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SCHULE/368: Der Weg zum richtigen Schreiben (idw)


Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 02.07.2013

Der Weg zum richtigen Schreiben



Nicht erst seit dem Spiegel-Artikel "Die Rechtschreipkaterstrofe" (Nr. 25/2013) diskutieren Wissenschaftler, Lehrer und Eltern die richtige Methode, um Kindern die deutsche Rechtschreibung beizubringen: Ist das althergebrachte orthographische Schreiben oder das inzwischen in Grundschulen fest verankerte lautorientierte Schreiben der bessere Weg? Für Prof. Dr. Sabine Martschinke vom Lehrstuhl für Grundschuldidaktik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) stellt sich weniger die Frage nach der einen richtigen Methode - wichtig ist vielmehr, dass sich die Methodenwahl nach den individuellen Voraussetzungen der Kinder richtet.

Der aktuelle Methodenstreit zur Frage nach dem richtigen Weg zum Leseverstehen oder/und orthographisch richtigen Schreiben ist nicht der erste, der in der Historie der Schriftspracherwerbsdidaktik ausgefochten wird. Und es ist nicht der erste, der empirisch nicht (endgültig) beantwortet werden kann. Es fehlen zum einen experimentelle Untersuchungen; zum anderen erlaubt die aktuelle Gemengelage von methodischen Varianten keine generellen Antworten.

Denn bei der Vermittlung von Rechtschreibkompetenz müssen einige wichtige theoretische und empirisch belegte Grundlagen berücksichtigt werden, die für die Qualität einer Lehrkraft bzw. des Unterrichts bürgen:

Zunächst einmal muss der Aufbau der deutschen Schriftsprache berücksichtigt werden: Seine Basis ist ein phonologisches System, ohne dass es eine 1:1-Zuordnung von gesprochener und geschriebener Sprache, von Lauten und Buchstaben gibt. Diese Lautorientierung wird ergänzt durch weitere linguistische Prinzipien, wie z.B. das morphematische oder grammatische Prinzip - Grundlage unseres orthographischen Regelsystems. Als wichtige, wenn auch nicht hinreichende Grundlage für erfolgreichen Schriftspracherwerb müssen Kinder also zunächst das Lautprinzip verstehen und anwenden lernen. Dazu brauchen Kinder Gelegenheiten, eigentätig Schriftsprache zu "konstruieren" und zu entschlüsseln. Denn das Fundament einer modernen Schriftspracherwerbsdidaktik ist die lern- und kognitionspsychologische Sichtweise, die besagt, dass sich Kinder ihr Wissen über Schrift aktiv und individuell erwerben.

Und schließlich zeigen die in den letzten 20 Jahren im Schriftspracherwerb dominierenden entwicklungspsychologischen Forschungen, dass Kinder in ihrer Entwicklung - in bemerkenswerter Übereinstimmung - grundlegende Stufen durchlaufen. Vom Abmalen oder auswendig gelernten Aufschreiben von Wörtern als "Logos" (z.B. der eigene Name, "Mama") - ohne dass das Buchstaben-Lautprinzip Anwendung findet ("logographische Strategie") - über das genaue Abhören und Aufschreiben von Wörtern anhand der gefundenen Laute ("phonologische Strategie") entwickeln Kinder zunehmend und mehr oder weniger selbstständig Zugang zu wichtigen Rechtschreibstrategien, die nach und nach automatisiert werden ("orthographische Strategie"). Lehrkräfte müssen also auf der Basis von Entwicklungsmodellen individuelle Entwicklungsstände einschätzen und entsprechende adaptive Fördermaßnahmen (auf der alphabetischen oder orthographischen Stufe) für einzelne Kinder, für Gruppen oder die Klasse generieren.

Nur eine kompetente Diagnose und gezielte Förderung im Unterricht können den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Kindes gerecht werden. Eine hohe Diagnose- und Förderkompetenz ist damit Voraussetzung auf Seiten der Lehrkräfte, die bereits im Studium angelegt werden kann, z.B. an der FAU auch durch spezielle berufsfeldbezogene Angebote der Lern- und Forschungswerkstatt "ALLE" (für Adaptives Lehren und Lernen).

Letztendlich ist die Frage nach einer oder der richtigen Methodik für alle Kinder falsch gestellt. Lehrkräfte müssen diagnostizieren, wo das einzelne Kind steht, welche besonderen Schwierigkeiten es noch und welche Fähigkeiten es schon hat, ob es gerade einen sinnvollen Lernweg eingeschlagen hat sowie ob und wie sie es mit gezielten Fördermaßnahmen besonders gut unterstützen können. Ob es gerade Schreibangebote für die Arbeit mit der Anlauttabelle sind oder "Nachdenk-" und Übungsangebote für das Rechtschreiben entscheidet der Einzelfall - das Kind mit seinen individuellen Lernvoraussetzungen und Bedürfnissen!

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution18

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
Blandina Mangelkramer, 02.07.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013