne Migrationshintergrund. Sie müssen häufiger das Gymnasium wieder verlassen, Klassen wiederholen oder letztlich sogar Sonderschulen besuchen. Das von der Stiftung Mercator finanzierte Projekt "Förderung der Exzellenz und sprachlich-kulturellen Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund", in dem auch Grundschulpädagogik-Professorin Agi Schründer-Lenzen von der Uni Potsdam mit einem vierköpfigen Mitarbeiter-Team mitwirkt, will dagegen halten.


Die Essener Mercator-Stiftung unterstützt die außerschulische Förderung junger Migranten an insgesamt 35 Standorten. Dazu gehört Potsdam. Hier organisieren Grundschulpädagogen der Uni im Sinne der Stiftung einen Förderunterricht, der mehr als nur Sprachunterricht ist. Seine Inhalte sind flexibel und vielfältig gestaltet. Sie reichen von Deutsch als Zweitsprache, ergänzendem Fachunterricht, Vorbereitungskursen für Nachprüfungen bis hin zur allgemeinen Hausaufgabenbetreuung. Thematisch wird dicht drangeblieben an Schulfächern wie Mathematik, Geschichte oder Erdkunde. Die Schüler lernen Wendungen und Vokabeln, die ihnen im Unterricht weiterhelfen. Ziel ist es, indem sie die "Sprache der Schule" besser beherrschen lernen, ihre Schulleistungen insgesamt zu verbessern. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Denn das Projekt bringt auch für die künftigen Lehrer, die diese Stunden erteilen, praktischen Gewinn. Für sie ist dies eine ideale Gelegenheit, wertvolle Erfahrungen im Umgang mit heterogenen Schülergruppen zu sammeln, Unterrichtsmethoden zu erproben und eigene Konzepte zu entwickeln.

Eine, die seit eineinhalb Jahren mit dabei ist, ist Janiki Weidner. Auch die Studentin der Mathematik, Arbeitslehre und des Sports sieht den Förderunterricht als willkommene Ergänzung zur an der Uni vermittelten Theorie. Weidner erteilt zweimal in der Woche zwei Stunden Mathematik in der Potsdamer Karl-Foerster Grundschule. Vier bis sechs Schüler kommen dann am Nachmittag zu ihr. Deren Eltern stammen aus Ägypten, der Ukraine, Bosnien, der Türkei. "Die Grenzen zwischen Sprachausbildung und Fachunterricht sind fließend", beschreibt sie das Vorgehen. Wichtig sei, dass die Kinder "auftauen". "Ich habe den Eindruck, dass sie sich bedingt durch sprachliche und fachliche Unsicherheiten in ihren Klassen mitunter verloren fühlen", sagt sie. Deshalb werde vieles nicht bitterernst vermittelt, sondern stünde der Spaß am Lernen, das gegenseitige aufeinander Zugehen, das Arbeiten am Selbstwertgefühl ihrer Schützlinge im Vordergrund. Unerlässliche Verbündete sind dabei die Eltern und Fachlehrer. Dass das Engagement in der Schule sie in der eigenen beruflichen Entwicklung weiterbringt, steht für Janiki Weidner außer Frage. "Ich muss zum Beispiel mit schwierigen Verhaltenssituationen der Kinder umgehen können", erzählt die Studentin. "Wie gehe ich mit dem Außenseiter um, welche Bedeutung schenke ich ihm, wie integriere ich ihn in die Gruppe - das sind Probleme, die ich auch später in der Klasse zu bewältigen habe", sagt sie. "Damit jetzt schon konfrontiert zu werden und geeignete Strategien entwickeln zu können, ist eine enorme Bereicherung für mich."

Die in Potsdam an insgesamt elf Schulen tätigen 30 bis 40 Studierenden stehen nicht allein bei der Meisterung der für sie neuen Herausforderung. Einmal im Monat findet ein Mercator-Treffen statt, bei dem alle Förderlehrer zusammenkommen und über ihre Erfahrungen berichten, sich austauschen, gemeinsam Fachvorträge hören. "Die Unterstützung durch die Uni ist sehr gut", betont Weidner.

Agi Schründer-Lenzen, die die wissenschaftliche Leitung des Projekts an der Hochschule innehat, dürfte dieses Urteil freuen. Sie weist in dem Zusammenhang auf die nach ihrer Ansicht noch ungenügende Aufmerksamkeit auf die spezifischen Schulleistungsprobleme von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Brandenburg hin. Ein Grund dafür sei deren im Vergleich zu anderen Bundesländern verhältnismäßig geringer Anteil an den Schülern insgesamt. Während etwa in Hamburg und Bremen der Anteil dieser jungen Menschen bei 40 Prozent liegt und in Berlin die ersten Grundschulen einen hundertprozentigen Migrantenanteil ausweisen, beträgt er in Brandenburg durchschnittlich zwischen drei bis fünf Prozent. Einzelne Schulen weisen durchaus höhere Zahlen auf. Trotzdem betrachtet Schründer-Lenzen den Aufbau professionellen Wissens zur Auseinandersetzung mit sprachlich-kultureller Heterogenität bei Lehramtsstudierenden als notwendige Aufgabe. "Es gibt inzwischen an der Uni zwar einen Aufbaustudiengang Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache (DaZ/DaF)", so die Professorin. "Aber man sollte auch überlegen, ob nicht auch ein obligatorisches Modul für alle Lehrämter eingeführt werden müsste, das eben diese Kompetenzen im Bereich DaZ vermittelt. Bisher fehlt ein solcher Leistungsnachweis in unserem Curriculum, den es etwa in Berlin verpflichtend gibt." Wie erfolgreich das bereits drei Jahre laufende und nochmals um ein Jahr verlängerte Mercator-Projekt letztlich ist, wird übrigens auch evaluiert. Mit projekteigenen Instrumentarien und Instrumentarien, die aus weiteren von Schründer-Lenzen eingeworbenen Vorhaben stammen. So ist eine Software entwickelt worden, mit der Texte, die Schüler im Förderunterricht schreiben, im Hinblick auf Kriterien wie beispielsweise Wortschatz, Aufbau des Textes, Verständlichkeit ausgewertet werden. Die Teilnehmer der einzelnen Gruppen schreiben die Texte jeweils zu Beginn des Förderjahres und an dessen Ende. Durch die ermittelten Daten gewinnen die Forscher einen Eindruck von der Sprachentwicklung und der vorhandenen Textkompetenz. Gegenwärtig dauern die Auswertungen noch an. Schründer-Lenzen hält sich deshalb in ihrer Einschätzung bedeckt. "Eine Tendenz lässt sich insofern erkennen, dass sich Verbesserungen darstellen", sagt sie aber dann doch. Auch der Zensurenspiegel lasse Positives erkennen. Auch wenn nicht in jedem Fall ein Fortschritt in Form besserer Noten zu sehen sei.

Ergebnisse und Resonanz auf das Förder-Angebot beflügeln sowohl die Wissenschaftlerinnen als auch die Lehramtsstudierenden weiter. Inzwischen existieren Wartelisten für die Studis. Sie wollen unbedingt mitmachen. Ganz ohne viele Worte über Toleranz, Integrationshilfe und Weltoffenheit zu verlieren. Sie leben sie einfach.


Stiftung Mercator, Essen:
http://www.mercator-foerderunterricht.de

Standort Potsdam:
http://www.uni-potsdam.de/u/grundschule/gsp.htm


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 7-9/2008, Seite 48-49
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
im Auftrag des Rektors der Universität Potsdam
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2008